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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VII ZR 254/13
Verkündet am:
10. April 2014
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 286 C
Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen
ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, was grundsätzlich auch bei der Feststellung von Ursachen für
Leitungswasserschäden in Wohnungen anlässlich von Trockenestrich- und
Parkettverlegearbeiten in Betracht kommen kann.
BGH, Versäumnisurteil vom 10. April 2014 - VII ZR 254/13 - LG Göttingen
AG Göttingen
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2014 gemäß § 128
Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum
14. März 2014 eingereicht werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Eick, Halfmeier, Prof. Dr. Jurgeleit und die
Richterin Graßnack
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 8. Zivilkammer
des Landgerichts Göttingen vom 29. August 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der klagende Versicherer nimmt den Beklagten auf Schadensersatz aus
einem Werkvertrag zwischen diesem und seinem Versicherungsnehmer auf
Grund eines Wasserschadens aus übergegangenem Recht in Anspruch.
2
Der Beklagte baute im Wohnzimmer des Anwesens des Versicherungsnehmers am 15. Oktober 2008 eine Unterkonstruktion für einen Parkettfußboden und Trockenestrichelemente ein und verließ anschließend die Baustelle.
Am 17. Oktober 2008 verlegte er das Parkett. Vier Tage später stellte der Ver-
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sicherungsnehmer aufsteigende Feuchtigkeit an den Wänden des Wohnzimmers fest. Ursächlich hierfür war ein in den Trockenestrich geschlagener Stahlnagel, der ein direkt unter dem Trockenestrich verlaufendes, wasserführendes
Heizungsrohr beschädigt hatte. Die Klägerin regulierte den Schaden in Höhe
der Klageforderung.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Zwar fehlt es
angesichts der auf die Umstände des Einzelfalles abstellenden Entscheidung
des Berufungsgerichts an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2
Satz 1 ZPO; ein solcher wird vom Berufungsgericht auch nicht begründet. Der
Senat ist an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht aber gebunden, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
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II.
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1. Das Berufungsgericht sieht den Vollbeweis einer schadensursächlichen Pflichtverletzung des Beklagten als durch die Klägerin nicht erbracht an.
Das nimmt die Revision hin und ist aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht zu
beanstanden.
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Das Berufungsgericht ist weiter der Meinung, dass für die Klägerin kein
Beweis des ersten Anscheins streite. Dies setze voraus, dass der Gläubiger bei
der Abwicklung des Vertrages geschädigt worden sei (Bezug auf BGH, Urteile
vom 18. Dezember 1952 - VI ZR 54/52, BGHZ 8, 239, 241; vom 29. Oktober
1959 - VII ZR 176/58, VersR 1960, 344, 345; vom 17. Februar 1964 - II ZR
98/62, BGHZ 41, 151, 153; vom 18. Juni 1985 - X ZR 71/84, BauR 1985, 704,
705). Die bisher entschiedenen Sachverhalte seien mit dem vorliegenden Fall
nicht vergleichbar, da in jenen Fällen der Schaden jeweils in Ausführung der
vertraglichen Tätigkeit entstanden sei. Hier stehe jedoch gerade nicht fest, dass
der Nagel eingeschlagen wurde, während die Mitarbeiter des Beklagten
Trockenestrichelemente verlegten. Denn die Mitarbeiter des Beklagten, die am
Objekt vom 14. bis zum 20. Oktober 2008 gearbeitet hätten, seien in der Zeit
vom Nachmittag des 15. Oktober 2008 bis zum 17. Oktober 2008 nicht vor Ort
gewesen. In dieser Zeit seien die Arbeitsräume aber für im Haus befindliche
Personen frei zugänglich gewesen. Aufgrund dieser zeitlichen Zäsur sei der
unmittelbare Zusammenhang zwischen werkvertraglicher Ausführungstätigkeit
und Entstehung des Schadens nicht mehr gegeben. Es sei nicht auszuschließen, dass in dieser Zwischenzeit von einer anderen Person der Nagel in die
Trockenestrichplatte geschlagen worden sei.
