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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 244/10
Verkündet am:
16. Dezember 2011
Mayer,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den
Richter Dr. Lemke, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die
Richterin Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Kammergerichts in Berlin vom 29. Oktober 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Kläger betrieben als Erbbauberechtigte an dem hinteren Teil eines
Grundstücks im früheren Ostteil von Berlin ein Gerüstbauunternehmen. Die Zufahrt erfolgte nicht über den vorderen Teil dieses Grundstücks, sondern über
einen Parkplatz und dessen Zufahrt auf dem der Beklagten gehörenden Nachbargrundstück.
2
Nachdem die Kläger der Beklagten die Aufgabe des Gewerbebetriebs
mitgeteilt hatten, untersagte diese ihnen die weitere Benutzung der Zufahrt. Die
Kläger verlangen - soweit hier noch von Interesse - die Einräumung eines Geh-
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und Fahrrechts auf der bislang genutzten Fläche in Form einer Grunddienstbarkeit.
3
Ihre dahin gehende Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger
ihre zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
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Das Berufungsgericht lässt offen, ob der Anspruch auf Einräumung einer
Dienstbarkeit nach § 116 SachenRBerG schon daran scheitert, dass die Kläger
nicht Eigentümer, sondern (nur) Erbbauberechtigte des von der erstrebten Zufahrt begünstigten Grundstücksteils sind. Jedenfalls stehe dem Anspruch entgegen, dass sie ihren Gerüstbaubetrieb aufgegeben hätten und deswegen nicht
mehr auf einen Zugang mit Fahrzeugen angewiesen seien.
II.
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Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
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Nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG kann derjenige, der ein Grundstück in
einzelnen Beziehungen nutzt oder darauf eine Anlage unterhält (Mitbenutzer),
von dem Eigentümer die Bestellung einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit verlangen, wenn die Nutzung vor Ablauf
des 2. Oktober 1990 begründet wurde, wenn sie für die Erschließung oder Ent-
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sorgung eines eigenen Grundstücks oder Bauwerks erforderlich ist und wenn
ein Mitbenutzungsrecht nach den §§ 321 und 322 ZGB nicht begründet wurde.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
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1. Die Kläger sind als Erbbauberechtigte grundsätzlich anspruchsberechtigt.
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a) Die Norm stellt auf den Mitbenutzer ab. Das ist derjenige, der das dienende Grundstück in einzelnen Beziehungen nutzt oder darauf eine Anlage unterhält, sofern die Nutzung des dienenden Grundstücks für die Erschließung
oder Entsorgung "eines eigenen Grundstücks oder Bauwerks" erforderlich ist.
Daraus wird geschlossen, dass anspruchsberechtigter Mitbenutzer des dienenden Grundstücks der Eigentümer des herrschenden Grundstücks ist (Frenz in
Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, § 116 SachenRBerG Rn. 3; Baumgart in Rädler/
Raupach/Bezzenberger, Vermögen i. d. ehem. DDR, § 116 SachenRBerG
Rn. 3; RVI/Knauber, § 116 SachenRBerG Rn. 6).
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b) Nichts anderes gilt für den Erbbauberechtigten. Schon nach dem
Wortlaut der Vorschrift muss die Dienstbarkeit an dem dienenden Grundstück
nicht allein zur Erschließung oder Entsorgung eines eigenen "Grundstücks" erforderlich sein. Es genügt, wenn sie diese Funktion für ein eigenes "Bauwerk"
erfüllt. Ein eigenes Bauwerk hat der Mitbenutzer aber nicht nur, wenn ihm Gebäudeeigentum nach Art. 233 § 2b oder § 4 EGBGB zusteht, sondern auch,
wenn er Inhaber eines Erbbaurechts ist. Denn die vorhandene Bebauung auf
dem Grundstück wird Bestandteil des Erbbaurechts. Die Vorschrift dient zudem
nicht nur der nachträglichen Absicherung der Erschließung und Entsorgung von
Immobilien außerhalb der Sachenrechtsbereinigung nach dem Kapitel 2 des
Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, sondern gerade auch der Absicherung der
Erschließung und Entsorgung in solchen Bereinigungsfällen. Eine Möglichkeit
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der Bereinigung besteht in der Bestellung eines Erbbaurechts (§§ 15 Abs. 1, 32
Satz 1 SachenRBerG). Ein Erbbaurecht berechtigt daher - ebenso wie das Eigentum - zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG.
