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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 322/15
Verkündet am:
26. Juli 2016
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 280 Abs. 1, § 611; SeelotsG § 21 Abs. 3
a) Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Binnenlotsen auf Schadensersatz ist in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil
vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) auf grob fahrlässig
und vorsätzlich herbeigeführte Schäden beschränkt.
b) Eine Ausweitung dieses "Lotsenprivilegs" durch entsprechende Anwendung
der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer
unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit bei grob fahrlässiger
Schadensherbeiführung ist nicht zulässig.
BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 - VI ZR 322/15 Rheinschifffahrtsobergericht des Oberlandesgerichts Karlsruhe
Rheinschifffahrtsgericht des Amtsgerichts Kehl
ECLI:DE:BGH:2016:260716UVIZR322.15.0
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Juli 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner,
die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch und die Richterin Müller
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Grundurteil des Rheinschifffahrtsobergerichts des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. April 2015 wird
auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einem Schiffsunfall aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die Klägerin ist der Versicherer des Fahrgastkabinenschiffs "B.
Die "B.
".
" war am 17. April 2012 mit 114 Passagieren und Besatzung auf
dem Rhein von Basel nach Köln unterwegs. Das 104,74 m lange und 11,61 m
breite Schiff gehörte der niederländischen Cruiselines N. Um 3:26 Uhr kollidierte es im Plittersdorfer Grund bei Rhein-km 338,9 mit einer Buhne, wodurch es
erheblich beschädigt wurde.
3
Der 1933 geborene Beklagte ist Lotse für den Oberrhein und Inhaber des
entsprechenden Streckenpatents sowie des Radarpatents. Er war für die
Schiffseignerin in der Vergangenheit wiederholt tätig geworden. Vier Wochen
- 3 -
vor der Kollision war dem Beklagten die Tauglichkeit als Schiffsführer ärztlich
bescheinigt worden.
4
Der Beklagte war am 17. April 2012 um 2:00 Uhr bei der Schleuse Iffezheim (Rhein-km 334,5) an Bord gekommen und sollte für eine Vergütung von
250 € das Schiff bis Speyer als Lotse begleiten. Der diensthabende Kapitän,
der Zeuge D., besaß für den Streckenabschnitt von Iffezheim bis Speyer kein
Streckenpatent. Er führte noch die Talschleusung in Iffezheim durch und übergab nach Ausfahrt aus der Schleusenkammer bei Rhein-km 336 dem Beklagten
das Steuer des Schiffs. Kurze Zeit später kam starker Nebel auf. Der Beklagte
steuerte das Schiff in Radarfahrt.
5
Im Plittersdorfer Grund (Rhein-km 338,9) macht das Fahrwasser rheinabwärts eine Linkskurve. Auf der rechten Seite neben dem Fahrwasser befinden sich Buhnen. Der Beklagte änderte um 3:25:40 Uhr den linksweisenden
Kurs des Schiffs bei einer Geschwindigkeit von 21,5 km/h nach Steuerbord. Der
Zeuge D., der den Kurs des Schiffes anhand GPS-gestützter Daten auf dem
Tresco verfolgte, wies den Beklagten auf den zu weit Steuerbord angesetzten
Kurs hin. Der Beklagte änderte den Kurs nicht. 49 Sekunden nach der Kursänderung, um 3:26:29 Uhr, fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h
auf die erste Buhne auf.
6
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe als verantwortlicher
Schiffsführer die Kollision grob fahrlässig verursacht und sei deshalb zum
Schadensersatz verpflichtet.
7
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die
zunächst auf Zahlung von
493.620,46 € nebst Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin
hat in der Berufungsinstanz ihre Klage auf 100.000 Rechnungseinheiten im
Sinne des § 5l des Binnenschifffahrtsgesetzes (BinSchG) nach Multiplikation
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mit dem Kurs des Sonderziehungsrechts des Internationalen Währungsfonds
(XDR) am Tag des Urteilserlasses nebst Zinsen reduziert. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Beklagte sein Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte als Lotse im Rahmen eines Dienstvertrages oder zumindest dienstvertragsähnlichen Verhältnisses gegenüber der
Rechtsvorgängerin der Klägerin verpflichtet gewesen sei, den Schiffsführer
während der Reise zu beraten. Zum Zeitpunkt der Havarie sei der Beklagte zudem verantwortlicher Schiffsführer gewesen; ihm sei bekannt gewesen, dass er
als Einziger an Bord über das erforderliche Streckenpatent verfügte.
