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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR 444/14
vom
26. April 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:260416BVIZR444.14.0
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2016
durch
den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Stöhr und Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil
des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 25. September 2014 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 und 6 sowie hinsichtlich des Berufungsantrags zu 5
insoweit zurückgewiesen worden ist, als die damit begehrten außergerichtlichen
Rechtsverfolgungskosten
den
Betrag
von
1.145,85 € nebst Zinsen übersteigen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis 185.000 € festgesetzt.
-3-
Gründe:
A.
1
Die Klägerin verlangt von den Beklagten aus eigenem und abgetretenem
Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren.
2
Die Beklagten waren alleinige Vorstände der zwischenzeitlich insolventen A. AG, die unter anderem im Bereich der Anlageberatung tätig war und ihre
Erträge insbesondere durch Provisionen der Emittenten der empfohlenen Anlagen erwirtschaftete. In den Jahren 2004 bis 2008 erwarb und veräußerte die A.
AG für die Klägerin und den Zedenten im Rahmen von mit diesen bestehenden
Vermögensverwaltungsverträgen Wertpapiere. Erworben wurden dabei unter
anderem Inhabergenussscheine der P. & Z. AG. Zudem kauften die Klägerin
und der Zedent im Zeitraum von April 2007 bis März 2009 aufgrund Beratung
und Empfehlung von Kundenbetreuern der A. AG verschiedene Wertpapiere,
darunter Genussscheine der D. & B. AG.
3
Die Klägerin hat unter anderem behauptet, sie und der Zedent seien
nicht
hinreichend
über
die
mit
den
Anlagen
verbundenen
Risiken
- insbesondere das Emittenten- und das Totalverlustrisiko - aufgeklärt worden.
Dafür seien die Beklagten verantwortlich, da sie ihre Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst hätten.
4
Soweit sie Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist,
hat die Klägerin mit ihrer Klage Schadensersatz in Höhe der für die Wertpapiere
gezahlten Kaufpreise abzüglich erzielter Erträge und Erlöse Zug um Zug gegen
Abtretung der Ansprüche aus von ihr noch gehaltenen Wertpapieren sowie Ersatz entgangener Anlagezinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten je-
-4-
weils nebst Verzugszinsen verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt,
dass sich die Beklagten mit den Gegenleistungen in Annahmeverzug befinden.
Die Klage hatte nach vollständiger Klageabweisung durch das Landgericht in
der Berufungsinstanz Erfolg nur bezüglich der für den Erwerb der Wertpapiere
der P. & Z. AG aufgewendeten Beträge nebst Verzugszinsen sowie bezüglich
der darauf entfallenden Rechtsverfolgungskosten. Im Übrigen wurde die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht
zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
B.
5
I. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen die
Abweisung des von ihr geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des Wiederanlageschadens (Berufungsantrag Ziffer 2) richtet, war sie zurückzuweisen. Sie
zeigt insoweit nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
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II. Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO insoweit zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und
zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, als die Berufung der Klägerin hinsichtlich der Berufungsanträge Ziffer 1 (Anspruch auf Ersatz der für den Erwerb der Wertpapiere aufgewendeten Beträge nebst Verzugszinsen), Ziffer 5 (Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, soweit diese den vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag
von 1.145,85 € übersteigen) und Ziffer 6 (Feststellung des Annahmeverzugs)
zurückgewiesen wurde. Die Klägerin rügt insoweit zu Recht, das Berufungsge-
-5-
richt habe ihren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen
Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
7
1. Soweit nicht die Wertpapiere der P. & Z. AG betroffen sind, hat das
Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint. Zur
Begründung der Klageabweisung hat es, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, ausgeführt, die Beklagten hafteten der Klägerin insoweit nicht nach § 826 BGB. Zwar seien die Voraussetzungen einer
sittenwidrigen Schädigung im Hinblick auf die außerhalb des Vermögensverwaltungsvertrags von der Klägerin und dem Zedenten selbst erworbenen Wertpapiere - anders als hinsichtlich der von der A. AG für die Klägerin und den Zedenten im Rahmen der Vermögensverwaltungsverträge erworbenen Wertpapiere - nach dem Klägervortrag erfüllt. Denn danach hätten die Beklagten das Unternehmen derart organisiert, dass die Berater die Anleger flächendeckend und
umfassend entgegen ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, vor
allem ihrer Risikobereitschaft, beraten hätten. Die Klägerin behaupte, im Rahmen einer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K. genommenen Stichprobe
hätten sich in den Depots sämtlicher 1.111 von der Stichprobe erfasster Anleger Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befunden, obwohl die Anleger
den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen gewesen seien. Wenn aus einer Stichprobe von 1.111 Anlegern mit Genussscheinen im Depot sämtliche dieser Anleger nicht anlegergerecht beraten worden sein sollten, trage dies zur Überzeugung des Berufungsgerichts den Schluss auf flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und sittenwidriges Handeln der Beklagten. Der Klägerin sei es
aber nicht gelungen, diese Behauptung zu beweisen. Die von ihr benannten
Zeugen B. und T. seien gemäß § 376 ZPO nicht zu vernehmen gewesen, da sie
nach Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der Pflicht
zur Amtsverschwiegenheit unterlägen, von der die Bundesanstalt sie nicht ent-
-6-
bunden habe; daran sei das Berufungsgericht gebunden. Die weiteren Zeugen
hätten den Vortrag der Klägerin nicht bestätigt.
