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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
TEILURTEIL
KZR 2/07
Verkündet am:
29. April 2008
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
Erdgassondervertrag
GWB § 19 Abs. 1; BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 Cb, § 315 Abs. 1
a) Die Versorgung von Letztverbrauchern mit Erdgas bildet sachlich einen eigenen Markt; ein einheitlicher Markt für Wärmeenergie besteht nicht (Bestätigung von BGHZ 151, 274, 282 – Fernwärme für Börnsen).
b) Um die Billigkeit einer Erhöhung des Gaspreises darzulegen, muss der
Gasversorger nicht dartun, dass er mit der Erhöhung eine bestehende
marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht.
c) Auch im Individualprozess ist eine mehrdeutige Allgemeine Geschäftsbedingung im "kundenfeindlichsten" Sinne auszulegen, wenn diese Auslegung
zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dies dem Kunden günstiger ist.
d) Eine Klausel in einem Gassondervertrag, die den Gasversorger berechtigt,
die Gaspreise zu ändern, wenn eine Preisänderung durch seinen Vorlieferanten erfolgt, benachteiligt den Kunden entgegen den Geboten von Treu
und Glauben unangemessen und ist unwirksam.
BGH, Urteil vom 29. April 2008 – KZR 2/07 – OLG Dresden
LG Dresden
-2-
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die
Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Dezember 2006 wird zurückgewiesen, soweit das Berufungsurteil nicht zugunsten des Klägers
zu 148 ergangen ist.
Die außergerichtlichen Kosten der Kläger – mit Ausnahme des Klägers zu 148 – in der Revisionsinstanz fallen der Beklagten zur Last,
die auch die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens zu tragen hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die
die Beklagte, die Ostsachsen mit Erdgas beliefert, gegenüber den Klägern als
Sondervertragskunden vorgenommen hat. Die Verträge mit den Klägern, die die
Beklagte
noch
unter
ihrer
früheren
GmbH abgeschlossen hat, bestimmen u.a.:
Firma
G.
-3-
§2
Gaspreise
1.
Der Gaspreis setzt sich zusammen aus:
Grundpreis/Monat Arbeitspreis/kWh
2.
Die G. ist berechtigt, die Gaspreise zu ändern, wenn
eine Preisänderung durch den Vorlieferanten der G. erfolgt.
§6
Bestandteile des Vertrages
1.
Soweit in diesem Sondervertrag nichts anderes vereinbart
wird, gilt die "AVBGasV" und die hierzu veröffentlichten Anlagen, die wesentliche Bestandteile dieses Vertrages sind.
2
Die Beklagte erhöhte den Arbeitspreis zum 1. Oktober 2004, was die
Kläger hinnahmen. Die nachfolgenden Erhöhungen des Arbeitspreises zum
1. Juni und 1. November 2005 sowie zum 1. Januar und 1. April 2006 wurden
hingegen von den Klägern beanstandet.
3
Sie haben beantragt festzustellen, dass die jeweils zwischen den Klägern
und der Beklagten bestehenden Gasversorgungsverträge über den 31. Mai
2005 hinaus unverändert zu den seit dem 1. Oktober 2004 geltenden Preisen
bis zur nächsten auf die letzte mündliche Verhandlung folgenden Preiserhöhung fortbestehen.
4
Das Landgericht hat antragsgemäß erkannt. Die Berufung der Beklagten
ist ohne Erfolg geblieben (OLG Dresden RdE 2007, 58).
5
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.