9
Die Pflichten eines Schiffsführers aus § 1.04 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV), Schiff, Besatzung und Passagiere nicht zu gefährden,
habe der Beklagte objektiv verletzt, indem er das Schiff am frühen Morgen des
17. April 2012 in das Buhnenfeld im Plittersdorfer Grund gesteuert habe.
10
Der Haftungsausschluss analog § 21 Abs. 3 des Gesetzes über das Seelotswesen (SeelotsG) für einfache Fahrlässigkeit greife nicht. Der Beklagte habe sich objektiv grob fahrlässig verhalten, indem er ohne erkennbare Begründung um 3:25:40 Uhr den linksweisenden Kurs der "B.
" nach Steuerbord
geändert und das Schiff in Richtung des Buhnenfeldes gelenkt habe. Als Lotse
für den Oberrhein und Inhaber des Streckenpatents habe ihm das Buhnenfeld
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bekannt sein müssen. Die besondere Streckenkenntnis des Lotsen stelle den
Grund dar, warum dem Beklagten das Steuer und damit Befehl und Verantwortung für das Schiff übergeben worden seien.
11
Von einer geringfügigen und kurzfristigen Fehleinschätzung könne schon
deshalb keine Rede sein, weil der Kollisionskurs 49 Sekunden vor der Havarie
angelegt und trotz eines Hinweises des Zeugen D. von dem Beklagten nicht
korrigiert worden sei. Aber auch ohne diesen Hinweis habe dem Beklagten
mehr als ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, den auf dem TrescoSchirm deutlich erkennbaren Kurs zu ändern. Auch rechtfertigten die Umstände
einer Nachtfahrt, dichten Nebels und möglicherweise unzureichender Radarbetonnung keine andere Bewertung. Der Beklagte habe den widrigen Umständen
durch eine besonders umsichtige Fahrweise und Kursführung Rechnung tragen
müssen.
12
Die Pflichtverletzung sei auch subjektiv unentschuldbar, wobei die festgestellte Verletzung einer zentralen beruflichen Kardinalpflicht den Schluss auf
die inneren Vorgänge erlaube. Besondere, in seiner Person liegende Umstände, die sein Verhalten in subjektiver Hinsicht entschuldigen könnten, habe der
Beklagte, dem insoweit die sekundäre Darlegungslast obliege, weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt.
13
Die Revision sei zuzulassen, da die Frage nach dem Haftungsmaßstab
der Binnenlotsen für grob fahrlässiges Verhalten angesichts der nach wie vor
deutlichen Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den Lotsgebühren sowie der Unmöglichkeit, dieses Risiko zu vernünftigen Prämien zu versichern,
eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts erfordere.
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II.
14
Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz infolge der Havarie vom 17. April 2012 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Der Beklagte haftet der Klägerin aus übergegangenem Recht für durch die Havarie entstandene Schäden am Schiff nach
§ 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Zwischen dem
Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestand ein Lotsenvertrag,
der in seinen wesentlichen Zügen ein Dienstvertrag ist oder zumindest ein
dienstvertragsähnliches Verhältnis beinhaltet (BGH, Urteile vom 14. April 1958
- II ZR 45/57, BGHZ 27, 79, 81; vom 20. Juni 1968 - II ZR 78/67, BGHZ 50, 250,
255; vom 28. September 1972 - II ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 246; vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 33). Zum Zeitpunkt der Havarie war der
Beklagte darüber hinaus verantwortlicher Schiffsführer. Die ihn treffenden Sorgfaltspflichten hat er grob fahrlässig verletzt, so dass ihm der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH,
Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, aaO, 37) nicht zugute kommt. Eine
entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze, die bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit zugunsten des Schädigers eine
Quotierung erlauben würden, scheidet aus.
