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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 241/09
Verkündet am:
19. Oktober 2010
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 1 Aa, Dd
Ist dem behandelnden Arzt ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht
bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft aber nicht in seinem
Fachgebiet diskutiert wird, entfällt die Haftung des Arztes mangels schuldhafter
Pflichtverletzung.
BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 241/09 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll
und Wellner sowie die Richterinnen Diederichsen und von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 9. Juli 2009 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere immaterielle Schäden im Zusammenhang mit einer am 8. Oktober 2003 von der Beklagten zu 2 im Krankenhaus
der Beklagten zu 1 anlässlich einer Krampfadernoperation bei ihr durchgeführten Spinalanästhesie in Anspruch. Nach dem Eingriff bildeten sich im Schädel
der Klägerin subdurale Hygrome (Flüssigkeitsergüsse). Diese wurden auf den
am 13. Dezember 2003 in der Rettungsstelle der Beklagten zu 1 gefertigten CT-
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Bildern nicht erkannt, sondern erst am 15. Dezember 2003 in der Notaufnahme
eines anderen Krankenhauses. Die Klägerin wurde daraufhin am 16. Dezember
2003 am Kopf operiert.
2
Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Beklagte zu 2 die
Klägerin im Rahmen der Aufklärung über die Risiken der Spinalanästhesie auf
die Möglichkeit der Bildung eines Hygroms hätte hinweisen müssen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu 1 wegen der
Verzögerung der Operation infolge fehlerhafter Auswertung der Computertomographie vom 13. Dezember 2003 verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld
in Höhe von 200 € zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu
ihrem Nachteil entschieden hat.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage der Ausführungen des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. B. zu dem Ergebnis gelangt, dass eine schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der bei der Klägerin vorgenommenen Spinalanästhesie nicht vorliege. Zwar sei nach den Angaben des Sachverständigen grundsätzlich eine Aufklärung des Patienten über
das Risiko eines subduralen Hygroms bzw. Hämatoms nach einer Spinalanästhesie erforderlich, weil die Entstehung von cerebralen Hygromen im Gefolge
einer Spinalanästhesie ein eingriffsspezifisch-typisches Risiko dieser Anästhe-
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siemethode sei. Durch eine Punktion der Dura bei einer Rückenmarksnarkose
oder einer Lumbalpunktion könne ein Liquorunterdrucksyndrom entstehen, das
zu postspinalen Kopfschmerzen - wie sie auch bei der Klägerin aufgetreten seien - und in seltenen Fällen zu einem subduralen Hygrom führe. Das Auftreten
eines subduralen Hygroms mit dem Erfordernis einer Kopfoperation und der
Gefahr von Dauerschäden führe zu einer erheblichen Belastung des Patienten,
so dass dieser unabhängig von der geringen Häufigkeit des Auftretens dieser
Komplikation über das entsprechende Risiko aufzuklären sei. Das Unterlassen
einer entsprechenden Aufklärung der Klägerin sei einem im Krankenhausbereich eingesetzten Anästhesisten im Oktober 2003 allerdings noch nicht vorwerfbar gewesen. Prof. Dr. B. habe dargelegt, dass die Problematik eines Zusammenhangs zwischen Spinalanästhesie und subduralen Hygromen bzw.
