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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 74/05
Verkündet am:
10. Oktober 2006
H o l m e s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 823 Abs. 1 Aa; 852 a. F.
a) Minderjährigen Patienten kann bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der
Möglichkeit erheblicher Folgen für ihre künftige Lebensgestaltung ein Vetorecht
gegen die Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter zustehen, wenn sie über
eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügen.
b) Auch über ein gegenüber dem Hauptrisiko des Eingriffs weniger schweres Risiko
ist aufzuklären, wenn dieses dem Eingriff spezifisch anhaftet, es für den Laien überraschend ist und durch die Verwirklichung des Risikos die Lebensführung des
Patienten schwer belastet würde.
c) Im Hinblick auf den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 852 BGB a. F. besteht
keine Verpflichtung des Patienten, sich Kenntnisse über fachspezifisch medizinische Fragen zu verschaffen.
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2006 - VI ZR 74/05 - OLG München
LG München I
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richter
Dr. Greiner und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 24. März 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld wegen unzureichender Aufklärung
über die Risiken einer Operation, aufgrund der sie neben anderen Folgen
querschnittgelähmt ist. Der Beklagte war Oberarzt in der orthopädischen Abteilung der Klinik, in welcher die Operation durchgeführt wurde. Träger der Klinik
ist der Streithelfer.
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Die am 16. August 1976 geborene Klägerin litt ab dem 13. Lebensjahr an
einer Adoleszenzskoliose. Nachdem sich konservative Maßnahmen als nicht
wirksam gegen die fortschreitende Verkrümmung erwiesen hatten, schlug der
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Beklagte im Jahr 1990 den Eltern der Klägerin vor, durch eine Operation die
Missbildung zu korrigieren. Am 25. September 1990 wurde ein Aufklärungsgespräch über Vorgehensweise und Risiken bei der Operation durch Frau Dr. S.
mit den Eltern der Klägerin in deren Beisein geführt. Die Operation musste verschoben werden, weil die Klägerin an starker Akne an den von der Operation
betroffenen Hautstellen litt. Am 12. Januar 1991 führte Dr. Dr. T. ein weiteres
Aufklärungsgespräch. Die Operation wurde wiederum aufgeschoben, weil eine
Eigenblutspende versäumt worden war. Die Eltern der damals 14-jährigen Klägerin unterzeichneten nach dem jeweiligen Aufklärungsgespräch einen Vordruck mit einer Einwilligungserklärung. In den Vordruck ist handschriftlich eingefügt: "u. a. Infektion, Gefäß-, Nervenverletzung, Querschnitt; Eigenblut, Retransfusion, nur im Notfall Fremdblut". Von 1990 bis zur Operation war die Klägerin
in ständiger Behandlung in der klinischen Ambulanz. Anlässlich der Behandlungstermine wurden auch Gespräche von den behandelnden Ärzten mit der
Mutter der Klägerin über Risiken und Erfolgsaussichten der anstehenden Operation geführt. Die Risiken einer Falschgelenkbildung (Pseudarthrose) und des
operativen Zugangs (Verwachsungen im Brustraum und Rippeninstabilitäten)
wurden auch nicht bei dem Aufklärungsgespräch angesprochen, das der Beklagte am 18. Februar 1992, dem Vortag der Operation, führte. Dabei unterschrieb neben ihren Eltern auch die Klägerin die Einverständniserklärung. Der
Vordruck ist durch folgende handschriftliche Eintragungen ergänzt: "Komplikationsmöglichkeiten: Neurologische Ausfälle, Infektionen, Blutungen, Thrombosen, Embolien". Bei der Operation am 19. Februar 1992 kam es zu einer Einblutung in den Rückenmarkskanal, die zur Querschnittlähmung der Klägerin führte.
In der Folgezeit entwickelten sich neben anderen Beschwerden auch Verwachsungen im Brustraum, Falschgelenkbildungen und Rippeninstabilitäten.
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Die Klägerin macht, nachdem sie erfolglos versucht hat, den operierenden Arzt wegen eines Behandlungsfehlers in Anspruch zu nehmen, gegen den
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Beklagten Schadensersatzansprüche wegen unzureichender Aufklärung am
18. Februar 1992 geltend. Sie ist der Auffassung, die Aufklärung sei schon deshalb unwirksam, weil Aufklärungsadressaten ihre Eltern und nicht sie selbst
gewesen seien, obwohl sie am 18. Februar 1992 bereits die sittliche Reife und
das erforderliche Verständnis für die Risiken der Operation gehabt habe.