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2. Die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs sind ebenfalls gegeben.
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a) Die Mitnutzung des Grundstücks der Beklagten wurde vor Ablauf des
2. Oktober 1990 begründet, § 116 Abs. 1 Nr. 1 SachenRBerG. Sie genoss
- was nach der Rechtsprechung des Senats Voraussetzung ist (Senat, Urteile
vom 9. Mai 2003 - V ZR 388/02, VIZ 2003, 385, 386, vom 22. Oktober 2004
- V ZR 70/04, ZOV 2005, 29, vom 14. Januar 2005 - V ZR 139/04, NJW-RR
2005, 666, 667 und vom 19. Juni 2009 - V ZR 231/08, ZOV 2009, 235) - zumindest faktischen Schutz; denn die Zufahrt zu dem Erbbaugrundstück war vor
dem 3. Oktober 1990 unangefochten.
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b) Der Umstand, dass die Zufahrt nicht von den Klägern, sondern von
der Beklagten angelegt wurde, steht dem Anspruch nicht entgegen.
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Allerdings wird das Sachenrechtsbereinigungsgesetz nach § 1 Abs. 1
Nr. 4 SachenRBerG auf Grundstücke im Beitrittsgebiet für anwendbar erklärt,
auf denen andere natürliche oder juristische Personen als der Grundstückseigentümer bauliche Erschließungs-, Entsorgungs- oder Versorgungsanlagen
errichtet haben. § 1 SachenRBerG enthält aber keine abschließende Regelung
der Bereinigungstatbestände. Die Vorschrift gibt vielmehr anhand von Regelbeispielen (BT-Drucks. 12/5992 S. 65) einen ersten Überblick über den Anwendungsbereich des Gesetzes und schließt hiervon nicht unmittelbar erfasste
Sachverhalte von den Regelungen der Sachenrechtsbereinigung nicht aus.
Maßgeblich sind insoweit die konkreten Anspruchsnormen (Senat, Urteil vom
9. Mai 2003 - V ZR 388/02, VIZ 2003, 385; Kimme/Toussaint, Offene Vermö-
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gensfragen, Stand Juni 2009, § 116 SachenRBerG Rn. 7; MünchKommBGB/Wendtland, 4. Aufl., § 1 SachenRBerG Rn. 1). Und § 116 SachenRBerG
differenziert nicht danach ob der Eigentümer oder der Mitbenutzer den Weg, um
dessen rechtliche Absicherung es geht, angelegt hat.
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c) Die Zufahrt ist nach den festgestellten Umständen für die Erschließung
oder Entsorgung des Erbbaugrundstücks erforderlich, § 116 Abs. 1 Nr. 2
SachenRBerG. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es hierfür
ohne Belang, ob die Kläger den Gerüstbaubetrieb aufgegeben haben. Die Vorschrift schützt nicht eine bestimmte Nutzung des herrschenden Grundstücks,
sondern sie schützt eine Nutzung/Mitbenutzung des dienenden Grundstücks,
soweit dies zur Erschließung oder Entsorgung des herrschenden Grundstücks
erforderlich war und noch erforderlich ist (vgl. auch § 117 Abs. 1 Nr. 1 SachenRBerG). Es geht um eine dingliche Absicherung der Erschließung und Entsorgung, deren es zu DDR-Zeiten nicht bedurft hatte (Entwurfsbegründung in BTDrucks. 12/5992 S. 65, 98, 179), und zwar zu Bedingungen unterhalb der
Schwelle des Notwegrechts nach § 917 BGB (Senat, Urteil vom 22. Oktober
2004 - V ZR 70/04, ZOV 2005, 29, 30; Czub in Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz,
§ 1 SachenRBerG Rn. 141). Der Mitbenutzer kann in dem Umfang eine Absicherung verlangen, in dem die Mitbenutzung vor dem 3. Oktober 1990 angelegt
war (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 150/06, NJW-RR 2008,
325 Rn. 21). Ob die damalige Nutzung fortgeführt wird, ist ohne Bedeutung.
Das zeigt sich auch in der Entgeltregelung des § 118 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
SachenRBerG. Eine Änderung der Nutzung nach dem 2. Oktober 1990 lässt
den Anspruch nicht etwa entfallen, sondern löst ein unter Umständen höheres
Entgelt aus.
