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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 253/12
vom
14. November 2013
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape
und die Richterin Möhring
am 14. November 2013
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. September 2012 zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten wird der vorbezeichnete Beschluss
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 91.990,33 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Klägerin nimmt die beklagte Anwaltssozietät aus eigenem und aus
abgetretenem Recht ihres Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch, weil
diese dazu geraten hatte, eine Forderung der S.
eG aus
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einem Darlehensvertrag, welcher der Finanzierung einer Fondsbeteiligung diente, anzuerkennen; nach Ansicht der Klägerin hätte ihr Ehemann die Widerruflichkeit des Vertrages nach dem Haustürwiderrufsgesetz einwenden können.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 91.990,33 € nebst Zinsen
Zug um Zug gegen Übertragung der Fondsanteile sowie zur Zahlung weiterer
3.215,02 € nebst Zinsen verurteilt und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil ist durch Beschluss
gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden.
II.
2
Die Revision ist zuzulassen und begründet. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 522 Abs. 3, § 544 Abs. 1, Abs. 7 ZPO).
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1. Das Berufungsgericht hat den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, der Ehemann der Klägerin habe die Konditionen des Darlehensvertrages bereits vor dessen Unterzeichnung am 24. April 1996 gekannt, unter Bezugnahme auf § 138 ZPO für unbeachtlich gehalten. Dieses Vorgehen findet im
Prozessrecht keine Stütze (Art. 103 Abs. 1 GG). Eine Partei ist nicht gehindert,
ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern. Eine etwaige Widersprüchlichkeit im Parteivortrag ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu
berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12, zVb, Rn. 41). Zudem war die Beklagte an den Verhandlungen zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Zeugen St.
nicht beteiligt. Schon deshalb kann ihr kein
Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) vorgeworfen werden. Sie war auch nicht gehalten, zu den Einzelheiten eines Vorgangs vorzu-
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tragen, von dem sie keine eigene Kenntnis haben konnte (vgl. BGH, Urteil vom
25. November 1998 - VIII ZR 345/97, NJW-RR 1999, 360; vom 15. Mai 2001
- VI ZR 55/00, NJW-RR 2001, 1294, 1295).
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2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hätte das vorgenannte
Vorbringen der Beklagten gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO zugelassen werden müssen. Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind
neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen
oder für unerheblich gehalten worden ist. Nach Ansicht des Landgerichts kam
es auf die Umstände des Abschlusses des Darlehensvertrages am 24. April
1996 nicht an. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2011 wurden die Parteien darauf hingewiesen, es komme darauf an, wann dem Zedenten die Fondsbeteiligung erstmals angeboten worden sei. Der Beweisbeschluss
vom 26. Juli 2011 lautete folgerichtig, es sei Beweis darüber zu erheben, wie es
zu der am 13. März 2006 gezeichneten Beteiligung gekommen sei. Auch das
landgerichtliche Urteil befasst sich ausschließlich mit dem Inhalt der Beratung
am 13. März 1996 sowie der Frage, ob der Darlehensvertrag als verbundenes
Geschäft im Sinne von § 9 Abs. 3 VerbrKrG angesehen werden kann. Die Beklagte hatte daher keinen Anlass, sich mit dem Vortrag der Klägerin zu den
Umständen des Abschlusses des Darlehensvertrages am 24. April 1996 auseinanderzusetzen.
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3. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Verstöße gegen
Art. 103 Abs. 1 GG auf die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgewirkt haben. Die Klägerin ist beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Pflichtverletzung der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR
261/03, BGHZ 171, 261 Rn. 12), dafür also, dass die Empfehlung, die Darle-
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hensforderung anzuerkennen, der Sach- und Rechtslage nicht entsprach. Die
dem Mandanten günstigen Beweislastregeln eines etwaigen Ausgangsprozesses sind zwar auch im Rechtsstreit gegen den Anwalt anzuwenden (BGH, Urteil
vom 13. Juni 1996 - IX ZR 233/95, BGHZ 133, 110, 115). Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Haustürsituation und deren Kausalität für
den Abschluss des Vertrages ist jedoch der Verbraucher (BGH, Urteil vom
16. Januar 1996 - XI ZR 116/95, BGHZ 131, 385, 392; Beschluss vom 22. September 2008 - II ZR 257/07, WM 2009, 76 Rn. 5; Urteil vom 22. Mai 2012 - II ZR
14/10, WM 2012, 1474 Rn. 19 zu § 312 BGB). Werden die Vertragsverhandlungen in der Privatwohnung des Verbrauchers geführt und kommt es sodann
noch während dieser Zusammenkunft zum Abschluss eines Vertrages, kann in
aller Regel davon ausgegangen werden, dass die Haustürsituation für den Vertragsschluss jedenfalls mitursächlich geworden ist, mit der Folge, dass der Verbraucher die Bestimmung zum Vertragsschluss nicht konkret darlegen und beweisen muss. Die von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den
Verhandlungen und dem Vertragsschluss ausgehende Indizwirkung nimmt aber
mit zunehmendem zeitlichen Abstand ab und kann nach einer gewissen Zeit
ganz entfallen. Welcher Zeitraum hierfür erforderlich ist und welche Bedeutung
möglicherweise auch anderen Umständen im Rahmen der Kausalitätsprüfung
zukommt, ist eine Frage der Würdigung des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 9. Mai
2006 - XI ZR 119/05, WM 2006, 1243 Rn. 14). Die von der Beklagten behauptete, als qualifiziertes Bestreiten der Haustürsituation und deren Kausalität für den
Abschluss des Darlehensvertrages zu wertende und von der Klägerin daher zu
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widerlegende Vorkenntnis des Ehemannes der Klägerin ist ein Umstand, der
gegebenenfalls in diese Würdigung einzubeziehen gewesen wäre.
Kayser
Vill
Pape
Lohmann
Möhring
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.01.2012 - 6 O 500/10 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.09.2012 - I-14 U 34/12 -