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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 337/09
Verkündet am:
3. November 2010
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 312d, 346, 355, 357
Der Verbraucher, der im Fernabsatz ein Wasserbett gekauft hat, schuldet im Falle
des Widerrufs keinen Ersatz für die Wertminderung, die dadurch eintritt, dass er die
Matratze des Betts zu Prüfzwecken mit Wasser befüllt.
BGH, Urteil vom 3. November 2010 - VIII ZR 337/09 - LG Berlin
AG Berlin-Wedding
-2-
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. November 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger sowie die Richter Dr. Achilles und
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 50
des Landgerichts Berlin vom 18. November 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger nimmt den Beklagten, der über das Internet Wasserbetten
zum Verkauf anbietet, auf Rückzahlung des Kaufpreises für ein Wasserbett in
Anspruch.
2
Am 9. August 2008 schlossen die Parteien per E-Mail einen Kaufvertrag
über ein Wasserbett "Las Vegas" zum Preis von 1.265 €. Das Angebot des Beklagten war dem Kläger per E-Mail als angehängte PDF-Datei übersandt worden. Der Text der E-Mail enthält eine Widerrufsbelehrung. Zu den Widerrufsfolgen heißt es dort:
"Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in
verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit gegebenenfalls Wertersatz leisten. Bei der Überlassung von Sachen gilt dies nicht, wenn
die Verschlechterung der Sache ausschließlich auf deren Prüfung - wie sie Ihnen
etwa im Ladengeschäft möglich gewesen wäre - zurückzuführen ist. Im Übrigen
-3-
können Sie die Wertersatzpflicht vermeiden, indem Sie die Sache nicht wie Ihr
Eigentum in Gebrauch nehmen und alles unterlassen, was deren Wert beeinträchtigt."
3
Im weiteren Text der E-Mail heißt es:
"Im Hinblick auf die o. g. Widerrufsbelehrung weisen wir ergänzend darauf hin,
dass durch das Befüllen der Matratze des Wasserbettes regelmäßig eine Verschlechterung eintritt, da das Bett nicht mehr als neuwertig zu veräußern ist."
4
Das Wasserbett wurde am 1. September 2008 gegen Barzahlung beim
Kläger angeliefert. Der Kläger baute das Wasserbett auf, befüllte die Matratze
mit Wasser und benutzte das Bett sodann drei Tage lang. Mit einer E-Mail vom
5. September 2008 übte er sein Widerrufsrecht aus. In dem Schreiben heißt es:
"…leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich bezüglich des Wasserbettkaufs von
meinem Rückgaberecht Gebrauch machen möchte. In den letzten Tagen hatten
wir die Möglichkeit dieses ausgiebig zu testen."
5
Nach Abholung des Wasserbetts forderte der Kläger den Beklagten zur
Rückzahlung des Kaufpreises auf. Der Beklagte erstattete lediglich einen Betrag von 258 € und machte geltend, dass das Bett nicht mehr verkäuflich sei;
lediglich die Heizung mit einem Wert von 258 € sei wieder verwertbar.
6
Das Amtsgericht hat der auf Rückzahlung des restlichen Kaufpreises von
1.007 € sowie auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 155,30 € - jeweils nebst Zinsen - gerichteten Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete
Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
-4-
Entscheidungsgründe:
7
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
9
Dem Kläger stehe der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch aufgrund des nach §§ 312d, 355 BGB wirksamen Widerrufs gemäß § 346 Abs. 1
BGB zu. Der Beklagte habe dagegen nicht wirksam mit einem Wertersatzanspruch nach § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB in Höhe der Klageforderung aufgerechnet.
10
Nach dieser Vorschrift habe der Verbraucher abweichend von § 346
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB Wertersatz auch für eine durch bestimmungsgemäße
Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er
entsprechend den Vorgaben dieser Bestimmung informiert worden sei. Wertersatz sei dagegen nach § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF; jetzt Satz 3] nicht zu leisten, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen sei.
11
Die zunächst vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, aufgrund der
mehrtägigen ausgiebigen Testung des Bettes könne nicht mehr von einer bloßen Prüfung, sondern müsse bereits von einer bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme mit der Folge des Wertersatzes bei Verschlechterung ausgegangen werden, lasse sich aufgrund der am 3. September 2009 ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Rs. C-489/07) nicht mehr
aufrecht erhalten. Der Gerichtshof habe zwar nicht über Wertersatz infolge Verschlechterung der Sache, sondern über Wertersatz für erlangte Gebrauchsvor-
-5-
teile zu befinden gehabt, so dass die Entscheidung für den Streitfall nicht einschlägig sei. Der Gerichtshof habe jedoch grundsätzliche Ausführungen zu den
Rechtsfolgen eines wirksamen Widerrufs im Fernabsatzgeschäft gemacht, die
auch den vorliegenden Rechtsstreit beträfen.