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d) Die rechtliche Absicherung der Mitbenutzung war möglich und ist
planwidrig unterblieben, § 116 Abs. 1 Nr. 3 SachenRBerG. Den Klägern hätte
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vor dem 3. Oktober 1990 nach § 1 des Gesetzes über den Verkauf volkseigener
Gebäude vom 7. März 1990 (GBl. I S. 157 - VerkaufsG) das Anwesen verkauft
und dazu nach § 2 DVO zum VerkaufsG (vom 15. März 1990, GBl. I S. 158) ein
Nutzungsrecht an dem Grundstück verliehen werden können, das damals noch
in Volkseigentum stand. Es wäre auch möglich gewesen, dieses Nutzungsrecht
auf die damals genutzte Zufahrt zu erstrecken (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2003 - V ZR 72/03, VIZ 2004, 193).
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e) Der Anspruch auf Einräumung einer Dienstbarkeit nach § 116 Abs. 1
SachenRBerG ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nach § 8 Abs. 1
Satz 1 GBBerG erloschen. Diese Vorschrift erfasst, was das Berufungsgericht
zutreffend gesehen hat, solche Ansprüche nicht (Senat, Urteil vom 14. November 2003 - V ZR 28/03, VIZ 2004, 195).
III.
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Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das Berufungsgericht wird sich
insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Beklagte die
Bestellung einer Dienstbarkeit nach § 117 SachenRBerG verweigern kann.
Ausreichende Feststellungen dazu fehlen bislang.
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1. Der Einwand der Beklagten ist u.a. begründet, wenn die weitere Mitbenutzung die Nutzung des eigenen Grundstücks erheblich beeinträchtigt. Eine
solche Beeinträchtigung liegt aber nicht allein in einer möglichen stärkeren Abnutzung des Fahrwegs durch Lastwagen. Zum einen sind die Kläger nach
§ 1020 BGB zur schonenden Ausübung der beanspruchten Dienstbarkeit verpflichtet (vgl. Senat, Urteil, vom 9. Mai 2003 - V ZR 388/02, VIZ 2003, 385, 386
f.). Zum anderen hätten sie sich an den Kosten einer solchen stärkeren Abnut-
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zung zu beteiligen. Das ergibt sich ebenfalls aus § 1020 BGB. Die Kosten der
Unterhaltung einer gemeinsam genutzten Anlage haben sich danach Grundstückseigentümer und Dienstbarkeitsberechtigter zu teilen (Senat, Urteil vom
12. November 2004 - V ZR 42/04, BGHZ 161, 115, 121 ff.). Maßgeblich hierfür
ist das Ausmaß der beiderseitigen Nutzung (Senat, Urteil vom 12. November
2004 - V ZR 42/04, NJW 2005, 894, 897, insoweit in BGHZ 161, 115 nicht abgedruckt, und vom 7. Juli 2006 - V ZR 156/05, MittBayNot 2006, 495, 496). Dabei wäre, träfe der Vortrag der Beklagten zu, die Nutzung des Wegs durch die
Kläger intensiver und zöge eine höhere Kostenbelastung nach sich.
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2. Der Einwand ist auch begründet, wenn die Kläger der Mitbenutzung
des fremden Grundstücks nicht mehr bedürfen, § 117 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fall 2
SachenRBerG, die beanspruchte Dienstbarkeit dem Erbbaurecht der Kläger
somit keinen Vorteil mehr böte. Voraussetzung dafür ist indes, dass das Interesse an einer gewerblichen Nutzung des dazu eingeräumten Erbbaurechts
endgültig entfallen ist (Senat, Urteile vom 7. Dezember 1984 - V ZR 189/83,
NJW 1985, 1025, vom 24. Juni 1983 - V ZR 167/82, NJW 1984, 924, vom
15. Januar 1999 - V ZR 163/96, VIZ 1999, 225, 226 f., vom 18. Juli 2008 - V ZR
171/07, NJW 2008, 3123, 3124 und vom 6. Februar 2009 - V ZR 139/08, MittBayNot 2009, 374 jeweils zum Vorteilswegfall nach §§ 1018, 1090 BGB). Das
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folgt nicht schon allein daraus, dass die Kläger den Gerüstbaubetrieb aufgegeben haben.
Krüger
Lemke
Czub
Stresemann
Weinland
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 03.02.2010 - 84 O 37/09 KG Berlin, Entscheidung vom 29.10.2010 - 3 U 5/10 -