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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
V ZR 359/01
Verkündet am:
13. Dezember 2002
Kanik,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Dezember 2002 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Dr. Klein, Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 14. September 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger war an dem Erwerb von Immobilien zum Zweck der Kapitalanlage interessiert. Über den anderweit verklagten Vermittler B.
langte er Kenntnis von Immobilien im Wohnpark B.
-A.
er-
. Er schloß im
Oktober und November 1998 mit der Beklagten notarielle Kaufverträge über
die Wohnung Nr. 6 zum Preis von 200.000 DM und die Wohnung Nr. 21 zum
Preis von 410.000 DM. Den Kaufpreis für die Wohnung Nr. 21 zahlte der Kläger. Im Februar 1999 wurde er als Eigentümer der Wohnung Nr. 21 in das
Grundbuch eingetragen. Den Kaufpreis für die Wohnung Nr. 6 zahlte der Kläger nicht.
-3-
Mit Schreiben vom 26. November 1999 erklärte der Kläger die Anfechtung der Kaufverträge wegen arglistiger Täuschung. Er strebt die Rückabwicklung des Kaufvertrags über die Wohnung Nr. 21 und die Feststellung der
Unwirksamkeit des Kaufvertrags über die Wohnung Nr. 6 an. Er hat behauptet,
daß die beiden Wohnungen überteuert verkauft worden seien. Sämtliche Berechnungs- und Bewertungsgrundlagen hätten sich als falsch erwiesen. Die
Wohnung Nr. 21 sei in Wirklichkeit nur 100.000 DM wert gewesen, die Wohnung Nr. 6 nur 60.000 DM. Die Wohnungen seien in erheblichem Umfang renovierungsbedürftig, während ihm versichert worden sei, die Wohnungen seien gerade renoviert worden. Auch seien derzeit noch verschiedene Verwalter
tätig, was die Hausgelder verteure. Dies alles hätten die Geschäftsführer der
Beklagten auch gewußt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Revision verfolgt er seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint die Nichtigkeit der Kaufverträge nach
§ 138 BGB. Der Kläger habe schon nicht schlüssig dargetan, daß die beiden
Wohnungen weit über Wert verkauft worden seien. Seine Behauptungen seien
aus der Luft gegriffen. Der Kläger habe nicht dargelegt, weshalb ein hierzu von
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der Beklagten vorgelegtes Gutachten unrichtig sein solle. Dies habe im einzelnen dargelegt werden müssen.
II.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann
ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstoßen und damit nach § 138
Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung
und Gegenleistung besteht und weitere Umstände hinzutreten, insbesondere
der Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der begünstigte Vertragspartner die schwächere Lage des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausnutzt oder wenn er sich
leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der andere nur in Unkenntnis der
wahren Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt. Ist das Mißverhältnis besonders grob, so ist allein deswegen der Schluß auf bewußte oder grob
fahrlässige Ausnutzung irgendeines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes und damit auf eine verwerfliche
Gesinnung zulässig. Von einem besonders groben Mißverhältnis ist auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der
Gegenleistung des Begünstigten (vgl. nur Senat, BGHZ 146, 298, 301, 302 m.
w. N.; Senatsurt. v. 5. Oktober 2001, V ZR 237/00, NJW 2002, 429, 430 f.). Die
tatsächliche Vermutung kann aber durch besondere Umstände erschüttert sein
und damit nicht die Schlußfolgerung auf eine verwerfliche Gesinnung eröffnen.
Solche Umstände können sich namentlich aus sachgerechten, eine Übervorteilung regelmäßig ausschließenden Bemühungen zur Ermittlung eines den
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Umständen nach angemessenen Leistungsverhältnisses ergeben, wie etwa
bei einem (fehlerhaften) Verkehrswertgutachten als Grundlage der Kaufpreisbemessung (Senat, BGHZ 146, 298, 305; Senatsurt. v. 21. März 1997, V ZR
355/95, WM 1997, 1155, 1156 und v. 19. Juli 2002, V ZR 240/01, NJW 2002,
3165, 3166).
2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht angewendet, weil
der Kläger schon das grobe Mißverhältnis von Kaufpreis und Grundstückswert
nicht schlüssig dargelegt habe. Damit hat das Berufungsgericht aber, wie die
Revision mit Erfolg rügt, die Anforderungen an die Substantiierung des Klagevortrags überspannt.
a) Wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt, ist ein
Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs schlüssig und damit als
Prozeßstoff erheblich, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung
mit einem Rechtssatz geeignet sind, das mit der Klage geltend gemachte
Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen. Die
Angabe näherer Einzelheiten ist nur dann erforderlich, wenn diese für die
Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Das Gericht muß in der Lage sein, auf
Grund des tatsächlichen Vorbringens zu entscheiden, ob die gesetzlichen
Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs vorliegen. Der Sachvortrag bedarf im Hinblick auf die Erwiderung des Gegners nur
dann der Ergänzung, wenn er infolge dieser Einlassung unklar wird und nicht
mehr den Schluß auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zuläßt.
Eine Beweisaufnahme zu einem bestrittenen erheblichen Vorbringen darf nicht
abgelehnt werden, wenn die Behauptung konkret genug ist, um eine Stellungnahme des Gegners zu ermöglichen und die Erheblichkeit des Vorbringens zu
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beurteilen (Senatsurt. v. 22. November 1996, V ZR 196/95, NJW-RR 1997,
270 und v. 20. September 2002, V ZR 170/01, NJW-RR 2003, 69, jeweils m. w.
