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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 182/00
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
BGHZ:
Verkündet am:
17. Januar 2002
Bürk,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
ja
nein
BGB § 675
Ein Rechtsanwalt, der beim Abschluß eines Vergleichs mitwirkt, hat bei der
Abfassung des Vergleichstextes für eine vollständige und richtige Niederlegung
des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht
erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 - IX ZR 182/00 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Stodolkowitz, Dr. Ganter, Raebel und Kayser
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats
des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 29. März 2000 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das "Grundurteil" der 9. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 12. April 1999 wird
mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte auch verpflichtet ist, dem Kläger allen zukünftigen Schaden zu ersetzen,
der ihm durch die Fassung der Nummer IV des Unterhaltsvergleichs vom 4. März 1991 noch entstehen wird.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelinstanzen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der verklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in dessen Scheidungsverfahren am 4. März 1991 im Verhandlungstermin vor dem Familiengericht.
Vor Erlaß des Urteils, durch das die Ehe geschieden wurde, schlossen die
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Eheleute einen Vergleich, in dem sich der Kläger zur Zahlung von Unterhalt an
seine Ehefrau und die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder verpflichtete. Dem lag eine vorangegangene, vom Anwalt der Ehefrau formulierte
privatschriftliche Vereinbarung zugrunde, an der der Beklagte nicht mitgewirkt
hatte. Auf die Frage des Richters nach berufsbedingten Aufwendungen des
Klägers, die in der Vereinbarung nicht berücksichtigt waren, schlug der Bevollmächtigte der Ehefrau vor, diese Aufwendungen anläßlich der Anpassung des
Unterhalts aufgrund des bevorstehenden Wechsels der Steuerklasse des Klägers in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen. In dem sodann protokollierten Vergleich hieß es in Nr. IV dazu:
"Im Fall einer wesentlichen Veränderung der derzeitigen Einkommensverhältnisse, insbesondere auch bei einem Wechsel der
Steuerklasse des Ehemannes, soll eine Abänderung dieses Vergleichs möglich sein, wobei die Abänderung unabhängig von diesem Vergleich nach der dann gegebenen Sach- und Rechtslage
erfolgen soll."
Nachdem die Steuerklasse des Klägers im September 1991 von III in I
geändert worden war, die geschiedene Ehefrau eine Herabsetzung der Unterhaltsbeträge jedoch abgelehnt hatte, erhob der Kläger, vertreten durch den
Beklagten, im Jahre 1992 Abänderungsklage. Die Klage wurde durch Urteil
vom 1. März 1993 mit der - vom Richter schon während des Verfahrens in drei
die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung ablehnenden Beschlüssen
zum Ausdruck gebrachten - Begründung abgewiesen, das Nettoeinkommen
des Klägers habe sich um weniger als 10 % und damit nicht "wesentlich" im
Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO vermindert. Das Urteil wurde rechtskräftig; der
Kläger hatte auf den Hinweis des Beklagten, gegen das Urteil sei das Rechts-
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mittel der Berufung gegeben, erklärt, er wolle die Sache auf sich beruhen lassen.
Der Kläger nimmt den Beklagten mit dem Vorwurf, dieser habe ihn bei
Abschluß des gerichtlichen Vergleichs und im späteren Abänderungsprozeß
nicht richtig beraten, auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat beantragt, den
Beklagten für die Zeit bis Juli 1996 unter Einschluß der Kosten des Abänderungsverfahrens zur Zahlung von rund 92.000 DM nebst Zinsen zu verurteilen
und festzustellen, daß er verpflichtet sei, ihm auch allen zukünftigen Schaden
aus dem Unterhaltsvergleich vom 4. März 1991 zu ersetzen. Das Landgericht
hat durch "Grundurteil" der Klage dem Grunde nach stattgegeben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I.
Das Urteil des Landgerichts ist, obwohl es nur als "Grundurteil" bezeichnet ist, nach dem Gesamtinhalt der Entscheidungsgründe dahin auszulegen,
daß auch über den neben dem Zahlungsantrag gestellten Feststellungsantrag
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entschieden worden ist (vgl. zur Möglichkeit einer solchen Auslegung BGH,
Urt. v. 7. November 1991 - III ZR 118/90, WM 1992, 432; ferner Urt. v.
27. Januar 2000 - IX ZR 45/98, NJW 2000, 1572, 1573 m. Anm. Grunsky LM
§ 304 ZPO Nr. 71 Bl. 5). Die Wahrscheinlichkeit, daß die geschiedene Ehefrau,
die zur Zeit nicht unterhaltsbedürftig ist, im Fall der Veränderung der Verhältnisse den Kläger erneut auf Unterhaltszahlung in Anspruch nimmt, läßt sich
nicht verneinen.
II.
