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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 46/05
Verkündet am:
28. März 2006
Blum,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 2 (Bf); GSG § 3 Abs. 1
Der Importeur eines in großer Stückzahl aus China importierten technischen Arbeitsmittels (hier: Tapetenkleistermaschine) ist verpflichtet, das Gerät zu Beginn des
Inverkehrbringens und sodann stichprobenartig darauf zu untersuchen, ob die Beschaffenheit den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zur Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB führen, wenn es bei der
bestimmungsgemäßen Verwendung des Geräts (hier: Reinigung) zu einem Körperschaden des Verwenders kommt.
-2ZPO §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1, 546
Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu
überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen.
BGH, Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 46/05 - LG Bonn
AG Bonn
-3-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. März 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 10. Februar 2005 wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt Ersatz materiellen Schadens und Schmerzensgeld
wegen Schnittverletzungen an der linken Hand, die er sich nach seiner Behauptung beim Reinigen der Kleisterwanne einer bei der Supermarktkette A. S. erworbenen Tapetenkleistermaschine im Mai 2001 zugezogen habe. Die Beklagte
importiert diese Maschinen aus China und vertreibt sie in Deutschland unter der
Marke "K. C.".
2
Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich des materiellen Schadens
teilweise stattgegeben und dem Kläger ein Schmerzensgeld von 4.000 € zuerkannt. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die
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Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
3
Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB
i.V.m. § 6 ProdSG. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die nach Durchführung
einer Beweisaufnahme vom Amtsgericht getroffene Feststellung, der Kläger
habe sich beim Reinigen der Tapetenkleistermaschine verletzt, sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei als Quasi-Herstellerin verantwortlich nach § 3
Abs. 1 Satz 2 ProdSG. Sie vertreibe unter der Marke "K. C." die Tapetenkleistermaschine zum Weiterverkauf unter anderem an A. S.. Einen Hinweis auf den
chinesischen Hersteller wiesen die Tapetenkleistermaschine und deren Verpackung nicht auf. Darüber hinaus sei die Herstellerdefinition in § 3 Abs. 1 Satz 3
ProdSG zu berücksichtigen. Danach gelte hilfsweise der Importeur als Hersteller. Der Hersteller verletze ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB,
wenn er gemäß § 4 Abs. 2 ProdSG ein nicht im Sinne des § 6 Abs. 1 ProdSG
sicheres Produkt in den Verkehr gebracht habe. Nach dem Gutachten des
Sachverständigen H. seien die Gratkanten der Kleisterwanne, die nach innen
ragten, messerscharf. Eine Reinigung entsprechend der auf dem Karton aufgedruckten Anleitung alleine durch Ausspülen sei nach den Ausführungen des
Sachverständigen nicht möglich. Rechtswidrigkeit und Verschulden seien zu
bejahen. Der Beklagten sei vorzuwerfen, dass sie sich nicht durch eine eingehende Überprüfung der frei zugänglichen Kanten der Kleisterwanne Gewissheit
über die Sicherheit der Geräte verschafft habe. Auch habe sie es unterlassen,
zusammen mit der Reinigungsanleitung der Kleisterwanne auf der Verpackung
einen Warnhinweis auf die Möglichkeit der Verletzung beim Hineingreifen anzu-
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bringen. Die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Behauptung der Beklagten, bei der Tapetenkleistermaschine handele es sich um einen "Ausreißer", sei aus prozessualen Gründen unbeachtlich.
II.
4
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
5
1. Zu Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass für die Beurteilung des Streitfalls nicht das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), sondern das
Gerätesicherheitsgesetz (GSG) einschlägig ist. Das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vom 6. Januar 2004 (GPSG), welches die vorgenannten Gesetze außer Kraft gesetzt hat, findet auf den Vorfall aus 2001 noch keine Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 g ProdSG findet der zweite Abschnitt des
Produktsicherheitsgesetzes über Produktsicherheit - mit Ausnahme der im
Streitfall nicht relevanten Bestimmungen über Warnungen und Rückruf - keine
Anwendung auf Produkte, deren sicherheitsrelevante Beschaffenheit im Gerätesicherheitsgesetz geregelt ist.