-4-
6
Die Kläger zu 1 bis 15, 17 bis 51, 53 bis 61, 66 bis 89, 93 bis 111, 113
bis 116, 118 bis 120, 123 bis 133, 135 bis 143, 146, 147 und 149 bis 161 treten
dem Rechtsmittel entgegen. Der Kläger zu 148 ist während des Revisionsverfahrens verstorben.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Revision, über die durch Teilurteil nur insoweit zu entscheiden ist, als das Verfahren nicht hinsichtlich des verstorbenen Klägers zu
148 unterbrochen ist, bleibt ohne Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Landgerichts halte die Preisanpassungsklausel in § 2 der Gasversorgungsverträge zwischen den Parteien der
Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stand. Zwar enthalte die Klausel
keine Regelung über die Art und Weise der Preisberechnung. Dies führe jedoch
nicht zur Intransparenz der Klausel, weil genauere Angaben zum Umfang und
der Berechnung künftiger Preisänderungen nicht möglich seien. Dies ergebe
sich aus der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten, deren Gestaltungsspielraum durch § 19 Abs. 4 GWB und nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch durch § 315 BGB begrenzt sei. Die danach für Preiserhöhungen
maßgeblichen Gesichtspunkte könnten aber im Voraus nicht in einer sowohl
inhaltlich richtigen als auch für den Verbraucher verständlichen Weise dargelegt
werden. Das landgerichtliche Urteil sei gleichwohl im Ergebnis richtig, weil den
Preisanpassungsschreiben der Beklagten nicht – wie geboten – zu entnehmen
sei, weshalb die vorgenommenen Veränderungen bei einem marktbeherrschenden Energieversorger nach § 19 Abs. 4 GWB unbedenklich seien. Eine
entsprechende Begründungslast sei das notwendige Korrektiv für die Be-
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schränkung der Anforderungen an die Transparenz der Preisanpassungsklausel und auch bei anderen Dauerschuldverträgen wie Miet- und Heimverträgen
vorgeschrieben. Eine wirksame Preiserhöhung erfordere eine knappe und
nachvollziehbare Gesamtdarstellung. Den Erhöhungsverlangen der Beklagten
fehle hingegen der erforderliche Bezug zu den materiell-rechtlichen Kriterien
der Preiserhöhung.
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II. Diese Beurteilung hält nur im Ergebnis der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Wie das Landgericht richtig entschieden hat, ist die Preisänderungsklausel in § 2 Abs. 2 des Vertrages nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie die Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Ein Recht zur einseitigen Änderung des Vertragspreises steht der Beklagten daher nicht zu.
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1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die beanstandete Klausel der Inhaltskontrolle unterliegt. Soweit die Revision geltend macht,
die Bezugskosten der Beklagten, an deren Änderung die Preisanpassungsklausel anknüpft, seien kein bloßes Kostenelement des Arbeitspreises, sondern die
einzigen bei der Preisfindung zu berücksichtigenden (variablen) Kosten, während alle anderen (fixen) Kosten durch den Grundpreis abgedeckt seien, ist dies
zum einen vom Berufungsgericht nicht festgestellt. Zum anderen berechtigt die
Klausel die Beklagte nicht zu einer Änderung des Arbeitspreises, sondern zu
einer Änderung des Gaspreises, der sich nach § 2 Abs. 1 des Vertrages aus
Grundpreis und Arbeitspreis zusammensetzt.
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2. Hingegen kann dem Berufungsgericht nicht darin beigetreten werden,
dass eine Konkretisierung eines Preisänderungsrechts der Beklagten notwendigerweise entweder mit den Schranken kollidieren müsste, die dem Preiserhöhungsverlangen eines marktbeherrschenden Versorgers wie der Beklagten
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durch § 19 GWB gesetzt seien, oder für den Verbraucher unverständlich bleiben müsse.
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a) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist es allerdings, dass das
Berufungsgericht die Beklagte, von der es festgestellt hat, dass sie mangels
eines funktionierenden Durchleitungssystems wirksamem Wettbewerb anderer
Gasanbieter nicht ausgesetzt ist, für marktbeherrschend erachtet hat. Dem
steht nicht entgegen, dass der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 13. Juni 2007 (BGHZ 172, 315 Tz. 34) den dort beklagten Gasversorger im Sinne der "Monopolrechtsprechung" zu § 315 BGB nicht als Inhaber einer Monopolstellung angesehen hat, weil er zwar der einzige örtliche Anbieter leitungsgebundener Versorgung mit Gas sei, aber wie alle Gasversorgungsunternehmen auf dem Wärmemarkt in einem (Substitutions-)Wettbewerb
mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und
Fernwärme stehe. Der für die kartellrechtliche Beurteilung sachlich relevante
Markt ist gleichwohl der Gasversorgungsmarkt, da ein einheitlicher Markt für
Wärmeenergie nicht besteht (BGHZ 151, 274, 282 – Fernwärme für Börnsen).