15
1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei zum Zeitpunkt der Havarie verantwortlicher
Schiffsführer im Sinne von § 1.02 RheinSchPV gewesen und habe deshalb
nicht nur die Beratung des Schiffsführers in seiner eigentlichen Funktion als
Lotse geschuldet, sondern darüber hinaus die allgemeinen Sorgfaltspflichten
eines Schiffsführers nach § 1.04 RheinSchPV einhalten, insbesondere die Gefährdung von Menschenleben vermeiden müssen. Nach den Feststellungen des
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Rheinschifffahrtsgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit das Berufungsgericht keine Zweifel hatte, wusste der Beklagte bei Übergabe des Steuerruders an ihn unter anderem aufgrund einer Mitteilung des diensthabenden Kapitäns, dass dieser - ebenso wie die übrigen Besatzungsmitglieder - nicht über
das notwendige Schifferpatent für die vor ihnen liegende Strecke verfügte. Diese Mitteilung im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 der Lotsenordnung für den Rhein
zwischen Basel und Mannheim/Ludwigshafen (RheinLotsO) ist dem ausdrücklichen Verlangen des (bisherigen) Schiffsführers an den Lotsen, Ruder und Befehl zu übernehmen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 RheinLotsO), gleichgestellt. Sie führt
nach § 14 Abs. 3 Satz 3 RheinLotsO dazu, dass der Lotse zum verantwortlichen Schiffsführer im Sinne des § 1.02 RheinSchPV wird.
16
Soweit sich die Revision auf den Vortrag des Beklagten in den Vorinstanzen beruft, diesem sei das Fehlen des Streckenpatents des diensthabenden Kapitäns unbekannt gewesen, wendet sie sich ohne Erfolg gegen die
vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts. Das Berufungsgericht ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die erstinstanzlichen Feststellungen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen gebieten.
Solche Anhaltspunkte lägen etwa dann vor, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich wäre. Die Rüge der Revision, dies sei hier der Fall, greift nicht durch. Eine Widersprüchlichkeit oder Unvollständigkeit der Beweiswürdigung ergibt sich insbesondere nicht aus dem
Umstand, dass im Bordbuch der "B.
" für den 16./17. April 2012 der Be-
klagte als Lotse und der Zeuge D. als Kapitän eingetragen sind. Die Angaben
im Bordbuch des Schiffs sind bereits nicht konstitutiv für die Rechtsstellung der
Beteiligten im Sinne der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung. Das Bordbuch
dient, ähnlich einem Fahrtenschreiber, der schifffahrtspolizeilichen Überprüfbarkeit von Ruhezeiten und der Bestimmbarkeit der diensthabenden Mannschaft
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(vgl. § 3.13 RheinSchPersV). Dass der Beklagte als Lotse an Bord kam, gibt
das Bordbuch - wenngleich aufgrund der eingetreten Verzögerungen im Fahrtablauf mit falschem Zeitpunkt - zudem richtig wieder.
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2. Das Berufungsgericht hat das Verhalten des Beklagten ohne Rechtsfehler als grob fahrlässig gewertet mit der Folge, dass das Lotsenprivileg (§ 21
Abs. 3 SeelotsG analog) mit einem Haftungsausschluss für nur einfach fahrlässig herbeigeführte Schäden dem Beklagten nicht zugute kommt (BGH, Urteil
vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37).
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a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob den Schädiger der Vorwurf grober
Fahrlässigkeit trifft, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände
außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Januar 1988 - VI ZR
158/87, VersR 1988, 474; vom 18. Oktober 1988 - VI ZR 15/88, VersR 1989,
109; vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001, 985; vom 18. Februar
2014 - VI ZR 51/13, VersR 2014, 481 Rn. 10).
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Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß
an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1967
- VI ZR 14/66, VersR 1967, 909, 910; vom 12. Januar 1988 - VI ZR 158/87,
aaO, 474 f.; vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, aaO, 986; vom 18. Februar
2014 - VI ZR 51/13, aaO, Rn. 7). Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei
in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Senatsurteile vom 2. November 1971 - VI ZR 16/70, VersR 1972, 144, 145; vom 9.