Hämatomen im Oktober 2003 unter Anästhesisten nahezu unbekannt gewesen
sei. Zwar habe der Sachverständige eingeräumt, dass in der medizinischen Literatur teilweise ein Zusammenhang zwischen Punktionen der Dura und dem
Auftreten subduraler Hygrome/Hämatome erwähnt worden sei, jedoch behandle
nur eines von drei der vom Sachverständigen als Standardlehrbücher bezeichneten Werke die Komplikation. Auch habe der Sachverständige überzeugend
darauf verwiesen, dass das Risiko bei der im Fachbereich der Neurologie
durchgeführten Lumbalpunktion wegen der dort verwendeten Nadeln mit wesentlich größerem äußeren Durchmesser erheblich höher sei als bei der Spinalanästhesie, so dass dies die entsprechende Sensibilisierung und literarische
Aufbereitung des Risikos in diesem Fachbereich erkläre. Ob in einem anderen
Fachbereich bei einer ähnlich gelagerten Problematik eine Kenntnis gefordert
werden müsse, sei jedoch unerheblich, da von einem Arzt nicht verlangt werden
könne, dass er sämtliche medizinischen Fachbereiche bis in ihre Feinheiten
hinein beherrsche. Darüber hinaus sei auch der Nachweis der Kausalität der
Spinalanästhesie für das Auftreten der subduralen Hygrome bei der Klägerin
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nicht geführt worden. Zwar wäre im Falle einer unzureichenden Aufklärung bereits die Durchführung der Spinalanästhesie widerrechtlich erfolgt, mithin als
Primärschädigung die Punktion der Dura der Klägerin anzusehen. Auch nach
dem Beweismaß des § 287 ZPO stehe aber die Kausalität des Eingriffs für die
Entstehung der subduralen Hygrome bei der Klägerin nicht zur Überzeugung
des Berufungsgerichts fest. Der Sachverständige Prof. Dr. B. habe im Rahmen
seiner Anhörung angegeben, eine Kausalität sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, auch im Bereich darunter sei eine
Kausalität rein spekulativ. Es komme auch eine zufällig zeitgleiche Bildung des
Hygroms im Zusammenhang mit einer Spinalanästhesie in Betracht und werde
in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben. Zudem habe nach den Angaben des Sachverständigen eine entsprechende Disposition bei der Klägerin bestanden. Auch aus dem Umstand, dass bei der Klägerin eine Liquorleckage an
einer anderen Stelle der Dura nicht festgestellt worden sei, lasse sich nicht auf
eine Kausalität zwischen der Spinalanästhesie und dem subduralen Hygrom
schließen. Der Sachverständige habe ausdrücklich ausgeführt, dass sich eine
spontan entstandene Leckage zumeist von selbst wieder verschließe. Eine andere Beurteilung lasse sich auch nicht den Ausführungen des weiteren Sachverständigen Prof. Dr. R. entnehmen, da dieser (fälschlicherweise) davon ausgegangen sei, die Kausalität sei zwischen den Parteien unstreitig. Was die fehlerhafte Auswertung der Computertomographie vom 13. Dezember 2003 im
Hause der Beklagten zu 1 anbelange, habe der Sachverständige Prof. Dr. R.
nachvollziehbar dargetan, dass die dadurch bedingte zeitliche Verzögerung der
Kopfoperation um einen Zeitraum von zweieinhalb Tagen hinaus keine weiteren
nachteiligen Folgen für die Klägerin gehabt habe. Für die Verzögerung als solche sei ein Schmerzensgeld von 200 € angemessen.
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II.
5
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Die bisherigen Feststellungen
reichen nicht aus, um eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Pflicht
zur Aufklärung über das Risiko des Entstehens eines subduralen Hygroms bzw.
Hämatoms nach einer Spinalanästhesie zu verneinen.
6
1. Das Berufungsurteil entspricht in seinem rechtlichen Ausgangspunkt
allerdings der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 11 f.):
7
Danach muss der Patient "im Großen und Ganzen" wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb
der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich
für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben
und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss
eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch
mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen
oder zu verschlimmern (vgl. Senatsurteile vom 7. Februar 1984 - VI ZR 174/82,
BGHZ 90, 103, 106, 108 und vom 15. Februar 2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144,
1, 5). Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich
das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. Senatsurteile vom 7. Februar 1984
- VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 107; vom 15. Februar 2000 - VI ZR 48/99,
- 7 -
BGHZ 144, 1, 5 f.; vom 2. November 1993 - VI ZR 245/92, VersR 1994, 104,
105; vom 21. November 1995 - VI ZR 341/94, VersR 1996, 330, 331 und vom
6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 11).
Aufzuklären ist nur über bekannte Risiken. War ein Risiko im Zeitpunkt
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der Behandlung noch nicht bekannt, besteht keine Aufklärungspflicht. War es
dem behandelnden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt
sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt die Haftung des
Arztes
mangels
schuldhafter
Pflichtverletzung
(vgl.
