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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
__________
StB 12/12
vom
22. Oktober 2012
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
-2-
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 22. Oktober 2012
gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. September 2012 wird
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 22. Februar 2011 aufgrund des
Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar
2011 (2 BGs 64/11) in Untersuchungshaft. Danach liegt dem Angeklagten zur
Last, sich mindestens seit September 2009 als Mitglied an der "Islamischen
Bewegung Usbekistan" (im Folgenden: IBU) und damit an einer Vereinigung im
Ausland beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar
als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a
Abs. 1 Nr. 1 StGB). Er habe sich dieser in Waziristan ansässigen Organisation
angeschlossen, dort ein Ausbildungslager besucht und sei bei Kampfhandlungen verletzt worden. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland habe er
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sich weiterhin mit den Zielen und Zwecken der Vereinigung identifiziert. Wegen
dieser Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt unter dem 8. November 2011
Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht
hat mit Beschluss vom 9. Januar 2012 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 5. März 2012 begonnen.
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Der Senat hatte zuvor im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f. StPO mit
Beschlüssen vom 14. Oktober 2011 (AK 17/11) und 31. Januar 2012 (AK 3/12)
jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und darin den dringenden Tatverdacht mit Blick auf die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten
bejaht.
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Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 4. September
2012 die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung,
beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die bisherige
Hauptverhandlung genüge nicht dem Beschleunigungsgebot. Zudem könne
dem Angeklagten seine am 4. September 2012 abgegebene Einlassung durch
die in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel nicht widerlegt werden;
diese erkläre seinen Aufenthalt in Waziristan abweichend von dem Anklagevorwurf schlüssig, weshalb ihm eine mitgliedschaftliche Beteiligung an der IBU
nicht nachzuweisen sei. Auch sei angesichts seiner gesundheitlichen Probleme
und seiner Mittellosigkeit die Fluchtgefahr nicht gegeben. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 11. September 2012 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der weiterhin einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend macht und vorträgt, ein
dringender Tatverdacht der Mitgliedschaft in der IBU bestehe nicht. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel durch Beschluss vom 26. September 2012
nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zu-
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rückzuweisen. Die Einlassung des Angeklagten habe den dringenden Tatverdacht nicht entfallen lassen, sie erweise sich vielmehr in zahlreichen Punkten
als nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Ihre Überprüfung in der Hauptverhandlung sei zudem noch nicht abgeschlossen. Es bestehe damit weiterhin
der dringende Verdacht, dass der Angeklagte der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung schuldig sei. Ebenso sei nach wie vor
der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben; das Verfahren sei schließlich mit der
in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden.
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II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht
der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a
Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB).
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des
dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender
Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Maße der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse
vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12 mwN; vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris
Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3
mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der
Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht
nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den
Verlauf der Beweisaufnahme (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB
9/12).
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Es muss allerdings in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung
über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (vgl. etwa BVerfG,
Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 23), ausreichend
Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht
alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu
Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12 - und vom 2. September 2003 - StB
11/03, NStZ-RR 2003, 368).
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b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht
ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in
der Hauptverhandlung das Vorliegen des dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung derzeit nicht in
Frage stellen. Dabei hat die Beweisaufnahme zunächst vor dem Hintergrund
des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift
zusammengefasst ist, den dringenden Tatverdacht bestätigt, den der Senat auf
der Grundlage des jeweiligen Ermittlungsergebnisses in seinen Haftprüfungsentscheidungen ebenfalls bejaht hatte. Ob sich dabei Beweismittel für eine Beteiligung des Angeklagten an Kampfhandlungen ergeben haben, oder ob dieser
Vorwurf - wie die Verteidigung behauptet - mittlerweile nicht einmal mehr vom
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Generalbundesanwalt aufrecht erhalten wird, kann der Senat nicht beurteilen;
angesichts der zahlreichen Beweismittel, die weitere Beteiligungshandlungen
des Angeklagten belegen können, kommt diesem Aspekt aber für die Frage
des die Untersuchungshaft rechtfertigenden dringenden Tatverdachts keine
entscheidende Bedeutung zu. Dass und warum - jedenfalls derzeit - die am 34.
Hauptverhandlungstag abgegebene Einlassung des Angeklagten, die zudem in
erheblichem Widerspruch zu seinen früheren Angaben im Ermittlungsverfahren
steht, mit Blick auf den dringenden Tatverdacht nicht zu einer anderen Beurteilung führt, hat das Oberlandesgericht in seinen Beschlüssen vom 11. und
26. September 2012 im Einzelnen dargelegt. Dabei ist insbesondere maßgeblich, dass die - im Hinblick auf den insoweit abzuarbeitenden Verfahrensstoff
notwendig zeitintensive - Überprüfung der Einlassung noch nicht abgeschlossen ist; angesichts der zuvor an 33 Hauptverhandlungstagen durchgeführten
Beweisaufnahme wäre eine ungeprüfte Übernahme der Einlassung des Angeklagten auch schlechterdings nicht nachvollziehbar. Bei dieser Sachlage ist die
Annahme des weiterhin bestehenden dringenden Tatverdachts nicht zu beanstanden.