Das Berufungsgericht hat dies zutreffend damit begründet, dass ein Wechsel
von einem zu einem anderen Energieträger mit erheblichen, als Marktzutrittsschranken wirkenden Umstellungskosten verbunden ist und für viele Letztverbraucher wie Mieter und einzelne Wohnungseigentümer schon mangels
rechtlicher Befugnis zu einem solchen Wechsel ausgeschlossen ist. Dass die
Preisentwicklung auf anderen Märkten für Wärmeenergie die Preisbildung auf
dem Gasversorgungsmarkt wesentlich mitbestimmt, wie schon die auch im
Streitfall mit dem Vorlieferanten der Beklagten vereinbarte Kopplung des Gaspreises an den Marktpreis für leichtes Heizöl zeigt, ändert nichts daran, dass
die Gasversorgung aus der Sicht der Erdgas als Heizenergie verwendenden
Letztverbraucher als Marktgegenseite grundsätzlich nur in Ausnahmefällen, in
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denen die Grundentscheidung über die für die Beheizung eines Gebäudes verwendete Energie erstmals oder erneut getroffen wird, durch andere Heizenergieträger substituierbar ist (vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.3.2008 – KVR 21/07,
Tz. 15 f. – Soda-Club II [für BGHZ vorgesehen]).
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b) Daraus folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch
nicht, dass sich der Inhalt einer Preisanpassungsklausel an kartellrechtlichen
Kriterien ausrichten müsste.
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In Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Preisanpassungsklauseln sind, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht grundsätzlich unwirksam. Sie sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von
Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits
dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine
Gewinnspanne trotz nachträglicher ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (BGHZ 172, 315 Tz. 22;
BGH, Urt. v. 13.12.2006 – VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054 Tz. 20; Urt. v.
11.10.2007 – III ZR 63/07, WRP 2008, 112 Tz. 19, jeweils m.w.N.).
15
Zwar nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass eine Preiserhöhung,
mit der die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen würde,
auch vertragsrechtlich nicht angemessen wäre und nicht der Billigkeit im Sinne
des § 315 BGB entspräche. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, die
Beklagte müsse, um die Angemessenheit des von ihr verlangten Preises darzutun, auch darlegen, dass ihre Preisforderung kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB ist. Denn der Missbrauch
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einer marktbeherrschenden Stellung wird nicht vermutet und muss grundsätzlich von demjenigen dargelegt werden, der sich auf einen solchen Missbrauch
beruft. Diese gesetzliche Wertung ist unbeschadet dessen zu beachten, dass
ein festgestellter Missbrauch sich auch auf das Billigkeitsurteil im Sinne des
§ 315 BGB auswirken muss (vgl. auch BGHZ 172, 315 Tz. 18).
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3. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat das Landgericht
die Klausel nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern nach § 307 Abs. 1
Satz 1 BGB für unwirksam gehalten und dazu ausgeführt: Die Preisbestimmung
sei von einem überprüfbaren Preisindex abgekoppelt und schließe nicht aus,
dass die Beklagte schlecht ausgehandelte Vorlieferantenpreise auf die Kläger
abwälze. Sie lasse eine Preiserhöhung zudem nicht nur entsprechend dem Zulieferpreis zu. Mögliche Einsparungen bei anderen Kostenfaktoren müssten
nicht berücksichtigt werden. Nach dem Wortlaut der Klausel sei es sogar möglich, den Preis bei einer Senkung des Zulieferpreises zu erhöhen. Auch die Berücksichtigung von Einstandspreiserhöhungen, die bereits vor Vertragsschluss
vorgenommen worden oder zumindest absehbar gewesen seien, sei nicht ausgeschlossen. Schließlich sei eine Pflicht der Beklagten zur Senkung des Bezugspreises bei einer Preissenkung durch den Vorlieferanten nicht vorgesehen.
Ob es der Klausel auch an der notwendigen Transparenz fehle, bedürfe hiernach keiner Erörterung.
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4. Diese Beurteilung erweist sich im Ergebnis als zutreffend. Die Preisänderungsklausel benachteiligt die Kunden der Beklagten schon deshalb entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sie nur das
Recht der Beklagten enthält, Erhöhungen ihres Gaseinstandspreises an ihre
Kunden weiterzugeben, nicht aber die Verpflichtung, bei gesunkenen Gestehungskosten den Preis zu senken. Hierdurch wird es der Beklagten ermöglicht,
eine erhöhte Kostenbelastung durch eine Preiserhöhung aufzufangen, hinge-
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gen den Vertragspreis bei einer Kostensenkung durch einen geringeren
Einstandspreis unverändert zu lassen. Risiken und Chancen einer Veränderung
des Einstandspreises werden damit zwischen den Parteien ungleich verteilt;
eine solche unausgewogene Regelung rechtfertigt kein einseitiges Recht der
Beklagten zur Änderung des sich aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ergebenden Preises.
