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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 8/10
Verkündet am:
20. Januar 2011
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
Die Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung kann auch dann als inkongruente Deckung anfechtbar sein, wenn der Gläubiger unter Ankündigung der
Zwangsvollstreckung zur umgehenden Leistung auffordert, ohne eine letzte konkrete
Frist zu setzen (Ergänzung zu BGH, ZInsO 2003, 611).
BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - IX ZR 8/10 - LG Chemnitz
OLG Dresden
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Raebel, die Richter Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Dezember 2009 wird auf Kosten des
Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 7. März 2005 am
1
2. Mai 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L.
AG (fortan: Schuldnerin). Diese entrichtete am 10. Februar
2005 rückständige Steuern aus den Monaten November und Dezember 2004
sowie Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 64.191 € an den beklagten
Freistaat, nachdem die Finanzkasse sie mit Schreiben vom 2. Februar 2005 zur
umgehenden Zahlung aufgefordert und zugleich Vollstreckungsmaßnahmen für
den Fall angekündigt hatte, dass die Schuldnerin der Aufforderung nicht nachkam.
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Der Insolvenzverwalter nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr der genannten Zahlung in Anspruch. Das Landgericht
hat seine Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit
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der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
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Die Revision ist unbegründet.
I.
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Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Rückgewähranspruch gemäß § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO zu.
Die Schuldnerin habe dem Beklagten unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eine inkongruente Deckung gewährt. Das unmissverständlich mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" betitelte Schreiben vom 2. Februar 2005 sei von der Schuldnerin nur so zu verstehen gewesen, dass ihr damit eine letzte Gelegenheit zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung eingeräumt worden sei. Der
Drohungsgehalt des Schreibens unterscheide sich nicht von demjenigen, das
Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Mai 2003
(IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611) gewesen sei. Mit der Aufforderung zur "umgehenden" Zahlung werde dem Schuldner die Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Zahlung mindestens ebenso deutlich vor Augen geführt wie mit einer exakt
bemessenen (Wochen-)Frist. Für die Annahme, dass die Finanzkasse ihr vor
der Vollstreckung eine nochmalige Zahlungsfrist setzen würde, habe die
Schuldnerin keinen Anlass gehabt. Auf die "freundliche" Formulierung des
Schreibens komme es nicht an. Ob die Vollstreckung der Beklagten nach ihren
internen, der Schuldnerin nicht bekannten, Abläufen tatsächlich alsbald möglich
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und beabsichtigt gewesen sei, könne dahinstehen. Das Schreiben vom 2. Februar 2005 sei der Schuldnerin vor der Zahlung vom 10. Februar 2005 zugegangen, dies folge schon aus der Mitüberweisung der darin festgesetzten Säumniszuschläge.
II.
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Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Der Beklagte hat innerhalb der Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine inkongruente Befriedigung erlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger daher mit
Recht einen Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO auf Rückgewähr des am 10. Februar 2005 gezahlten Betrages zuerkannt.
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1. Seit der Entscheidung vom 9. September 1997 (IX ZR 14/97, BGHZ
136, 309, 311 ff) hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts
auch dann vorliegt, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat (vgl. BGH, Urteil
vom 20. November 2001 - IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228, 229; vom 11. April
2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194; vom 26. September 2002 - IX ZR
66/99, WM 2003, 59, 60; vom 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, ZInsO 2003, 611,
612; vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 248; vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 8). Hierzu gehört auch der hier
zu entscheidende Fall.
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a) Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es nicht wesentlich, ob die
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Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde (vgl. BGH, Urteil
vom 15. Mai 2003, aaO S. 612; vom 18. Dezember 2003, aaO; vom
7. Dezember 2006, aaO Rn. 8). Der Schuldner leistet nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs regelmäßig unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass
er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner
die Forderung nicht erfülle (BGH, Urteil vom 11. April 2002, aaO). Ob der
Schuldner aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus seiner objektivierten Sicht (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006,
aaO Rn. 8).
b) Ein die Inkongruenz begründender Druck einer unmittelbar bevorste-
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henden Zwangsvollstreckung besteht noch nicht, wenn der Schuldner nach Zustellung eines Vollstreckungsbescheides die titulierte Forderung erfüllt, ohne
dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor eingeleitet oder angedroht
hat (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, aaO Rn. 10 ff). Dort
war noch nicht davon auszugehen, dass der Zustellung die Zwangsvollstreckung auf dem Fuße folgt. Der Vollstreckungsbescheid enthält noch keine Vollstreckungsandrohung, letzte Zahlungsfrist oder Zahlungsaufforderung, durch
die eine entsprechende Erwartungshaltung des Schuldners erzeugt werden
kann.
