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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 61/11
Verkündet am:
9. März 2012
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
EGBGB Art. 237 § 2
Wer am 3. Oktober 1990 fälschlicherweise im Grundbuch als Eigentümer eingetragen gewesen ist, hat mit Ablauf der Ausschlussfristen nach Art. 237 § 2 EGBGB das
Eigentum an dem Grundstück nicht erworben, wenn am 3. Oktober 1990 auch der
wahre Eigentümer auf einem anderen Grundbuchblatt eingetragen war.
BGH, Urteil vom 9. März 2012 - V ZR 61/11 - OLG Naumburg
LG Halle
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. März 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 12. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. Februar 2011 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer
des Landgerichts Halle vom 4. März 2010 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, in die Abvermessung derjenigen
Teilflächen aus den im Grundbuch von H.
Blatt 2155
(Gemarkung H.
, Flur 2, Flurstück 25) und Blatt 692
(Gemarkung H.
, Flur 2, Flurstück 30) eingetragenen Grundstücken einzuwilligen, die auf der Fläche des ehemaligen Flurstücks 1543/87 der Flur 2 der Gemarkung N.
liegen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, den
über die Abvermessung ausgestellten Veränderungsnachweis zu
genehmigen und der Abschreibung der abvermessenen Teilfläche
auf ein neues Grundbuchblatt und der Eintragung der Kläger als
Eigentümer in Erbengemeinschaft in das Grundbuch zuzustimmen.
Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, in die Abvermessung derjenigen
Teilfläche aus dem im Grundbuch von H.
Blatt 2107
(Gemarkung H.
, Flur 2, Flurstück 23) eingetragenen
Grundstück einzuwilligen, die auf der Fläche des ehemaligen Flurstücks 1543/87 der Flur 2 der Gemarkung N.
liegt.
-3-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2 verpflichtet ist, den
über die Abvermessung ausgestellten Veränderungsnachweis zu
genehmigen und der Abschreibung der abvermessenen Teilfläche
auf ein neues Grundbuchblatt und der Eintragung der Kläger als
Eigentümer in Erbengemeinschaft in das Grundbuch zuzustimmen.
Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Kläger sind die Erben nach L.
und R.
S.
(im Folgen-
den: Erblasser), die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Eigentümer
eines in der DDR gelegenen, aus dem Flurstück 1543/87 der Gemarkung N.
bestehenden Grundstücks waren.
2
Das Grundstück lag in dem Gebiet, das durch Beschluss des Rates der
Stadt H.
von November 1981 zum Aufbaugebiet erklärt wurde. Im
Zuge der Errichtung der Stadt wurden im Wege einer Umflurung durch Verschmelzung und Sonderung neue Flurstücke gebildet und in dem Bestandsblatt der Liegenschaftskartei das Volk, Rechtsträger Rat der Stadt, als Eigentümer eingetragen. Das ehemalige Flurstück 1543/87 der Gemarkung N.
wurde mit Teilen eines Wohnblocks, einer Straße und eines Schulgebäudes
überbaut. Eine Entscheidung über die Inanspruchnahme des Grundstücks erfolgte nicht. Streitig ist, ob das Grundbuch für das Grundstück der Kläger mit
-4-
der Erklärung zum Aufbaugebiet geschlossen wurde und nur in einer Liste der
Flächen aufgeführt wurde, für die es noch einer Rechtsänderung bedurfte.
3
Im Februar 1990 wurde durch den Liegenschaftsdienst des Bezirks im
Grundbuchblatt des volkseigenen Grundstücks unter Bezugnahme auf Veränderungsnachweise von dem Flurstück Nr. 3 der Flur 26 mit einer Größe von
insgesamt 149.316 m2 eine Teilfläche von 9.365 m2 abgeschrieben und aus
dieser eine Fläche von 7.948 m2 auf das Grundbuchblatt 54 des Grundbuchs
von H.