Der mit der Zahlungsklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch
steht dem Kläger dem Grunde nach zu; auch der Feststellungsantrag ist damit
begründet.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte seine
anwaltlichen Pflichten sowohl im Zusammenhang mit der Protokollierung des
Unterhaltsvergleichs als auch im späteren Abänderungsprozeß verletzt.
a) Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei
der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und
nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen (vgl. BGH, Urt. v.
4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, WM 1996, 1824, 1826; Zugehör/Sieg, Handbuch
der Anwaltshaftung, 1999, Rn. 763). Das gilt auch für den Abschluß eines Vergleichs. Diesen Anforderungen wird im Streitfall die Formulierung in Nr. IV des
Vergleichstextes nicht gerecht. Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Be-
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klagten nicht darauf an, daß er das Mandat erst am Tage des Verhandlungstermins am 4. März 1991 erhalten hat; eine Einschränkung dieses Mandats
ergab sich daraus für die Mitwirkung am Vergleichsschluß nicht.
Nach der nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts waren
sich die Eheleute bei Abschluß des Vergleichs darüber einig, daß bei dem i nfolge der Scheidung eintretenden Wechsel der Steuerklasse des Klägers unabhängig von dem Ausmaß der dadurch bewirkten Minderung des Nettoeinkommens die Unterhaltsleistungen auf der Grundlage der dann bestehenden
Verhältnisse insgesamt neu berechnet werden sollten; bis dahin wollte sich der
Kläger mit den zu hohen Unterhaltszahlungen abfinden. Der Grund dafür dürfte
gewesen sein, daß im Verhandlungstermin selbst mangels Kenntnis der genauen Daten eine endgültige Berechnung nicht möglich war. Der Vergleichstext
bringt diese besondere Bedeutung, die die erste nach dem Vergleichsschluß
eintretende Steuerklassenänderung haben sollte, nicht zum Ausdruck; dort ist
allgemein von einem "Wechsel der Steuerklasse" die Rede. Das wäre - jedenfalls, soweit es um diese erste Anpassung geht - unschädlich, wenn der Wortlaut des Vertragstextes eindeutig ergäbe, daß der Wechsel der Steuerklasse
immer als wesentliche Veränderung der Einkommensverhältnisse betrachtet
werden sollte. Dies mag zwar bei einer streng logischen Interpretation so sein.
Indessen stellte sich gerade wegen der verbalen Erstreckung auf jeden Wechsel der Steuerklasse dem späteren Rechtsanwender die Frage, ob tatsächlich
jeder solche Wechsel unabhängig von seinen finanziellen Auswirkungen als
ein Fall der "wesentlichen Veränderung der ... Einkommensverhältnisse" gelten
sollte. Dabei konnte der Zweifel, ob wirklich jede geringfügige Einkommensänderung infolge Steuerklassenwechsels zu einer Anpassung führen sollte, das
Verständnis nahelegen, eine solche Anpassung setze entsprechend den Ein-
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gangsworten der Nummer IV des Textes immer eine wesentliche Änderung
voraus. So hat später der Familienrichter die Vereinbarung auch tatsächlich
ausgelegt, wobei er freilich rechtsfehlerhaft die zum Beweis dessen, was die
Eheleute wirklich gewollt hatten, vom Beklagten benannten Zeugen nicht vernommen hat. Es war die Pflicht des Beklagten als Rechtsberater des Klägers,
ein solches Mißverständnis durch sorgfältige Formulierung zu verhindern. Diese Pflicht hat er schuldhaft verletzt.
b) Das Familiengericht hat, wie nicht nur seinem Urteil, sondern auch
den drei vorangegangenen Beschlüssen zur Frage der Einstellung der
Zwangsvollstreckung zu entnehmen ist, die Abänderungsmöglichkeit an § 323
Abs. 1 bis 3 ZPO gemessen. Das steht nicht im Einklang mit der seit dem Beschluß des Großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 4. Oktober 1982
(BGHZ 85, 64) gefestigten Rechtsprechung, wonach diese Vorschriften auf
Prozeßvergleiche nicht anzuwenden sind und die Abänderung einer in einem
solchen Vergleich enthaltenen Unterhaltsvereinbarung sich allein nach dem
materiellen Recht richtet (BGH, Urt. v. 5. September 2001 - XII ZR 108/00,
NJW 2001, 3618, 3619). Maßgebend ist danach in erster Linie das, was die
Parteien über eine Abänderungsmöglichkeit vereinbart haben. Die Revision
weist zu Recht darauf hin, daß es, nachdem der Rechtsfehler des Familienrichters sich abzeichnete, Aufgabe des Beklagten war, das Gericht auf jene
Rechtsgrundsätze hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 28. Juni 1990 - IX ZR 209/89,
WM 1990, 1917, 1919). Darüber hinaus war er auch verpflichtet, nach Erlaß
des die Anpassung der Unterhaltsleistungen ablehnenden Urteils vom 1. März
1993 den Kläger über die Unrichtigkeit dieser Entscheidung zu belehren. Es
genügte nicht, ihn ohne nähere Erläuterung der Erfolgsaussichten lediglich auf
die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung hinzuweisen. Entgegen der Ansicht
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der Revisionserwiderung gehört es auch ohne besonderen Auftrag zu den Aufgaben des Prozeßanwalts, den Mandanten im Anschluß an die die Instanz a bschließende gerichtliche Entscheidung über die Aussichten eines Rechtsmittels
zu belehren (BGH, Urt. v. 6. Juli 1989 - IX ZR 75/88, WM 1989, 1826, 1827).
