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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 47/15
vom
26. April 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 43, § 47 Abs. 2
Ein Verlust des Ablehnungsrechts tritt nicht dadurch ein, dass sich eine Partei nach
Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit auf die weitere Verhandlung einlässt.
BGH, Beschluss vom 26. April 2016 - VIII ZB 47/15 - LG Kleve
AG Kleve
ECLI:DE:BGH:2016:260416BVIIIZB47.15.0
-2-
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter
Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 22. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu
tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
2.665 €.
Gründe:
I.
1
Der Kläger erwarb von der Beklagten eine gebrauchte Pulverbeschichtungsanlage zum Preis von 2.618 €, die er noch vor Erhalt an die Firma D.
für 4.165 € weiterverkaufte, die hierauf zunächst 1.500 € anzahlte. Nachdem
der Kläger seinerseits den von ihm geschuldeten Kaufpreis an die Beklagte entrichtet hatte, erhielt die Firma D.
von der Beklagten die Anlage und übergab
an einen Mitarbeiter der Beklagten 2.665 € in bar.
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2
Mit seiner Klage begehrt der Kläger diesen Betrag als "Schadensersatz"
von der Beklagten. Nach einem der Beklagten vorgerichtlich übersandten
Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der auch der Klage als
Anlage beigefügt war, habe diese den Kaufpreis für die Anlage zweimal erhalten und sich "in Höhe des Betrages von 2.665 € (…) zu Unrecht bereichert",
weswegen der Kläger "aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung" Zahlung von 2.665 € verlange. Die Beklagte hat die Forderung mit der
Begründung abgelehnt, sie befürchte Rückforderungsansprüche der Firma
D.
. Sollte der Kläger aber einen Nachweis der Firma D.
beibringen,
wonach er zur Geltendmachung der Forderung berechtigt sei, werde die Beklagte den erhaltenen Betrag an ihn herausgeben.
3
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass es die Klage mit der vom Kläger vorgetragenen Begründung für
unschlüssig halte. Eine Schadensersatzforderung wegen Nichterfüllung sei
nicht ersichtlich, da sich die Maschine absprachegemäß im Besitz der Firma
D.
befinde. Falls der Kläger sich allerdings den Vortrag der Beklagten
(hilfsweise) zu Eigen mache und überdies die Zahlung der Firma D.
an die
Beklagte nach § 185 BGB genehmige, ergäbe sich der Anspruch aus § 816
Abs. 2 BGB. In diesem Fall bestehe für die Beklagte auch keine Gefahr, danach
erneut - und damit doppelt - von der Firma D.
in Anspruch genommen zu
werden.
4
Daraufhin hat die Beklagte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Durch den Hinweis habe das Gericht dem Kläger "einen Tipp
gegeben", wie er die bisher unschlüssige Klage schlüssig machen könne.
5
Anschließend haben beide Parteien zu Protokoll erklärt, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden zu sein. Das Amtsgericht
-4-
hat daraufhin den Beschluss verkündet, dass zunächst die Entscheidung über
den Befangenheitsantrag abgewartet werden solle.
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Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde hat vor
dem Landgericht keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtbeschwerde erstrebt die Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und verfolgt ihr Befangenheitsgesuch weiter.
II.
7
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufgrund
der Zulassung durch das Landgericht statthaft und auch im Übrigen zulässig
(§ 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zwar hat das Beschwerdegericht das Ablehnungsgesuch rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt, im Ergebnis jedoch richtig entschieden (§ 577 Abs. 3 ZPO), weil der Ablehnungsantrag unbegründet ist.
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1. Das Beschwerdegericht hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten bereits als unzulässig angesehen. Die Beklagte habe ihr Ablehnungsrecht nach
§ 43 ZPO verloren, weil sie einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach
§ 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt habe, nachdem sie ihr Ablehnungsgesuch angebracht gehabt habe. Das Ablehnungsrecht entfalle grundsätzlich auch dann,
wenn sich eine Partei nach Anbringen des Gesuchs der weiteren Verhandlung
nicht verweigere. Entscheidend sei bei § 43 ZPO, dass ein Einverständnis der
Partei mit der Person des Richters unwiderleglich vermutet werde, wenn sie
sich in Kenntnis des Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung einlasse. Die Beklagte habe nach Anbringen ihres Ablehnungsgesuchs im Sinne des § 43 ZPO
-5-
weiterverhandelt, indem sie einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt habe. Die Einverständniserklärung nach § 128 Abs. 2 ZPO sei eine
Antragstellung im Sinne von § 43 ZPO, weil sie die Grundlage dafür schaffe,
dass das Gericht den Rechtsstreit ohne weitere mündliche Verhandlung entscheide. Die Beklagte hätte ihr Ablehnungsrecht nur ausnahmsweise dann nicht
verloren, wenn der abgelehnte Richter sie zum Weiterverhandeln in unzulässiger Weise gezwungen hätte, etwa durch die Drohung, ein Versäumnisurteil zu
erlassen. Ein derartiger Ausnahmefall liege aber nicht vor. Die vom Amtsgericht
noch durchgeführten Handlungen seien durch § 47 Abs. 2 ZPO gestattet, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen vorlägen. Die Beklagte führe sogar
selbst aus, der Richter habe erklärt, nach Anbringen des Befangenheitsgesuches dürfe nicht weiterverhandelt werden.