6
So liegt es hier. Das Gerätesicherheitsgesetz gilt für das Inverkehrbringen technischer Arbeitsmittel (§ 1 Abs. 1 GSG). Technische Arbeitsmittel sind
unter anderem verwendungsfertige Arbeitseinrichtungen, vor allem Werkzeuge
und Arbeitsgeräte (§ 2 Abs. 1 GSG). Es muss sich um Einrichtungen handeln,
die zu dem Zweck benutzt werden, Arbeit zu verrichten (vgl. Jeiter/Klindt, Gerätesicherheitsgesetz, 3. Aufl., § 2 Rn. 5 f.). Jedes für die Erzielung eines Arbeitserfolgs einsetzbare und nicht vollkommen ungefährliche Gerät ist ein technisches Arbeitsmittel im Sinne des Gerätesicherheitsgesetzes (Peine, Gerätesicherheitsgesetz, 3. Aufl., §§ 1, 1a, 2 Rn. 14; zur weiteren Eingrenzung derselbe
Rn. 17 ff.; vgl. die Beispiele bei Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaf-
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tung, VI/97, 2450 S. 10). Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen alle technischen Geräte erfasst werden, unabhängig davon, wo sie zum Einsatz gelangen:
sei es im Betrieb, im Haushalt oder in einer Dienststelle (Peine, aaO, §§ 1, 1a, 2
Rn. 12).
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Dazu zählt auch die von der Beklagten importierte und vertriebene Tapetenkleistermaschine. Eine Ausnahme vom Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 2
Nr. 3 GSG liegt nicht vor. Spezialvorschriften für Tapetenkleistermaschinen sind
nicht ersichtlich (vgl. etwa die Beispiele bei Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
S. 16 f.).
8
2. Das Urteil erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig (§ 561 ZPO), da
die Beklagte dem Kläger, der sich nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen
Feststellungen bei der Reinigung der Tapetenkleistermaschine verletzt hat, für
die Verletzungsfolgen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG,
§ 847 Abs. 1 BGB a.F. haftet.
9
a) § 3 Abs. 1 und 3 GSG ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2
BGB (Senat, Urteile vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - VersR 1980,
380, 382 m.w.N. und vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - VersR 1983, 346,
347; Beschlüsse vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - VersR 1984, 270 und
vom 28. April 1987 - VI ZR 247/86 - VersR 1988, 635, 636; vgl. auch OLG Düsseldorf, VersR 1989, 1158 mit Nichtannahmebeschluss des Senats vom
7. März 1989 - VI ZR 257/88 -; OLG Bremen, VersR 2004, 207, 208 mit Nichtzulassungsbeschluss des Senats vom 15. Juli 2003 - VI ZR 11/03 -; Kullmann
in Kullmann/Pfister, aaO, S. 3).
10
b) Die Beklagte hat den äußeren Tatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG
erfüllt, weil sie ein technisches Arbeitsmittel in den Verkehr gebracht hat, das
nicht der von der Norm geforderten Beschaffenheit entsprach.
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aa) Die Tapetenkleistermaschine fällt nicht in den Regelungsbereich einer in § 3 Abs. 1 Satz 1 GSG angesprochenen Rechtsverordnung. Die insoweit
in Betracht kommende Neunte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz
(9. GSGV = Maschinenverordnung; vgl. dort § 1 Abs. 2) gilt nicht für Maschinen,
deren einzige Kraftquelle die unmittelbar angewandte menschliche Arbeitskraft
ist (§ 1 Abs. 5 Nr. 1 der 9. GSGV; vgl. Jeiter/Klindt, aaO, § 3 Rn. 32 f.). Es gilt
also § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG. Danach dürfen technische Arbeitsmittel nur in den
Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den allgemein anerkannten Regeln
der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften so beschaffen sind, dass Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung gegen Gefahren aller Art für Leben oder Gesundheit soweit geschützt
sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet (vgl. Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO).