März 1973 - VI ZR 3/72, VersR 1973, 565 mwN; vom 18. November 2014 - VI
ZR 141/13, VersR 2015, 193 Rn. 21). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß recht-
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fertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive,
personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (Senatsurteil vom 11. Juli 1967
- VI ZR 14/66, aaO; BGH, Urteile vom 11. Mai 1953 - IV ZR 170/52, BGHZ 10,
14, 17; vom 5. Dezember 1966 - II ZR 174/65, VersR 1967, 127). In aller Regel
ist es erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtverletzung, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zu treffen
(Senatsurteil vom 10. Mai 2011 - VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10
mwN). Auch bei der Verletzung beruflicher Kardinalpflichten gilt grundsätzlich
nichts anderes.
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Zur Feststellung eines subjektiv unentschuldbaren Pflichtverstoßes ist es
erforderlich, subjektive Besonderheiten, die unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Parteien den Schädiger entlasten könnten, auszuschließen. Den
Ausschluss hat grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und zu beweisen.
Steht der Geschädigte allerdings außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs und kennt er die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie dem Schädiger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben zuzumuten
sind, so trifft diesen ausnahmsweise eine Substantiierungslast hinsichtlich etwaiger Entschuldigungsgründe (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR
173/01, VersR 2003, 364, 365).
21
b) Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
22
Rechtsfehlerfrei - und von der Revision nicht angegriffen - hat das Berufungsgericht einen objektiv grob fahrlässigen Pflichtenverstoß des Beklagten
angenommen. Der Beklagte hatte als Lotse und Schiffsführer die Pflicht, auf
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den richtigen Kurs zu achten, um Passagiere, Besatzung und Schiff nicht zu
gefährden. Diese Pflicht hat er in objektiv hohem Maße verletzt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren der Flusslauf und das Buhnenfeld auf
dem Tresco-Schirm klar und deutlich zu erkennen. Die Buhnenberührung, die
infolge der durch den Beklagten ohne Notwendigkeit veranlassten Kursänderung drohte, war vorhersehbar und hätte durch eine weitere Kursänderung vermieden werden können. Der Beklagte hat aber nicht einmal den Hinweis des
Zeugen D. auf den zu weit Steuerbord liegenden Kurs zum Anlass genommen,
den Kurs zu korrigieren.
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Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner die Bewertung des Berufungsgerichts, dass die Pflichtverletzung auch subjektiv unentschuldbar ist.
Zwar ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass im Streitfall von der objektiven
Pflichtverletzung auf das Vorliegen subjektiver grober Fahrlässigkeit geschlossen werden könne, weil es an entgegenstehendem konkretem Vortrag des Beklagten fehle, zu weitgehend. Zutreffend ist dies allerdings für etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen, für die der Beklagte die sekundäre Darlegungslast
trägt. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht betreffend den von der Revision in Zweifel gezogenen Gesundheitszustand des Beklagten zum Havariezeitpunkt auf die unstreitig nach dem Schlaganfall und nur
vier Wochen vor der Fahrt durchgeführte ärztliche Tauglichkeitsprüfung des
Beklagten abstellt. Dass der Beklagte Konkretes zu einer etwaigen zwischenzeitlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorgetragen hätte,
macht die Revision nicht geltend.
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Im Übrigen zeigt die Revision nicht auf, dass das Berufungsgericht sich
aus dem Sachvortrag der Parteien ergebende Umstände übergangen hätte, die
den Beklagten entlasten könnten. Soweit die Revision auf das Alter des Beklagten, den für den menschlichen Organismus allgemein belastenden Zeitpunkt
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der Übernahme des Ruders am frühen Morgen nach mehrstündiger Wartezeit,
den Nebel und die anspruchsvolle Strecke verweist, vermag dies den Beklagten
nicht zu entlasten. Der Beklagte ist aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und
Fähigkeiten Lotse für den Oberrhein und als solcher zum Zwecke der Verringerung der Risiken bei der Fahrt von Iffezheim nach Speyer verpflichtet worden.
Der Komplexität der ihm übertragenen Aufgabe und der Größe der möglichen
Gefahren entspricht das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. BGH, Urteile
vom 21. April 1977 - III ZR 200/74, VersR 1977, 817, 818; vom 8. Juli 1992
- IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147, 151). Insbesondere verpflichteten den Beklagten gerade die von der Revision genannten Umstände und das sich daraus ergebende erhöhte Gefahrenpotential im Zeitpunkt der Übernahme des Ruders
zur gewissenhaften Selbstprüfung, ob er den hohen Anforderungen gewachsen
war (vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 1987 - VI ZR 280/86, VersR 1988, 388
zur Selbstprüfung eines Kraftfahrers). Sollte er das Ruder übernommen haben,
obwohl er aufgrund der von der Revision genannten Umstände überfordert war,
so hätte er seine Pflicht zur Selbstprüfung vor Übernahme des Ruders grob
fahrlässig verletzt (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 7
U 58/03, BeckRS 2003, 18187).