12
So habe der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2
der Fernabsatz-Richtlinie das Ziel dieser Richtlinie betont, für den Verbraucher
die Nachteile auszugleichen, die er durch den Vertragsabschluss im Fernabsatz
gegenüber einem Vertragsabschluss im Laden hinnehmen müsse. Mit dem Widerrufsrecht werde dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt, in der er die Möglichkeit habe, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Die Ausnahmeregelung des § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] sei europarechtskonform dahingehend zu verstehen, dass prüfen auch "ausprobieren"
einschließe.
13
Das Wasserbett könne nur durch Befüllung der Matratze ausprobiert
werden. Insoweit sei auch der formularmäßige Hinweis des Beklagten, "dass
durch das Befüllen der Matratze des Wasserbettes regelmäßig eine Verschlechterung eintritt, da das Bett nicht mehr als neuwertig zu veräußern ist"
nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da er in Widerspruch zur FernabsatzRichtlinie und der europarechtskonform auszulegenden nationalen Vorschrift
des § 357 Abs. 3 BGB stehe.
14
Der Kläger habe das Bett nach eigenem Bekunden drei Tage getestet.
Da es sich bei einem Bett regelmäßig um eine langfristige, für das eigene
Wohlbefinden nicht unerhebliche Anschaffung handele, dürfte auch eine dreitägige Nutzung noch als angemessene Prüfung im Sinne von § 357 Abs. 3 Satz 2
BGB [aF] zu werten sein. Dies könne aber letztlich dahinstehen, denn der Beklagte habe vorgetragen, dass der geltend gemachte Schaden stets bereits
-6-
durch das erstmalige Befüllen in vollem Umfang eintrete. Die über die - dem
Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts jedenfalls gestattete - einmalige
Befüllung hinausgehende Nutzung des Betts sei für den Schadenseintritt nicht
mehr kausal gewesen.
II.
15
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist
daher zurückzuweisen.
16
Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des von ihm fristgerecht
erklärten Widerrufs des mit dem Beklagten geschlossenen Fernabsatzvertrags
gemäß § 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 Abs. 1 Satz 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in
Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises hat, hier also des noch offenen Restbetrags von 1.007 €. Dem Beklagten steht demgegenüber, wie das Berufungsgericht ebenfalls mit Recht angenommen hat, kein aufrechenbarer Gegenanspruch auf Wertersatz gemäß § 357
Abs. 3 Satz 1 BGB zu.
17
1. Gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB finden auf das Widerrufsrecht des
Verbrauchers gemäß § 355 BGB, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. Nach der
für den gesetzlichen Rücktritt geltenden Vorschrift des § 346 Abs. 1 BGB sind
die empfangenen Leistungen von den Vertragsparteien einander zurückzugewähren. In § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB wird bestimmt, dass der Schuldner
statt der Rückgewähr Wertersatz zu leisten hat, soweit der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist; jedoch bleibt die
durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung außer Betracht. Abweichend davon ist in § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB für das
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Widerrufsrecht des Verbrauchers geregelt, dass der Verbraucher Wertersatz für
eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene
Verschlechterung zu leisten hat, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in
Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist,
sie zu vermeiden. Es bedarf indessen keiner Entscheidung, ob eine bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegt, und ob die dem Kläger erteilte Belehrung inhaltlich den Anforderungen
dieser Vorschrift genügt (vgl. dazu etwa Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb.
2004, § 357 Rn. 23; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 7;
Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 357 Rn. 19; Palandt/Grüneberg, BGB, 69.
Aufl., § 357 Rn. 10; jeweils mwN; Medicus in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB,
5. Aufl., § 357 Rn. 11 f.) und ob die in § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB getroffene Regelung europarechtskonform ist (so z. B. Föhlisch, Das Widerrufsrecht im Onlinehandel, 2009, S. 343 f.; Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1154 f.; Staudinger/Kaiser, aaO Rn. 31 mwN; Bamberger/Roth/Grothe, aaO, § 357 Rn. 12
mwN; aA z. B. Micklitz/Reich, BB 1999, 2093, 2095; Arnold/Dötsch, NJW 2003,
187).
