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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 12/12
vom
26. Juni 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 Fd
Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt dann nicht zu entlasten,
wenn sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann.
BGH, Beschluss vom 26. Juni 2012 - VI ZB 12/12 - LG Zwickau
AG Hohenstein-Ernstthal
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin
Diederichsen und den Richter Stöhr
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der
6. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 27. Januar 2012
wird auf seine Kosten verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 2.793,84 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Gegen das die Klage abweisende am 14. November
2011 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte des
Klägers mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2011 Berufung beim Landgericht Ch.
eingelegt. Nachdem ihm am 20. Dezember 2011 der richterliche Hinweis zugegangen ist, dass nicht das Landgericht Ch., sondern das Landgericht Z. zuständig ist, hat er die Berufung zurückgenommen. Er hat am 27. Dezember 2011
Berufung beim Landgericht Z. eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand für die versäumte Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung
des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht:
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Die bisher stets zuverlässig und gewissenhaft arbeitende Büroangestellte
C.P. habe die Berufungsschrift an das früher, inzwischen aber nicht mehr zuständige Landgericht Ch. anstatt an das nunmehr zuständige Landgericht Z.
adressiert. Bei der Vorlage des Entwurfs zur Durchsicht und Unterzeichnung
habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers die falsche Adressierung entdeckt. Er habe daraufhin die Angestellte angewiesen, auf der Seite 1 der Berufungsschrift das angerufene Gericht auf das Landgericht Z. abzuändern, und
auf der zweiten Seite unterschrieben. Die - sonst fehlerfrei arbeitende - Angestellte sei aufgrund besonders starker arbeitsmäßiger Belastung dieser Anweisung nicht gefolgt und habe anlässlich der Abholung der Post beim Landgericht
Ch. die nicht geänderte Berufungsschrift selbst in der dortigen Poststelle abgegeben.
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Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27. Januar 2012 die begehrte
Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil dieser die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe. Der Grundsatz, dass ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht
gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher
als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung erteile, die bei
Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, gelte dann nicht, wenn der
Rechtsanwalt von der ihm selbst ohne Weiteres möglichen Beseitigung eines
von ihm erkannten Fehlers absehe. Der einzige und gravierende Fehler des
Berufungsschriftsatzes bei der Benennung des richtigen Berufungsgerichts hätte nach seiner behaupteten Entdeckung durch eine handschriftliche Korrektur
der ersten Seite des einzureichenden Schriftsatzes und/oder durch den (nachfolgenden) Austausch dieser Seite unschwer korrigiert werden können. Diese
Möglichkeit der Selbstkorrektur durch den Rechtsanwalt ohne jeden Aufwand
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setze den Vertrauensgrundsatz außer Kraft (BGH, Beschluss vom 17. August
2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122).
II.
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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig.
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1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in
seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen
Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)
noch dessen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen
an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die
nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003,
437; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713
Rn. 6; vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 5, jeweils
mwN).
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2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
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a) Zwar darf der Rechtsanwalt, der einer Kanzleiangestellten, die sich
bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die
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bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie die konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. hierzu etwa Senatsbeschlüsse vom 13. April 2010 - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 6; vom
9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, VersR 2005, 138 und BGH, Beschluss vom
30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 10 mwN). Danach durfte
der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich darauf verlassen, dass seine Angestellte den konkreten Einzelauftrag, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen und dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen,
ordnungsgemäß ausführen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember
2003 - VI ZB 26/03 und BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08,
jew. aaO mwN). Dem Prozessbevollmächtigten kann nicht als Verschulden angelastet werden, dass er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich
gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April
2010 - VI ZB 65/08 aaO, Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - III ZB
54/08, aaO Rn. 9; vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02, NJW-RR 2003, 934,
935; vom 4. November 1981 - VIII ZB 59 und 60/81, VersR 1982, 190). Auch
traf ihn nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner
Weisung zu vergewissern. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass der Prozessbevollmächtigte bei
einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, die Vornahme einer einfachen Berichtigung der falschen Adressierung zu kontrollieren
habe (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, aaO Rn. 10).
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b) Im Streitfall kommt es auch nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt das
Anschriftenfeld selbst hätte handschriftlich berichtigen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, aaO Rn. 15). Eine konkrete Einzelanweisung vermag den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht zu entlasten, wenn
sie unvollständig ist und deshalb der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW
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2004, 367, 369; vom 6. Dezember 2007 - V ZB 91/07, juris Rn. 8 und vom
21. Dezember 2006 - IX ZB 309/04, AnwBl. 2007, 236). So liegt der Fall hier.
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Mit der Korrektur der ersten Seite der am 14. Dezember 2011, dem letzten Tag der Berufungsfrist, gefertigten Berufungsschrift war nicht gewährleistet,
dass diese fristwahrend bei dem Landgericht Z. eingehen würde. Die fristwahrende Übermittlung von der Kanzlei in Ch. zum Landgericht in Z. hätte per Fax,
gegebenenfalls auf elektronischem Wege oder per Boten erfolgen müssen. Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers dazu, dass dies durch allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder durch eine Einzelanweisung gesichert
gewesen wäre, fehlt.
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3. Nach allem ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger die Berufungsfrist schuldlos versäumt hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Ergänzung
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des Vortrags ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr möglich (§ 577
Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Die Rechtsbeschwerde war mithin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
Galke
Zoll
Diederichsen
Wellner
Stöhr
Vorinstanzen:
AG Hohenstein-Ernstthal, Entscheidung vom 04.10.2011 - 1 C 411/11 LG Zwickau, Entscheidung vom 27.01.2012 - 6 S 214/11 -