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Ebenso wenig verfängt der Einwand der Revision, es sei nicht festgestellt, dass der Beklagte den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs auf dem
GPS-basierten Tresco habe verfolgen können. Sollte dies notwendig, dem Beklagten aber nicht möglich gewesen sein, hätte es an ihm gelegen, sich als
Schiffsführer die zur sicheren Navigation des Schiffes notwendigen Informationen zu beschaffen und durch die Anpassung der Fahrweise, gegebenenfalls
sogar durch den Abbruch der Fahrt, zu reagieren. Jedenfalls aber hätte ihn der
Hinweis des den Tresco-Bildschirm beobachtenden Zeugen D. auf die kritische
Kurswahl zu einer Reaktion veranlassen müssen.
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Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht den Navigationsfehler des Beklagten nicht als geringfügige und kurzfristige Fehleinschätzung im
Sinne eines Augenblickversagens gewertet hat. Der Ausdruck des Augenblickversagens beschreibt den Umstand, dass ein Handelnder für eine kurze Zeit die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, und ist im Übrigen für sich
genommen kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit
gegeben sind (BGH, Urteil vom 8. Juli 1992 - IV ZR 223/91, aaO, 149). Angesichts der festgestellten Zeitspanne von 49 Sekunden zwischen der Kursänderung auf das Buhnenfeld hin und der Kollision mit der ersten Buhne sowie des
Hinweises durch den Zeugen D. begegnet die Verneinung eines Augenblickversagens keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
27
3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das
Berufungsgericht dem Grunde nach die volle Haftung des Beklagten bei festgestellter grob fahrlässiger Herbeiführung der Havarie als gegeben ansieht. Das
bestehende Lotsenprivileg infolge entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3
SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37)
reduziert die Inanspruchnahmemöglichkeit eines Binnenlotsen auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Die entsprechende Anwendung
des § 21 Abs. 3 SeelotsG basiert bereits - teilweise vergleichbar den Beweggründen für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung durch die Rechtsprechung (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - GS 1/89, BAGE 70,
337, 342 f.) - darauf, dass das wirtschaftliche Risiko einer Pflichtverletzung die
Leistungsfähigkeit der einzelnen Lotsen übersteigt, in den Lotsgebühren kein
angemessenes Äquivalent findet und nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien
versicherbar erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, aaO,
38; vgl. auch BT-Drucks. 10/925, S. 3).
- 13 -
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Eine Ausweitung des Lotsenprivilegs durch eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer
unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit selbst bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nach geltendem Recht nicht zulässig. Der Senat verkennt dabei nicht die vom Berufungsgericht festgestellte, nach wie vor
bestehende Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den durch Verordnung festgesetzten Lotsgebühren.
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Die Einbeziehung des Binnenlotsen in den Anwendungsbereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde voraussetzen, dass er vergleichbar einem Arbeitnehmer in den Betrieb seines Auftraggebers, des Schiffseigners,
eingegliedert ist. Rechtfertigung für die in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung und Mithaftung des Arbeitgebers ist die Organisations- und Personalhoheit des Arbeitgebers, der die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers entspricht. Der Arbeitgeber bestimmt durch die Organisation des Betriebes, die Festlegung der
Abläufe und die Einwirkung auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere
durch Ausübung seines Weisungsrechts, einseitig die Schadensexposition und
damit das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, weshalb er sich die so von ihm
selbst geschaffenen Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen
lassen muss (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - GS 1/89, BAGE
70, 337, 342 f.). Demgegenüber fehlt es an einer vergleichbaren Steuerung der
Tätigkeit des Binnenlotsen durch dessen Auftraggeber.