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a) Eine Preisanpassungsklausel muss das vertragliche Äquivalenzverhältnis wahren (BGHZ 82, 21, 25; 158, 149, 158) und darf dem Verwender nicht
die Möglichkeit geben, nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (vgl. BGHZ 94, 335, 339 f.;
BGH, Urt. v. 12.7.1989 – VIII ZR 297/88, NJW 1990, 115; Urt. v. 21.9.2005
– VIII ZR 38/05, NJW-RR 2005, 1717; BGH NJW 2007, 1054 Tz. 21; WRP
2008, 112 Tz. 19). Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vertretenen
Auffassung der Beklagten enthält die Klausel – jedenfalls in der gebotenen
"kundenfeindlichsten" Auslegung – jedoch keine Verpflichtung der Beklagten,
einem gefallenen Gaseinkaufspreis nach gleichen Maßstäben wie einem gestiegenen Preis Rechnung zu tragen, und damit die Möglichkeit einer ungerechtfertigten Erhöhung ihrer Gewinnspanne.
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aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt
und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen
sind (st. Rspr.; s. nur BGHZ 102, 384, 389 f.). Zweifel bei der Auslegung gehen
nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Nach ständiger Rechtsprechung führt diese Auslegungsregel im Verbandsprozess dazu, dass bei
einer mehrdeutigen Klausel von den möglichen Auslegungen diejenige zugrun-
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de zu legen ist, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt (s. nur BGHZ 139, 190,
199; 158, 149, 155). Denn damit ist die scheinbar "kundenfeindlichste" Auslegung im Ergebnis regelmäßig die dem Kunden günstigste. Diese Regel gilt aber
nicht nur im Verbandsprozess, sondern kann auch im Individualprozess anwendbar sein (Basedow in MünchKomm. BGB, 5. Aufl., § 305c Rdn. 20, 35;
Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 305c Rdn. 20; jeweils m.w.N.; beachtliche
Argumente hierfür sieht bereits BGH, Urt. v. 11.2.1992 – XI ZR 151/91, NJW
1992, 1097, 1099; Urt. v. 10.5.1994 – XI ZR 65/93, NJW 1994, 1798, 1799; auf
die kundenfeindlichste Auslegung stellt ohne weiteres im Individualprozess ab
BGH, Urt. v. 20.12.2007 – III ZR 144/07, NJW 2008, 987 Tz. 9; für eine "kundenfeindliche" Anwendung der Unklarheitenregel wohl auch BGH, Urt. v.
20.10.2004 – VIII ZR 378/03, NJW 2005, 425, 426). Führt die kundenfeindlichste Auslegung zur Unwirksamkeit der Klausel und begünstigt dadurch den Kunden, ist diese Auslegung zugrunde zu legen. Erst wenn sich die Klausel nach
jeder in Betracht kommenden Auslegung als wirksam erweist, ist bei der Anwendung der Klausel die dem Kunden günstigste Auslegung maßgeblich. Hierdurch wird vermieden, dass die Entscheidung im Individualprozess auf eine
Klausel gegründet wird, die im Verbandsprozess für unwirksam zu erklären wäre.
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bb) Die Klausel berechtigt die Beklagte zu einer Preisanpassung bei einer Preisänderung durch ihren Vorlieferanten. Ein solches Preisanpassungsrecht ist im Allgemeinen dahin auszulegen, dass dem Versorger das Recht eingeräumt wird, den Umfang der Preisanpassung im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB
nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. BGHZ 97, 212, 217 zu Zinsanpassungsklauseln). Dies schließt es entgegen der Auffassung des Landgerichts
jedenfalls aus, eine Senkung des Einstandspreises zum Anlass für eine Preiserhöhung zu nehmen. Die Bindung der Preisanpassung an den Maßstab billi-
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gen Ermessens mag es ferner ausschließen, bei einer Preisanpassung nur Erhöhungen des Einstandspreises zu berücksichtigen, jedoch ein vorübergehendes Absinken des Einstandspreises außer Betracht zu lassen. Jedoch lässt die
Klausel eine Auslegung zu, nach der die Beklagte zwar berechtigt, nicht aber
verpflichtet ist, nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine
Preisanpassung unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich der
Einstandspreis seit Vertragsschluss oder seit der letzten Preisanpassung entwickelt hat.