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c) Das Berufungsgericht ist zutreffend von einer Situation ausgegangen,
die nach der Rechtsprechung des Senats als inkongruente Deckung zu beurteilen ist. Das formularmäßige Schreiben des Beklagten vom 2. Februar 2005 war
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mit "Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung" überschrieben. Es
enthielt einen Hinweis auf die Fälligkeit der aufgeführten Beträge. Danach folgte
die Aufforderung, den rückständigen Gesamtbetrag umgehend zu bezahlen.
Sodann lautet der Text wie folgt:
"Falls Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen Sie mit der
Durchführung kostenpflichtiger Vollstreckungsmaßnahmen rechnen, z.B.
der Pfändung von Sachen, ihres Arbeitseinkommens, ihren Forderungen
gegenüber Kreditinstituten und anderen Schuldnern oder gegebenenfalls
der Vollstreckung in ihr unbewegliches Vermögen (Grundstücke usw.)."
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Das der Entscheidung vom 15. Mai 2003 (aaO) zugrunde liegende Schreiben
war von der Finanzkasse ebenfalls automatisch versandt worden. Es enthielt
die Aufforderung, rückständige Steuern und Säumniszuschläge innerhalb einer
Woche zu zahlen, verbunden mit der Ankündigung, nach Ablauf der Frist zu
vollstrecken. Das Berufungsgericht hat das Schreiben vom 2. Februar 2005 zutreffend als ausreichend angesehen, den für eine inkongruente Deckung erforderlichen Vollstreckungsdruck auszulösen. Soweit das Oberlandesgericht
Hamm in einem vom Beklagten vorgelegten Urteil vom 25. Februar 2010 (27 U
117/09) meint, anhand eines solchen Schreibens könne noch nicht festgestellt
werden, dass eine Vollstreckung der Steuern unmittelbar bevorstehe, vielmehr
handele es sich um eine typische erste Mahnung, mit der der Schuldner an die
Zahlung erinnert werde, ist dies unrichtig. Ergibt sich - wie hier - aus dem
Schreiben mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung, dass der Schuldner nur
wenige Tage Zeit hat, um die bereits angekündigte Zwangsvollstreckung durch
Zahlung abzuwenden, wird der Vollstreckungsdruck erzeugt, durch dessen Inkongruenz in § 131 InsO eingreift. Auf die Verwendung einer nach Tagen bemessenen Frist kommt es dabei nicht an. Wird eine Wochenfrist noch weiter
verkürzt, indem - etwa durch Benutzung des Wortes "umgehend" - zum Aus-
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druck gebracht wird, dass der Schuldner nur die Wahl hat, sofort zu zahlen
oder die Zwangsvollstreckung in Kauf zu nehmen, reicht dies erst recht aus, um
eine Drucksituation zu schaffen, die zur Inkongruenz führen kann. Aus der
maßgeblichen Sicht des Schuldners, der die internen Verwaltungsvorgänge des
Gläubigers nicht kennt, wird auch in einem solchen Fall der Eindruck hervorgerufen, die Zwangsvollstreckung stehe unmittelbar bevor. Einen bloßen unverbindlichen Hinweis auf die theoretisch möglichen Folgen der Nichtzahlung enthält ein solches Schreiben nicht. Durch die Verknüpfung der Aufforderung,
"umgehend" die rückständigen Steuern zu entrichten, mit der Ankündigung,
kostenpflichtige Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen, falls keine Zahlung
erfolgt, muss der Schuldner damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorsteht, wenn er nicht auf der Stelle bezahlt. Auch wenn das
Schreiben keine konkrete Fristsetzung enthält, kann er nicht davon ausgehen,
dass es zunächst weitere Mahnungen oder Vollstreckungsandrohungen gibt,
bevor eine Zwangsvollstreckung tatsächlich stattfindet. Hierfür gab es vorliegend in dem Schreiben, das auch insofern auf die Situation der Schuldnerin
zugeschnitten war, als schon auf eine mögliche Haftung des gesetzlichen Vertreters aus § 69 AO hingewiesen wurde, keine Anhaltspunkte. Aus objektiver
Sicht war für einen mit den Verwaltungsvorgängen nicht vertrauten Dritten zunächst zu erwarten, dass es nicht folgenlos bleiben würde, wenn er die Aufforderung zur umgehenden Zahlung ignorierte. Zu rechnen war vielmehr mit der
Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit.