30
Der Lotse übt seit jeher eine selbständige Tätigkeit aus (BGH, Urteil vom
28. September 1972 - II ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 247 f.; vgl. auch § 21 Abs. 1
SeelotsG). Weder durch die Eintragung des Lotsen in das Bordbuch noch durch
die vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Pflicht zur Übernahme von
Befehl und Ruder (§ 14 Abs. 3 RheinLotsO) wird der Lotse zum Teil der Besat-
- 14 -
zung und damit zum Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich Beschäftigten
(BGH, aaO).
31
Auch im Übrigen fehlt die notwendige Vergleichbarkeit. Abgesehen davon, dass im Streitfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten von der
Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht festgestellt ist, unterliegt der Oberrheinlotse keinem Weisungsrecht durch den Auftraggeber, das dem des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vergleichbar wäre. Er wird beauftragt, um
die mit der entsprechenden Schifffahrtsstrecke verbundenen Schadensrisiken
zu begrenzen. Die Schadensrisiken, denen er sich (und andere) bei Ausübung
seiner Lotsentätigkeit aussetzt, werden im Hinblick auf seine Eigenverantwortlichkeit wesentlich durch ihn selbst mitbestimmt.
32
Der Schiffseigner engagiert den Lotsen als externen und unabhängigen
Berater (vgl. § 14 Abs. 1 RheinLotsO), üblicherweise für einen schwierigen und
risikoreichen Teil der Schifffahrtsstraße, um mit dessen besonderem Sachverstand und dessen besonderen Streckenkenntnissen das Risiko von Havarien zu
verringern. Er überlässt dem Lotsen die Art und Weise, wie er seiner Aufgabe
nachkommt, zu eigener Verantwortung. Das gilt auch und gerade dann, wenn
dem Lotsen nach § 14 Abs. 3 RheinLotsO Befehl und Ruder übertragen werden. Der Lotse hat das Schiff dann als verantwortlicher Schiffsführer selbständig zu führen. Der Kapitän ist zwar frei, dem Lotsen das Steuer jederzeit wieder
zu entziehen. Dies ist aber allein Ausdruck der Freiheit, die Beratung oder
Schiffsführung durch einen Lotsen jederzeit anzunehmen oder abzulehnen,
nicht aber Ausfluss einer Weisungsbefugnis; denn für die Ausübung der Tätigkeit selbst können dem Lotsen keine Weisungen erteilt werden (BGH, Urteil
vom 28. September 1972 - II ZR 6/71, aaO, 249). Eine andere Bewertung ergibt
sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Lotse auf Verlangen des
Schiffsführers zur Übernahme von Befehl und Ruder verpflichtet ist. Die in der
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Praxis der Binnen- und Seelotsen verbreitete Übung, dass der Lotse selbst die
Manövrierelemente des Schiffs bedient und Anordnungen gegenüber der
Mannschaft trifft, setzt die RheinLotsO zwar als Übernahmepflicht des Lotsen
um. Der Übernahmepflicht liegen aber schifffahrtspolizeiliche und nicht arbeitsrechtliche Erwägungen zugrunde. Ihre Begründung findet sie in der Gefährlichkeit des kurvenreichen und fließenden Gewässers und dem erhöhten Risiko
einer Havarie bei zeitverzögerten Reaktionen aufgrund längerer Kommandoketten.
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Über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffs hinaus wird die
Risikoexposition des Binnenlotsen - anders als beim Arbeitnehmer - nicht wesentlich durch Vorgaben des Auftraggebers, denen sich der Lotse unterwerfen
müsste, sondern wesentlich durch die eigenbestimmte Aufgabenerledigung des
Lotsen bestimmt.
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Anlass, Zweck, Art und Qualität der Dienstleistung eines Binnenlotsen
stehen der Übertragung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung und einer
Quotierungsmöglichkeit in Fällen grober Fahrlässigkeit entgegen. Der Binnenlotse wird durch Beschränkung seiner Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG sowie durch die grundsätzliche Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung gemäß § 5i BinSchG vor
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übermäßigen Haftungsrisiken geschützt. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten,
gegebenenfalls einen weitergehenden Schutz zu schaffen.
Galke
Wellner
Offenloch
von Pentz
Müller
Vorinstanzen:
AG Kehl, Entscheidung vom 16.06.2014 - 4 C 357/12 RSchG OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 27.04.2015 - 22 U 1/14 RhSch -