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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 60/10
Verkündet am:
9. Dezember 2010
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1; BGB § 242 Cc
Wird dem Anleger in einem Schneeballsystem neben Scheingewinnen auch die Einlage ausgezahlt, kann sich der anfechtende Insolvenzverwalter nicht darauf berufen,
die Einlage sei durch Verluste und Verwaltungsgebühren teilweise aufgebraucht.
BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10 - OLG Karlsruhe
LG Waldshut-Tiengen
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. März 2010 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli
2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P.
GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie
warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07
vom Hundert. Die Beklagte erklärte am 25. März 1996 ihren Beitritt zu der Anlegergemeinschaft. Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung
der Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht
mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete
die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlun-
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gen an Altkunden. Die Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet
76.262,59 €. Sie erhielt von der Schuldnerin am 15. August 2003 eine Auszahlung in Höhe von 103.626,01 €.
2
Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die
Rückgewähr der an die Beklagte geleisteten Auszahlung abzüglich der Einlage
der Beklagten, somit 27.363,42 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.107,85 €, jeweils zuzüglich Zinsen verlangt. Das
Landgericht hat der Klage in Höhe von 18.227,78 € zuzüglich anteiliger Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben. Gestützt auf eine Neuberechnung des
Kontostandes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnisses", in welcher der Kläger Scheingewinne der Beklagten in Höhe von
39.686,04 € ausgewiesen hat, hat er die Klage im Berufungsverfahren auf diesen Betrag erweitert. Das Berufungsgericht hat der Klage in Höhe der ursprünglichen Klageforderung von 27.363,42 € zuzüglich entsprechender Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
3
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
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I.
4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Insolvenzverwalter könne die
Auszahlung der Schuldnerin in Höhe der Differenz zur ursprünglichen Einlage
der Beklagten als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustellen und nicht auf den vom Kläger im Rahmen der nachträglichen Berechnung
ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und Bestandsprovisionen verbleibenden Restbetrag der Einlage. Die Bestandsprovisionen habe
die Schuldnerin nicht verdient, weil sie die Anlagegelder nicht vertragsgemäß
verwaltet, sondern im Rahmen des "Schneeballsystems" an Altanleger verteilt
habe. Die "reale" Gewinn- und Verlustverteilung sei angesichts des von der
Vertragslage gänzlich abweichenden Geschäftsmodells der Schuldnerin rein
fiktiv.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis
5
stand.
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1. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Leistungen der
Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO
zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangspunkt
gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten (BGH, Urteil
vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6; vom 22. April
-5-
2010 - IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils mwN). Auszahlungen, mit
denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 22. April
2010 - IX ZR 225/09, ZIP 2010, 1455 Rn. 11).
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2. Im Streitfall wurde innerhalb des Anfechtungszeitraums (vier Jahre vor
dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 134 Abs. 1 InsO) das gesamte ausgewiesene Guthaben der Beklagten ausgezahlt und ihr Konto aufgelöst. Das Guthaben setzte sich aus der geleisteten Einlage und den der Beklagten zugeschriebenen fiktiven Gewinnanteilen zusammen. Die bei Teilauszahlungen zu beantwortende Frage, ob und in welchem Umfang von der Schuldnerin auf Scheingewinne oder auf die Einlage gezahlt wurde, stellt sich hier nicht.
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a) In dem über den Betrag der Einzahlung hinausgehenden Umfang
handelte es sich um die Auszahlung von Scheingewinnen, die als unentgeltliche
Leistung der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO unterliegt.
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b) Soweit die Auszahlung auf die ungeschmälerte Einlage erfolgte, sind
die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung hingegen nicht gegeben.
Auf eine teilweise Unentgeltlichkeit auch dieses Teils der Auszahlung kann sich
der Kläger nicht berufen.
10
aa) Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn der Schuldner einen
Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgibt, ohne dass ihm ein
entsprechender Gegenwert zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv
ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen
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der Beteiligten sein sollte (BGH, Urteil vom 29. November 1990 - IX ZR 29/90,
BGHZ 113, 98, 101 f; vom 18. März 2010 - IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 f
Rn. 9). Erbringt der Schuldner eine Leistung im Rahmen eines entgeltlichen
Vertrags, ist seine Leistung entgeltlich, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung ist dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 134 Rn. 17a,
26; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 134 Rn. 11). Die Rückzahlung der Einlage der Beklagten war daher grundsätzlich nur insoweit entgeltlich, als die Schuldnerin
nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war, die Einlage an die Beklagte zurückzuzahlen.
11
bb) Der Vertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten war nicht
nach § 138 BGB nichtig. Sittenwidrig war lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene, nicht aber das mit der gutgläubigen Beklagten vereinbarte
System der Kapitalanlage (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 140/03,
ZIP 2005, 753, 756; vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, z.V.b.; Bitter/Heim,
ZIP 2010, 1569, 1570). Soweit der Senat in seinem Urteil vom 22. April 2010
(IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 8, 12) in nicht entscheidungserheblicher
Weise eine andere Beurteilung anklingen ließ, wird daran nicht festgehalten.
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cc) Die Beklagte war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach
den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten
allerdings Verluste aus den Anlagegeschäften mit den Beiträgen des Anlegers
verrechnet werden (AGB Nr. 1.2, 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung
eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten (AGB Nr. 10.2). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger
nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neube-
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rechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben der Beklagten
bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die
Entwicklung des Kontos der Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003
eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen
versucht.
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dd) Entgegen der Ansicht der Revision kann sich der Kläger auf diese
Nachberechnung nicht stützen. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus
den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der Beklagten verstößt unter den gegebenen
Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
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(1) Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn
ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch
als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treuepflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leichtfertigen
Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt (BGH, Beschluss vom 6. Mai
2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 131 f; Urteil vom 19. Mai 2005 - III ZR
322/04, WM 2005, 1480, 1481; Beschluss vom 23. September 2009 - V ZB
90/09, NZI 2009, 820 Rn. 8 f, 15; jeweils mwN.). Diese Voraussetzungen liegen
hier vor. Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt
der Beklagten eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem
sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen
-8-
der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht
mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die
laufenden Kosten verwendete.
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(2) Das dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer
Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend
ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die Beklagte in der
Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage
um die Verluste aus den wenigen noch getätigten Anlagegeschäften zu vermindern wäre.
Kayser
Gehrlein
Grupp
Fischer
Möhring
Vorinstanzen:
LG
Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 15.08.2008 - 2 O 56/08 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.03.2010 - 4 U 133/08 -