Außerdem sei die Aufklärung am 18. Februar 1992 zu spät erfolgt und von ihrem Inhalt her unzureichend gewesen. Die beiden vorhergehenden Aufklärungsgespräche könnten wegen des zeitlichen Abstands nicht in die Beurteilung
miteinbezogen werden. Der Beklagte habe Alternativen zum Eingriff und dessen Dringlichkeit nicht angesprochen. Auch sei das Risiko der Querschnittlähmung verharmlost worden. Über die Möglichkeit des Materialbruches und der
Bildung von Verwachsungen im Brustraum, von Falschgelenken und Rippeninstabilitäten sei nicht aufgeklärt worden. Bei Kenntnis dieser Risiken wäre in die
Operation nicht eingewilligt worden. Der Anspruch gegen den Beklagten sei
nicht verjährt, da die Klägerin erst durch das Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. P. im Juni 1997 erfahren habe, dass die Aufklärung unzureichend gewesen sei.
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Der Beklagte wendet dagegen ein, dass, selbst wenn eine unzureichende Aufklärung unterstellt würde, die Eltern der Klägerin jedenfalls auch bei
Kenntnis aller Risiken in eine Operation eingewilligt hätten. Immerhin seien sie
das ihnen genannte Risiko einer Querschnittlähmung eingegangen. Die Ansprüche seien außerdem verjährt.
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Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Die Klägerin verfolgt mit
der vom Senat zugelassenen Revision ihren Anspruch weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
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In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist das Berufungsgericht der
Auffassung, dass die Eltern der Klägerin in die Operation wirksam eingewilligt
hätten. Jedenfalls seien die Ansprüche der Klägerin verjährt. Zuständige Aufklärungsadressaten seien wegen der Minderjährigkeit der zur Zeit der Operation
erst 15 ½ Jahre alten Klägerin deren Eltern als gesetzliche Vertreter gewesen.
Die Aufklärung sei umfassend und rechtzeitig erfolgt, da die Aufklärungsgespräche vom 25. September 1990, 12. Januar 1991 und 18. Februar 1992 in
einer Zusammenschau zu beurteilen seien. Die Operation habe nach dem ersten Aufklärungsgespräch bis zu ihrer Durchführung stets im Raume gestanden.
Inhaltlich sei ausreichend über Durchführungsweise und Erfolgsaussichten der
relativ indizierten Operation aufgeklärt worden. Den Eltern der Klägerin sei in
verschiedenen Gesprächen von den Ärzten ausreichend verdeutlicht worden,
dass das Risiko einer Querschnittlähmung bestehe, wenn dieses auch - wie es
den Tatsachen entspreche - äußerst gering sei. Über die Risiken der Falschgelenkbildung und des operativen Zugangs sei zwar nicht aufgeklärt worden, doch
habe es das Landgericht zutreffend als unter keinem Gesichtspunkt plausibel
angesehen, dass die Eltern der Klägerin, die nach Aufklärung über das Querschnittrisiko in die Operation eingewilligt hätten, sich bei Kenntnis eines Risikos,
das demgegenüber in seiner Schwere nicht wesentlich ins Gewicht falle, in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt befunden hätten. Bei Erhebung der Klage mit Klageschrift vom 11. Mai 2000 sei die dreijährige Verjährungsfrist längst
abgelaufen gewesen, weil die Eltern der Klägerin bereits 1992/1993 die erfor-
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derliche Kenntnis im Sinne von § 852 Abs. 1 BGB a. F. von den geltend gemachten Aufklärungsversäumnissen gehabt hätten.
II.
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Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Berufungs-
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gerichts, dass unter den tatsächlichen Umständen des Streitfalls die Aufklärungsgespräche mit den Eltern der damals minderjährigen Klägerin zu führen
waren. Zwar kann minderjährigen Patienten bei einem nur relativ indizierten
Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für ihre künftige Lebensgestaltung - wovon im Streitfall auszugehen ist - ein Vetorecht gegen die Fremdbestimmung durch die gesetzlichen Vertreter zuzubilligen sein, wenn sie über eine
ausreichende Urteilsfähigkeit verfügen. Um von diesem Vetorecht Gebrauch
machen zu können, sind auch minderjährige Patienten entsprechend aufzuklären, wobei allerdings der Arzt im Allgemeinen darauf vertrauen kann, dass die
Aufklärung und Einwilligung der Eltern genügt (vgl. Senatsurteile vom 22. Juni
1971
- VI ZR 230/69 -
VersR
1971,
929 f.
und
vom
16. April
1991
- VI ZR 176/90 - VersR 1991, 812, 813; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 5. Aufl.
