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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 126/02
vom
10. Juni 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
ZPO § 520 Abs. 2
Zur Auslegung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei
Angabe eines falschen Aktenzeichens.
BGH, Beschluß vom 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02 - LG Karlsruhe
AG Karlsruhe
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juni 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Leimert,
Wiechers und Dr. Wolst
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß der
IX. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 5. November
2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht Karlsruhe
zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.067,75
Gründe:
I.
Der Kläger hat den Beklagten in dem Verfahren - 3 C 37/02 Amtsgericht
Karlsruhe - auf Zahlung rückständiger Mietzinsen und Nebenkosten sowie in
dem Verfahren - 4 C 597/01 Amtsgericht Karlsruhe - auf Räumung der Mietsache in Anspruch genommen. In dem Räumungsverfahren hat das Amtsgericht
Karlsruhe die Klage durch das dem Kläger am 15. August 2002 zugestellte Urteil vom 26. Juli 2002 abgewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom
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16. September 2002 dagegen Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird
beim Landgericht Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 9 S 222/02 geführt.
In der Forderungssache hat das Amtsgericht Karlsruhe die Klage mit
Urteil vom 27. August 2002, das dem Kläger am 29. August 2002 zugestellt
worden ist, abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger gleichfalls Berufung
eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim Landgericht Karlsruhe unter dem
Aktenzeichen 9 S 237/02 geführt.
Am 15. Oktober 2002 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers einen
Fristverlängerungsantrag in dem Räumungsverfahren gestellt. Er enthält jedoch
irrtümlich das Aktenzeichen 9 S 237/02 der Zahlungsklage. In dem Fristverlängerungsantrag heißt es:
"... bitte ich höflich darum, die heute ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 15. November 2002 zu
verlängern."
Am 17. Oktober 2002 ging dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers in
dem Verfahren auf Zahlung rückständiger Mietzinsen - 9 S 237/02 - eine Fristverlängerungsverfügung vom 16. Oktober 2002 mit dem Vermerk zu, daß die
Berufungsbegründungsfrist erst am 29. Oktober 2002 abgelaufen wäre. Daraufhin beantragte der Kläger in dem vorliegenden Räumungsverfahren mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Antrag
verband er mit einem erneuten Fristverlängerungsantrag und wies darauf hin,
daß sein Antrag vom 15. Oktober 2002 das Verfahren - 9 S 222/02 - betreffe.
Mit Verfügung vom 17. Oktober 2002 wies das Landgericht den Kläger
darauf hin, daß es beabsichtige, die Berufung in dem Räumungsverfahren - 9 S
222/02 - mangels fristgerechtem Eingang der Begründung als unzulässig zu
verwerfen. In der Verfügung heißt es zudem:
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"Im Zusammenhang mit der Vorlage dieser Akten wurde festgestellt, daß die in dem weiteren Verfahren derselben Parteien - 9 S
237/02 - beantragte und mit Verfügung vom 16.10.2002 gewährte
Fristverlängerung möglicherweise das vorliegende Verfahren hätte
betreffen sollen."
Der Kammervorsitzende hat nunmehr in dem Räumungsverfahren durch
Verfügung vom 18. Oktober 2002 die Berufungsbegründungsfrist bis zum
15. November 2002 vorbehaltlich der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag verlängert. Die Berufungsbegründung des Klägers ist am
15. November 2002 beim Landgericht eingegangen.
Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen
richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO) und
auch begründet.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Die Berufung des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, da er das
Rechtsmittel nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet habe.
Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist sei am 15. Oktober 2002 abgelaufen. Die Frist sei auch nicht durch das vom Prozeßbevollmächtigten unter
dem falschen Aktenzeichen des ebenfalls bei der Kammer anhängigen Parallelverfahrens der Parteien eingereichte Gesuch auf Fristverlängerung gewahrt.
Für die Fristwahrung durch das Fristverlängerungsgesuch sei ebenso wie bei
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Berufungsschrift und Berufungsbegründung eine hinreichend klare Zuordnung
des Schriftsatzes zum konkreten Verfahren erforderlich. Der Schriftsatz vom
15. Oktober 2002 sei aber angesichts des angegebenen Aktenzeichens eines
anderen anhängigen Verfahrens weder eindeutig noch hinreichend sicher der
Berufung zuzuordnen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Berufung ist fristgerecht am 15. November 2002 begründet worden,
so daß es auf den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers nicht ankommt. Der
Annahme des Berufungsgerichts, der Antrag des Klägers auf Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist vom 15. Oktober 2002 betreffe die Forderungssachen der Parteien und nicht das vorliegende Räumungsverfahren, kann nicht
gefolgt werden.
Die Auslegung von Prozeßhandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier revisionsrechtlicher Nachprüfung. Sie
orientiert sich an dem Grundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was
nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (BGH, Urteil vom 24. November 1999 - XII ZR
94/98, NJW-RR 2000, 1446; Senatsurteil vom 17. Mai 2000 - VIII ZR 210/99,
NJW 2000, 3216 unter II 1). Die Anwendung dieses Grundsatzes führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am
15. Oktober 2002 einen Fristverlängerungsantrag in dem vorliegenden Räumungsverfahren gestellt hat. Das in diesem Antrag angegebene Aktenzeichen
9 S 237/02 wies zwar auf das unter diesem Aktenzeichen geführte Forderungsverfahren derselben Parteien vor derselben Berufungskammer hin. Da aber in
dem Schriftsatz um Verlängerung der "heute ablaufenden Berufungsbegründungsfrist" gebeten wurde, wobei das Wort "heute" und das Enddatum, bis zu
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dem die "um einen Monat" zu verlängernde Frist erstreckt werden sollte, der
15. November 2002, fettgedruckt wiedergegeben sind, bezog sich dieser Antrag
objektiv auf das Räumungsverfahren. Nur in dem vorliegenden Räumungsverfahren derselben Parteien vor diesem Gericht endete ohne Verlängerung die
Berufungsbegründungsfrist am 15. Oktober 2002.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war nicht allein auf das
Aktenzeichen des Berufungsverfahrens abzustellen. Für den Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, daß diese vor Ablauf der
Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt war. Das Gesetz
schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO - die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auf die
Berufungsbegründung anzuwenden sind - die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für
die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (BGH, Beschluß vom 15. April 1982
- IVb ZB 60/82, VersR 1982, 673 unter II). Das gilt grundsätzlich auch für den
Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung. Auch wenn
durch die Angabe des falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt wurde, in welcher Sache um Fristverlängerung gebeten wurde, ist
der Antrag, wie dargetan, nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen
des Anwalts dem Räumungsverfahren zuzuordnen.
Der Kläger hat mithin die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist
durch seinen am 15. Oktober 2002 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz
rechtzeitig beantragt. Da die Frist zur Berufungsbegründung durch Verfügung
des
Vorsitzenden
der
Berufungskammer
am
18. Oktober
2002
bis
15. November 2002 verlängert worden ist, ist diese Verlängerung auch wirksam. Voraussetzung für eine wirksame Verlängerung ist nämlich, daß der Ver-
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längerungsantrag bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist bei Gericht eingegangen ist (BGHZ 83, 217, 221/222). Der Kläger hat deshalb mit seinem am
15. November 2002 bei der Berufungskammer eingegangenen Schriftsatz die
Berufung in dem vorliegenden Räumungsverfahren rechtzeitig begründet.
Dr. Deppert
Dr. Hübsch
Wiechers
Dr. Leimert
Dr. Wolst