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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 21/13
vom
17. September 2014
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
ja
ja
UnterhaltsvorschussG § 7 Abs. 3 Satz 2; ZPO § 850d, § 850c, § 766
a) Die Unterhaltsvorschusskasse kann wegen der gemäß § 7 Abs. 1 UVG auf sie
übergegangenen Unterhaltsforderung Ansprüche des Schuldners gegen Dritte
im Rahmen des § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO als privilegierter Gläubiger ohne
die sich aus § 850c ZPO ergebenden Einschränkungen zunächst pfänden und
sich zur Einziehung überweisen lassen, wenn nicht feststeht, ob der Unterhaltsberechtigte von dem Schuldner Unterhalt nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG
verlangt.
b) Ein Verlangen von Unterhalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ist insbesondere anzunehmen, wenn der Unterhaltsberechtigte den Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung auf Befriedigung seiner Unterhaltsforderung in
Anspruch nimmt und insoweit einen Vollstreckungsantrag stellt. Der unmittelbar Unterhaltsberechtigte verlangt Unterhalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2
UVG außerdem dann, wenn er Unterhaltsansprüche, die durch die Vollstreckung der auf die Unterhaltskasse übergegangenen Forderungen nicht beeinträchtigt werden dürfen, gegenüber dem Schuldner gerichtlich oder außergerichtlich geltend macht und der Schuldner daraufhin Unterhaltsleistungen an
ihn erbringt.
-2c) Die privilegierte Pfändung der Unterhaltsvorschusskasse nach § 850d ZPO ist
nicht davon abhängig, dass diese im Vollstreckungsverfahren das Fehlen der
nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG vorrangig zu berücksichtigenden Unterhaltsansprüche darlegt und gegebenenfalls nachweist.
d) Der am Vollstreckungsverfahren nicht beteiligte vorrangige Unterhaltsgläubiger kann den nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG bestehenden Vorrang seines Unterhaltsanspruchs im Vollstreckungsverfahren mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO geltend machen. Nach Abschluss des Vollstreckungsverfahrens kann ihm gegen die pfändende Unterhaltskasse ein Bereicherungsanspruch auf Auskehrung des Erlöses in Höhe der ihm zustehenden
Unterhaltsforderung zustehen.
BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - VII ZB 21/13 - LG Ellwangen
AG Aalen
-3-
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richter Dr. Eick, Dr. Kartzke und
Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterin Graßnack
beschlossen:
Auf die Beschwerden des Gläubigers wird der Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss
des
Amtsgerichts
- Vollstreckungs-
gericht - Aalen vom 21. Dezember 2012 unter Aufhebung des Beschlusses der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom
11. April 2013 teilweise abgeändert und der dem Schuldner pfändungsfrei zu belassende Betrag auf 900 € festgesetzt.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden dem Schuldner auferlegt.
Gründe:
I.
1
Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
wegen von ihm in der Zeit vom 1. März 2009 bis zum 30. September 2009 für
die minderjährigen Kinder des Schuldners M.L. und A.M. nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) geleisteter Unterhaltsbeträge in Höhe von 1.638 €. Der
Gläubiger hat den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt, mit dem Ansprüche des Schuldners aus Kontoverbindungen jeder Art
mit der Drittschuldnerin gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwie-
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sen werden sollten, und vorgetragen, dass der Schuldner nach seiner Kenntnis
keinen
Unterhalt
an
die
beiden
Kinder
leiste.
