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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 248/10
Verkündet am:
11. Oktober 2011
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SGB VII § 106 Abs. 3 Fall 3
Zu den Voraussetzungen der gemeinsamen Betriebsstätte.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 248/10 - OLG Schleswig
LG Lübeck
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll,
die Richterin Diederichsen, den Richter Pauge und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom
9. September 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision und der Streithelferin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger verlangt materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und
die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für die Folgen eines Unfalls.
2
Der Kläger ist bei der Streithelferin angestellter Schiffbauer. Der Beklagte ist Eigner des Binnenschiffes "MS V.
". Das Schiff lag seit
20. November 2006 zur Durchführung verschiedener Arbeiten auf der Werft der
Streithelferin. Die Werft sollte u.a. einen neuen Schiffsboden aus Stahlplatten
einziehen, wobei sich der Beklagte Arbeiten zur Erledigung in Eigenregie vor-
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behielt. Am 23. November 2006 gegen 8.20 Uhr versuchte der Beklagte die Luke über dem Laderaum 2 mit einem Lukendeckel zu schließen. Dabei verrutschte der Lukendeckel und fiel auf den Kläger, der etwa 3,5 m unterhalb der
Lukenöffnung im Innenraum des Schiffes arbeitete. Der Beklagte macht geltend, er sei durch einen Werftarbeiter aufgefordert worden, den Deckel zu
schließen, um die Arbeiter im Lagerraum vor Regen zu schützen. Der Kläger
erlitt schwere Verletzungen, derentwegen die Berufsgenossenschaft Metall
Nord Süd Leistungen erbringt.
3
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Betreiberin der Werft ist mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2007, eingegangen bei
Gericht am 26. Oktober 2007, auf Seiten des Klägers als Streithelferin dem
Rechtsstreit beigetreten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht hat Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten
verneint, weil diesem die Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3,
§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zugutekomme. Für den Kläger handle es sich um
einen gesetzlich versicherten Arbeitsunfall. Dem Beklagten komme die Haftungsfreistellung nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII als versichertem Unternehmer zugute. Er habe zusammen mit dem Kläger eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet. Bereits nach den
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Vereinbarungen zu den Werkleistungen der Werft und den Eigenleistungen des
Klägers sei nicht lediglich ein zufälliges Nebeneinander des Handelns der Parteien im Bereich des Schiffes anzunehmen. Die Eigenarbeiten des Beklagten
und die Auftragsarbeiten der Werft, mithin die Arbeitstätigkeit des Klägers, seien aufeinander bezogen, miteinander verknüpft und auf gegenseitige Ergänzung ausgerichtet gewesen; so sei die Entfernung der Holzstrau, die der Beklagte in Eigenarbeit vorgenommen habe, Voraussetzung für das nachfolgende
Einziehen der Stahlplatten durch die Mitarbeiter der Werft gewesen; die Tätigkeiten hätten sich mithin gegenseitig ergänzt. Auf eine vorübergehende Eingliederung in den anderen Betrieb komme es nicht an. Das Verschieben des Lukendeckels habe jedenfalls aus der Sicht des Beklagten eine Hilfeleistung für
die Mitarbeiter der Werft dargestellt. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte mit dem Versetzen des Lukendeckels für die Werft bzw. für den Kläger
tätig werden wollte, um die Arbeiter im Schiffsinneren vor dem einsetzenden
Regen zu schützen. Ausreichend sei, dass die Arbeitsstätte des Beklagten im
Einflussbereich des Unfallbetriebes liege.
II.
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Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten komme das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugute, erweist sich als rechtsfehlerhaft.
6
1. Die Revision wendet sich - als ihr günstig - nicht dagegen, dass sich
das Berufungsgericht zu den materiellen Haftungsvoraussetzungen gemäß
§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 249 ff. BGB nicht geäußert hat. Hierzu bestand
aus Sicht des Berufungsgerichts auch keine Veranlassung. Sie rügt jedoch mit
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Recht, dass das Berufungsgericht die Haftungsprivilegierung des Beklagten
gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII bejaht hat.
7
a) Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass
die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII dem Unternehmer
als Schädiger nur dann zugute kommt, wenn er im Zeitpunkt der Schädigung
selbst Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war (ständige Rechtsprechung vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209,
212 f.; vom 16. Dezember 2003 - VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216; vom
25. Juni 2002 - VI ZR 279/01, VersR 2002, 1107; vom 29. Oktober 2002 - VI ZR
283/01, VersR 2003, 70, 71; vom 14. September 2004 - VI ZR 32/04, VersR
2004, 1604, 1605; vom 14. Juni 2005 - VI ZR 25/04, VersR 2005, 1397, 1398;
vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn. 17 und vom 17. Juni
2008 - VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn. 11, 17). Es hat hierzu aber keine Feststellungen getroffen. Soweit die Revisionserwiderung den Beitragsbescheid für
2009 in der Anlage zur Revisionserwiderungsschrift vorgelegt hat, besagt dieser
nichts für die Versicherteneigenschaft im fraglichen Zeitraum des Jahres 2006.
Auf die Frage, ob der Bescheid für 2009 in der Revisionsinstanz überhaupt zu
berücksichtigen ist, kommt es schon deshalb nicht an.
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b) Der erkennende Senat teilt auch nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es zum Unfall bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit
der Parteien auf einer gemeinsamen Betriebsstätte gekommen sei. Zwar legt
das Berufungsgericht der Prüfung die zutreffende Definition der gemeinsamen
Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugrunde. Es gibt
auch zutreffend die Merkmale wieder, die nach ständiger Rechtsprechung des
erkennenden Senats für die "gemeinsame" Betriebsstätte prägend sind.