Rn. C 115; Steffen/Pauge Arzthaftungsrecht 10. Aufl. Rn. 432; differenzierend
Wölk MedR 2001, 80, 83 ff.). Es kann dahinstehen, ob die Klägerin 1992 bereits
über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügte, denn nach den insoweit nicht
angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde dem
Selbstbestimmungsrecht der Klägerin hinreichend Rechnung getragen. Sie war
bei den einzelnen Aufklärungsgesprächen anwesend und hat durch ihre Unter-
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schrift unter die Einwilligungserklärung vom 18. Februar 1992 bekundet, dass
sie mit dem Eingriff einverstanden sei.
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b) Keine Bedenken bestehen auch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Vater, soweit er bei den zwischen der Mutter der Klägerin und den Ärzten geführten Gesprächen nicht anwesend war, ausreichend
informiert worden ist, weil ihm von der Mutter die erhaltenen Informationen mitgeteilt und mit ihm besprochen worden sind. Bei den maßgebenden Aufklärungsgesprächen waren außerdem beide Elternteile anwesend, da die jeweiligen Einwilligungserklärungen von beiden Elternteilen unterzeichnet worden
sind.
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c) Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht unter
den Umständen des Streitfalls die Aufklärung für rechtzeitig hielt. Zwar wäre
das Aufklärungsgespräch am Vortag der risikoreichen und umfangreichen Operation zweifellos verspätet gewesen, wenn die früheren Aufklärungsgespräche
nicht einzubeziehen wären (vgl. zur rechtzeitigen Aufklärung etwa Senatsurteil
vom 25. März 2003 - VI ZR 131/02 - VersR 2003, 1441 ff. m. w. N.). Nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats hängt die Wirksamkeit der Einwilligung davon ab, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Je nach den Vorkenntnissen des Patienten von dem bevorstehenden Eingriff kann bei stationärer Behandlung eine Aufklärung im Verlauf des Vortages genügen, wenn sie zu
einem Zeitpunkt erfolgt, der dem Patienten die Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts erlaubt (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 VersR 1998, 766, 767). Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Berufungsgericht die drei Aufklärungsgespräche in einem zeitlichen Zusammenhang
gesehen hat. Nachdem die Eltern der Klägerin bereits in zwei Gesprächen am
25. September 1990 und 12. Januar 1991 über Risiken der Operation informiert
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worden waren und die Operation seit 1990 stets im Raume stand, erfolgte die
abschließende Aufklärung am 18. Februar 1992 zwar noch rechtzeitig, doch ist
sie inhaltlich unzureichend.
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d) Soweit die Revision allerdings die Ausführungen des Berufungsgerichts zur hinreichenden Aufklärung über das Querschnittrisiko, die Möglichkeit
des Materialbruchs und die eingeschränkten Erfolgsaussichten des Eingriffs in
Zweifel zieht, begibt sie sich unter den Umständen des Streitfalls auf das ihr
verschlossene Gebiet der Tatsachenwürdigung und setzt ihre eigene Beurteilung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts. Aus Rechtsgründen bestehen insoweit keine Bedenken gegen dessen Ausführungen.
