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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
___________
StB 20/09
vom
29. Oktober 2009
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegenMitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ("militante gruppe")
hier: sofortige Beschwerde des Beschuldigten
H.
gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Oktober 2009 gemäß
§ 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 5, § 311 StPO beschlossen:
1.
Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den
Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. März 2009 (1 BGs 71/2009) wird verworfen.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
1. Der Generalbundesanwalt führt seit September 2006 unter dem Ak-
1
tenzeichen
ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Mit-
gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ("militante gruppe") und anderer
Straftaten. Das Verfahren richtete sich zunächst nur gegen den Beschwerdeführer sowie die Beschuldigten
B.
, D.
und M.
. Im April, Juni
und Juli 2007 erstreckte der Generalbundesanwalt dieses Verfahren auf die
Beschuldigten L.
, R.
und Ho.
. Mit Verfügung vom 30. April 2008
trennte der Generalbundesanwalt das Verfahren gegen die Beschuldigten R.
L.
und Ho.
,
ab und erhob gegen sie unter dem 21. Juni 2008 An-
klage zum 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin mit dem Vorwurf, als Mitglieder der "militanten gruppe" im Juli 2007 versucht zu haben, einen Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr zu verüben. Am 18. Oktober 2009 verurteilte das Kammergericht die früheren Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers
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wegen dieser Vorwürfe (nicht rechtskräftig) zu Freiheitsstrafen. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ist noch nicht abgeschlossen.
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Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens ordnete der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs im Zeitraum zwischen Oktober 2006 und August 2007 auf
Antrag des Generalbundesanwalts durch 20 Beschlüsse verdeckte Ermittlungsmaßnahmen u. a. nach §§ 100 a, 100 f und 163 f StPO an. Diese wurden
fast ausnahmslos vollzogen und endeten überwiegend spätestens Ende August
2007, in Einzelfällen im September bzw. November 2007. In der Mehrzahl dieser Fälle war der Beschwerdeführer Zielperson dieser Maßnahmen, zum Teil
war er von ihnen mittelbar betroffen.
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Mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 hat der Generalbundesanwalt
den Beschwerdeführer von der Anordnung und der Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 StPO unterrichtet und ihn dahin
belehrt, dass ein Antrag auf Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit gegebenenfalls
an das Kammergericht Berlin zu richten sei. Mit inhaltsgleichen Schriftsätzen
hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers daraufhin fristgerecht am 6. Januar 2009 sowohl beim Kammergericht als auch beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO beantragt, die Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen sowie der Art und Weise ihres
Vollzugs zu überprüfen. Das Kammergericht hat über den Antrag des Beschwerdeführers bislang nicht entschieden. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat hingegen mit Beschluss vom 27. März 2009 den bei ihm angebrachten Antrag als unzulässig verworfen, da er zur Entscheidung über diesen
Antrag nicht (mehr) zuständig sei. Gegen diesen Beschluss wendet sich der
Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde.
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4
2. Die gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde
ist zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt.
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Sie ist jedoch unbegründet. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag des Beschwerdeführers auf nachträglichen Rechtsschutz
gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu Recht als unzulässig verworfen, da er für
dessen Bescheidung nicht (mehr) zuständig war. Mit der Anklageerhebung gegen die früheren Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers war die Entscheidungsbefugnis vielmehr gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das Kammergericht übergegangen. Eine Abgabe des Verfahrens an dieses Gericht kam nicht
in Betracht, da ein identisches Verfahren dort schon anhängig war. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daher zutreffend die doppelte Anhängigkeit der Sache zum einen beim zuständigen Kammergericht und zum anderen beim unzuständigen Bundesgerichtshof dadurch beendet, dass er den beim
unzuständigen Gericht angebrachten Antrag verworfen hat.
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§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO enthält für Verfahren auf nachträglichen
Rechtsschutz eine Sonderregelung zur Zuständigkeit, wonach über entsprechende Anträge nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht in
der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu befinden hat. Diese Zuständigkeitsregelung ist - entgegen ihrem Wortlaut - indes nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Angeklagte selbst um nachträglichen Rechtsschutz nach
§ 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nachsucht (BTDrucks. 16/5846 S. 63; BGHSt 53,
1 ff.). Die Prüfung der Frage, ob die Erhebung einer Anklage dazu führt, dass
über Anträge im nachträglichen Rechtsschutzverfahren gegen Anordnungen
heimlicher Ermittlungsmaßnahmen und die Art und Weise ihres Vollzugs nicht
mehr der Ermittlungsrichter nach § 101 Abs. 7 Satz 1 StPO entscheidet, sondern gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO das Gericht, bei dem Anklage erhoben
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worden ist, hat sich nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr daran zu orientieren, ob bei Fortdauer der Zuständigkeit des Ermittlungsrichters die Gefahr
besteht, dass von dem Anordnungs- und Beschwerdegericht einerseits und
dem erkennenden bzw. Rechtsmittelgericht andererseits divergierende Entscheidungen zur Frage der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme getroffen werden. Dieser Gefahr soll durch die in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO geregelte Zuständigkeitskonzentration beim erkennenden Gericht begegnet werden
(BTDrucks. aaO; BGHSt aaO; BGH NStZ 2009, 399, 400).
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Dies zugrunde gelegt, sind abweichende Entscheidungen des Anordnungsrichters und des erkennenden Gerichts über die Rechtmäßigkeit heimlicher Ermittlungsmaßnahmen stets dann zu befürchten, wenn im Wege des
nachträglichen Rechtsschutzes eine Maßnahme angefochten wird, die in dem
(Ermittlungs-)Verfahren ergangen ist, in welchem Anklage erhoben worden ist.