Senatsurteile
vom
12. Dezember 1989 - VI ZR 83/89, VersR 1990, 522, 523; vom 21. November
1995 - VI ZR 329/94, VersR 1996, 233; Kurzbegründung im Nichtannahmebeschluss des Senats vom 26. September 1995 - VI ZR 295/94, zum Urteil des
OLG Düsseldorf VersR 1996, 377, 378; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht,
6. Aufl., C Rn. 46; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl.,
V B Rn. 24).
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2. Das Berufungsgericht ist zwar nach den vorstehenden Grundsätzen
ohne Rechtsfehler auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. B. zu der Überzeugung gelangt, dass die Entstehung eines subduralen Hygroms bzw. Hämatoms als Folge einer Spinalanästhesie ein typisches, eingriffsspezifisches Risiko dieser Anästhesiemethode ist, im Falle eines Hygroms oder Hämatoms eine Kopfoperation notwendig
werden kann und die Gefahr von Dauerschäden besteht. Dies belastet die weitere Lebensführung des Patienten erheblich und stelle deshalb unabhängig von
der relativ geringen Eintrittswahrscheinlichkeit ein aufklärungspflichtiges Risiko
dar. Die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Aufklärungspflicht
nicht verletzt worden ist, weil einem Anästhesisten im Krankenhausbereich das
Risiko eines subduralen Hygroms bzw. Hämatoms im Oktober 2003 nicht hätte
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bekannt sein müssen, wird jedoch von den getroffenen Feststellungen nicht
getragen.
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a) Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung dem Tatrichter vorbehalten, an
dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO gebunden ist.
Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009
- VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 5 m.w.N.; und Senatsurteil vom 6. Juli
2010 - VI ZR 198/09, aaO Rn. 14). Die rechtliche Wertung, ob eine Aufklärungspflichtverletzung vorliegt, ist zwar Aufgabe des Richters, der sich hierzu in
der Regel sachverständiger Hilfe bedienen muss. Das Gericht darf sich dabei
aber nicht über Widersprüche oder Unklarheiten in den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen hinwegsetzen. Unklarheiten und Zweifel bei den
Bekundungen des Sachverständigen muss es durch eine gezielte Befragung
klären. Andernfalls bietet der erhobene Sachverständigenbeweis keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung (vgl. Senatsurteile vom 27. März 2001 - VI ZR 18/00, VersR 2001, 859, 860 m.w.N.; und vom
6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, aaO).
11
b) Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass im Streitfall die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. teilweise unklar und nicht frei von
Widersprüchen sind.
12
Der Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Berufungsgericht
auf Vorhalt der von der Klägerin bezeichneten Literatur eingeräumt, dass "Lehrbücher" - mithin nicht nur das von ihm zitierte - durchaus den Problembereich
- 9 -
behandelten und dass man "möglicherweise" auch als Anästhesist, der im Krankenhaus tätig sei, darüber informiert sein müsse. Die Frage sei für ihn nur, ob
es sich dabei tatsächlich um ein eingriffsspezifisch-typisches Risiko einer Spinalanästhesie handele, weil die Komplikationswahrscheinlichkeit sehr gering
sei. Diese Frage sei aber, wie er bereits in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt habe, aus seiner Sicht zu bejahen.
13
Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. bleibt
letztlich unklar, ob einem mit einem solchen Eingriff befassten Anästhesisten
das aufklärungspflichtige Risiko eines subduralen Hygroms bzw. Hämatoms im
Oktober 2003 hätte bekannt sein müssen. Sie bilden mithin keine geeignete
Grundlage für eine Verneinung des Verschuldens durch das Berufungsgericht.
14
c) Darüber hinaus hat sich das Berufungsgericht nicht vollständig mit den
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. auseinandergesetzt.
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Der Sachverständige hat bestätigt, dass es sich bei der Lumbalpunktion
und der Spinalanästhesie um praktisch identische Verfahren handele, wobei die
Lumbalpunktion im Fachbereich der Neurologie lediglich mit Nadeln mit wesentlich größeren äußeren Durchmessern durchgeführt werde. Die Verwendung
dünnerer Nadeln zur Spinalanästhesie ändere jedoch an dem eigentlichen
Problem nichts, weil auch in diesen Fällen eine Öffnung des Liquorraums mit
den beschriebenen Nachteilen erfolge, nämlich u.a. des Nachflusses. Dadurch
werde lediglich das Risiko von Komplikationen im Prinzip verringert.