9
2. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Nachprüfung
nur im Ergebnis stand.
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a) Das Ablehnungsgesuch ist zulässig. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdegerichts ist die Beklagte nicht nach § 43 ZPO gehindert, ihr Ablehnungsgesuch auf den in der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis des
Richters zu stützen.
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aa) Die Frage, ob eine Prozesspartei ein Ablehnungsrecht nach § 43
ZPO verliert, wenn sie sich auf eine mündliche Verhandlung einlässt oder Anträge stellt, nachdem sie ein den Anforderungen des § 44 ZPO entsprechendes
Ablehnungsgesuch angebracht hat, ist umstritten.
12
Nach einem Teil der Rechtsprechung und Literatur entfällt das Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO grundsätzlich auch dann, wenn sich eine Partei
nach Anbringen des Gesuchs der weiteren Verhandlung nicht verweigert
(OLG München, MDR 1954, 552; OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 373; Münch-
-6-
KommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 43 Rn. 7; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 43
Rn. 3). Es sei nicht einzusehen, dass der Verlust des Ablehnungsrechts nur
deshalb nicht eintreten solle, weil ein Ablehnungsgesuch schon angebracht
worden sei. § 43 ZPO stelle die unwiderlegliche Vermutung auf, dass die Partei,
die sich trotz bekannten Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung einlasse, mit
der Person des Richters einverstanden sei. Die Norm wolle verhindern, dass
das Gericht weitere prozessuale Arbeit vornehme, die im Fall der erfolgreichen
Ablehnung nutzlos werde. Eine Ausnahme sei nur in Fällen zuzulassen, in denen sich eine Partei gezwungen sehe, weiter zu verhandeln, um prozessuale
Nachteile zu verhindern (OLG Düsseldorf, aaO).
13
Die Gegenansicht hält es demgegenüber grundsätzlich für unschädlich,
wenn sich eine Partei auf eine mündliche Verhandlung einlässt, nachdem sie
den Befangenheitsgrund durch die Anbringung eines entsprechenden Antrags
geltend gemacht hat (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17. Dezember
2015 - 8 W 52/15, juris Rn. 15; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 43 Rn. 6;
Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 43 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/
Mannebeck, ZPO, 7. Aufl., § 43 Rn. 6; Vossler, MDR 2007, 992, 993). Zur Begründung wird vor allem auf den Wortlaut und den Regelungsgehalt des § 43
ZPO verwiesen.
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bb) Der letztgenannten Auffassung gebührt der Vorzug. Ein Verlust des
Ablehnungsrechts tritt nicht ein, wenn sich die Partei nach Ablehnung des Richters auf die weitere Verhandlung einlässt. Dies entspricht sowohl dem Wortlaut
als auch dem Zweck des § 43 ZPO und berücksichtigt insbesondere auch den
Regelungsgehalt des im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der
Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198 - 1. Justizmodernisierungsgesetz)
geschaffenen § 47 Abs. 2 ZPO.
-7-
15
(1) Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der
Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen
oder Anträge gestellt hat. Der Gesetzeswortlaut regelt ausdrücklich nur den
Fall, in dem die Partei trotz Kenntnis des Ablehnungsgrundes - zunächst - darauf verzichtet, diesen geltend zu machen und sich auf die weitere Verhandlung
einlässt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 - XII ZR 94/03,
BGHZ 165, 223, 226; Beschlüsse vom 24. April 2013 - RiZ 4/12, juris Rn. 18;
vom 5. Februar 2008 - VIII ZB 56/07, NJW-RR 2008, 800 Rn. 5).