18
2. Denn die in § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB geregelte Wertersatzpflicht des
Verbrauchers besteht gemäß § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] nicht, wenn die
Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist.
Das ist hier der Fall.
19
Der Kläger hat das Wasserbett aufgebaut, die Matratze mit Wasser befüllt und das Bett sodann drei Tage lang benutzt. Nach dem Vorbringen des
Beklagten ist dadurch - und zwar bereits durch den Aufbau des Betts und die
Befüllung der Matratze mit Wasser - eine Verschlechterung des Wasserbetts
eingetreten, weil es nunmehr als gebrauchtes Wasserbett anzusehen ist, als
solches nicht mehr verkauft werden kann und deshalb einen Wertverlust in vol-
-8-
ler Höhe des Kaufpreises (abzüglich des Betrags von 258 € für die wieder verwertbare Heizung) erlitten hat. Dies ist mangels gegenteiliger Feststellungen
des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Dabei kommt
es allein auf den Aufbau des Betts und die Befüllung der Matratze mit Wasser
an, weil die darüber hinaus gehende Benutzung durch den Kläger nach dem
Vorbringen des Beklagten nicht zu einer weiter gehenden Verschlechterung
geführt hat. Der Aufbau des Betts und die Befüllung der Matratze mit Wasser
stellen aber lediglich eine Prüfung der Sache im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 2
BGB [aF] dar.
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a) Die Regelungen in § 357 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB [aF] sind durch das
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I
S. 3138) eingeführt worden. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es
dazu (BT-Drucks. 14/6040, S. 199 f.):
"Zu Satz 1
Absatz 3 Satz 1 bestimmt, dass der Verbraucher abweichend von § 346 Abs. 2
Nr. 3 RE auch eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache
entstandene Wertminderung zu ersetzen hat. Diese gegenüber dem Rücktrittsrecht zu Lasten des widerrufenden Verbrauchers vorgesehene Haftungserschwerung rechtfertigt sich dadurch, dass das Widerrufs- oder Rückgaberecht dem
Verbraucher [richtig: des Verbrauchers] nicht von einer Vertragsverletzung des
Unternehmers abhängt, sondern dem Verbraucher kraft Gesetzes in jedem Fall
zusteht. Der Unternehmer kann mithin gar nicht vermeiden, vom widerrufenden
Verbraucher die Sache „gebraucht“ zurücknehmen zu müssen, obwohl er diese
vertragsgemäß geliefert hatte. (…)
Zu Satz 2
Um auszuschließen, dass der Unternehmer dem Verbraucher auch ein (…) Prüfungsrecht im Ergebnis nimmt und ihm auch insoweit das Wertminderungsrisiko
auferlegt, bestimmt Satz 2, dass der Verbraucher den aus der bloßen Prüfung
herrührenden Wertverlust - unabhängig davon, ob er vom Unternehmer auf ein
solches Haftungsrisiko hingewiesen worden ist oder nicht - in keinem Fall tragen
muss. Dies bedeutet, dass der Verbraucher für den Wertverlust, den ein Kleidungsstück allein dadurch erleidet, dass es aus der Verpackung genommen und
anprobiert wird, oder den ein Buch durch das bloße Aufschlagen und kurzes
Durchblättern erleidet, nicht aufzukommen braucht, dass er wohl aber die durch
die Erstzulassung eines Pkws entstehende Wertminderung tragen müsste, wenn
er entsprechend Satz 1 vom Unternehmer über diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit der Vermeidung belehrt worden ist. Denn diese Wertminderung ist gerade
-9-
nicht auf die Prüfung des Pkws zurückzuführen, sondern beruht allein auf der Zulassung des Fahrzeugs und ist damit prüfungsunabhängig. Dagegen dürfte dem
Verbraucher der Wertverlust, der dadurch entsteht, dass sich der Verbraucher in
den Pkw setzt, alle Instrumente ausprobiert und mit dem Pkw eine kurze Strecke
auf nichtöffentlicher Verkehrsfläche zurücklegt, in keinem Fall auferlegt werden.