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Ist damit bereits aufgrund der anatomischen Verhältnisse davon auszugehen, dass bei Punktionen der Dura die Gefahr entsprechender Komplikationen besteht, dann durfte das Berufungsgericht mangels eigener Sachkunde
nicht ohne weitere Klärung annehmen, dass es für die Frage der für den Fach-
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bereich der Anästhesie zu fordernden Kenntnis von Risiken unerheblich sei, wie
sich der Eingriff neurologisch auswirkt.
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3. Weitere Feststellungen zu der Frage, ob ein Facharzt für Anästhesie
im Oktober 2003 das entsprechende Risiko kennen musste, sind auch nicht
deshalb entbehrlich, weil das Berufungsgericht im Rahmen einer Hilfsbegründung ausführt, dass seitens der Klägerin der Nachweis der Kausalität der bei ihr
durchgeführten Spinalanästhesie für das Auftreten der subduralen Hygrome
nicht geführt worden sei.
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a) Zwar gilt im Streitfall für die Überzeugungsbildung des Gerichts über
den Kausalzusammenhang zwischen Spinalanästhesie und dem Auftreten subduraler Hygrome - wie das Berufungsgericht zutreffend angedeutet, letztlich
aber offen gelassen hat - der Beweismaßstab des § 287 ZPO, weil die Primärschädigung bei fehlerhafter Aufklärung bereits in dem mangels wirksamer Einwilligung per se rechtswidrigen Eingriff als solchem liegt (vgl. Senatsurteile vom
29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115; vom 15. März 2005
- VI ZR 313/03, VersR 2005, 836; und vom 13. Januar 1987 - VI ZR 82/86,
VersR 1987, 667; Geiß/Greiner, aaO Rn. C 147, 149).
19
b) Das Berufungsgericht hat jedoch bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs für den Folgeschaden einen zu strengen Maßstab angelegt und entscheidungserhebliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt.
20
aa) Das Berufungsgericht hat im Streitfall letztlich offen gelassen, ob zugunsten der Klägerin das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO eingreift, weil
es nach dem Ergebnis seiner Beweisaufnahme auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Ursächlichkeit der Spinalanästhesie vom Oktober 2003
für die Bildung der Hygrome sieht. Der Sachverständige habe im Rahmen sei-
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ner Anhörung hierzu angegeben, eine Kausalität sei nicht mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, auch im Bereich darunter sei eine
Kausalität rein spekulativ. Es komme auch eine zufällig zeitgleiche Bildung des
Hygroms in Betracht und werde in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.
Auch aus dem Umstand, dass bei der Klägerin eine Liquorleckage an einer anderen Stelle der Dura nicht festgestellt worden sei, lasse sich nicht auf eine
Kausalität zwischen der Spinalanästhesie und den subduralen Hygromen
schließen. Der Sachverständige habe im Rahmen seiner Anhörung ausdrücklich ausgeführt, dass sich eine spontan entstandene Leckage zumeist von
selbst wieder verschließe.
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bb) Diese Ausführungen legen nahe, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt hat. Selbst nach dem
strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen
Kausalitätsnachweises und auch keiner "mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit", vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad
von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig
auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ
53, 245, 256; Senatsurteile vom 9. Mai 1989 - VI ZR 268/88, VersR 1989, 758,
759; vom 18. Januar 2000 - VI ZR 375/98, VersR 2000, 503, 505; und vom
12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 11). Für den Nachweis
der haftungsausfüllenden Kausalität kann nach dem Beweismaß des § 287
ZPO eine überwiegende, Wahrscheinlichkeit genügen (Senatsurteil vom
12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9 m.w.N.).