12
bb) Die Tapetenkleistermaschine war nicht dementsprechend beschaffen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die nach innen ragenden Gratkanten der Kleisterwanne
messerscharf. Sämtliche Blechkanten sind nicht abgerundet, so dass eine erhöhte Verletzungsgefahr für den Benutzer besteht. Dieser Zustand entspricht
nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik, denn die Blechkanten
sind nach den auf sachverständiger Beratung beruhenden Feststellungen des
Amtsgerichts, die sich das Berufungsgericht zu Eigen macht, bei der Produktion
nach dem Abschneiden der Bleche zu entgraten. Bei dieser Sachlage liegt auch
unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die der erkennende Senat
insoweit stellt (vgl. etwa Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 aaO; Beschluss vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 27 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 24 ff.), ein Verstoß gegen die
allgemein anerkannten Regeln der Technik ersichtlich vor.
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cc) Entgegen der Auffassung der Revision scheidet eine Haftung der Beklagten nicht deshalb aus, weil § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG anders als § 6 Abs. 1
ProdSG dem Wortlaut nach nur die bestimmungsgemäße Verwendung erfasst.
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(1) Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG ist der gesetzlich gebotene Schutz bei
"bestimmungsgemäßer Verwendung" zu gewährleisten. Bestimmungsgemäße
Verwendung in diesem Sinne ist nach § 2 Abs. 5 GSG die Verwendung, für die
die technischen Arbeitsmittel nach den Angaben derjenigen, die sie in den Verkehr bringen, insbesondere nach ihren Angaben zum Zwecke der Werbung,
geeignet sind (Nr. 1) oder die übliche Verwendung, die sich aus der Bauart und
Ausführung der technischen Arbeitsmittel ergibt (Nr. 2). Demgegenüber stellt
das Produktsicherheitsgesetz nicht allein auf die bestimmungsgemäße Verwendung, sondern in § 6 Abs. 1 ProdSG daneben auf die zu erwartende Verwendung ab. Es wird nicht einheitlich beurteilt, ob es sich hierbei um mehr als
einen sprachlichen Unterschied handelt (vgl. Jeiter/Klindt, aaO, § 3 Rn. 51),
oder ob nicht der Schutzbereich des Gerätesicherheitsgesetzes, auch ohne
dies ausdrücklich zu benennen, eine nahe liegende Fehlanwendung, einen üblichen Fehlgebrauch (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7 m.w.N.) oder eine
für den Hersteller vorhersehbare Verwendung erfasst (Jeiter/Klindt, aaO, § 3
Rn. 55 im Hinblick auf EG-Produktsicherheitsrichtlinie 92/59/EWG vgl. aaO § 2
Rn. 53 und § 3 Rn. 47, 49, 52; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7; Peine,
aaO, § 3 Rn. 82 [für Spielzeug]).
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(2) Diese Frage bedarf im Streitfall keiner Beantwortung. Denn der Unfall
hat sich bei bestimmungsgemäßer Verwendung ereignet. Der Kläger hat die
Maschine entsprechend ihrer Bestimmung zum Einkleistern von Tapeten verwendet. Das Reinigen der Kleisterwanne nach dem Gebrauch ist zur Sicherstellung wiederholter Nutzung unerlässlich und gehört ebenso zum Verwendungsvorgang wie das Einfüllen des Kleisters davor (vgl. auch OLG Frankfurt, VersR
1977, 1133). Durch den Begriff der bestimmungsgemäßen Verwendung sollen
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die Nutzung zu anderen Zwecken, wie etwa die eines Rasenmähers zum Heckenschneiden, oder offensichtlicher Fehlgebrauch ausgeschlossen werden
(vgl. Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7; LG Frankfurt, NJW-RR 1986, 658,
659), nicht aber notwendige Nach- und Vorbereitungshandlungen an technischen Arbeitsmitteln. Diese sind Teil des einheitlichen Verwendungsbegriffs im
Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG.