Satz 2 kommt allerdings vor allem eine klarstellende Funktion zu. Denn § 346
Abs. 2 Nr. 3 2. Halbsatz RE setzt gerade voraus, dass durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache überhaupt ein Wertverlust eingetreten ist;
damit ist die Wertminderung gemeint, die dadurch eintritt, dass die Sache nicht
mehr als „neu“ verkauft werden kann. Eine solche Wertminderung tritt aber in der
Regel ohnehin nicht durch die bloße Prüfung der Sache, sondern erst durch einen darüber hinausgehenden Gebrauch - oder eben bei Pkws durch die Erstzulassung - ein."
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aa) Aus den in der Gesetzesbegründung angeführten Beispielen - insbesondere dem Ausprobieren der Instrumente eines Pkws und der kurzen Testfahrt mit dem Pkw auf nicht-öffentlichem Gelände - ergibt sich, dass der
Verbraucher grundsätzlich Gelegenheit haben soll, die durch Vertragsabschluss
im Fernabsatz gekaufte Ware in Augenschein zu nehmen und "auszuprobieren". Das setzt bei Möbeln, die im zerlegten Zustand angeliefert werden, das
Auspacken und den Aufbau der Möbelstücke voraus, gegebenenfalls auch das
Aufblasen, Aufpumpen oder sonstige Befüllen mit einem Füllmedium, wie hier
das Befüllen der Matratze mit Wasser. Denn der Verbraucher kann sich nur
dann einen ausreichenden Eindruck von dem gekauften Möbelstück machen,
wenn es aufgebaut ist. Da es im Streitfall allein auf den Aufbau des Betts und
die Befüllung der Matratze mit Wasser ankommt, muss nicht entschieden werden, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang dem Verbraucher auch eine darüber hinaus gehende Nutzung zu Prüfzwecken erlaubt ist
(vgl. dazu Erman/Saenger, aaO Rn. 20 f.; Bamberger/Roth/Grothe, aaO, § 357
Rn. 13).
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bb) Dass der Aufbau eines im Fernabsatz erworbenen Möbelstücks vom
Begriff der Prüfung im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] erfasst wird,
ergibt sich auch aus der Fassung der Regelungen in § 357 Abs. 3 Satz 1 und 2
- 10 -
BGB [aF]. Denn die in Satz 2 [aF] geregelte Ausnahme setzt logisch voraus,
dass die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind, die Sache also in
Gebrauch genommen wurde. Demzufolge erfasst der Begriff der Prüfung in
§ 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] auch eine Ingebrauchnahme der Sache, jedenfalls dann, wenn die Ingebrauchnahme zu Prüfzwecken erforderlich ist (vgl.
auch Erman/Saenger, aaO; Bamberger/Roth/Grothe, aaO). Das schließt auch
den notwendigen Aufbau eines Möbelstücks zu Prüfzwecken ein. Dafür spricht
schließlich auch die Gesetzesbegründung, nach der § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB
[aF] vor allem klarstellende Funktion zukommt, weil eine Wertminderung in der
Regel nicht durch die bloße Prüfung der Sache eintritt. Daraus ergibt sich aber
im Umkehrschluss, dass der Ausnahmetatbestand des § 357 Abs. 3 Satz 2
BGB [aF] jedenfalls auch in den Fällen anwendbar ist, in denen die Prüfung
notwendigerweise eine Ingebrauchnahme der Sache voraussetzt und zu einer
Verschlechterung führt.
23
cc) Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass das Auspacken und "Ausprobieren" der gekauften Ware häufig auch beim Kauf im Ladengeschäft nicht
möglich ist (vgl. Medicus, aaO Rn. 12). Allerdings wird der Zweck der Regelung
in § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] darin gesehen, eine Prüfung der Ware in dem
Umfang zu ermöglichen, in dem eine Prüfung im traditionellen Handel möglich
wäre (Kaestner/Tews, WRP 2005, 1335, 1346; Föhlisch, aaO S. 346 f.). Der
Vergleich mit den Prüfungsmöglichkeiten beim Kauf im Ladengeschäft kann
aber nicht alleiniger Prüfungsmaßstab sein. Denn beim Kauf von Waren durch
Vertragsabschluss im Fernabsatz bleibt gegenüber dem Kauf im Ladengeschäft
auch dann ein Nachteil, wenn der Kunde die gekaufte Ware im Ladengeschäft
nicht auspacken, aufbauen und ausprobieren kann. Für den Kauf im Ladengeschäft ist typisch, dass dort zumindest Musterstücke ausgestellt sind, die es
dem Kunden ermöglichen, sich einen unmittelbaren Eindruck von der Ware zu
verschaffen und diese auch auszuprobieren. Das ist bei einem Vertragsab-
- 11 -
schluss im Fernabsatz, bei dem der Verbraucher sich allenfalls Fotos der Ware
anschauen kann, nicht der Fall. Die Vorschriften über den Widerruf von Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dienen aber gerade der Kompensation von
Gefahren aufgrund der Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts
(Föhlisch, aaO S. 347).