übertragen, wobei im Bestandsblatt dieses Grundbuch-
blatts die alte Flurstücksnummer (1543/87) angegeben und die Erblasser als
Eigentümer des Grundstücks eingetragen wurden. 1993 wurden die Kläger als
Eigentümer dieses Grundstücks eingetragen.
4
1993/1994 wurde abermals eine katastermäßige Neubildung der Flurstücke vorgenommen, wobei die neuen Flurstücke 23, 25 und 30 der Flur 2
nunmehr nach den Funktionsflächen für den Wohnblock, für die Straße und für
die Schule gebildet wurden. Diese Flurstücke wurden auf neue Grundbuchblätter übertragen, die keine Hinweise auf abgeschriebene Teilflächen enthielten.
Mit Bescheiden des Präsidenten der Oberfinanzdirektion wurde festgestellt,
dass die Beklagte zu 1 (Stadt) Eigentümerin der Flurstücke 25 und 30 der Flur
2 und die Beklagte zu 2 (Wohnungsgenossenschaft) Eigentümerin des Flurstücks 23 der Flur 2 geworden sei. Das für das Grundstück der Kläger angelegte Grundbuch wurde nachfolgend - ohne Mitteilung an diese - geschlossen.
Einen von den Klägern im Jahre 1991 gestellten Antrag auf Rückübertragung
nach dem Vermögensgesetz wies das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen im Juni 2008 mit der Begründung zurück, dass keine Enteignung erfolgt
sei.
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-5-
Die Kläger haben in erster Instanz die Berichtigung des Grundbuchs mit
dem Ziel beantragt, als Eigentümer eingetragen zu werden. Das Landgericht
hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz haben die Kläger - im
Hinblick darauf, dass sich ihr Grundstück nur auf Teilflächen der neu gebildeten Grundstücke erstreckt - erklärt, dass sie die Verurteilung der Beklagten zur
Einwilligung der Abvermessung der Teilflächen und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, der Abschreibung der Teilflächen und sodann der
Eintragung der Kläger als Eigentümer zuzustimmen, beantragt hätten; vorsorglich haben sie dahingehende Anträge mit einer hilfsweise erhobenen Anschlussberufung geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger
ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
6
Das Berufungsgericht meint, dass zwar die Klage mit den Anträgen auf
Verurteilung der Beklagten, die Berichtigung des Grundbuchs für unvermessene Teilflächen zu bewilligen, nicht zulässig gewesen sei; zulässig seien aber die
in diesen Leistungsanträgen enthaltenen Anträge auf Feststellung, dass die
Beklagten verpflichtet seien, einer Abvermessung und Abschreibung der Teilflächen zuzustimmen und sodann die Eintragung der Kläger als Eigentümer zu
bewilligen. Diese Anträge seien jedoch unbegründet, weil die Grundbücher
auch in Bezug auf das ehemals den Klägern gehörende Grundstück nicht unrichtig seien.
7
-6-
Zwar hätten die Erblasser zu Zeiten der DDR nicht das Eigentum an dem
Grundstück verloren, weil dieses nicht in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt worden sei. Auch habe kein nach Art. 237 § 1 Abs. 1 Satz 1
EGBGB unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler vorgelegen, weil nach dem
Recht und der Verwaltungspraxis der DDR ein Entzug des Eigentums allein
durch die Buchung eines Grundstücks als Volkseigentum nicht habe herbeigeführt werden können.
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Die Kläger hätten aber das Eigentum an ihrem Grundstück mit Ablauf
der in Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB bestimmten Ausschlussfrist verloren, weil sie
nicht rechtzeitig die Buchposition der Beklagten (durch eine Klage auf Grundbuchberichtigung oder einen Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs) angegriffen hätten, wodurch das am 3. Oktober 1990 als Volkseigentum gebuchte
Grundstück Eigentum der Beklagten geworden sei.
II.
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Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand.
10
Die Revision hat Erfolg, weil die Klage mit den in der Berufungsinstanz
klargestellten Anträgen begründet ist. Die Kläger können nach § 894 BGB von
den Beklagten die Zustimmung zu der für die Eintragung des Eigentums an
einer Teilfläche notwendigen Abvermessung und Grundstücksabschreibung
verlangen (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 1986 - V ZR 246/84, NJW 1986,
1867, 1868 und vom 2. April 1993 - V ZR 14/92, NJW-RR 1993, 840, 841).