16
Auch die auf der Verpackung abgedruckte Reinigungsanleitung nimmt
das Hineingreifen in die Wanne zum Zweck der Reinigung bereits dem Wortsinn nach nicht aus dem Verwendungsbegriff heraus. Sie lautet: "Kleisterreste
ausgießen und die Wanne unter fließendem Wasser reinigen. Kleistermaschine
an der Luft trocknen lassen und im Originalkarton aufbewahren". Eine Beschränkung der Reinigung auf bloßes Ausspülen ohne manuelle Unterstützung
ist hieraus nicht zu entnehmen.
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dd) Die Beklagte hat die Tapetenkleistermaschine dadurch in den Verkehr gebracht, dass sie diese aus China importierte und an die Handelskette
A. S. weiterverkaufte, wo sie der Kläger erwarb (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GSG). Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 GSG ist Inverkehrbringen jedes Überlassen technischer
Arbeitsmittel an andere. Hierunter fällt die Lieferung des inländischen Importeurs an den inländischen Händler oder Verbraucher (vgl. Senat, Urteil vom
11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; BGH, Urteil vom 13. Mai 1981
- VIII ZR 113/80 - NJW 1981, 2640, 2641; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
S. 19 und 23; ders., Produkthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. 318).
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ee) Das Berufungsgericht stellt verfahrensfehlerfrei fest, dass sich der
Kläger beim Reinigen der Kleisterwanne verletzt hat. Die Kausalität der Schutzgesetzverletzung für den beim Kläger eingetretenen Körperschaden wird von
der Revision nicht in Frage gestellt.
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c) Die Beklagte handelte auch schuldhaft.
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aa) Ein Verstoß gegen den objektiven bzw. äußeren Tatbestand des § 3
Abs. 1 Satz 2 GSG begründet in einem Schadensfall noch keine Haftung. Eine
Schadensersatzpflicht besteht für den Produktverantwortlichen nur, wenn ihn
ein Verschulden an dem Gesetzesverstoß trifft (vgl. Senat, Urteil vom
11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
S. 33; ders., aaO, Rn. 280 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 157). Bei dieser Prüfung ist
zu beachten, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG dem Importeur nicht dieselben Pflichten wie einem Hersteller auferlegt. Jedem Produktverantwortlichen kann nur der
Standard
seines
Berufskreises
abverlangt
werden
(Senat,
Urteil
vom
11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
S. 34, 35; ders., aaO, Rn. 325, 330; Peine, aaO, § 3 Rn. 159; BT-Drucks.
12/2693 S. 17, 21).
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bb) Die Beklagte, die das von ihr aus China importierte Produkt in hoher
Stückzahl vertreibt, wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, die Tapetenkleistermaschinen zu Beginn des Inverkehrbringens und sodann stichprobenartig darauf zu untersuchen, ob die Beschaffenheit den allgemein anerkannten Regeln
der Technik entspricht. Eine dahingehende Überprüfungspflicht des Importeurs
hat der erkennende Senat bereits bejaht (Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979
- VI ZR 141/78 - aaO). Sie ist auch in der Literatur anerkannt (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 35 f.; ders., aaO, Rn. 330 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 159;
Köhler, BB 1985, Beilage 4, 10, 12; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446; vgl.
auch BT-Drucks. 12/2693 S. 17, 21). Der Fehler wäre bei pflichtgemäßer Untersuchung ohne weiteres entdeckt worden (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO).
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cc) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht hinsichtlich
der Überprüfungspflicht der Beklagten keine näheren Feststellungen getroffen
hat. Da die Beklagte § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG objektiv verletzt hat, spricht eine
Vermutung dafür, dass diese Verletzung des Schutzgesetzes auch schuldhaft
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erfolgt ist. Es lag an der Beklagten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die
geeignet sind, die Annahme zumindest fahrlässigen Verhaltens auszuräumen
(vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - aaO, 271; OLG
München, VersR 1975, 605, 606; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446; alle zu
§ 3 Abs. 1 GSG; OLG Stuttgart, NJW-RR 1992, 670, 671; Kullmann, aaO,
Rn. 286 zu § 3 Abs. 3 Satz 2 GSG).