Denn es ist regelmäßig nicht auszuschließen, dass Erkenntnisse aus einer im
nämlichen Verfahren angeordneten Ermittlungsmaßnahme auch für das Urteil
Beweisbedeutung erlangen und das erkennende Gericht deshalb - etwa als
Vorfrage im Rahmen der Prüfung eines eventuellen Verwertungsverbots - inzident auch zur Rechtmäßigkeit der Anordnung und deren Vollziehung Stellung
beziehen muss (BGHSt aaO). Zur Vermeidung divergierender Entscheidungen
zu dieser Rechtsfrage und mit Blick auf eine effiziente Verfahrensführung tritt
für Anträge im nachträglichen Rechtsschutzverfahren daher jedenfalls dann ein
Zuständigkeitsübergang gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das erkennende
Gericht ein, wenn sich bei formaler Betrachtung das Rechtsschutzbegehren
nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gegen eine Maßnahme richtet, die in dem zur
Anklage führenden Verfahren angeordnet worden ist (BTDrucks. aaO).
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Für die Zuständigkeitsbestimmung ist in diesen Fällen nach dem Willen
des Gesetzgebers folglich ohne Bedeutung, ob der Angeklagte oder eine andere von der Maßnahme betroffene Person auf nachträglichen Rechtsschutz nach
§ 101 Abs. 7 Satz 2 StPO anträgt (BTDrucks. aaO). Die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO ist deshalb auch dann
gegeben, wenn die nachträgliche Überprüfung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme von einem sog. Drittbetroffenen begehrt wird, der - ohne Angeklagter oder Beschuldigter zu sein - von der Maßnahme mittelbar betroffen worden
ist (BGHSt aaO m. w. N.).
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Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - ein Ermittlungsverfahren zunächst
gegen mehrere Personen geführt, Anklage aber nicht gegen alle Beschuldigte
erhoben wird, und sich ein nicht angeklagter Beschuldigter als Antragsteller im
Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gegen heimliche Ermittlungsmaßnahmen wendet, die in dem ursprünglich gemeinsam geführten Ermittlungsverfahren angeordnet worden sind. Die für die Zuständigkeitsbestimmung nach
§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO maßgebliche Gefahr divergierender Entscheidungen
zur Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung und des Vollzugs der angefochtenen Ermittlungsmaßnahmen besteht auch bei dieser Konstellation. Denn das
Gericht, bei dem gegen die Mitbeschuldigten Anklage erhoben worden ist, wird
mit dem gesamten Verfahrensstoff befasst, der in dem - ursprünglich auch gegen weitere Beschuldigte - geführten Ermittlungsverfahren angefallen ist. Soweit ein nicht angeklagter Mitbeschuldigter auf nachträgliche Überprüfung einer
im nämlichen Ermittlungsverfahren ergangenen verdeckten Ermittlungsmaßnahme nachsucht, wendet er sich daher - unbeschadet der Verfahrenstrennung - gegen eine Anordnung, die (auch) Gegenstand des angeklagten Verfahrens geworden ist und deshalb von dem für dieses Verfahren zuständigen Gericht einer Rechtmäßigkeitsüberprüfung unterzogen werden kann.
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Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Kammergericht mit Ankla-
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geerhebung (auch) mit den vom Beschwerdeführer angefochtenen Ermittlungsmaßnahmen im Sinne des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO befasst worden und
damit für die Entscheidung des Antrags des Beschwerdeführers nach § 101
Abs. 7 Satz 2 StPO zuständig geworden ist. Denn sämtliche Maßnahmen wurden vor Abtrennung des Ermittlungsverfahrens gegen die Mitbeschuldigten
L.
, R.
und Ho.
angeordnet und vollzogen. Sie sind deshalb
(auch) im angeklagten Verfahren ergangen und damit Gegenstand des vor dem
Kammergericht geführten Strafverfahrens geworden.
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Die Zuständigkeit des Kammergerichts ist nicht nachträglich wieder entfallen. Zwar hat das Kammergericht entgegen der Regelung des § 101 Abs. 7
Satz 4 StPO nicht zugleich mit dem in dem Strafverfahren gegen die früheren
Mitbeschuldigten ergangenen Urteil über den Antrag des Beschwerdeführers im
nachträglichen Rechtsschutzverfahren entschieden. Dies beseitigt jedoch nicht
die Anhängigkeit des vom Beschwerdeführer vor Erlass des Urteils beim Kammergericht angebrachten Antrags. Denn das Strafverfahren und das beim selben Gericht anhängige Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO sind nicht in
der Weise untrennbar miteinander verknüpft, dass in beiden Verfahren nur eine
einheitliche Entscheidung getroffen werden kann. Vielmehr ergeht die Entscheidung im nachträglichen Rechtsschutzverfahren auch dann im Beschlusswege,
wenn sie vom erkennenden Gericht zu treffen ist. Sie ist deshalb auch bei einheitlicher Entscheidung nicht mit der Berufung oder Revision, sondern nur mit
der sofortigen Beschwerde gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO anfechtbar (BGH
NJW 2009, 3177, 3178). Hieraus folgt jedoch, dass eine Entscheidung über
einen Antrag auf nachträgliche Überprüfung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme vom erkennenden Gericht grundsätzlich nachgeholt werden kann und -
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jedenfalls bei nicht angeklagten Antragstellern - nicht notwendigerweise zeitgleich mit der das Strafverfahren beendenden Entscheidung ergehen muss (vgl.
Nack in KK 6. Aufl. § 101 Rdn. 37).
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Das Kammergericht wird deshalb eine Entscheidung über den bei ihm
anhängigen Antrag des Beschwerdeführers herbeizuführen haben.
Becker
Sost-Scheible
Hubert