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(2) Dies entspricht dem Zweck der Norm, eine Partei, die an der Unbefangenheit des Richters zweifelt, anzuhalten, dies alsbald kund zu tun; dadurch
soll ihr unter anderem die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit
willkürlich zu verzögern und bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos zu
machen (BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2008 - VIII ZB 56/07, aaO; vom
1. Juni 2006 - V ZB 193/05, NJW 2006, 2776, Rn. 13 mwN). Soweit das Beschwerdegericht und die erstgenannte Ansicht diesen Gedanken fruchtbar machen wollen, um den Anwendungsbereich der Vorschrift über ihren Wortlaut
hinaus auch auf Fälle zu erstrecken, in denen die Partei nach Anbringung des
Ablehnungsgesuchs weiterverhandelt, sich mithin der weiteren Verhandlung
nicht verweigert, ist dies nicht überzeugend. Dem Gericht ist es nach Anbringung eines Ablehnungsgesuches ohne weiteres möglich, den Termin zu beenden, um nicht Arbeit auf die Sache zu verwenden, die sich später als überflüssig herausstellen könnte, wenn das Gesuch Erfolg haben sollte. Zwar eröffnet
§ 47 Abs. 2 ZPO dem Gericht die Möglichkeit, nach pflichtgemäßem Ermessen
den Termin auch nach einem Ablehnungsgesuch fortzusetzen, wenn ansonsten
eine Vertagung der Verhandlung erforderlich würde. Im Unterschied zu der
durch § 43 ZPO geregelten Situation, in der die Partei den Ablehnungsgrund
zunächst nicht geltend macht, ist sich der Richter hier aber der Tatsache be-
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wusst, dass gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 ZPO der nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegende Teil der Verhandlung wiederholt werden muss, falls die
Ablehnung für begründet erklärt wird. Insofern gebieten es auch die Gedanken
der Rechtssicherheit und Prozessökonomie, die in der Regelung des § 43 ZPO
zum Ausdruck kommen, nicht, die Norm über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden. Insbesondere ist es auch nicht Aufgabe des § 43 ZPO, jedwede Gefahr
überflüssiger richterlicher Arbeit im Zusammenhang mit Ablehnungsgesuchen
auszuschließen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 - XII ZB
377/12, NJW-RR 2014, 382, Rn. 21).
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(3) Dass ein Verlust des Ablehnungsrechts nicht eintritt, wenn sich die
Partei nach Ablehnung des Richters in eine weitere Verhandlung einlässt, steht
überdies im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention bei der Neufassung
des § 47 ZPO im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsgesetzes. Nach § 47
Abs. 2 Satz 1 ZPO kann der Termin trotz des grundsätzlichen Handlungsverbotes nach § 47 Abs. 1 ZPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn ein Richter während der Verhandlung abgelehnt wurde und
die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern würde. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, so ist der nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegende Teil der Verhandlung zu wiederholen
(§ 47 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
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Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1508, S. 16) überträgt diese Vorschrift den Rechtsgedanken des § 29 Abs. 2 StPO in die Zivilprozessordnung, um einen Verzögerungseffekt (rechtsmissbräuchlicher) Ablehnungsgesuche zu vermeiden. Durch diese Norm sieht das Gesetz nun eine umfängliche Einschränkung der Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO vor, so dass es
sich - entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts - nicht länger nur um besondere Ausnahmesituationen handelt, in denen sich eine Partei zur Vermei-
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dung prozessualer Nachteile gezwungen sehen kann, nach einem Ablehnungsgesuch an der Verhandlung weiter teilzunehmen.
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Vielmehr kann es der Partei, die bereits einen Ablehnungsantrag gestellt
hat, nicht zugemutet werden, sich einer Fortsetzung der Verhandlung zu verweigern, um den Verlust des Ablehnungsrechts nach § 43 ZPO zu verhindern
- gleichzeitig durch ihre Verweigerung aber das Risiko einzugehen, am Prozess, der nach § 47 Abs. 2 ZPO wirksam fortgesetzt wird, nicht mehr mitgewirkt
zu haben. Würde nämlich der Ablehnungsantrag vom Gericht zurückgewiesen,
blieben die vorgenommenen Prozesshandlungen wirksam. Dieses Risiko wird
auch nicht dadurch beseitigt, dass das Gericht - wie im vorliegenden Fall - nach
Anbringung des Befangenheitsgesuchs ausdrücklich erklärt, es dürfe nun nicht
mehr weiterverhandelt werden, um im Anschluss daran aber - letztlich widersprüchlich - das Einverständnis der Parteien mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu protokollieren.
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b) Das Ablehnungsgesuch ist allerdings unbegründet. Hierüber entscheidet der Senat selbst, weil weitere Feststellungen in der Sache nicht zu erwarten
sind (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).