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dd) Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass schon der Aufbau
der Möbel häufig Gebrauchsspuren hinterlässt, die zu einer erheblichen Wertminderung führen können, unter Umständen bis zur Unverkäuflichkeit der Ware,
wie hier vom Beklagten vorgetragen. Das Prüfungsrecht des Verbrauchers kann
mit diesem Argument nicht eingeschränkt werden. Zwar hat der Gesetzgeber in
der Gesetzesbegründung mit der Erstzulassung eines Pkw ein Beispiel für ein
Käuferverhalten genannt, das zu einer erheblichen Wertminderung und einem
Wertersatzanspruch führt (BT-Drucks. 14/6040, S. 199: etwa 20 %). Die mit der
Erstzulassung einhergehende Verschlechterung ist aber, wie sich aus der vorstehend zitierten weiteren Gesetzesbegründung ergibt, nach der Vorstellung
des Gesetzgebers prüfungsunabhängig, die Erstzulassung somit gerade nicht
erforderlich, um das Fahrzeug zu prüfen. Wenn hingegen - wie im Streitfall schon der für Prüfzwecke erforderliche Aufbau des gekauften Gegenstands eine erhebliche Wertminderung nach sich zieht, kann dies nicht zu einer Einschränkung des Prüfungsrechts des Verbrauchers führen.
25
Sonst hätte der Verbraucher in solchen Fällen allenfalls die Möglichkeit,
die Ware aus der Verpackung zu nehmen (wobei selbst dies schon zu einer
beträchtlichen Wertminderung führen kann), die Einzelteile zu besichtigen und
auf Vollständigkeit zu kontrollieren. Eine Besichtigung stellt aber regelmäßig
keine Prüfung dar (vgl. Föhlisch, aaO S. 347), erst recht nicht eine solche, die
die in der Gesetzesbegründung hervorgehobene Möglichkeit des "Ausprobierens" einschließt. Ob insofern bei besonderen Produkten (z. B. Lebensmitteln)
- 12 -
eine andere Beurteilung geboten ist und in solchen Fällen bereits das Öffnen
der Verpackung über eine bloße Prüfung im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 2
BGB [aF] hinausgeht, weil es auch im Ladengeschäft nicht möglich wäre (vgl.
Föhlisch, aaO S. 348 f.; Kaestner/Tews, aaO S. 1348), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
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ee) Hiernach ist der Aufbau des Wasserbetts und die Befüllung der Matratze durch den Kläger als Prüfung der Sache im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 2
BGB [aF] anzusehen. Auf die Frage, ob dies auch noch für die anschließende
dreitägige Nutzung durch den Kläger gilt, kommt es - wie bereits ausgeführt nicht an.
27
b) Diese Beurteilung steht auch im Einklang mit der Richtlinie 97/7/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. EG Nr. L 144
S. 19; im Folgenden: Richtlinie 97/7/EG).
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Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 97/7/EG kann ein Verbraucher
jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens
sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG
bestimmen, dass die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren sind. Diese Bestimmungen erfassen sämtliche
Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags, die im Fall des Widerrufs zu Lasten des Verbrauchers
gehen können (EuGH, ZIP 2010, 839 Rn. 52 - Handelsgesellschaft Heinrich
Heine GmbH / Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V.). Darunter fällt,
anders als es im Schrifttum im Anschluss an die Gesetzesbegründung (BT-
- 13 -
Drucks. 14/6040, S. 199) teilweise vertreten wird (so z. B. Grigoleit, aaO; Staudinger/Kaiser, aaO Rn. 31 mwN; Bamberger/Roth/Grothe, aaO Rn. 12), auch
die Verpflichtung des Verbrauchers, Wertersatz für die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung der Sache zu leisten.