8
2. Diese Ausführungen verletzen die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
9
a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht
davon aus, dass ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nach dem Sachvortrag der Klägerin zu bejahen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und objektwidrige
Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet (Urteil vom 19. Februar 2008
- XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 Rn. 29). Dementsprechend handelt auch sittenwidrig, wer - wie von der Klägerin in Bezug auf die Beklagten behauptet - als
Leiter eines mit Anlageberatung befassten Unternehmens ein System etabliert,
das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren
Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu empfehlen (Senatsbeschluss vom 18. August 2015 - VI ZR 302/14,
juris Rn. 13; vgl. auch Senatsurteil vom 14. Juli 2015 - VI ZR 463/14, VersR
2015, 1574 Rn. 24).
10
b) Mit Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass die Annahme
des Berufungsgerichts, die Klägerin sei für diese Behauptung beweisfällig geblieben, auf einem Gehörsverstoß beruht. Das Berufungsgericht hat die Klägerin dadurch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) verletzt, dass es die von ihr insoweit benannten Zeugen B. und T.
nicht vernommen hat (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 16. Februar 2016
- VI ZR 441/14, juris).
-7-
11
aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung verpflichtet Art.
103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die
Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung
eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet,
verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 16. September 2014
- VI ZR 118/13, VersR 2015, 338 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 23. April 2015
- V ZR 200/14, juris Rn. 7; BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, WM 2012, 492,
493; NJW 1993, 254; teilweise mwN). Davon ist im Streitfall auszugehen. Das
Unterbleiben der vom Berufungsgericht selbst als erheblich angesehenen Vernehmung der Zeugen B. und T. findet im Prozessrecht keine Grundlage.
12
bb) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Vernehmung der
Zeugen B. und T. § 376 Abs. 1 ZPO nicht entgegen.
13
(1) Das Berufungsgericht hat sich aufgrund einer Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt) gemäß
§ 376 Abs. 1 ZPO daran gehindert gesehen, die Zeugen B. und T. zu vernehmen. Nach dieser Auskunft handelt es sich bei den Zeugen um Wirtschaftsprüfer, derer sich die Bundesanstalt gemäß § 4 Abs. 3 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) bedient hatte, um bei der A. AG eine Prüfung vorzunehmen (§ 35 Abs. 1 WpHG, § 44 Abs. 1 KWG); weiter heißt es, die Zeugen
unterlägen nach § 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden werden könnten.
14
(2) Diese Mitteilung rechtfertigte es indes nicht, von der Vernehmung der
Zeugen B. und T. gemäß § 376 Abs. 1 ZPO abzusehen. Die Zeugen B. und T.
werden vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst.
15
(a) Nach § 376 Abs. 1 ZPO gelten für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Um-
-8-
stände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die
Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.
§ 376 Abs. 1 ZPO setzt mithin - ebenso wie der gleichlautende § 54 Abs. 1
StPO - eine durch andere Bestimmungen begründete Pflicht des Zeugen zur
Amtsverschwiegenheit voraus (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1980
- 4 StR 16/80, NStZ 1981, 70 zu § 54 StPO) und überträgt diese Pflicht in das
Prozessrecht (zu § 54 StPO vgl. SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 2;
KMR/Neubeck, § 54 Rn. 1 [Stand: November 2010]; AnwK-StPO/v. Schlieffen,
2. Aufl., § 54 Rn. 1). Infolgedessen besteht, wenn dem Zeugen von der zuständigen Behörde keine Aussagegenehmigung erteilt wird, ein Vernehmungsverbot
(vgl. Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 376 Rn. 2, 13; MüKoZPO/Damrau,
4. Aufl., § 376 Rn. 1, 11; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 376
Rn. 43). Dadurch sollen die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen auch im
gerichtlichen Verfahren geschützt werden (vgl. MüKoZPO/Damrau, aaO Rn. 1;
Ahrens, aaO Rn. 2; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005
- 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 326 f.; BayObLG, NJW 1990, 1857, 1858;
LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 1).