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Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die
Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob aus der
Sicht der den Richter ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober
2003 - V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 270; vom 15. März 2012 - V ZB 102/11,
NJW 2012, 1890 Rn. 10; vom 13. Januar 2016 - VII ZR 36/14, NJW 2016, 1022
Rn. 9; BVerfGE 88, 17, 23; jeweils mwN). Kriterium für die Unparteilichkeit des
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Richters ist die Gleichbehandlung der Parteien, so dass er sich der Ablehnung
aussetzt, wenn er, ohne Stütze im Verfahrensrecht, die Äquidistanz zu den Parteien aufgibt und sich zum Berater einer Seite macht (BGH, Beschluss vom
2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, aaO). Er muss vielmehr im Rahmen der materiellen Prozessleitung, zu der die in § 139 ZPO vorgesehenen Erörterungen, Fragen und Hinweise zählen (vgl. auch §§ 273, 278 Abs. 2 Satz 2, § 522 Abs. 2
Satz 2 ZPO), das Verfügungsrecht der Parteien über das Streitverhältnis und
deren alleinige Befugnis zur Beibringung des Prozessstoffes respektieren (vgl.
BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, aaO). Dies entspricht der
Intention des Gesetzgebers, wonach es auch nach der Neufassung des § 139
ZPO im Rahmen des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli
2001 (BGBl. I S. 1887 - Zivilprozessreformgesetz) weiterhin bei dem Grundsatz
bleibt, dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, durch Fragen oder Hinweise
neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die in dem
streitigen Vorbringen der Parteien nicht zumindest andeutungsweise bereits
eine Grundlage haben (BT-Drucks. 14/4722, S. 77).
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung hat sich
das Amtsgericht mit seinem Hinweis in der mündlichen Verhandlung aber im
Rahmen seiner materiellen Prozessleitungspflicht gehalten. Bereits der Kläger
hatte sich in der Klageschrift auf ein beigefügtes vorgerichtliches Schreiben an
die Beklagte bezogen, in dem sein Prozessbevollmächtigter ausführt, dass der
Beklagte den Kaufpreis "zweimal erhalten" habe und deshalb aus ungerechtfertiger Bereicherung zur Auskehrung des Betrages von 2.665 € verpflichtet sei.
Der - wenn auch in der Formulierung etwas ungeschickt wie ein "Rat" an den
Kläger - abgefasste Hinweis des Amtsgerichts ("sei die Klage schlüssig, wenn
der Kläger sich den Vortrag der Beklagen zu eigen mache und die Zahlung der
Firma D.
nach § 185 Abs. 2 BGB genehmige"), begründet deshalb bei ver-
ständiger Wertung auch aus der Sicht der Beklagten nicht die Besorgnis einer
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Voreingenommenheit des Richters zugunsten des Klägers. Abgesehen davon,
dass in der Regel ohnehin davon auszugehen ist, dass sich eine Partei ihr
günstiges Vorbringen des Gegners zumindest hilfsweise zu Eigen macht (vgl.
BGH, Urteile vom 22. März 2011 - II ZR 215/09, juris Rn. 23; vom 17. Januar
1995 - X ZR 88/93, NJW-RR 1995, 684 unter 2 c bb (1); BVerfG, NJW-RR
2009, 1141, 1142), und dass darüber hinaus auch in der Erhebung der Klage
möglicherweise schon eine stillschweigende Genehmigung nach § 185 Abs. 2
BGB liegen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juli 2012 - IX ZR 213/11,
NJW-RR 2012, 1129 Rn. 16; vom 15. Januar 2009 - IX ZR 237/07, NJW-RR
2009, 705 Rn. 8), zielte der Hinweis des Richters ersichtlich auf eine den Interessen beider Parteien gerecht werdende Lösung ab.
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Denn die Beklagte hatte ein endgültiges Behaltendürfen des Betrages
gar nicht beansprucht, sondern lediglich seine Auskehrung an den Kläger mit
der Begründung abgelehnt, sie befürchte Rückforderungsansprüche der Firma
D.
und somit eine doppelte Inanspruchnahme. Genau auf eine Beseitigung
dieser Unsicherheit zielte der Hinweis des Amtsgerichts danach ab, nämlich
dass die Klage im Falle einer Genehmigung des Klägers gemäß § 185 Abs. 2
BGB aus § 816 Abs. 2 BGB begründet sei und in diesem Fall die einer Auskehrung entgegenstehende Gefahr einer nochmaligen Inanspruchnahme des Beklagten durch die Firma D.
nicht mehr bestehe. Die Notwendigkeit pro-
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zessualer Maßnahmen (etwa gemäß § 67 ZPO) hatten die anwaltlich vertretenen Parteien insoweit selbst zu beurteilen.
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Schneider
Dr. Achilles
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Kleve, Entscheidung vom 17.06.2015 - 30 C 17/15 LG Kleve, Entscheidung vom 22.07.2015 - 4 T 168/15 -