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Zu einem Anspruch auf Wertersatz für die Nutzung der gekauften Sache
während der Widerrufsfrist (§ 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 357 Abs. 1 Satz 1
BGB) hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 3. September
2009 (NJW 2009, 3015 - Messner / Krüger) ausgeführt, aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7/EG ergebe sich, dass das Verbot, dem Verbraucher andere Kosten als die der unmittelbaren Rücksendung der Waren aufzuerlegen, gewährleisten solle, dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht "mehr als ein bloß formales Recht" sei und der Verbraucher nicht durch
negative Kostenfolgen von der Ausübung des Widerrufsrechts abgehalten werde (Rn. 19). Aus dem gleichen Erwägungsgrund ergebe sich, dass das Widerrufsrecht den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen solle, in der er "keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der
Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen". Das Widerrufsrecht solle
also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im
Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergebe, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt werde, in der er die Möglichkeit habe, die gekaufte Ware
zu prüfen und auszuprobieren (Rn. 20). Die Wirksamkeit und die Effektivität des
Rechts auf Widerruf würden beeinträchtigt, wenn dem Verbraucher auferlegt
würde, allein deshalb (Nutzungs-) Wertersatz zu zahlen, weil er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert habe
(Rn. 24). Die Richtlinie habe jedoch nicht zum Ziel, dem Verbraucher Rechte
einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung
- 14 -
des Widerrufsrechts erforderlich sei (Rn. 25). Demzufolge stehe die Zielrichtung
der Richtlinie und insbesondere das in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der
Richtlinie 97/7/EG festgelegte Verbot grundsätzlich Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen
Wertersatz zu zahlen habe, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie
denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt habe (Rn. 26).
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Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung, ob die Regelungen in Art. 6
Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG in dieser Auslegung durch den
Gerichtshof der Europäischen Union den nationalen Vorschriften in § 357
Abs. 3 Satz 1 und 2 [aF] BGB generell entgegen stehen (vgl. dazu etwa Schinkels, LMK 2009, 291092 unter 3 c; Ballhausen, K&R 2009, 704, 705; vgl. ferner
die oben unter II 1 genannten Fundstellen). Denn nach dem mit der Richtlinie
97/7/EG verfolgten Zweck soll dem Verbraucher die Möglichkeit gegeben werden, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren, weil er keine Möglichkeit
hat, die Ware vor Abschluss des Vertrags zu sehen. Das ist im vorliegenden
Fall aufgrund des Ausschlusses der Haftung in § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF]
für eine Verschlechterung, die ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist, gewährleistet. Denn von dem Ausschluss ist, wie bereits oben
unter a ausgeführt, auch die Prüfung umfasst, die notwendigerweise mit einer
Ingebrauchnahme verknüpft ist (vgl. Ballhausen, aaO S. 705 f.). Das schließt
jedenfalls den Aufbau des Wasserbetts und die Befüllung der Matratze mit
Wasser ein.
31
Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung
der Richtlinie 97/7/EG bedarf es nicht, weil die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel
- 15 -
kein Raum bleibt und die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV entfällt ("acte clair"; vgl. nur BGH, Urteil
vom 6. November 2008 - III ZR 279/07, BGHZ 178, 243 Rn. 31; Senatsurteil
vom 16. September 2009 - VIII ZR 243/08, WM 2009, 2334 Rn. 16; jeweils
mwN).
32
Im Übrigen ist es nach Art. 14 der Richtlinie 97/7/EG unschädlich, wenn
das nationale Recht einen höheren als den in der Richtlinie vorgesehenen Mindestschutz für Verbraucher vorsieht.
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c) Auch der dem Kläger erteilte Hinweis, nach dem schon durch das Befüllen der Matratze mit Wasser regelmäßig eine Verschlechterung eintritt, führt,
wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht zu einer anderen
Beurteilung. Der Verbraucher muss gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB auf die
dort geregelte Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen werden, sie zu
vermeiden. Es kann dahin stehen, ob der hier erteilte Hinweis den Anforderungen des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB genügt, da er keine Möglichkeit aufzeigt, wie
bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme der Sache eine Verschlechterung
vermieden werden kann. Durch den Hinweis kann aber jedenfalls der dem
Verbraucher nach § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB [aF] zuzubilligende Prüfungsumfang nicht eingeschränkt werden.
- 16 -
3. Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechts-
34
anwaltskosten in Höhe von 155,30 € ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des
Verzuges (§ 280 Abs. 2, § 286 BGB).
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Achilles
Dr. Milger
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Berlin-Wedding, Entscheidung vom 09.04.2009 - 17 C 683/08 LG Berlin, Entscheidung vom 18.11.2009 - 50 S 56/09 -