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aa) Doch lässt das Berufungsgericht außer Betracht, dass im Streitfall
die Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation fehlt, die die "gemeinsame" Betriebsstätte entscheidend kennzeichnet
(vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2001 - VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373;
vom 14. September 2004 - VI ZR 32/04, aaO S. 1604 f.; vom 8. Juni 2010
- VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 14, 16; vom 1. Februar 2011 - VI ZR
227/09, VersR 2011, 500 Rn. 7 und vom 10. Mai 2011 - VI ZR 152/10, VersR
2011, 882 Rn. 12). Die Beurteilung, ob in einer Unfallsituation eine "gemeinsame Betriebsstätte" vorlag, muss sich auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen
(vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 2011 - VI ZR 227/09, aaO Rn. 7 und 9). Es
kommt darauf an, dass in der konkreten Unfallsituation eine gewisse Verbindung der Tätigkeiten als solchen, die sich als bewusstes Miteinander im Betriebsablauf darstellt und im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander
bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet ist, gegeben ist. Der Haftungsausschluss nach § 106
Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (vgl.
dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2003 - VI ZR 103/03, aaO S. 218 mwN).
Er knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als
solchen in der konkreten Unfallsituation gegeben ist (vgl. Senatsurteile vom
23. Januar 2001 - VI ZR 70/00, aaO; vom 14. September 2004 - VI ZR 32/04,
aaO; vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, aaO Rn. 14; vom 1. Februar 2011
- VI ZR 227/09, aaO und vom 10. Mai 2011 - VI ZR 152/10, aaO).
10
Nach den Umständen des Streitfalls ist bezogen auf den Unfallzeitpunkt
ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken des Klägers mit
dem Beklagten nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der
Beklagte versuchte, einen Lukendeckel über die Luke zu fahren, während der
Kläger mit dem Einbau des Stahlbodens befasst war. Selbst wenn der Beklagte
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die Luke im Hinblick auf den einsetzenden Regen verschließen wollte, war der
Kläger zur Erbringung seiner Arbeiten darauf weder angewiesen noch hingen
die Werkleistungen der übrigen Mitarbeiter der Streithelferin davon ab, dass die
Luke geschlossen würde. Es fehlt sowohl das notwendige Miteinander im Arbeitsablauf als auch der wechselseitige Bezug der betrieblichen Aktivitäten. Ein
Zusammenwirken der Parteien im konkreten Arbeitsvorgang war zu diesem
Zeitpunkt nicht gegeben. Die Tätigkeit des Beklagten war nicht in einem faktischen Miteinander mit der des Klägers aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet, so
dass die für eine "gemeinsame Betriebsstätte" typische Gefahr bestanden hätte, dass sich die Parteien bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt in die
Quere kommen konnten (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2003
- VI ZR 103/03, aaO S. 217).
11
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die "gemeinsame Betriebsstätte" nicht durch vertragliche Vereinbarungen und deren Erfüllung begründet. Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen führen, spielen für die
Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine maßgebliche
Rolle. Zwar kann die notwendige Arbeitsverknüpfung im Einzelfall auch dann
bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen und unterstützen, die
gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe
aber eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete
Absprachen getroffen werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein zeitliches
und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. Senatsurteile vom 17. Juni 2008 - VI ZR 257/06, aaO
Rn. 19; vom 8. April 2003 - VI ZR 251/02, VersR 2003, 904, 905; vom 13. März
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2007 - VI ZR 178/05, aaO Rn. 22 und vom 8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, aaO
Rn. 16 und vom 1. Februar 2011 - VI ZR 227/09, aaO Rn. 10; Senatsbeschluss
vom 23. Juli 2002 - VI ZR 91/02, BGHZ 152, 7, 9). Eine solche Verständigung
über ein bewusstes Nebeneinander im Arbeitsablauf hat es im Streitfall nach
den getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht gegeben.
Vielmehr verständigten sich die Streithelferin und der Beklagte über einen sukzessiven Arbeitsablauf. Der Beklagte war in den Ablauf der Werftarbeiten nicht
eingebunden, daran beteiligt oder auch nur davon berührt. Eine Gefahr, dass
der Kläger bei seinen Tätigkeiten dem Beklagten einen Schaden zufügen könnte, war wegen des fehlenden Miteinanders des Arbeitsablaufs rein theoretischer
Natur. Dies reicht nicht aus, um die für eine gemeinsame Betriebsstätte erforderliche typische Gefahrengemeinschaft anzunehmen (vgl. Senatsurteil vom
8. Juni 2010 - VI ZR 147/09, aaO).
12
3. Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben und die Sache zu
neuer Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht erhält damit Gelegenheit, dem Vortrag des Beklagten nachzugehen, dass das Verschieben des Lukendeckels aus seiner Sicht eine Hilfeleistung für die Arbeiter der Streithelferin war. Hätte der Beklagte ausschließlich im
Interesse der Streithelferin deren Beschäftigten Hilfe geleistet, wäre zu prüfen,
ob er im Zeitpunkt des Unfalls "wie ein Beschäftigter" der Streithelferin tätig und
mithin gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung im Unternehmen der Streithelferin war (vgl. Senatsurteil vom
23. März 2004 - VI ZR 160/03, VersR 2004, 1045, 1046 f.). Auf der Grundlage
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der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann dies nicht beurteilt
und eine daraus etwa folgende Haftungsprivilegierung nach § 105 Abs. 1 Satz 1
SGB VII nicht ausgeschlossen werden.
Galke
Zoll
Pauge
Diederichsen
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Lübeck, Entscheidung vom 23.02.2009 - 10 O 122/07 OLG Schleswig, Entscheidung vom 09.09.2010 - 7 U 33/09 -