16
(b) B. und T. sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und der in Bezug genommenen Mitteilung der Bundesanstalt keine Richter oder Beamte und auch keine sonstigen Personen des öffentlichen Dienstes.
Zwar waren die Zeugen aufgrund ihrer Beauftragung durch die Bundesanstalt
deren Hilfspersonen und wurden bei der Prüfung der A. AG unmittelbar in Erfüllung von Angelegenheiten tätig, die für die Behörde Verwaltungsaufgaben waren (vgl. BGH, Urteile vom 7. Mai 2009 - III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 Rn. 23;
vom 26. Juni 2001 - X ZR 231/99, VersR 2001, 1390, 1392). Dies begründete
aber jedenfalls deshalb kein Vernehmungsverbot gemäß § 376 Abs. 1 ZPO,
weil den Zeugen keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit im Sinne dieser Vorschrift auferlegt worden war (zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember
-9-
2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 327; SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54
Rn. 22).
17
(aa) Ob sich eine solche Pflicht aus einer Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB ergeben kann (zu § 54 StPO vgl.
BGH, Urteil vom 28. November 1979 - 3 StR 405/79, NJW 1980, 846, 847; SKStPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 22; LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 9
a.E.), kann dabei offenbleiben. Denn die Amtsträgereigenschaft setzt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine öffentlich-rechtliche Bestellung
voraus, die zu einer über den einzelnen Auftrag hinausgehenden längerfristigen
Tätigkeit oder zu einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur
führen muss (Urteile vom 15. Mai 1997 - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 105; vom
19. Juni 2008 - 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 Rn. 25; vom 9. Juli 2009 - 5 StR
263/08, BGHSt 54, 39 Rn. 46). Beides ist nicht festgestellt.
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(bb) Nach den getroffenen Feststellungen ist eine Pflicht der Zeugen B.
und T. zur Amtsverschwiegenheit auch nicht durch eine förmliche Verpflichtung
nach dem Verpflichtungsgesetz begründet worden (vgl. dazu MüKoZPO/
Damrau, 4. Aufl., § 376 Rn. 6; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl.,
§ 376 Rn. 32; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteile vom 11. September 1980 - 4 StR
16/80, NStZ 1981, 70 und vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50,
318, 327 f. mwN).
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(cc) Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht
zur Amtsverschwiegenheit folgt schließlich auch nicht aus der sich aus § 8
Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht.
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Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG dürfen unter
anderem Personen, die bei der Bundesanstalt beschäftigt oder - wie die Zeugen
B. und T. - nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragt sind, die ihnen bei ihrer Tätigkeit
- 10 -
bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines geprüften Unternehmens oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbaren. Bei
dieser Verschwiegenheitspflicht handelt es sich aber nicht um eine von § 376
Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (zu ähnlichen Vorschriften vgl. RGZ 54, 1, 3; Merkl, Die Zeugenaussage nichtbeamteter
Personen des öffentlichen Dienstes vor Zivil- und Strafgerichten, 1973, S. 25),
wenn sie sich mit ihr im Einzelfall - anders als im Streitfall - auch überschneiden
kann (vgl. VG Minden, WM 2011, 1130, 1134).
21
Zwischen der sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht einerseits und der allgemeinen Amtsverschwiegenheit andererseits bestehen wesentliche Unterschiede (vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1012
Rn. 15; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 10). Anders als
die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfassen § 8 WpHG und § 9
KWG keine Tatsachen, deren Geheimhaltung im eigenen Interesse der Bundesanstalt liegt, sondern Geschäfts-, Betriebs- und Privatgeheimnisse der beaufsichtigten Marktteilnehmer und sonstiger Dritter (vgl. BT-Drucks. 12/6679
S. 42; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, aaO Rn. 21; Beck in Schwark/Zimmer,
WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2; Becker in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 9 Rn. 12 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1). Zwar bezwecken beide Vorschriften
damit nicht nur den Schutz der privaten Träger des Geheimhaltungsinteresses.