11
1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass
die Erblasser Eigentümer eines im Grundbuch eingetragenen Grundstücks waren, von dem Teilflächen nunmehr im Bestandsverzeichnis der den Beklagten
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gehörenden Grundstücke gebucht sind. Dies ist auf Grund ihrer damaligen Eintragung als Eigentümer im Grundbuch nach § 7 Abs. 1 GDO-DDR (der eine
§ 891 BGB entsprechende Bestimmung enthielt) zu vermuten (vgl. Senat, Urteil
vom 26. September 1969 - V ZR 135/66, BGHZ 52, 355, 358). Einwendungen
werden insoweit von den Beklagten nicht erhoben.
12
2. Richtig ist auch, dass die Erblasser das Eigentum an dem Grundstück
bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 nicht verloren haben.
13
Die Ausführungen des Berufungsgerichts über die für eine Enteignung
notwendigen Entscheidungen eines Staatsorgans entsprechen der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 3. November 2000 - V ZR 189/99, BGHZ 145,
383, 390 [zum Aufbaugesetz] und vom 17. März 1995 - V ZR 100/93, BGHZ
129, 112, 120 [zum Baulandgesetz]). Ebenso trifft es zu, dass weder die Umschreibung der Grundbücher unter Bezugnahme auf die Liegenschaftskartei
der neu gebildeten Flurstücke mit der Eintragung von Volkseigentum noch die
- hier streitige - Schließung des bisherigen Grundbuchs (zu den in Grundbuchanweisungen des zuständigen Ministers des Inneren der DDR vorgeschriebenen Eintragungen bei der Überführung von Grundstücken in das Volkseigentum: Senatsurteil vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, 259
mwN) die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück änderten, weil der
Grundbuchvollzug als solcher kein Instrument der Enteignung darstellte (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2000 - V ZB 32/99, NJW 2001, 683, 684).
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3. Im Ergebnis zutreffend ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts,
dass die katastermäßige Umflurung und Buchung im Bestandsblatt als Volkseigentum keine sonstige Überführung des Grundstücks der Kläger in das Volkseigentum im Sinne des Art. 237 § 1 EGBGB darstellte, die nach dieser Vorschrift ungeachtet aller Fehler als wirksam anzusehen wäre.
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a) Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die Begründung, dass das
Grundstück deshalb nicht Volkseigentum geworden sein könne, weil nach den
maßgeblichen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis der DDR eine Enteignung nur durch förmliche Inanspruchnahmeentscheidung und nicht durch einen Buchungsvorgang durchgeführt werden konnte.
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Art. 237 § 1 EGBGB erfasst mit dem Tatbestandsmerkmal der „sonstigen Überführung“ nämlich auch faktische Vorgänge wie die Buchung des
Grundstücks als Volkseigentum, falls dem ein staatlicher Wille und nicht nur ein
Versehen zugrunde lag (Senat, Urteil vom 8. Dezember 2000 - V ZR 489/99,
VIZ 2001, 213, 214; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 583; MünchKommBGB/Busche, 4. Aufl., Art. 237 § 1 EGBGB Rn. 7; a.A. Czub, VIZ 1997, 561,
565 der eine auf Überführung eines Grundstücks in das Volkseigentum gerichtete Rechtshandlung für erforderlich erachtet). Entscheidend für den Bestandsschutz nach Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB ist zudem nicht, ob das vorgeschriebene Verfahren durchgeführt wurde, sondern ob das angestrebte Ergebnis
nach den vorhandenen Vorschriften erreichbar war (Senatsurteile vom 9. Oktober 1998 - V ZR 214/97, VIZ 1999, 38, 39 und vom 8. Dezember 2000 - V ZR
489/99, VIZ 2001, 213, 214; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 583). Das ist
hier zu bejahen, weil eine Inanspruchnahme des Grundstücks nach den bereits
genannten Rechtsvorschriften der DDR (Aufbau- und Baulandgesetz) möglich
und angesichts der baulichen Nutzung für einen neuen Stadtteil eigentlich auch
geboten gewesen wäre.