Das
Amtsgericht
- Vollstreckungsgericht - hat in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
den dem Schuldner pfändungsfrei zu belassenden Betrag unter Berücksichtigung seines notwendigen Lebensunterhalts in Höhe von 900 € sowie der gegenüber den beiden minderjährigen Kindern bestehenden Unterhaltsverpflichtung in Höhe von je 180 € auf insgesamt 1.260 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers, mit der er beantragt hat, den
pfändungsfreien Betrag auf 900 € herabzusetzen, ist ohne Erfolg geblieben. Mit
der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der
Gläubiger seinen im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag weiter.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dem Schuldner seien die
gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO festgesetzten Pfändungsfreibeträge zu belassen. § 850d ZPO finde auf die Vollstreckung der auf den Gläubiger nach § 7
Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsansprüche Anwendung. Davon erfasst
würden auch die vorliegend vollstreckten Unterhaltsrückstände. Der insoweit
darlegungs- und beweisbelastete Schuldner habe nicht dargelegt, dass er sich
damals seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen habe. Hierfür sei auch
sonst nichts ersichtlich. Durch den Übergang auf den Gläubiger hätten die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder ihre Privilegierung
gemäß § 850d ZPO nicht eingebüßt. Auch die Rangfolge gemäß § 850d Abs. 2
ZPO, § 1609 BGB habe sich durch den Übergang nicht geändert. Dennoch gingen die Ansprüche der unmittelbar unterhaltsberechtigten Kinder auf Zahlung
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des laufenden Unterhalts den Ansprüchen des Gläubigers vor. Dies folge aus
§ 7 Abs. 3 Satz 2 UVG. Der Nachrang der Forderung der Unterhaltsvorschusskasse sei nicht erst auf Einrede des Schuldners zu berücksichtigen. Der Gläubiger habe vielmehr das Fehlen vorrangiger laufender Unterhaltsansprüche
darzulegen. Das Vorliegen bevorrechtigter Unterhaltsansprüche von minderjährigen Kindern, deren Forderungen auf die Unterhaltsvorschusskasse übergegangen seien, sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es sei daher grundsätzlich davon auszugehen, dass der minderjährige Unterhaltsberechtigte Unterhaltsleistungen im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG "verlange".
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2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass
§ 850d ZPO auf die Vollstreckung der gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG auf den
Gläubiger übergegangenen Unterhaltsansprüche grundsätzlich Anwendung
findet. Nach dieser Vorschrift geht, wenn der Berechtigte für die Zeit, für die ihm
die Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz gezahlt wird, einen Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil hat, bei dem er nicht lebt, dieser Anspruch in Höhe
der Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf das Land über. Ein Unterhaltsanspruch verliert
durch Überleitung auf den Träger der Unterhaltsvorschusskasse nicht den Charakter eines Unterhaltsanspruchs. Das für den Fall der Zwangsvollstreckung
bestehende Vorzugsrecht des § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO bleibt bei einem
Übergang des Unterhaltsanspruchs gemäß §§ 412, 401 Abs. 2 BGB grundsätzlich erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 170/03,
NJW-RR 2004, 362; Urteil vom 5. März 1986 - IVb ZR 25/85, NJW 1986, 1688;
Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn. 1110; MünchKommZPO/Smid,
4. Aufl., § 850d Rn. 6; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850d Rn. 12;
Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850d Rn. 9; Schuschke/Walker/
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Kessal-Wulf, ZPO, 5. Aufl., § 850d Rn. 6; Musielak/Becker, ZPO, 11. Aufl.,
§ 850d Rn. 3; LG Erfurt, FamRZ 1997, 510; LG Stuttgart, Rpfleger 1996, 119;
BAG, NZA-RR 2013, 590 Rn. 42; BAGE 23, 226, 229 ff. m.w.N.; a.A.
PG/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850d Rn. 8).
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b) Das Beschwerdegericht hat ferner angenommen, dass eine Herabsetzung des dem Schuldner gewährten Pfändungsfreibetrages, wie vom Gläubiger
beantragt, im Hinblick auf die länger als ein Jahr vor Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fällig gewordenen Unterhaltsforderungen nicht nach § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist, weil davon auszugehen sei, dass sich der Schuldner seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen habe. Von dieser für den Gläubiger günstigen Feststellung ist auch im
Rechtsbeschwerdeverfahren auszugehen.
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c) Zu Recht geht das Beschwerdegericht des Weiteren davon aus, dass
im Anwendungsbereich des § 7 UVG die Vorschriften der § 850d Abs. 2 ZPO,
§ 1609 BGB zum Rangverhältnis der Unterhaltsansprüche durch die speziellere
Vorschrift des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verdrängt werden. Danach kann der
Übergang eines Unterhaltsanspruchs nicht zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten geltend gemacht werden, soweit dieser für eine spätere Zeit, für die er
keine Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten hat
oder erhält, Unterhalt von dem Unterhaltspflichtigen verlangt. Den Unterhaltsansprüchen des Unterhaltsberechtigten für einen späteren als den von der Unterhaltsvorschussleistung abgedeckten Zeitraum soll demnach in vollem Umfang Vorrang vor der Befriedigung der auf die Unterhaltsvorschusskasse übergeleiteten Ansprüche auf Zahlung rückständigen Unterhalts zukommen.
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d) Unzutreffend ist dagegen die Annahme des Beschwerdegerichts, ein
Verlangen des unmittelbar unterhaltsberechtigten minderjährigen Unterhalts-
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gläubigers sei grundsätzlich zu vermuten. Dem liegt ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs des Unterhaltsverlangens im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG
zugrunde.