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Die Möglichkeit zur Preisanpassung ist als Recht, nicht als Pflicht der
Beklagten ausgestaltet. Dies ist nicht grundsätzlich zu beanstanden, da es nicht
im Interesse der Kunden der Beklagten sein kann, diese zu verpflichten, jede
Erhöhung der Gaskosten unverzüglich weiterzugeben. Die Ausgestaltung der
Preisanpassungsklausel als Recht der Beklagten für den Fall einer Preisänderung durch ihren Vorlieferanten lässt indessen erkennen, dass die Klausel jedenfalls primär auf die Weitergabe von Preissteigerungen zugeschnitten ist. Ihr
ist damit jedenfalls nicht mit der ein anderes Verständnis ausschließenden Eindeutigkeit zu entnehmen, nach welchen Kriterien die Beklagte den Preisänderungszeitpunkt zu bestimmen hat. Der Einstandspreis des Versorgers ändert
sich typischerweise häufiger als sein Abgabepreis. So ändert sich nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts auch der von der Beklagten zu zahlende
– an den Preis für leichtes Heizöl in einer bestimmten Referenzperiode gekoppelte – Arbeitspreis quartalsweise jeweils zum ersten Tag des ersten Monats,
während die Beklagte den Vertragspreis in den Jahren 2005 und 2006 jeweils
zweimal, jedoch zu unterschiedlichen Terminen, angepasst hat. Mangels anderweitiger vertraglicher Vorgaben hat die Beklagte damit die Möglichkeit, den
Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sie von dem Preisänderungsrecht Gebrauch
macht, und durch die in der Preisanpassungsklausel nicht vorgegebene Wahl
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des Preisanpassungstermins erhöhten Einstandskosten umgehend, niedrigeren
Einstandskosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine
Preisänderung Rechnung zu tragen.
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cc) Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil der
Bundesgerichtshof mit Urteil vom 6. März 1986 und in Folgeentscheidungen
eine hinsichtlich der Maßstäbe und Zeitpunkte einer Zinsänderung offene Zinsanpassungsklausel für wirksam erachtet hat (BGHZ 97, 212, 217 ff.; 118, 126,
130 f.; BGH, Urt. v. 12.10.1993 – XI ZR 11/93, NJW 1993, 3257, 3258).
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Zum einen hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einem Urteil
vom 17. Februar 2004 (BGHZ 158, 149, 156) ausdrücklich offengelassen, ob an
dieser Beurteilung im Hinblick auf die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln festzuhalten ist. Zum anderen ist das Urteil
vom 6. März 1986, das auch nicht den Grundsatz der "kundenfeindlichsten"
Auslegung zugrunde legt, ausdrücklich darauf gestützt, dass die Wirksamkeit
eines Preisänderungsrechts nicht ohne Berücksichtigung der Art des konkreten
Vertrages, der typischen Interessen der Vertragschließenden und der die jeweilige Klausel begleitenden Regelung entschieden werden kann (BGHZ 93, 252,
257) und für die Beurteilung von Kreditverträgen insoweit – auch aus der Sicht
der Kunden – andere Kriterien gelten als für Kauf- und Werkverträge, da die
Festlegung der – gleichermaßen in beide Richtungen schwankenden – Zinsen
anderen Regeln folgt als die Bestimmung der (Haupt-)Gegenleistung bei Kaufund Werkverträgen (BGHZ 97, 212, 218).
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b) Entgegen der Auffassung der Revision steht der Unwirksamkeit der
Preisänderungsklausel schließlich auch nicht entgegen, dass sie dem gesetzlichen Leitbild des (bis zum 7. November 2006 geltenden) § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV entspräche.
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Allerdings kann den Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine
Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden ebenso wie den Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden, obwohl sie für Sonderverträge nicht gelten, "Leitbildfunktion im weiteren Sinne" zukommen (BGHZ 138, 118, 126 ff.). Indessen ist
eine solche Funktion den Vorschriften der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden nicht pauschal beizumessen,
sondern jeweils für die einzelne in Rede stehende Bestimmung zu prüfen. Damit wird auch dem Umstand angemessen Rechnung getragen, dass nach § 310
Abs. 2 BGB zwar die §§ 308, 309 keine Anwendung auf Verträge über die Versorgung von Sonderabnehmern mit Gas finden, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine
Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden abweichen, die allgemeine
Inhaltskontrolle nach § 307 BGB jedoch nicht ausgeschlossen ist.