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b) Ob der Einbeziehung der Fläche des Grundstücks der Kläger in die
durch Umflurung neu gebildeten, als Volkseigentum gebuchten Grundstücke
ein Enteignungswille der staatlichen Organe der DDR zugrunde lag, ist nicht
festgestellt, kann hier jedoch dahinstehen.
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Die Nichtanwendung des Art. 237 § 1 EGBGB stellt sich nämlich
- unabhängig davon - als im Ergebnis richtig dar. Die Vorschrift ist im Wege
einer verfassungskonformen Auslegung nicht auf die Fälle anzuwenden, in denen die staatlichen Stellen der DDR ein Grundstück noch als Privateigentum
behandelt haben, was hier dadurch zum Ausdruck kam, dass der Staatliche
Liegenschaftsdienst der DDR ein Grundbuch für das Grundstück neu angelegt
und die Erblasser als dessen Eigentümer eingetragen hat. Mit der Anerkennung
auch der Überführungen in das Volkseigentum gemäß Art. 237 § 1 EGBGB, die
nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften der DDR nicht wirksam
waren, ist ein entschädigungsloser Verlust der aus dem Eigentum folgenden
Rechte verbunden (vgl. Senat, Urteile vom 10. Oktober 1997 - V ZR 80/96, VIZ
1998, 94, 95 und vom 6. Juni 2003 - V ZR 320/03, VIZ 2004, 79, 81). Diese
Rechtsfolge ist vor dem Hintergrund des Art. 14 GG nur dann als verhältnismäßig anzusehen, wenn den betroffenen Eigentümern eine nur noch formale Eigentumsposition verblieben war, die in der DDR nicht durchsetzbar und deshalb ohne jeden wirtschaftlichen Wert war (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober
1997 - V ZR 80/96, VIZ 1998, 94, 95; BVerfG, VIZ 1998, 507, 508; EGMR,
NJW 2004, 927, 929). Davon kann jedoch keine Rede sein, wenn der für das
Grundbuchwesen zuständige staatliche Liegenschaftsdienst der DDR das Privateigentum an dem Grundstück - ungeachtet aller faktischen Veränderungen respektierte und dies durch die Anlegung eines Grundbuchs für den Eigentümer dokumentierte.
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4. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass die Beklagten als Berechtigte aus der Abwicklung des ehemaligen Volkseigentums nach
Art. 237 § 2 Abs. 2 Satz 1 EGBGB Eigentümer des Grundstücks der Kläger
geworden seien, weil diese die Ausschlussfrist für einen Angriff gegen unrichtige Eintragungen versäumt hätten.
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a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen,
dass vor dem 3. Oktober 1990 im Bestandsblatt der Liegenschaftskartei (§ 105
Abs. 1 Nr. 5 GBV) Eigentum des Volkes eingetragen war, ohne dass dieses
entstanden war.
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Das Grundstück der Kläger war am 3. Oktober 1990 eine Teilfläche eines 1974 neu gebildeten, auf dem Bestandsblatt des Liegenschaftskatasters
als Volkseigentum gebuchten Grundstücks, woran die Buchungsvorgänge vom
20. Februar 1990 nichts geändert hatten. Die von dem Liegenschaftsdienst beabsichtigte Berichtigung durch Abschreibung des Grundstücks der Kläger war
sachenrechtlich nicht wirksam, weil nicht - wie für die Abschreibung einer Teilfläche von einem Grundstück notwendig (vgl. zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland: Senatsurteile vom 20. Juni 1962 - V ZR 219/60, BGHZ
37, 233, 242 und vom 25. Januar 2008 - V ZR 79/07, BGHZ 175, 123, 132
Rn. 25 mwN) - neue Grundstücke gebildet worden waren. In der DDR galten
keine anderen Grundsätze. § 7 Abs. 2 Satz 1 GBVerfO-DDR enthielt eine dem
§ 28 Satz 1 GBO entsprechende Regelung für die Anträge. Die gemäß § 18
GDO-DDR erlassene Colido-Grundbuchanweisung sah in Nummer 25 Abs. 3
und 4 vor, dass die Abschreibung von Grundstücken und Grundstücksteilen
unter Streichung einer in der Abteilung 0 eingetragenen Grundstücksnummer
und unter Hinweis auf die neue Grundstücksnummer zu erfolgen habe. Dies
war nicht erfolgt.