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aa) § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ist eine vollstreckungsrechtliche Vorschrift,
die Vollstreckungskollisionen zugunsten des unterhaltsberechtigten Kindes lösen soll, welches für einen früheren Zeitraum eine Unterhaltsvorschussleistung
erhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. August 2006 - XII ZR 26/04, NJW 2006,
3561 Rn. 12 f.; OLG Celle, NJW-RR 2006, 1520, 1521). Dies entspricht auch
der gesetzgeberischen Zielsetzung. Danach dient die Regelung des § 7 Abs. 3
Satz 2 UVG für den Fall der Vollstreckungskonkurrenz übergegangener Unterhaltsansprüche mit später entstandenen Unterhaltsansprüchen des Berechtigten der angemessenen Berücksichtigung der Interessen des Berechtigten (vgl.
BT-Drucks. 8/2774, S. 13).
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Ein Verlangen des Unterhaltsberechtigten liegt nach dem Sinn und
Zweck der Vorschrift danach nicht schon dann vor, wie das Beschwerdegericht
offenbar meint, wenn der Unterhaltsberechtigte berechtigt ist, Unterhalt von
dem Schuldner zu fordern, und einen solchen Anspruch geltend macht. Denn
insoweit besteht zwischen den Unterhaltsforderungen des unmittelbar Unterhaltsberechtigten und der auf die Unterhaltskasse übergeleiteten Unterhaltsforderung im Hinblick auf das pfändbare Vermögen des Schuldners noch keine
Konkurrenzsituation. Ein Unterhaltsverlangen im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2
UVG setzt vielmehr einen Zugriff des unmittelbar Unterhaltsberechtigten auf
das Vermögen des Schuldners voraus.
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bb) Ein Verlangen von Unterhalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ist
danach insbesondere anzunehmen, wenn der Unterhaltsberechtigte den
Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung auf Befriedigung seiner Unter-
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haltsforderung in Anspruch nimmt und insoweit einen Vollstreckungsantrag
stellt. Das Vollstreckungsgericht hat den in § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG gesetzlich
angeordneten Vorrang stets von Amts wegen zu beachten. Dies bedeutet, dass
es einen Vollstreckungsantrag des bevorrechtigten Unterhaltsberechtigten dahingehend berücksichtigen muss, dass es die Vollstreckung der Unterhaltskasse aus übergegangenem Recht entsprechend beschränkt oder ganz ablehnt.
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Der unmittelbar Unterhaltsberechtigte verlangt Unterhalt im Sinne des
§ 7 Abs. 3 Satz 2 UVG außerdem dann, wenn er Unterhaltsansprüche, die
durch die Vollstreckung der auf die Unterhaltskasse übergegangenen Forderungen nicht beeinträchtigt werden dürfen, gegenüber dem Schuldner gerichtlich oder außergerichtlich geltend macht und der Schuldner daraufhin Unterhaltsleistungen an ihn erbringt. Denn in diesem Fall würde die Befriedigung des
Unterhaltsberechtigten wegen der nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG bevorrechtigten
Unterhaltsansprüche aus dem Vermögen des Schuldners durch einen Vollstreckungszugriff der Unterhaltskasse wegen übergegangener rückständiger Unterhaltsforderungen ebenfalls tatsächlich beeinträchtigt.
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e) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die privilegierte
Pfändung nach § 850d ZPO nicht davon abhängig, dass der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren das Fehlen der nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG vorrangig zu
berücksichtigenden Unterhaltsansprüche darlegt und gegebenenfalls nachweist.
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aa) Der Gläubiger ist nicht gehalten, solche Voraussetzungen für die
Pfändung nach § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzutragen, die ihm nicht bekannt
sind und die er auch nicht ohne weiteres kennen muss. Denn das würde sein
Recht, im Wege der Zwangsvollstreckung auf das Vermögen des Schuldners
zuzugreifen, von vornherein in unangemessener Weise beschränken. Der Voll-
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streckungserfolg des Gläubigers, der auf ihn übergegangene rückständige Unterhaltsforderungen vollstreckt, wäre darüber hinaus möglicherweise gefährdet,
wenn er zur Erfüllung einer ihm obliegenden Darlegung, dass der Unterhaltsberechtigte Unterhalt nicht verlangt, vorab Auskünfte bei dem Unterhaltsberechtigten oder dem Unterhaltsverpflichteten einholen müsste.