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Gleiches gilt hinsichtlich der von der Verteidigung anders als vom Oberlandesgericht und dem Generalbundesanwalt gedeuteten Beweisergebnisse
aus der Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen Dr. S.
zur
Frage des Gefolgschaftseides: Der Sachverständige soll zur Beantwortung ergänzender Fragen geladen werden. Bevor diese Befragung nicht durchgeführt
worden ist, kann der Angeklagte nicht verlangen, dass sein einseitiges Verständnis der bisherigen Beweisaufnahme als ausschließlich maßgebliches
festgeschrieben wird.
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2. Zu Recht hat das Oberlandesgericht auch das weitere Vorliegen des
Haftgrundes der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) bejaht. Insoweit nimmt
der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss vom 11. September 2012 sowie im
Nichtabhilfebeschluss des Oberlandesgerichts vom 26. September 2012 Bezug. Da der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung im Ausland nach wie vor besteht, erübrigt sich ein Eingehen auf
die Erwägungen der Verteidigung, wie der Angeklagte unter Zugrundelegung
seiner Einlassung zu bestrafen sein könnte. Zudem besteht der weitere Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO.
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3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) zu vereinbaren.
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a) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt nicht vor.
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aa) Das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren
Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung ist bei jeder Entscheidung betreffend die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu beachten. Nicht nur die Anordnung sondern auch die Dauer der Untersuchungshaft muss verhältnismäßig sein. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in
Art. 2 Abs. 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die
Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen
Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem
Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (Beschluss vom 24. Au-
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gust 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 19 ff.). Bei der danach gebotenen auf den
Einzelfall bezogenen Prüfung des Verfahrensablaufs sind etwa der Umfang und
die Komplexität der Rechtssache, die Anzahl der beteiligten Personen und das
Verhalten der Verteidigung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom
23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.).
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bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist - im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung - die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung
nicht zu beanstanden.
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Das Oberlandesgericht hat die (ohne Anlage) 134 Seiten umfassende
Anklageschrift vom 8. November 2011 mit Beschluss vom 9. Januar 2012 zur
Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Vorsitzende hat bereits am 10. Januar 2012 Termine zur Hauptverhandlung ab dem
5. März 2012 bestimmt, und zwar regelmäßig auf dienstags und mittwochs sowie - fakultativ - auf donnerstags. Insgesamt ist bis zum 2. Oktober 2012 an 40
Tagen die Hauptverhandlung durchgeführt worden. In der Regel fanden zwei
Sitzungstermine pro Woche statt, nur in fünf Wochen wurde lediglich an einem
Tag in der Woche verhandelt, wobei die in zwei Wochen im Juli ausgefallenen
Verhandlungstage zu Gesprächen mit den Verfahrensbeteiligten genutzt wurden, die zur Abtrennung des Verfahrens gegen den Bruder des Angeklagten,
den früheren Mitangeklagten
C.
, führten; gegen ihn ist das Verfahren
zwischenzeitlich durch - rechtskräftiges - Urteil des Oberlandesgerichts vom
1. August 2012 beendet. Somit sah nicht nur die Planung der Hauptverhandlung mehr als einen Verhandlungstag pro Woche vor, sondern es ist durchschnittlich auch an mehr als einem Tag pro Woche verhandelt worden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07, BVerfGK 12,
166). Soweit der Angeklagte die zu geringe Zeitdauer der einzelnen Verhand-
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lungstage bemängelt, ist zu berücksichtigen, dass bei der zeitlichen Planung
eines Verhandlungstages, an dem etwa Zeugen vernommen werden sollen,
auch das Fragerecht der Verfahrensbeteiligten einzukalkulieren ist. Wenn dieses alsdann nicht oder nur in geringem Umfang wahrgenommen wird, so dass
das Programm des Verhandlungstages früher als erwartet abgearbeitet worden
ist, liegt darin kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. Gleiches gilt mit
Blick auf die Terminsaufhebungen wegen des Urlaubs des Ergänzungsrichters
und der Unterbrechung zur Sommerpause für den Urlaub sämtlicher Verfahrensbeteiligter: Unterbrechungen für eine angemessene Zeit sind bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom
23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198).
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Auch im Übrigen hat das Oberlandesgericht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung verhandelt. Dies ergibt sich hinsichtlich der einzuführenden Urkunden bereits aus dem Umstand, dass solche weitgehend zum Gegenstand von Selbstleseverfahren gemacht worden sind. Soweit die Verteidigung
dies in Abrede stellt, weil die beteiligten Richter den Inhalt dieser Urkunden
doch bereits aus den Akten kennten, geht dies ersichtlich fehl, ergibt sich doch
nicht zuletzt aus § 261 StPO, dass für die richterliche Überzeugungsbildung nur
die Beweismittel herangezogen werden dürfen, die in die Hauptverhandlung
eingeführt worden sind. Auch die von der Verteidigung als zu spät gerügte Beauftragung eines medizinischen Sachverständigen stellt angesichts der von
dem Angeklagten erst am 25. Juli 2012 erteilten Erklärungen zur Entbindung
der ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht keinen Verstoß gegen das
Beschleunigungsgebot dar.
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b) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verstößt auch im Übrigen
nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die bisherige Dauer der
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Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und
- angesichts des dringenden Verdachts, der Angeklagte habe sich des Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe. Dies gilt
auch mit Blick auf das hypothetische Strafende unter Berücksichtigung einer
etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß
§ 57 StGB (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, juris
Rn. 25). Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende
Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).
Becker
Pfister
Gericke