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b) Das Berufungsgericht bejaht jedoch zu Unrecht einen Eigentumserwerb durch den Buchberechtigten selbst dann, wenn - wie hier - ein neues
Grundbuchblatt für das in Privateigentum gebliebene Grundstück angelegt wurde. Wer am 3. Oktober 1990 fälschlicherweise im Grundbuch als Eigentümer
eingetragen gewesen ist, hat mit Ablauf der Ausschlussfristen nach Art. 237 § 2
EGBGB das Eigentum an dem Grundstück nicht erworben, wenn am 3. Okto-
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ber 1990 auch der wahre Eigentümer auf einem anderen Grundbuchblatt eingetragen war. In den Fällen einer Doppelbuchung (Eintragung desselben Flurstücks auf zwei verschiedenen Grundbuchblättern) führte die gegenteilige Auslegung der Norm durch das Berufungsgericht zu dem seltsamen Ergebnis, dass
mit Ablauf der Ausschlussfrist die falsche Buchung richtig und die richtige Buchung falsch geworden wäre.
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Ein Rechtserwerb gegen den Inhalt eines Grundbuchs ist jedoch
- ebenso wie bei der Ersitzung nach § 900 BGB (vgl. RGZ 56, 58, 60; Senat,
Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 211/06, BGHZ 174, 61, 66) - auch nach
Art. 237 Abs. 2 EGBGB nicht möglich. Der Senat hat, wenngleich in einem anderen Zusammenhang, ausgeführt, dass die richtige Eintragung des wahren
Eigentümers einem gesetzlichen Eigentumserwerb aus der unrichtigen Buchposition mit dem Ablauf der Ausschlussfrist entgegensteht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Februar 2003 - V ZR 38/02, juris und vom 14. März 2003
- V ZR 280/02, VIZ 2003, 344, 345).
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aa) Das Gegenteil lässt sich auch nicht mit dem Zweck der Norm begründen, die Eigentumslagen an Grundstücken im Beitrittsgebiet im Interesse
der Rechtssicherheit - unabhängig von der materiellen Rechtslage, allein nach
den Eintragungen im Grundbuch - einer endgültigen Klärung herbeizuführen.
Dieser Zweck rechtfertigt, wenn sich beide Parteien auf eine Eintragung als Eigentümer berufen können, keine Entscheidung gegen den wahren Eigentümer
zugunsten des Nichtberechtigten.
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bb) Aus den knappen Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 13/7275, S. 33 f.)
und aus den von dem Berufungsgericht zitierten Erläuterungen (SchmidtRäntsch, VIZ 1997, 449, 453) lässt sich für eine derartige Regelungsvorstellung nichts entnehmen. Aus diesen ergibt sich vielmehr, dass der Gesetzgeber
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nur die Fälle im Auge hatte, in denen es für das jeweilige Grundstück allein die
unrichtige Eintragung gab. Doppelbuchungen von Volks- und Privateigentum
lagen außerhalb der Vorstellung und des Regelungswillens des Gesetzgebers.