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Es ist nach den allgemeinen prozessualen Grundsätzen der Darlegungsund Beweislast, die auch im Zwangsvollstreckungsverfahren Anwendung finden
(vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 766 Rn. 27; MünchKommZPO/K.Schmidt/
Brinkmann, 4. Aufl., § 766 Rn. 45; PG/Scheuch, ZPO, 6. Aufl., § 766 Rn. 30;
a.A. Musielak/Lackmann, ZPO, 11. Aufl., § 766 Rn. 26), vielmehr grundsätzlich
Sache des Schuldners oder der durch das Gesetz Begünstigten, solche Einwendungen vorzubringen, die die Pfändung beschränken oder unzulässig machen. Das gilt auch für den Einwand, die Zwangsvollstreckung benachteilige
Unterhaltsberechtigte, die Unterhalt vom Schuldner im Sinne des § 7 Abs. 3
Satz 2 UVG verlangten. Sind die diesen Einwand begründenden Tatsachen
dem Vollstreckungsgericht bekannt, muss es sie von Amts wegen berücksichtigen. Zu weiteren Nachforschungen ist es dagegen nicht verpflichtet. Eine Klärung der Frage, ob der Unterhaltsberechtigte Unterhalt gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangt, ist im Verfahren über die Vollstreckung der gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG nachrangigen
Unterhaltsansprüche zudem regelmäßig dadurch erschwert, dass der Unterhaltsberechtigte im Vollstreckungsverfahren nicht beteiligt und der Schuldner
nach § 834 ZPO grundsätzlich vor der Pfändung nicht zu hören ist.
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bb) Die vom Beschwerdegericht vertretene gegenteilige Auffassung kann
demgegenüber auch nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, der unmittelbar Unterhaltsberechtigte müsse - wie im Anwendungsbereich des § 850d
ZPO - für den Fall, dass der Schuldner seiner Unterhaltsverpflichtung nicht oder
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nicht vollständig nachkommt, durch die Gewährung eines Pfändungsfreibetrags
zugunsten des Schuldners nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO die Möglichkeit erhalten, seinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten in
größtmöglichem Umfang zu realisieren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August
2010 - VII ZB 101/09, FamRZ 2010, 1654 Rn. 15). Würde dem Schuldner für
den Fall, dass nicht feststeht, ob der Unterhaltsberechtigte ihm gegenüber die
Zahlung von Unterhalt verlangt, stets vorsorglich ein erhöhter Pfändungsfreibetrag belassen, wäre gerade nicht sichergestellt, dass dieser Betrag dem bevorrechtigten Unterhaltsberechtigten auch tatsächlich zufließt. Ist, was vielfach der
Fall sein wird, der Schuldner nicht willens oder in der Lage, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten auf dessen Aufforderung
hin zu erfüllen, liefe bei diesem Verständnis der in § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG angeordnete Vorrang des Unterhaltsberechtigten in vielen Fällen faktisch ins Leere.
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Ob im Anwendungsbereich des § 850d Abs. 1 ZPO an der in der Entscheidung vom 5. August 2010 (VII ZB 101/09, FamRZ 2010, 1654) vertretenen
Auffassung uneingeschränkt festzuhalten ist, wonach bei der Bemessung des
pfandfreien Betrags die gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners
in Höhe des dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Betrags zu berücksichtigen sind, auch wenn der Schuldner seiner Unterhaltsverpflichtung nicht in vollem Umfang genügt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Dies erscheint aus
den vorstehend genannten Gründen allerdings zweifelhaft. Anders als in dem
damals entschiedenen Fall fehlt es im Streitfall an Feststellungen dazu, dass
der Schuldner zumindest teilweise Unterhaltsleistungen an die bevorrechtigten
Unterhaltsgläubiger erbringt. Es bedarf im vorliegenden Fall mangels dahingehender Feststellungen des Beschwerdegerichts ebenfalls keiner Entscheidung
darüber, ob dem Schuldner im Anwendungsbereich des § 850d Abs. 1 ZPO ein
Pfändungsfreibetrag zu belassen ist, wenn feststeht, dass der Schuldner tat-
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sächlich keinen Unterhalt an den bevorrechtigten Gläubiger leistet. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang offen gelassen (vgl. Beschluss vom
5. August 2010 - VII ZB 101/09, FamRZ 2010, 1654 Rn. 16). Gewichtige Gründe sprechen insoweit allerdings für die in der Kommentarliteratur ganz überwiegend vertretene Auffassung, wonach die Gewährung eines erhöhten Pfändungsfreibetrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht in Betracht kommt,
wenn feststeht, dass der Schuldner tatsächlich keine Unterhaltsleistungen an
den bevorrechtigten Unterhaltsgläubiger erbringt (vgl. Musielak/Becker, ZPO,
11. Aufl., § 850d Rn. 7; PG/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850d Rn. 29; Wieczorek/
Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850d Rn. 36 f.; MünchKommZPO/Smid, 4. Aufl.,
§ 850d Rn. 25; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850d Rn. 22; Schuschke/
