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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 59/12
vom
31. Juli 2013
in dem Rechtsstreit
-2-
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richterin Safari Chabestari, die
Richter Halfmeier, Dr. Kartzke und Prof. Dr. Jurgeleit
beschlossen:
Der Beschwerde der Beklagten zu 2 wird stattgegeben.
Das Urteil des 9. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in
Jena vom 23. Januar 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 2 erkannt ist.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens
der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 69.272,66 €
Gründe:
I.
1
Die Klägerin ließ in den Jahren 2004 bis 2006 den Autobahnzubringer
S.-Zentrum planen und ausführen. Die Klägerin beauftragte die Beklagte zu 1
mit der Ausführungsplanung und der Vorbereitung der Vergabe nach § 55
Abs. 1 Nr. 5 und 6 HOAI für Ver- und Entsorgungsmedien. Des Weiteren beauf-
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tragte die Klägerin die Beklagte zu 2 bezüglich der Verkehrsanlagen "Autobahnzubringer L. - städtischer Teil" mit der Ausführungsplanung und Vergabevorbereitung nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 und 6 HOAI.
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Im Verlauf der Ausführung des Werks stellte sich heraus, dass der Heizleitungskanal 6 cm über die Straßenoberfläche herausragte. Er musste deshalb
tiefergelegt werden, weshalb die Klägerin die Beklagten als Gesamtschuldner
auf Zahlung von 69.272,66 € in Anspruch nimmt.
3
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Gegen dieses Urteil haben beide Beklagte Berufung eingelegt. Die Beklagte zu 1 hat beantragt, ihre Verpflichtung zum Schadensersatz um einen mit
20 % angesetzten Mitverschuldensanteil der Klägerin zu reduzieren. Die Beklagte zu 2 hat vollständige Klageabweisung begehrt.
4
Das Berufungsgericht hat beide Berufungen zurückgewiesen und die
Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte zu 2 mit der
Nichtzulassungsbeschwerde. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist
allein die Frage, ob die Klägerin sich ein Mitverschulden zurechnen lassen
muss.
II.
5
Soweit zum Nachteil der Beklagten zu 2 entschieden worden ist, ist das
Berufungsurteil aufzuheben, weil es auf einer Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör beruht.
6
1. Das Berufungsgericht hat zu einem Mitverschulden der Klägerin ausgeführt:
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Ein Mitverschulden der Klägerin wäre denkbar, wenn sie eine ihr gegenüber den Beklagten bestehende Obliegenheit zur Koordinierung der mit der
Planung des Bauwerks verbundenen Gewerke verletzt hätte. Dass eine solche
Koordinierungsobliegenheit des Bauherrn grundsätzlich bestehe, sei unstreitig.
Das Berufungsgericht sei jedoch der Auffassung, dass die Klägerin ihre Koordinierungsobliegenheit im hinreichenden Umfang wahrgenommen habe. Ein anspruchskürzendes Mitverschulden der Klägerin käme in Betracht, wenn die Klägerin das Schreiben der Beklagten zu 2 vom 8. Juli 2005 an die Beklagte zu 1,
in welchem auf fehlende Planungsunterlagen hingewiesen worden sei, missachtet habe. Es stehe jedoch nicht fest, dass die Klägerin dieses Schreiben vor
der Durchführung der Bauarbeiten zur Kenntnis erhalten habe.
8
Allerdings habe die Klägerin erst in zweiter Instanz bestritten, dass ihr
das an die Beklagte zu 1 gerichtete Schreiben vom 8. Juli 2005 zugegangen
sei. Dieses Bestreiten sei jedoch prozessual nicht als verspätet anzusehen, da
es für das Landgericht auf die Frage des Zugangs dieses Schreibens offensichtlich nicht angekommen sei.
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Soweit die Beklagte zu 2 in ihrem zweitinstanzlichen Schriftsatz vom
5. Dezember 2011 behaupte, der Inhalt des Schreibens vom 8. Juli 2005 sei
bereits im Vorfeld dieses Schreibens in mehreren Baubesprechungen mit Vertretern der Klägerin erörtert worden, könne sie mit diesem unter Beweis gestellten Vorbringen nicht gehört werden. Abgesehen davon, dass der Vortrag so
allgemein und unpräzise gehalten sei, dass er einer Beweisaufnahme nicht zugänglich gemacht werden könne, sei er jedenfalls gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im
Berufungsverfahren nicht mehr zuzulassen. Es handele sich um neues Vorbringen. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Beklagte zu 2 diesen Vortrag nicht
bereits in erster Instanz hätte halten können. Da bereits erstinstanzlich die Frage des Mitverschuldens der Klägerin bei der Entstehung des Schadens thema-
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tisiert worden sei, wäre die Beklagte zu 2 gehalten gewesen, bereits vor dem
Landgericht sämtliche Aspekte in den Prozess einzuführen.
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2. Das Berufungsgericht hat gegen den Anspruch der Beklagten zu 2 auf
Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verstoßen. Die Übergehung des Vortrags und der Beweisangebote der Beklagten zu 2 im Schriftsatz
vom 5. Dezember 2011 findet im Prozessrecht keine Stütze (vgl. BVerfG, NJW
2005, 1487; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - VI ZR 190/10, VersR
2011, 817).
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a) Der Vortrag der Beklagten zu 2 im Schriftsatz vom 5. Dezember 2011
ist nicht unsubstantiiert. Eine Partei genügt ihrer Darlegungslast bereits, wenn
sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind,
das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, so kann der Vortrag
weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Beschluss vom
2. Juni 2008 - II ZR 121/07, NJW-RR 2008, 1311). Der Vortrag der Beklagten
zu 2, in Baubesprechungen vor dem 8. Juli 2005 sei die nicht funktionierende
Zusammenarbeit Gegenstand der Gespräche gewesen, genügt, eine Verletzung der Obliegenheit der Klägerin anzunehmen, für die Koordinierung der verschiedenen Planer Sorge zu tragen.
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b) Der Vortrag im Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 konnte nicht nach
§ 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen werden. Wenn das Berufungsgericht davon
ausgeht, dass die Klägerin noch in zweiter Instanz den Zugang einer Kopie des
Schreibens vom 8. Juli 2005 bestreiten durfte, weil es dem Landgericht auf diesem Gesichtspunkt nicht ankam (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), so kann für
die Beklagte zu 2 nichts anderes gelten. Zudem liegen die Voraussetzungen
des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vor. Die Beklagte zu 2 musste in erster In-
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stanz Näheres nicht vortragen, da ihr Vortrag, die Klägerin habe eine Kopie des
Schreibens vom 8. Juli 2005 erhalten, unstreitig geblieben war.
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c) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach einer Beweisaufnahme zu
dem Ergebnis gelangt, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden zurechnen
lassen.
Kniffka
Safari Chabestari
Kartzke
Halfmeier
Jurgeleit
Vorinstanzen:
LG Meiningen, Entscheidung vom 02.12.2010 - 1 O 115/10 OLG Jena, Entscheidung vom 23.01.2012 - 9 U 18/11 -