Vielmehr sollen auch das notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichtspraxis, eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der beaufsichtigten Marktteilnehmer und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Märkte für Finanzinstrumente sichergestellt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2014 - C140/13, VersR 2015, 873 Rn. 31 ff.; BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 Rn. 6 f.; Beck in Schwark/Zimmer,
- 11 -
WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2). Das ändert aber nichts
daran, dass die geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse disponieren können. Willigen sie in die Offenbarung einer Tatsache ein, erfolgt die
Offenbarung nicht unbefugt und die Verschwiegenheitspflicht entfällt (vgl. KKWpHG/Möllers/Wenninger,
aaO
Rn.
32;
Beck,
aaO
Rn.
11,
25;
Schlette/Bouchon, aaO Rn. 23; Bruchwitz, aaO Rn. 11; Döhmel in Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 8 Rn. 14; Becker in Reischauer/Kleinhans,
KWG, § 9 Rn. 18 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG,
2. Aufl., § 9 Rn. 16). Einer Zustimmung der Bundesanstalt bedarf es dafür in
Ermangelung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts nicht. Demgegenüber besteht die von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur
Amtsverschwiegenheit gegenüber dem öffentlichen Dienstherrn, der allein dazu
berufen ist, den Bediensteten von dieser Pflicht zu entbinden (vgl. § 67 Abs. 3,
§ 68 BBG, § 37 Abs. 3 bis 5 BeamtStG; BVerwGE 18, 58, 61 f.).
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cc) Auch war das Berufungsgericht an der Vernehmung der Zeugen B.
und T. nicht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO gehindert.
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Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes,
Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung
durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der
Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur
Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, haben B. und T. bislang nicht erklärt.
Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386
Abs. 3 ZPO).
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Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht selbst dann, wenn ein nach § 383 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 ZPO
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zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge zur Aussage bereit ist, nur solche
Fragen stellen bzw. zulassen, durch deren Beantwortung der Zeuge nicht erkennbar gegen Verschwiegenheitspflichten verstößt (vgl. Zöller/Greger, ZPO,
31. Auflage, § 383 Rn. 22). Regelmäßig beschränkt die Vorschrift mithin allein
den Kreis der im Rahmen einer Vernehmung zulässigen Fragen, macht aber
die Vernehmung des angebotenen Zeugen als solche weder unzulässig noch
entbehrlich (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 42). Ob - ausnahmsweise - anderes gelten kann, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass der
Zeuge mit jeder Aussage zum Beweisthema gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstieße, kann offenbleiben. Denn eine solche Konstellation ist im Streitfall weder hinsichtlich der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 Satz 1
KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht (1) noch hinsichtlich derjenigen aus
§ 43 Abs. 1 Satz 1 WPO (2) gegeben.
25
(1) Die sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebende und von § 383
Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht der Zeugen B. und T. ist
nicht allumfassend. Sie greift ihrem Schutzzweck entsprechend nur, wenn Geheimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger
Dritter betroffen sind (Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 8).
26
(a) Etwaigen Geheimhaltungsinteressen der A. AG kommt dabei für die
Frage, ob und inwieweit die Zeugen B. und T. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, im Streitfall von vorneherein keine Bedeutung zu. Denn der
Insolvenzverwalter der A. AG hat die Zeugen von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden (§ 385 Abs. 2 ZPO). Der Insolvenzverwalter war befugt, diese Erklärungen abzugeben, soweit die Verschwiegenheitspflicht zu
Gunsten der A. AG besteht (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 385 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 385 Rn. 10) und das Beweisthema deren vermögensrechtliche Interessen betrifft (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 1989
- 13 -
- III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, NJW
1994, 2220, 2225, insoweit in BGHZ 126, 181 nicht abgedruckt; MüKoZPO/
Damrau, aaO Rn. 8; Zöller/Greger, aaO).
27
(b) Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass von § 8 WpHG
und § 9 KWG geschützte Geheimhaltungsinteressen sonstiger Dritter einer
Aussage der Zeugen B. und T. in vollem Umfang entgegenstehen. Zwar begründet allein das Interesse an der Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Allgemeinen keine Befugnis zur Offenbarung von Tatsachen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG oder des § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG. Dies folgt
daraus, dass § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 KWG
eine Weitergabe von Tatsachen an Strafverfolgungsbehörden oder an für Strafund Bußgeldsachen zuständige Gerichte ausdrücklich gestatten, dass es aber
in Bezug auf Zivilprozesse an einer entsprechenden Regelung fehlt (vgl. Hess.
VGH, NVwZ 2010, 1036, 1044; VG Minden, WM 2011, 1130, 1134 f.; KKWpHG/Möllers/Wenninger,
2. Aufl.,
§
8
WpHG
Rn.