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Hiernach kommt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel nicht zu. Die Vorschrift bestimmt, dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen
Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Zwar ergibt
sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des
§ 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge
des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und
Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172,
315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer
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Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte
einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den
Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst
daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht
hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist, und enthält damit gerade
dasjenige zu einer ausgewogenen Regelung notwendige Element, das der von
der Beklagten vorgegebenen vertraglichen Anpassungsklausel fehlt.
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c) Dass ein Kündigungsrecht der Abnehmer – unabhängig davon, ob allein das vertraglich vorgesehene Recht besteht, den Vertrag nach zweijähriger
Laufzeit mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen, oder ob über § 6 Abs. 1
ein Sonderkündigungsrecht nach § 32 Abs. 2 AVBGasV in Betracht kommt –
angesichts der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten die Benachteiligung der Abnehmer nicht ausgleichen kann, hat das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang rechtsfehlerfrei ausgeführt.
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d) Hiernach kann dahinstehen, ob es der Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel auch entgegensteht, dass die Beklagte das Gewicht des Gaseinkaufspreises bei der Kalkulation des Gesamtpreises nicht offengelegt hat (s.
dazu BGH NJW-RR 2005, 1717; NJW 2007, 1054 Tz. 23 ff.; WRP 2008, 112
Tz. 19).
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5. An Stelle der unwirksamen Preisanpassungsklausel tritt entgegen der
von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung auch
kein Preisänderungsrecht entsprechend § 4 AVBGasV. Die Verordnung gibt
dem Versorger kein allgemeines Preisanpassungsrecht, sondern das Recht zur
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Bestimmung (und Änderung) derjenigen allgemeinen Tarife und Bedingungen,
zu denen der Versorger nach § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (1998)
jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hat (§ 1
Abs. 1 AVBGasV). Die Kläger sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch keine Tarif-, sondern Sondervertragskunden. Der Preis, den sie zu
zahlen haben, ergibt sich nicht aus dem allgemeinen, für jedermann geltenden
Tarif der Beklagten, sondern aus der vertraglichen Vereinbarung in § 2 Abs. 1
des Gasbezugsvertrages. Auf einen solchen vereinbarten Preis findet das Tarifbestimmungsrecht des Versorgers weder unmittelbare noch entsprechende
Anwendung.
30
6. Der Beklagten ist auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Preisänderungsrecht zuzubilligen.
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Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam und richtet sich sein Inhalt gemäß § 306 Abs. 2 nach den gesetzlichen Vorschriften. Anders als nach § 139 BGB ist der Vertrag nach § 306
Abs. 3 BGB nur dann insgesamt unwirksam, wenn das Festhalten an ihm auch
unter Berücksichtigung derjenigen Inhaltsvorgaben, die sich aus der Geltung
der gesetzlichen Vorschriften nach Absatz 2 ergeben, eine unzumutbare Härte
für eine Vertragspartei darstellen würde.
32
Diese gesetzliche Regelung schließt nach ständiger Rechtsprechung eine ergänzende Vertragsauslegung nicht aus, weil es sich auch bei den Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB, in denen die ergänzende Vertragsauslegung
ihre Grundlage hat, um gesetzliche Vorschriften im Sinne des § 306 Abs. 2
BGB handelt (BGHZ 90, 69, 75). Jedoch muss auch bei einer ergänzenden Vertragsauslegung die Grundentscheidung des Gesetzgebers beachtet werden,
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den Vertrag grundsätzlich mit dem sich aus den Normen des dispositiven Gesetzesrechtes, welche der ergänzenden Vertragsauslegung vorgehen, ergebenden Inhalt aufrechtzuerhalten (vgl. BGHZ 117, 92, 99). Eine ergänzende
Vertragsauslegung kommt daher nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall
einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen
Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten des Kunden verschiebt (BGHZ 90, 69,
75 ff.; 137, 153, 157; 143, 103, 120).
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Im Streitfall steht der Beklagten das Recht zu, sich nach zweijähriger
Vertragsdauer mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist vom Vertrag zu lösen.
Wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden bleibt, so führt dies nicht ohne weiteres zu einem unzumutbaren Ergebnis.
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Dass die Beklagte in den Tatsacheninstanzen Umstände dargetan hätte, die
eine andere Beurteilung geböten, zeigt die Revision nicht auf.
Bornkamm
Raum
Strohn
Meier-Beck
Koch
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 30.06.2006 - 10 O 3613/05 OLG Dresden, Entscheidung vom 11.12.2006 - U 1426/06 Kart -