N.). Für den Umfang der Darlegungslast ist der Grad der Wahrscheinlichkeit
der Sachverhaltsschilderung ohne Bedeutung (Senatsurt. v. 8. Mai 1992, V ZR
95/91, NJW 1992, 3106; und v. 14. Juni 1996, V ZR 150/95, NJW-RR 1996,
1402 jew. m.w.N.).
b) Richtig ist zwar der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, wonach
es im Zivilprozeß wegen Rechtsmißbrauchs unzulässig ist, eine Behauptung
ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich aufs Geratewohl, gleichsam "ins Blaue hinein" aufzustellen
(vgl. BGH, Urt. v. 8. November 1995, VIII ZR 227/94, NJW 1996, 394; Urt. v.
13. März 1996, VIII ZR 186/94, NJW 1996, 1541, 1542; Urt. v. 1. Juli 1999,
VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208). Bei der Annahme eines solch mißbräuchlichen Verhaltens ist aber Zurückhaltung geboten; denn oftmals wird es einer
Partei nicht erspart bleiben, in einem Zivilprozeß Tatsachen zu behaupten,
über die sie keine genauen Kenntnisse haben kann, die sie nach Lage der
Dinge aber für wahrscheinlich hält (BGH, Urt. v. 25. April 1995, VI ZR 178/94,
NJW 1995, 2111, 2112). In der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte den Vorwurf einer Behauptung "ins Blaue hinein" rechtfertigen können (BGH, Urt. v. 25. April 1995, aaO).
c) Hieran gemessen überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an das Vorbringen des Klägers. Ihm ist zwar einzuräumen, daß der Kläger
in erster Instanz ein objektiv bestehendes grobes Mißverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung in beiden Verträgen zwar behauptet, aber nicht
näher erläutert hat. In zweiter Instanz hat er indessen vorgetragen, daß die
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Wohnung Nr. 21 bei einem Kaufpreis von 410.000 DM nur 100.000 DM und
die Wohnung Nr. 6 bei einem Kaufpreis von 200.000 DM nur 60.000 DM wert
und dieser Umstand den Organen der Beklagten auch bekannt gewesen sei.
Diese Behauptung wäre nur dann unbeachtlich, wenn diese Angaben ersichtlich aus der Luft gegriffen wären. Das ist, worauf die Revision mit Recht hinweist, nicht der Fall. Der Kläger hat sich in seiner Berufungsbegründung mit
dem von Beklagtenseite vorgelegten Gutachten U.
auseinandergesetzt
und dargelegt, worin er dessen Fehler sieht. Sie sollen, was auch näher erläutert wird, in dem angesetzten Boden- und Ertragswert und vor allem darin
liegen, daß in dem Gutachten ein guter Erhaltungszustand vorausgesetzt werde, wohingegen in Wirklichkeit erheblicher Sanierungsbedarf bestehe. Der
Vortrag wird in das Wissen von Zeugen gestellt, die als Geschäftsführer der
Fa.
K.
„I. W.
Grundbesitz-Verwaltungs-GmbH,
“ in B.
welche
die
Wohnanlage
verwaltet und betreut, Sachkenntnis haben sollen.
Außerdem wird Augenscheins- und Sachverständigenbeweis angeboten. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts brauchte sich der Kläger nicht
noch intensiver mit den Einzelheiten des der Preisbildung zugrundeliegenden
Wertgutachtens auseinanderzusetzen. Dieses Gutachten ist nicht sonderlich
ausführlich und bietet kaum mehr Ansatzpunkte für eine sachliche Auseinandersetzung, als sie der Kläger auch genutzt hat. Auch deshalb genügte es,
wenn sich der Kläger mit den aus seiner Sicht wesentlichen Einwänden auseinandersetzte und dieses als Kaufanreiz qualifizierte. Dem Kläger kann auch
nicht entgegengehalten werden, daß sein Vortrag wegen der unterschiedlichen
Kaufpreise der zudem unterschiedlichen Wohnungen unstimmig sei. Denn der
Kläger will gerade geltend machen, daß sie jetzt wegen des Erhaltungszustands wertmäßig nahezu gleichwertig geworden sind. Dem Vorbringen des
Klägers läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß es ihm nur um eine Geldan-
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lage gegangen sei. Denn dies steht der Annahme der Sittenwidrigkeit nicht
von vornherein entgegen. Dies gilt auch für die Bereitschaft des Klägers, dem
Vergleichsvorschlag des Landgerichts zu folgen. Die Bereitschaft einer Partei
zur Annahme eines Vergleichsvorschlags des Gerichts hängt entscheidend
davon ab, wie die Partei angesichts des Vorschlags ihre Prozeßaussichten
beurteilt. Rückschlüsse darauf, wie der Wert der Wohnungen vor und bei
Abschluß eines streitig gewordenen Kaufvertrags war, läßt eine solche Bereitschaft nicht zu.
3. Da das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft die Durchführung einer
Beweisaufnahme über die Höhe des von dem Kläger behaupteten Verkehrswertes unterlassen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur
Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Wenzel
Tropf
Lemke
Klein
Schmidt-Räntsch