Walker/Kessal-Wulf, ZPO, 5. Aufl., § 850d Rn. 8; Stöber, Forderungspfändung,
16. Aufl., Rn. 1091).
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f) Jedenfalls wenn nicht feststeht, ob der unmittelbar Unterhaltsberechtigte Unterhalt gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangt und ob der Schuldner Unterhaltszahlungen tatsächlich leistet, kann die Unterhaltsvorschusskasse Ansprüche des Schuldners gegen Dritte auch wegen des zur Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem vorrangigen Unterhaltsberechtigten erforderlichen Betrags wegen der bestehenden rückständigen Unterhaltsforderungen
zunächst pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.
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Die durch § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG geschützten Interessen des vorrangigen Unterhaltsberechtigten, der am Vollstreckungsverfahren nicht beteiligt ist,
werden hinreichend dadurch gewahrt, dass er, wenn er den Unterhalt für einen
späteren Zeitraum gegenüber dem Schuldner verlangt, in dem ihm kein Unterhaltsvorschuss gezahlt worden ist, den sich zugunsten seiner Forderung aus
§ 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ergebenden Vorrang bis zur Beendigung der Zwangsvollstreckung mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO gegen-
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über dem vollstreckenden Gläubiger geltend machen kann. Der in § 7 Abs. 3
Satz 2 UVG zugunsten des Unterhaltsanspruchs des unmittelbar Unterhaltsberechtigten angeordnete Vorrang betrifft die Art und Weise der Zwangsvollstreckung. Die vom Inhaber des übergegangenen Unterhaltsanspruchs betriebene
Zwangsvollstreckung ist auf eine Erinnerung des Unterhaltsberechtigten zu beschränken oder aufzuheben, soweit hierdurch dessen Vorrang beeinträchtigt
wird. Ebenso kann der Schuldner, der seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber
dem nach § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG vorrangigen Unterhaltsberechtigten ganz oder
teilweise nachkommt, mit der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 Abs. 1
ZPO in Verbindung mit § 775 Nr. 4, 5 ZPO unter Vorlage entsprechender Zahlungsnachweise erreichen, dass die Zwangsvollstreckung der Unterhaltskasse
insoweit beschränkt oder aufgehoben wird.
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Die Vollstreckung der Unterhaltskasse wegen rückständigen Unterhalts
darf im Ergebnis auch dann nicht zu einem Nachteil des gemäß § 7 Abs. 3
Satz 2 UVG vorrangig unterhaltsberechtigten Kindes führen, wenn dieses den
Vorrang im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht durch Einlegung eines
Rechtsbehelfs geltend gemacht hat. Hat sich die Unterhaltskasse wegen der
auf sie übergegangenen Unterhaltsforderungen unter Verletzung des sich aus
§ 7 Abs. 3 Satz 2 UVG ergebenden Vorrangs des unmittelbar Unterhaltsberechtigten aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt, steht dem Unterhaltsberechtigten nach Beendigung der von der Unterhaltskasse betriebenen Zwangsvollstreckung ein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt.
BGB auf Auskehrung des Erlöses in Höhe der bestehenden Unterhaltsforderung gegen die pfändende Unterhaltskasse zu.
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3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann danach keinen Bestand haben. Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, dass die unmittelbar
unterhaltsberechtigten Kinder des Schuldners für einen nach Leistung des Un-
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terhaltsvorschusses liegenden Zeitraum die Zahlung von Unterhalt gegenüber
dem Schuldner im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG verlangt haben. Der Senat
kann in der Sache selbst entscheiden, § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Der dem
Schuldner gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO pfändungsfrei zu belassende Betrag ist ohne Berücksichtigung der gegenüber den minderjährigen Kindern bestehenden laufenden Unterhaltsverpflichtung auf einen Betrag von 900 € herabzusetzen, der dem notwendigen Unterhalt des Schuldners entspricht.
III.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Kniffka
Eick
Jurgeleit
Kartzke
Graßnack
Vorinstanzen:
AG Aalen, Entscheidung vom 21.12.2012 - 2 M 1647/12 LG Ellwangen, Entscheidung vom 11.04.2013 - 1 T 32/13 -