22
cc) Die Revision rügt darüber hinaus mit Recht, dass das Berufungsgericht bei seiner Würdigung unberücksichtigt gelassen hat, dass nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. B. in seinem schriftlichen Gutachten zwei
Drittel aller weltweit beschriebenen cerebralen subduralen Hygrome bzw. Hä-
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matome ab dem Jahr 2000 aus einer Spinalanästhesie resultiert hätten. Diesen
Widerspruch hätte das Berufungsgericht bei der Anhörung des Sachverständigen, bei der sich dieser hinsichtlich einer Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs offenbar nicht mehr festlegen wollte, aufklären müssen. Bei der
tatrichterlichen Überzeugungsbildung kann im Streitfall neben der Tatsache,
dass nach den Angaben des Sachverständigen cerebrale Hygrome im Gefolge
einer Spinalanästhesie ein eingriffsspezifisch-typisches Risiko dieser Anästhesiemethode darstellen, auch der Umstand eine Rolle spielen, dass postspinale
Kopfschmerzen - wie sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch
bei der Klägerin nach dem Eingriff aufgetreten und im Übrigen auch im Aufklärungsbogen
als
Risiko
erwähnt
worden
sind -
aus
einem
Liquor-
unterdrucksyndrom resultieren, dessen weitere Ausprägung ein subdurales
Hygrom sein kann. Auch die zeitliche Nähe der Komplikation zu dem Eingriff
und das Fehlen möglicher anderer Ursachen können von indizieller Bedeutung
sein.
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Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die tatrichterliche Würdigung bei Berücksichtigung dieser Umstände unter zutreffender Anwendung des
Beweismaßes des § 287 ZPO zu einem anderen, für die Klägerin günstigeren
Ergebnis geführt hätte.
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4. Demgegenüber ist die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die
Beurteilung der Behandlung vom 13. Dezember 2003 im Krankenhaus der Beklagten zu 1 - entgegen der Auffassung der Revision - nicht von Rechtsfehlern
beeinflusst.
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a) Das Berufungsgericht ist in tatrichterlicher Würdigung zu der Überzeugung gelangt, dass die zeitliche Verzögerung der Kopfoperation bei der Klägerin
infolge der fehlerhaften Auswertung der am 13. Dezember 2003 durchgeführten
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Computertomographie um einen Zeitraum von zweieinhalb Tagen hinaus keine
nachgewiesenen nachteiligen Folgen für die Klägerin hatte. Die Revisionserwiderung macht mit Recht geltend, dass entgegen dem Verständnis der Revision
das Berufungsgericht weder die Feststellung getroffen hat, die Beschwerden
der Klägerin seien mit der Operation im Januar 2004 ausgeheilt gewesen, noch
die seitens der Klägerin als aktuell fortbestehend geschilderten gesundheitlichen Probleme negiert hat. Vielmehr hat das Berufungsgericht unter Verweis
auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. ausschließlich die Kausalität zwischen diesen Beschwerden und der zeitlichen Verzögerung der operativen Therapie um zweieinhalb Tage verneint, nachdem er aufgrund eigener Untersuchung der Klägerin festgestellt hatte, dass der klinisch-neurologische Befund bis auf Zeichen einer diabetischen Polyneuropathie im Untersuchungszeitpunkt regelgerecht war, so dass neurologische Folgen des Liquorunterdrucksyndroms nicht mehr nachweisbar gewesen seien.
b) Soweit die Revision darüber hinaus meint, der Klägerin kämen im Zu-
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sammenhang mit der Behandlung vom 13. Dezember 2003 Beweiserleichterungen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats im Zusammenhang
mit unterlassenen Befunderhebungen zu Gute, kann dem nicht beigetreten
werden. Denn nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts wurde am 13. Dezember 2003 die gebotene Befunderhebung in Form
einer Computertomographie durchgeführt. Soweit bei dieser Befunderhebung
die
bestehenden
Hygrome
nicht
erkannt
wurden,
sondern
erst
am
- 14 -
15. Dezember 2003 bei einer Untersuchung in einem anderen Krankenhaus,
handelt es sich lediglich um einen (einfachen) Diagnoseirrtum.
Galke
Zoll
Diederichsen
Wellner
von Pentz
Vorinstanzen:
LG
Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 29.02.2008 - 17 O 29/06 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 09.07.2009 - 12 U 75/08 -