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dd) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht davon aus, die Beklagte sei insoweit ihrer Darlegungspflicht nicht nachgekommen.
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Welche Prüfungen der Importeur anstellen und in welchem Umfang er
die importierten Geräte untersuchen oder untersuchen lassen muss, ist eine
Frage des Einzelfalls (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 36; Kullmann,
aaO, Rn. 331; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446). Die Häufigkeit der notwendigen Stichproben hängt unter anderem davon ab, ob die importierten Maschinen aus einem Fertigungsvorgang stammen oder nicht. Im letztgenannten Fall
sind häufigere Stichproben erforderlich, um die Entdeckung von Fehlern wahrscheinlich zu machen. Ferner kann den Importeur bei Importen aus dem außereuropäischen Bereich eine besondere Verantwortung treffen (Kollmer, NJW
1997, 2015, 2017; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446).
25
Die Revision legt nicht dar, dass die Beklagte insoweit erstinstanzlich in
dem erforderlichen Maße vorgetragen habe. Das Berufungsgericht hat insoweit
entgegen der Annahme der Revision auch nicht verfahrensfehlerhaft die Beklagte entlastenden zweitinstanzlichen Sachvortrag übergangen. Es hat ausgeführt, die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Behauptung der Beklagten, bei der Tapetenkleistermaschine handele es sich um einen "Ausreißer", sei
neu und unsubstantiiert. Es werde nicht vorgetragen, wie viele Stichproben in
Anbetracht der nach Behauptung der Beklagten mehr als zehntausendfach ver-
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triebenen Maschinen die Beklagte selbst durchgeführt habe oder habe durchführen lassen.
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Das Berufungsgericht hat den zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten
entgegen der Auffassung der Revision zu Recht als neu angesehen und deshalb unberücksichtigt gelassen. Er war sowohl in tatsächlicher Hinsicht als auch
aus rechtlichen Gründen neu im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2
ZPO. Die Beklagte hatte im Schriftsatz vom 29. Juli 2004 an das Amtsgericht
lediglich dargelegt, dass die Tapetenkleistermaschine zehntausendfach im EGRaum vertrieben werde. Die Frage eines Ausreißers wird in diesem Zusammenhang nur spekulativ behandelt. Zudem handelte es sich um Vorbringen in
einem nicht nachgelassenen Schriftsatz. Dieses ist in zweiter Instanz neu
(BGH, Urteil vom 2. April 2004 - V ZR 107/03 - NJW 2004, 2382; vgl. Musielak/Huber, ZPO, 4. Aufl., § 296 a Rn. 5 m.w.N.; Musielak/Ball, aaO, § 531
Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 296 a Rn. 3). Die Revision zeigt keine
Gründe auf, die das Amtsgericht hätten veranlassen müssen, die mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen. Die Erheblichkeit eines erstmals in einem nicht
nachgelassenen Schriftsatz enthaltenen Vorbringens allein wäre nicht ausreichend (vgl. Musielak/Stadler, aaO, § 156 Rn. 4; Zöller/Greger, aaO, § 156
Rn. 4). Das Amtsgericht war auch nicht verpflichtet, die Beklagte auf zuvor in
ihrem Vortrag nicht andeutungsweise enthaltenes entlastendes Vorbringen hinzuweisen (vgl. BGHZ 156, 269, 270 f.; BGH, Urteil vom 23. November 2005
- VIII ZR 43/05 - NJW 2006, 434, 435; Musielak/Stadler, aaO, § 139 Rn. 5, 7, 9;
Zöller/Greger, aaO, § 139 Rn. 3, 17), so dass auch insoweit kein zwingender
Grund zur Wiedereröffnung bestand (hierzu Zöller/Greger, aaO, § 156 Rn. 3;
§ 283 Rn. 5).
27
Dass die Berücksichtigung der neuen Tatsachen durch das Berufungsgericht hier ausnahmsweise zulässig gewesen sein könnte (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2,
531 Abs. 2 ZPO), legt die Revision nicht dar. Auf ihre im Zusammenhang mit
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der vom Berufungsgericht angenommenen fehlenden Substantiierung des Vorbringens erhobenen Rügen kommt es danach nicht mehr an.
