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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 40/15
vom
16. August 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 (Fd)
Die Postausgangskiste eines Prozessbevollmächtigten gehört zu dessen organisatorischem Verantwortungsbereich und ist nicht bereits Teil des Postwegs.
BGH, Beschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 40/15 - OLG Schleswig
LG Kiel
ECLI:DE:BGH:2016:160816BVIZB40.15.0
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. August 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler
und Müller und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts
vom 13. November 2015 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
7.000 €.
Gründe:
I.
1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld und Feststellung
nach einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage
abgewiesen. Gegen das ihm am 28. Juli 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger
rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht begründet worden, übermittelte der Kläger am
12. Oktober 2015 eine auf den 8. September 2015 datierte Berufungsbegründung. Zugleich hat der Kläger beantragt, ihm insoweit Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren.
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Zur Begründung dieses Antrags hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbegründung sei am 8. September 2015 für den Postversand
frankiert und in das Postversandfach gelegt worden. Dort sei sie offensichtlich
hinter das Regal des Postfaches gerutscht und erst im Rahmen der Suche in
Folge des gerichtlichen Hinweises aufgefunden worden. Einzige Erklärung hierfür sei, dass die gelben Postkisten - wie es in letzter Zeit häufiger vorgekommen
sei - derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den
Rand des Postkastens hinausragten.
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Auf den weiteren Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, dass
es an einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Tatsachen ebenso fehle wie an substantiiertem Vortrag
u.a. dazu, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift in einen Umschlag getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll,
hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt, wonach dieser den Schriftsatz am Nachmittag des 8. September
2015 unterschrieben und die Versendung an das Gericht veranlasst habe. Die
Berufungsbegründung sei für den Postversand frankiert und ins Postfach gelegt
worden. Dies sei ihm von seinem Personal versichert worden. Offensichtlich sei
der Brief mit der Berufungsbegründung hinter den Schrank gerutscht. Zwar
könnten eigentlich keine Briefe hinter das Regal gelangen. Allerdings sei es in
letzter Zeit häufiger vorgekommen, dass die Postkisten derart vollgefüllt waren,
dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. November 2015 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt
und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufung nicht innerhalb
der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei. Zur Begründung hat es
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im Wesentlichen ausgeführt, das Wiedereinsetzungsgesuch sei in der Sache
ohne Erfolg. Denn es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufung rechtzeitig zu begründen. Vielmehr stünden Versäumnisse seiner Prozessbevollmächtigten im Raum, die sich
der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Der Kläger habe
nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache der Fristversäumnis außerhalb des
Verantwortungsbereichs seines Prozessbevollmächtigten liege. Zum einen habe der Kläger nicht ausreichend konkret dargelegt und glaubhaft gemacht, dass
die Berufungsbegründungsschrift in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten am 8. September 2015 zum Postversand fertig in das Postausgangsfach
gelegt worden sei. Es fehle insoweit an einer lückenlosen Darlegung des Ablaufs, nämlich wann und von wem die Berufungsbegründung in einen Umschlag
getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll; eine
Glaubhaftmachung unter Nennung von Namen von Kanzleiangestellten und
Vorlage von deren eidesstattlichen Versicherungen sei nicht erfolgt. Im Übrigen
- die Angaben des Klägers als ausreichend konkret zugrunde gelegt - liege aufgrund der bekannten Überfüllung der Postabholkiste ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden vor.
5
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
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Die statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238
Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.
Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss
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gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15,
NJW 2016, 873 Rn. 5 mwN), sind nicht erfüllt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
(§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insbesondere verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1
GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).
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1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger nicht
glaubhaft gemacht hat, dass ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten
an der Fristversäumung, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen
ist und die Wiedereinsetzung ausschließt (§ 233 Satz 1 ZPO), nicht vorliegt.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört
es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein
fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei
dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - IV ZB 40/13, juris Rn. 9; vom 5. Februar 2003
- IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862 unter II 1; vom 18. Dezember 2002 - IV ZB
23/02, NJW-RR 2003, 569 unter II 1; BGH, Beschluss vom 27. November 2013
- III ZB 46/13, juris Rn. 8; Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, VersR
2002, 380 unter II 1; jeweils mwN). Zu diesem Zweck hat er eine Ausgangskontrolle zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen
bietet (BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014,
2388 Rn. 8 f.; vom 16. Dezember 2013 - II ZB 23/12, juris Rn. 10). Geht ein
fristgebundener Schriftsatz verloren, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren, wenn die Partei auf der Grundlage einer aus sich heraus ver-
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ständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur
rechtzeitigen Aufgabe zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres
Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2013
- V ZB 226/12, juris Rn. 9; vom 6. Mai 2015 - VII ZB 19/14, VersR 2016, Rn. 11;
vom 10. September 2015 - III ZB 56/14, WM 2015, 2161 Rn. 14).
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b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor.
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Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers und die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten lassen - trotz entsprechenden Hinweises durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts - bereits einen lückenlosen
Vortrag dazu vermissen, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift
versandfertig gemacht und in die Postausgangskiste gelegt worden ist. Es fehlt
diesbezüglich auch an hinreichender Glaubhaftmachung; der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die ihm insoweit erteilte Auskunft durch das "Personal" ist erkennbar ungenügend. Zutreffend hat das Berufungsgericht zudem ein
dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass nach dessen Schilderung die Postkisten bereits in der Vergangenheit häufiger derart vollgefüllt gewesen seien, dass die
oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
Der Prozessbevollmächtigte wäre gehalten gewesen, zumindest eine weitere
Postkiste vorzuhalten bzw. organisatorisch hierauf hinzuwirken.
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Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dem Kläger könne ein
Verschulden während des Transportvorgangs nicht zugerechnet werden, verkennt sie, dass der Schriftsatz vorliegend noch im organisatorischen Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten, hinter dessen Regal die Beru-
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fungsbegründung gerutscht war, und nicht erst auf dem Transport durch die
Post verlustig gegangen ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verlust von fristwahrenden
Schriftstücken auf dem Postweg (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Februar
1957 - VII ZB 3/57, BGHZ 23, 291, 293; Beschluss vom 6. Mai 2015 - VII ZB
19/14, VersR 2016, 69 Rn. 11) kann die Rechtsbeschwerde daher nichts herleiten.
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2. Die darüber hinaus in der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge,
wonach das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsvorbringen des Klägers
unzutreffend gewürdigt habe, greift nicht durch. Entgegen der Annahme der
Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht nicht davon ausgegangen, dass
bereits in der Vergangenheit Poststücke hinter das Regal gerutscht seien. Der
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Gehörsrüge liegt insoweit ein Missverständnis der diesbezüglich von ihr angegriffenen Stelle in der Begründung des angegriffenen Beschlusses zugrunde.
Galke
Offenloch
Müller
Oehler
Klein
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 24.07.2015 - 8 O 268/12 OLG Schleswig, Entscheidung vom 13.11.2015 - 4 U 97/15 -