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2. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung greift der Beweis des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für
den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGH, Urteile vom 29. Januar
1974 - VI ZR 53/71, VersR 1974, 750; vom 9. November 1977 - IV ZR 160/76,
VersR 1978, 74, 75; vom 28. Februar 1980 - VII ZR 104/79, VersR 1980, 532;
vom 18. Oktober 1983 - VI ZR 55/82, VersR 1984, 63, 64; vom 19. Januar 2010
- VI ZR 33/09, VersR 2010, 392 Rn. 8; vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 409/12,
MDR 2014, 155 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Dieser Schluss setzt eine Typizität des
Geschehensablaufs voraus, was in diesem Zusammenhang allerdings nur bedeutet, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falles sehr groß ist (vgl. BGH, Urteil vom
19. Januar 2010 - VI ZR 33/09, aaO, m.w.N.).
10
b) Das Berufungsgericht hat nicht erwogen, ob es eine solche Typizität
des Geschehensablaufes im vorliegenden Fall gibt. Es hat nicht überprüft, ob
Estrich- und Parkettleger abgebrochene oder lose Teile einer Trockenestrichplatte üblicherweise mit Nägeln oder in vergleichbarer Art im Boden fixieren,
bevor sie auf ihnen das Parkett verlegen. In diesem Fall würde ein Beweis des
ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Nagel von den Mitarbeitern des Beklagten eingeschlagen wurde.
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Das Berufungsgericht war von dieser Prüfung nicht durch die von ihm zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht enthoben. Der Bundesgerichtshof hat in
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diesen oder anderen Entscheidungen die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht in
dem Sinne beschränkt, dass der Gläubiger "bei Abwicklung des Vertrages geschädigt" worden sein müsse und diese Voraussetzung sodann in den Fällen
verneint werden müsse, in denen der Schaden nicht "in Ausführung der Tätigkeit" entstanden sei, was bedeute, dass der Anscheinsbeweis immer dann ausscheide, wenn nicht feststehe, dass sich das schädigende Ereignis während der
werkvertraglichen Arbeiten ereignet habe und eine zeitliche Zäsur zwischen den
Ausführungsarbeiten und dem Schadenseintritt liege. Während sich die Entscheidungen vom 29. Oktober 1959 (VII ZR 176/58, aaO), vom 17. Februar
1964 (II ZR 98/62, aaO) und vom 18. Juni 1985 (X ZR 71/84, aaO) überhaupt
nicht mit dem Beweis ersten Anscheins beschäftigen, ging es bei der Entscheidung vom 18. Dezember 1952 (VI ZR 54/52, aaO) um die Anwendung des Anscheinsbeweises bei einem Verkehrsunfall mit der Haftung aus unerlaubter
Handlung und einem Beförderungsvertrag. Auch in dieser Entscheidung findet
sich die vom Berufungsgericht formulierte Einschränkung des Anscheinsbeweises nicht. Im Gegenteil ist der Zweck der Rechtsfigur des Anscheinsbeweises
gerade die Überwindung der Beweisschwierigkeiten im Ursachenzusammenhang, wenn sich nicht völlig ausschließen lässt, dass auch andere als die vom
Gläubiger genannten, nach typischem Geschehensablauf wahrscheinlichen
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Ursachen für die Schadensverursachung in Betracht kommen. Seine Anwendung ist durch zeitliche Zäsuren von mehreren Tagen oder sogar Wochen nicht
gehindert (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1957 - VI ZR 139/56, MDR
1958, 326).
Kniffka
Eick
Jurgeleit
Halfmeier
Graßnack
Vorinstanzen:
AG Göttingen, Entscheidung vom 02.11.2011 - 24 C 184/10 LG Göttingen, Entscheidung vom 29.08.2013 - 8 S 50/11 -
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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 254/13
vom
20. Mai 2014
in dem Rechtsstreit
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richter Dr. Eick, Halfmeier und
Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterin Graßnack
beschlossen:
Zu dem Versäumnisurteil vom 10. April 2014 wird folgende
Rechtsbehelfsbelehrung erteilt:
Gegen das hiermit zugestellte Versäumnisurteil des Bundesgerichtshofes kann die säumige Partei binnen einer Notfrist von
zwei
Wochen
Einspruch
ab
Zustellung
beim
Bundesgerichtshof
einlegen. Der Einspruch muss von einem beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt werden.
Die Einspruchsschrift muss enthalten:
1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;
2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt
werde.
Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.
Kniffka
Eick
Jurgeleit
Halfmeier
Graßnack