28
3. Die Revision macht auch ohne Erfolg geltend, das Berufungsgericht
habe sich hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes darauf
beschränkt zu prüfen, ob eine Ermessensüberschreitung des Amtsgerichts vorliege. Zwar wäre es fehlerhaft gewesen, wenn sich das Berufungsgericht auf
eine bloße Überprüfung der Ermessensausübung des Amtsgerichts beschränkt
hätte. So sind seine Ausführungen indes nicht zu verstehen.
29
a) Die Frage, inwieweit das Berufungsgericht nach der Neuregelung des
Rechtsmittelrechts die Bemessung des Schmerzensgeldes durch die Vorinstanz überprüfen kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Einerseits wird vertreten,
eine Überprüfung sei auf Rechtsfehler beschränkt. Lägen solche nicht vor, dürfe
die Berufungsinstanz nicht eigenes Ermessen an die Stelle der Bestimmung
durch die Vorinstanz setzen (OLG Braunschweig, VersR 2004, 924, 925; OLG
Karlsruhe, OLGR 2004, 398, 399; OLG Hamm, VersR 2006, 134, 135; vgl. auch
OLG Hamm, VersR 2004, 757; OLG München, NJW 2004, 959). Nach der Gegenmeinung darf und muss das Berufungsgericht ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts, allerdings im Rahmen seiner
Bindung an die Tatsachenfeststellungen gemäß § 529 Abs. 1 ZPO, selbst über
die Bemessung des im Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldes befinden
(OLG Brandenburg, VersR 2005, 953, 954).
30
b) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Eine Beschränkung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts - entsprechend der des Revisionsgerichts - hat der Bundesgerichtshof bereits für den Bereich der Vertragsauslegung abgelehnt (BGHZ 160, 83 ff.) und darauf hingewiesen, dass im Bereich
der rechtlichen Bewertung festgestellter Tatsachen eine Bindung des Berufungsgerichts an eine lediglich mögliche, aber nicht überzeugende Wertung der
- 14 -
Vorinstanz nicht besteht (BGHZ 160, 83, 92). Die insoweit angestellten Erwägungen gelten für die Überprüfung der Schmerzensgeldbemessung in gleicher
Weise (vgl. OLG Brandenburg, aaO; Geisler, jurisPR-BGHZivilR 33/2004 Anm.
6). Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die
erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529
ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für
zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht
für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen
eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung
Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen
Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl.
Senat BGHZ 138, 388, 391 m.w.N.).
31
d) Hier hat das Berufungsgericht ausgeführt, das zuerkannte Schmerzensgeld von 4.000 € bewege sich an der oberen Grenze des zuzubilligenden
Rahmens. Eine Abänderung sei jedoch nicht gerechtfertigt, da das Amtsgericht
das ihm eingeräumte Ermessen nicht überschritten habe. Auch wenn dieser
Satz missverständlich sein könnte, lassen die nachfolgenden Ausführungen
erkennen, dass das Berufungsgericht sich selbst mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgebenden Faktoren auseinandergesetzt hat und das vom
Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld als angemessenen Ausgleich für den
immateriellen Schaden des Klägers ansieht. Es heißt nämlich, 4.000 € seien
angesichts der Art der Verletzung, der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und des
Dauerschadens vertretbar. Die Sehnen des linken Handgelenks seien ebenso
teilweise durchtrennt gewesen, wie Nerven der Hand. An der Daumenwurzel
des Klägers seien eine sichtbare Narbe sowie Gefühlsminderungen geblieben.
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Der Kläger sei vom 19. Mai 2001 bis zum 10. Juni 2001 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.
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Diese Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Müller
Greiner
Pauge
Diederichsen
Zoll
Vorinstanzen:
AG Bonn, Entscheidung vom 19.08.2004 - 3 C 55/04 LG Bonn, Entscheidung vom 10.02.2005 - 6 S 242/04 -