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Der bloße Verzicht auf die Angabe einer konkreten Zahlungsfrist und deren Ersetzung durch das nach allgemeinem Sprachverständnis auf eine sofortige oder augenblickliche Zahlung gerichtete Wort "umgehend" schafft keine Situation, die sich von derjenigen, in der eine nach wenigen Tagen bemessene
Frist gesetzt wird, nennenswert unterscheidet. Auch bei der Verknüpfung der
Aufforderung zu einer umgehenden Zahlung mit der Ankündigung der Vollstre-
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ckung wird eine Drucksitution geschaffen, in der ein Schuldner im Fall der
Nichtzahlung mit einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung rechnen muss.
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Die hier vorliegende "Mahnung mit Ankündigung von Zwangsvollstreckung" geht über ein erstes Mahnschreiben, das keine Inkongruenz bewirken
kann, deutlich hinaus. Typisch für eine erste Mahnung ist, dass bisher gar kein
Zahlungstitel existiert, jedenfalls aber eine Zwangsvollstreckung noch nicht absehbar ist. Dass eine erste Mahnung unter dem Blickwinkel eines inkongruenten Vollstreckungsdrucks nicht einer Mahnung mit Ankündigung der Zwangsvollstreckung gleichsteht, liegt auf der Hand. Durch die Ankündigung der
Zwangsvollstreckung wird beim Empfänger die Erwartung hervorgerufen, dass
diese auch umgehend stattfindet, wenn er nicht zahlt. Dass der Absender sich
anders entschließt und zunächst weitere Mahnungen folgen lässt, die einen
Rückschritt gegenüber dem bereits erzeugten Zahlungsdruck bedeuten würden,
ist dagegen nicht zu erwarten. Unter den gegebenen Umständen kann der Hinweis auf die unterschiedlichen Vollstreckungsmöglichkeiten auch nicht als bloße
Erläuterung der Vollstreckungsarten verstanden werden. Aufgrund der Ankündigung der Vollstreckung im Fall der Nichtzahlung musste der Empfänger damit
rechnen, der Absender werde sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten einsetzen,
soweit das Vermögen des Schuldners dafür eine Grundlage bot. Deshalb war
auch nicht zu erwarten, dass nach der bereits erfolgten Ankündigung der
Zwangsvollstreckung die Androhung bestimmter einzelner Vollstreckungsmaßnahmen vor ihrer Anordnung nachfolgte. Jedenfalls konnte der unbefangene
Empfänger
des
Schreibens
nach
seinem
Inhalt
nicht
darauf
schließen, dass es sich nur um eine verschärfte Zahlungsaufforderung ohne
ernsthafte Vollstreckungsabsichten des Versenders gehandelt haben könnte.
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d) Eine Ausuferung der durch Vollstreckungsdruck herbeigeführten Inkongruenz ist damit nicht zu befürchten. Diese Gefahr ist entgegen der Auffassung der Revision auch im Hinblick auf die Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO
nicht gegeben. Ist eine entsprechende Ankündigung außerhalb des DreiMonats-Zeitraums ergangen, so führt eine daraufhin erfolgte Zahlung nicht zur
Inkongruenz (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75,
83 f; vom 18. Dezember 2003, aaO S. 254 f; Beschluss vom 18. Juni 2009 - IX
ZR 7/07, ZIP 2009, 1434 Rn. 6).
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2. Die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung des § 131 Abs. 1
Nr. 1 InsO liegen vor. Soweit der Beklagte im Revisionsverfahren weiterhin in
Abrede stellt, dass die Zahlung der Schuldnerin unter dem Druck des Schreibens vom 2. Februar 2005 erfolgt ist, wendet er sich gegen die anders lauten-
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den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Durchgreifende Verfahrensrügen erhebt die Revision insoweit nicht.
Kayser
Raebel
Grupp
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Chemnitz, Entscheidung vom 31.07.2009 - 4 O 2245/08 OLG Dresden, Entscheidung vom 02.12.2009 - 13 U 1279/09 -