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cc) Schließlich ist es ein Gebot der verfassungskonformen Auslegung,
die Vorschrift nicht gegen den im Grundbuch eingetragenen Eigentümer anzuwenden. Das Verstreichen der Ausschlussfrist in Art. 237 § 2 EGBGB führt
- ebenso wie die Anerkennung zwar nicht rechtswirksamer, aber in der DDR
faktisch unangreifbarer Enteignungen nach Art. 237 § 1 EGBGB - zu einem
entschädigungslosen Entzug von Eigentümerrechten. Die Regelung stellt nur
deshalb eine verhältnismäßige Eigentumsbeschränkung nach Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG dar, weil die von dem Eigentumsverlust bedrohten Eigentümer durch
die Nichteintragung ihres Eigentums Anlass und von dem Beitritt an auch acht
Jahre lang Zeit hatten, ihre Eigentümerrechte geltend zu machen und damit
den Rechtsverlust zu vermeiden (Senat, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 320/02,
VIZ 2004, 79, 81; BVerfG, LKV 2006, 123). Bei einer Anwendung der Ausschlussfrist auf Doppelbuchungen wäre dem im Grundbuch eingetragenen Eigentümer eine (dem System der Bürgerlichen Rechts widersprechende) Obliegenheit auferlegt worden, sein eingetragenes Recht gegenüber einem aus den
Eintragungen auf einem anderen Grundbuchblatt Berechtigten - notfalls gerichtlich - durchzusetzen; andernfalls wäre es trotz richtiger Eintragung mit Ablauf
der Ausschlussfrist zu einem Rechtsverlust ohne jeden Ausgleich gekommen.
Das wäre eine mit Art. 14 GG unvereinbare, einseitige Entscheidung des Konflikts zwischen zwei nach dem Grundbuch Berechtigten zum Nachteil des wahren Eigentümers.
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c) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist es auch nicht entscheidend, dass mit der Neuanlegung des Grundbuchs durch den Liegenschaftsdienst der DDR kein Grundstück im Rechtssinne wieder entstanden war,
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weil es einen räumlich abgegrenzten Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis des Grundbuchblatts für das Grundstück der Kläger unter Nummer
1543/87 der Gemarkung N.
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gebucht war, nicht mehr gab.
Darauf kommt es nicht an, weil es bei der Auslegung des Art. 237 § 2
EGBGB nicht um den öffentlichen Glauben der Eintragungen im Bestandsverzeichnis (dazu: Senat, Urteil vom 5. Dezember 2005 - V ZR 11/05, NJW-RR
2006, 662, 663), sondern um die Voraussetzungen eines gesetzlichen Erwerbs
des Eigentums durch Nichteigentümer geht. Mit Art. 237 § 2 EGBGB hat der
Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtverhältnisse in der DDR einen besonderen Erwerbstatbestand aus in der DDR begründeten Buchpositionen geschaffen, wobei er sich wegen der Obliegenheit des wahren Eigentümers, seine Ansprüche aus dem Eigentum zur Vermeidung eines Rechtsverlust innerhalb einer Frist von acht Jahren seit dem Beitritt geltend zu machen, an dem Verwirkungsgedanken orientiert hat (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR
320/02, VIZ 2004, 79, 80; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 585). Demjenigen,
der als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, kann jedoch nicht - wie einem nicht eingetragenen Berechtigten - zur Last gelegt werden, sich nicht
rechtzeitig um die Herstellung eines die wahre Rechtslage wiedergebenden
Grundbuchs gekümmert zu haben. War der wahre Eigentümer bereits am
3. Oktober 1990 im Grundbuch eingetragen, vermag auch der Hinweis auf die
Rechtswirklichkeit in der DDR (nachlässiger Umgang mit Rechtsvorschriften;
faktische Unangreifbarkeit der Eintragungen von Volkseigentum) es nicht zu
rechtfertigen, das Vertrauen des Inhabers einer Buchposition auf die unrichtige
Eintragung stärker zu schützen als das des Eigentümers auf eine richtige Eintragung. In diesen Fällen fehlt es vielmehr an einer Voraussetzung des gesetzlichen Erwerbstatbestands nach Art. 237 § 2 EGBGB.
- 14 -
III.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Stresemann
Brückner
Czub
Weinland
Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 04.03.2010 - 6 O 516/09 OLG Naumburg, Entscheidung vom 18.02.2011 - 12 U 32/10 -