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e) Doch ist die Aufklärung deshalb inhaltlich unvollständig, weil die Risiken der Falschgelenkbildung und des operativen Zugangswegs von vorne
durch die Brust in den Aufklärungsgesprächen nicht erörtert worden sind. Gegenstand der Risikoaufklärung sind generell alle behandlungstypischen Risiken,
deren Kenntnis beim Laien nicht vorausgesetzt werden kann, die aber für die
Entscheidung des Patienten über die Zustimmung zur Behandlung ernsthaft ins
Gewicht fallen (Geiß/Greiner aaO, Rn. C 49). Auch über ein gegenüber dem
Hauptrisiko weniger schweres Risiko ist deshalb aufzuklären, wenn dieses dem
Eingriff spezifisch anhaftet, es für den Laien überraschend ist und durch die
Verwirklichung des Risikos die Lebensführung des Patienten schwer belastet
würde (BGH BGHZ 126, 386, 389; Senat, Urteil vom 12. Dezember 1989
- VI ZR 83/89 - VersR 1990, 522, 523). Nach den tatsächlichen Feststellungen
im Berufungsurteil handelt es sich bei den in Rede stehenden Risiken um operationsspezifische Komplikationen, die sich tatsächlich verwirklicht haben und
das Leben der Klägerin nachhaltig beeinträchtigen. Zutreffend ist deshalb der
Ansatz des Berufungsgerichts, dass auch diese Risiken im Rahmen der Aufklärung anzusprechen waren, obwohl über das schwerere Risiko der Querschnitt-
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lähmung aufgeklärt worden ist. Der Hinweis auf das Risiko der Querschnittlähmung, das überdies von den beteiligten Ärzten als äußerst gering dargestellt
worden war, vermochte kein realistisches Bild davon zu vermitteln, welche
sonstigen Folgen die Verwirklichung der weiteren Risiken der Operation für die
künftige Lebensgestaltung der Klägerin mit sich bringen konnte. Bei dieser
Sachlage führt die fehlerhafte Aufklärung grundsätzlich zur Haftung des Beklagten für die Folgen des ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Eingriffs.
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f) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt nicht das für die
Haftung erforderliche Verschulden des Beklagten. Soweit der Streithelfer meint,
der Beklagte sei vor dem Aufklärungsgespräch am 18. Februar 1992 nicht mit
dem Fall der Klägerin befasst gewesen, ist dies in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, weil der Beklagte nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen tatsächlichen Feststellungen bereits 1990 den Eltern der Klägerin die
Operation vorschlug. Der Arzt, der seinem Patienten zur Operation rät und ihn
über Art und Umfang sowie mögliche Risiken dieser Operation aufklärt, begründet dadurch eine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden
Patienten (vgl. Senatsurteil vom 22. April 1980 - VI ZR 37/79 - VersR 1981,
456, 457). Durch die Übernahme der ärztlichen Aufklärung vor der Operation ist
er dafür verantwortlich, dass die Einwilligung des Patienten in die Operation
wirksam ist. Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Jedoch durfte sich der
Beklagte im Hinblick auf den Inhalt der Dokumentation zur Aufklärung nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass in den beiden vorangegangenen Aufklärungsgesprächen eine ausreichende Risikoaufklärung erfolgt sei. Da die Risiken der Pseudarthrose und des operativen Zugangsweges ersichtlich nicht angesprochen worden waren, oblag es dem Beklagten, die Aufklärung hinreichend zu vervollständigen und zu diesem Zweck sich vor dem abschließenden
Aufklärungsgespräch am Tag vor der Operation durch einen Einblick in die Behandlungsunterlagen zu vergewissern, inwieweit bereits aufgeklärt worden war.
- 10 -
Dass er dies unterlassen hat, obwohl er den Mangel hätte erkennen können,
begründet einen Verschuldensvorwurf hinsichtlich der Aufklärung.
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2. Zu Recht rügt die Revision, die Auffassung des Berufungsgerichts, die
Eltern hätten die Einwilligung in die Operation auch bei gehöriger Aufklärung
über diese Risiken erteilt, beruhe auf verfahrensfehlerhaften tatsächlichen Feststellungen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Die Haftung durfte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Streitfall nicht deshalb verneint werden, weil ein Entscheidungskonflikt der Eltern der Klägerin nicht plausibel, sondern vielmehr anzunehmen sei, dass die Einwilligung auch bei Kenntnis der unerwähnt gebliebenen Risiken erteilt worden wäre.
a) Entgegen der Auffassung der Revision haben sich der Beklagte und
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der Streithelfer bereits in erster Instanz auf eine hypothetische Einwilligung der
Eltern der Klägerin berufen. Dem Berufungsgericht war es folglich nicht versagt,
diese Frage zu prüfen (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 VersR 1998, 766, 767 und vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994,
1302).