48;
Beck
in
Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24; Schlette/Bouchon in Fuchs,
WpHG, § 8 Rn. 21; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 12; Lindemann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 20; Brocker in
Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Das Gesetz misst damit
dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in der Abwägung mit den von § 8
WpHG und § 9 KWG geschützten Geheimhaltungsinteressen ein höheres Gewicht bei als dem Interesse an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.
Über Tatsachen, deren Geheimhaltung nicht nur im Interesse der A. AG, sondern auch im Interesse eines Dritten liegt, insbesondere über dessen personenbezogene Daten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG), dürfen die Zeugen deshalb nur
aussagen, wenn und soweit der Dritte in die Offenbarung eingewilligt hat. Das
gilt insbesondere für identifizierende Angaben über einzelne von der Stichprobe
erfasste ehemalige Kunden der A. AG, einschließlich der Tatsache, dass über-
- 14 -
haupt eine Kundenbeziehung bestand (vgl. BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 22, 27; Beck in
Schwark/Zimmer,
WpHG,
4.
Aufl.,
§
8
Rn.
8;
Lindemann
in
Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 8, 10; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1, 11). Den Zeugen ist es dadurch aber
insbesondere nicht verwehrt, in anonymisierter Weise über die Zusammensetzung der von ihnen geprüften Depots sowie ihr Vorgehen bei der Prüfung selbst
zu berichten. Dass dem Berufungsgericht entsprechende Angaben der Zeugen
genügt hätten, sich davon zu überzeugen, dass die unter Beweis gestellten Behauptungen der Kläger zutreffen, ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
28
(2) Schließlich ergibt sich eine das Beweisthema erschöpfende Schweigepflicht der Zeugen B. und T. auch nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO. Zwar
unterliegen die Zeugen als Wirtschaftsprüfer auch der allgemeinen berufsrechtlichen Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese schützt regelmäßig aber nur den Auftraggeber (vgl. Maxl in Hense/Ulrich, WPO, 2. Aufl., § 43 Rn. 119, 140). An der
Weitergabe von Tatsachen, die allein Dritte betreffen, zu denen kein Mandatsverhältnis besteht, ist der Wirtschaftsprüfer durch § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO
grundsätzlich nicht gehindert (vgl. Maxl, aaO 140; zu § 57 StBG auch Koslowski, StBG, 7. Aufl., § 57 Rn. 62). Die Erkenntnisse, die die Zeugen bei der
von der Bundesanstalt beauftragten Prüfung der A. AG gewonnen haben und
die sie mit Einwilligung des Insolvenzverwalters offenbaren sollen, betreffen
nicht die Verhältnisse der Bundesanstalt. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse
der Bundesanstalt an der Geheimhaltung dieser Erkenntnisse ist nicht ersichtlich.
29
dd) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der gehörswidrig unterbliebenen Vernehmung der Zeugen B. und T. Es ist nicht auszuschließen, dass
- 15 -
das Berufungsgericht auf der Grundlage der - ggf. eingeschränkten - Aussage
der Zeugen den Klägervortrag als erwiesen angesehen hätte, wonach sich in
den Depots von sämtlichen 1.111 Anlegern, die die Zeugen stichprobenhaft
überprüft haben, Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befanden, obwohl
die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen waren. Aus einem solchen
Beweisergebnis hätte das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen
auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidriges Handeln der Beklagten geschlossen.
30
3. Der erkennende Senat hält es für angezeigt (vgl. zum insoweit bestehenden Ermessen des Revisionsgerichts: BGH, Urteil vom 30. September 1966
- V ZR 140/65, NJW 1966, 2356, 2357; MüKoZPO/Krüger, 4. Aufl., § 562 Rn. 5;
Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 562 Rn. 2), die angefochtene Entscheidung
auch insoweit aufzuheben, als mit ihr die im Hinblick auf die Vermögensverwaltung geltend gemachten Schadensersatzansprüche zurückgewiesen wurden.
Zwar betrifft der dargestellte Gehörsverstoß die von der Klägerin in Bezug auf
die Vermögensverwaltungsverträge geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht unmittelbar. Denn insoweit hat das Berufungsgericht die Klage
schon als nicht schlüssig beurteilt. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden,
dass sich aus der nachzuholenden Beweisaufnahme für die Klägerin
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Günstiges auch insoweit ergibt, was sie sich - ggf. konkludent - zu eigen machen könnte.
Galke
Stöhr
Oehler
Offenloch
Roloff
Vorinstanzen:
LG Itzehoe, Entscheidung vom 25.03.2014 - 7 O 375/11 OLG Schleswig, Entscheidung vom 25.09.2014 - 5 U 65/14 -