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b) Der Verpflichtung, plausibel darzulegen, weshalb aus ihrer Sicht bei
Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände ihre Eltern vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätten, ob sie den ihnen empfohlenen Eingriff gleichwohl ablehnen sollten (vgl. Senat BGHZ 90, 103, 111 ff.; Urteile vom 1. Februar
2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694 und vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 VersR 1990, 1238, 1239), ist die Klägerin - entgegen der Auffassung des Streithelfers - hinreichend nachgekommen. Bereits in der Klageschrift hat sie vorgetragen, dass sie vor der Operation nicht unter Leidensdruck gestanden habe
und alle altersüblichen Sportarten habe ausüben können. Bei Kenntnis der
Operationsrisiken hätte sie eine Einwilligung hierzu nicht erteilt. Es wäre in je-
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dem Fall ihre Volljährigkeit abgewartet worden, damit sie die Entscheidung
selbst hätte treffen können. Zum Beweis für diesen Vortrag hat die Klägerin ihre
Eltern als Zeugen angeboten. Auch in der Berufungsbegründung vom 19. April
2004 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass wegen ihres Befindens eine
Operation weder nötig noch dringend gewesen sei. Sie habe keine Beschwerden gehabt, sei leistungsmäßig nicht eingeschränkt gewesen, habe nicht über
Schmerzen geklagt, am Turnunterricht teilgenommen und intensiv Reit- und
Fahrsport mit Pferden betrieben. Die Operation sei zwei Mal verschoben worden, einem weiteren Aufschub hätte nichts entgegengestanden. Diese Ausführungen genügen den Anforderungen, die der erkennende Senat an die Substantiierung der Plausibilität des Entscheidungskonflikts durch den Patienten
stellt (vgl. Senat BGHZ 90, 103, 111 ff.).
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c) Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht nicht ohne die im
Hinblick auf ihr Vetorecht gebotene persönliche Anhörung der Klägerin und ohne die Vernehmung der Eltern als Zeugen zu dem Ergebnis gelangen, dass die
Voraussetzungen für eine hypothetische Einwilligung (vgl. dazu etwa Senatsurteil vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302 f. und vom 1. Februar
2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694) vorliegen. Dabei hat es in unzulässiger
Weise seine eigene Beurteilung des Konflikts an die Stelle derjenigen der Klägerin und ihrer Eltern gesetzt, ohne sich ein eigenes Bild durch deren Vernehmung als Zeugen bzw. die persönliche Anhörung der Klägerin zu verschaffen.
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Die Revision rügt zu Recht, dass das Landgericht, auf dessen Urteil das
Berufungsgericht insoweit Bezug nimmt, die Klägerin und ihre Eltern nicht zu
dem hier in Rede stehenden Entscheidungskonflikt gehört hat. Bei der Anhörung vor dem Landgericht ging es um die Einwilligung in das Querschnittrisiko
und nicht um die Risiken der Pseudarthrose und des operativen Zugangswegs.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich aus der Tatsache,
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dass die Eltern der Klägerin in das Risiko einer Querschnittlähmung eingewilligt
haben, nicht schließen, die Aufklärung über die hier in Rede stehenden weniger
schweren Risiken hätte keinen Einfluss auf die Einwilligung in die Operation
gehabt. Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass nach den insoweit
revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts in verschiedenen Gesprächen vor der Operation das Risiko der Querschnittlähmung als äußerst gering dargestellt worden ist. Im Hinblick darauf
konnte der Eindruck entstanden sein, dass dieses Risiko zu vernachlässigen
sei. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Operation ohnehin nur einen
Teilerfolg erwarten ließ und deswegen selbst bei geglückter Operation nicht mit
völliger
Beschwerdefreiheit gerechnet werden konnte. Hingegen waren bei
Verwirklichung der unerwähnt gebliebenen Risiken erhebliche weitere Belastungen für die Lebensführung der noch jugendlichen Klägerin gegeben. Nach
den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist danach nicht auszuschließen, dass die Eltern der Klägerin bei Kenntnis der möglichen Folgen, die
mit der konkreten Operationstechnik verbunden waren, Bedenken bekommen
und von dem Eingriff Abstand genommen hätten, um Zeit zu gewinnen und sich
in Ruhe über ihre Einwilligung in den Eingriff schlüssig zu werden oder um ihn
bis zur Volljährigkeit der Klägerin aufzuschieben.
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Hätte die gebotene Aufklärung zur Versagung der Einwilligung und infolgedessen zur Vermeidung der Operation geführt, hat der Beklagte grundsätzlich für deren sämtliche Folgen einzustehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar
2001 - VI ZR 353/99 - VersR 2001, 592).
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3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die im Streit befindlichen Ansprüche der Klägerin nicht verjährt.
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a) Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass für die
nach § 852 Abs. 1 BGB a. F. für den Lauf der Verjährung deliktischer Ansprüche erforderliche Kenntnis von Schädigungshandlung und Schädigung nicht auf
das Wissen der minderjährigen Klägerin, sondern auf die Kenntnis ihrer Eltern
als ihrer gesetzlichen Vertreter abzustellen ist, denn auf deren Wissensstand
kommt es an, solange der Geschädigte beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Mai 1989 - VI ZR 251/88 - NJW
1989, 2323 m. w. N.). Auch hat es mit Recht den Kenntnisstand der Rechtsanwälte, die die Eltern der Klägerin mit der Ermittlung und Geltendmachung der
Ansprüche beauftragt hatten, in die Prüfung miteinbezogen. Nach den
Grundsätzen, die die Rechtsprechung unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 166 Abs. 1 BGB zum so genannten Wissensvertreter entwickelt hat,
muss sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte
Wissen des anderen zurechnen lassen; dies gilt insbesondere dann, wenn der
Geschädigte bzw. dessen gesetzlicher Vertreter einen Rechtsanwalt mit der
Aufklärung eines Sachverhalts beauftragt hat (vgl. BGHZ 83, 293, 296; Senat,
Urteile vom 19. März 1985 - VI ZR 190/83 - VersR 1985, 735 f. und vom 16. Mai
1989 - VI ZR 251/88 - aaO).
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b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht annimmt, die für den Verjährungsbeginn maßgebende Kenntnis der Eltern der Klägerin im Sinne des § 852 Abs. 1
BGB a. F. sei bereits seit 1992/1993 gegeben.
23
(1) Zwar geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass bei Schadensersatzansprüchen wegen Aufklärungsmängeln die Verjährung in der Regel
nicht schon beginnt, sobald der nicht aufgeklärte Patient einen Schaden
aufgrund der medizinischen Behandlung feststellt. Hinzutreten muss vielmehr
- 14 -
auch die Kenntnis, dass der Schaden nicht auf einem Behandlungsfehler beruht, sondern eine spezifische Komplikation der medizinischen Behandlung ist,
über die der Patient - was dem behandelnden Arzt bekannt sein musste - hätte
aufgeklärt
werden
müssen
(vgl.
Senatsurteil
vom
10. April
1990
- VI ZR 288/89 - VersR 1990, 795). Auch ist zutreffend, dass die Vorschrift des
§ 852 BGB a. F. für den Beginn der Verjährungsfrist nur auf die Kenntnis der
anspruchsbegründenden Tatsachen abstellt, nicht jedoch auf deren zutreffende
rechtliche Würdigung. Fehlen dem Geschädigten die hierfür erforderlichen
Kenntnisse, muss er versuchen, sich insoweit rechtskundig zu machen (vgl.
Senatsurteil vom 20. September 1983 - VI ZR 35/82 - VersR 1983, 1158, 1159).
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(2) Soweit aber das Berufungsgericht im Streitfall eine Erkundigungspflicht der klagenden Partei annimmt, kann diese sich nicht auf die fachspezifisch medizinische Frage beziehen, inwieweit eine Aufklärung zu erfolgen hatte.
Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind nämlich nicht verpflichtet,
sich im Hinblick auf einen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen (vgl. Senat, BGHZ 159, 245, 254). Da die erteilte Aufklärung insoweit
erhebliche Lücken aufwies (oben 1 e), hat die Klägerin erst mit Zugang des
Gutachtens des Prof. Dr. P. im Juni 1997 davon Kenntnis erlangt, dass es sich
bei den eingetretenen Komplikationen der Pseudarthrose und des operativen
Zugangswegs, über die nicht aufgeklärt worden ist, nicht um die Folgen eines
Operationsfehlers oder schicksalhafte Zufälle handelt, sondern um Risiken, die
dem Eingriff spezifisch anhaften und über die deshalb hätte aufgeklärt werden
müssen. Danach greift die Verjährungseinrede im Streitfall nicht.
- 15 -
III.
25
Das Berufungsurteil ist nach alledem aufzuheben und die Sache zur Klärung der Frage des Entscheidungskonflikts an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Müller
Greiner
Diederichsen
Wellner
Zoll
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 11.02.2004 - 9 O 8807/00 OLG München, Entscheidung vom 24.03.2005 - 1 U 2427/04 -