Auch diese Pflichten hat der Beklagte schuldhaft verletzt.
2. Die Pflichtverletzungen des Beklagten sind für den Eintritt des Schadens (die ab dem Wechsel der Steuerklasse zu hohen Unterhaltsleistungen
des Klägers) ursächlich geworden. Bei unmißverständlicher Formulierung des
Prozeßvergleichs und Hinweis gegenüber dem Familiengericht auf die Unanwendbarkeit der Absätze 1 bis 3 des § 323 ZPO hätte der Abänderungsklage
stattgegeben werden müssen; hierbei ist darauf abzustellen, wie der damalige
Prozeß bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten richtigerweise zu en tscheiden gewesen wäre (vgl. BGHZ 133, 110, 111). Soweit es um die unterlassene Beratung über die Erfolgsaussichten einer Berufung geht, ist nach dem
Grundsatz des beratungsgemäßen Verhaltens (BGHZ 123, 311, 314 ff; BGH,
Urt. v. 22. Februar 2001 - IX ZR 293/99, WM 2001, 741, 743) davon auszugehen, daß der Kläger sich zur Rechtsmitteleinlegung entschlossen hätte; denn
der Beklagte hätte ihm diese unter Darlegung der Gründe für die Erfolgsaussicht empfehlen und ihn, soweit der Kläger meinte, ihm fehlten die dazu nötigen
Geldmittel, auf die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe hinweisen müssen.
3. Der Beklagte hat in den Vorinstanzen geltend gemacht, den Kläger
treffe an der Schadensentstehung ein Mitverschulden, weil er ihn erst kurz vor
dem Scheidungstermin beauftragt und deshalb nur unvollständig habe informieren können. Mangelnde Information spielt jedoch bei den Pflichtverletzungen des Beklagten keine Rolle. Soweit es um die rechtliche Bearbeitung des
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dem Rechtsanwalt anvertrauten Falles geht, kommt ein Mitverschulden des
Mandanten nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 15. April 1999 - IX ZR 328/97, WM
1999, 1330, 1336 m.w.N.).
4. Die vom Beklagten in den Vorinstanzen erhobene Verjährungseinrede
ist nicht begründet.
a) Soweit es um die unzulängliche Formulierung des Prozeßvergleichs
geht, begann die dreijährige Verjährungsfrist nach § 51 (jetzt § 51 b) BRAO
unabhängig vom Zeitpunkt des - späteren - Schadenseintritts mit Zugang des
Schreibens des Beklagten vom 6. März 1991, das einen Bericht über den Termin vom 4. März 1991 enthielt und mit dem das Mandat beendet war. Die Primärverjährung war deshalb bei Einreichung der Regreßklage am 1. März 1996
abgelaufen. Die Verjährung ist jedoch durch einen sogenannten Sekundäranspruch (vgl. dazu grundlegend BGHZ 94, 380, 386 ff) hinausgeschoben worden, weil der Beklagte vor Ablauf der primären Verjährungsfrist begründeten
Anlaß hatte, sein Verhalten bei Abschluß des Prozeßvergleichs vom 4. März
1991 zu überprüfen. Als er im Jahr 1992 im Zusammenhang mit dem Anpassungsanspruch des Klägers von diesem erneut beauftragt wurde, hätte ihm
alsbald, spätestens nach den die Einstellung der Zwangsvollstreckung betreffenden Beschlüssen des Amtsgerichts, klar werden müssen, daß die ungenaue, von ihm zu verantwortende Formulierung in dem Prozeßvergleich zu einem Schaden des Klägers geführt haben konnte. Er hätte deshalb auf der
Grundlage des neuen Auftragsverhältnisses den Kläger auf den möglicherweise gegen sich selbst bestehenden Regreßanspruch hinweisen müssen (vgl.
BGH, Urt. v. 24. Juni 1993 - IX ZR 216/92, WM 1993, 1889, 1895). Da er dies
unterließ, begann mit Ablauf der Primärverjährung, spätestens mit Beendigung
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des neuen Mandats die dreijährige Verjährung erneut. Das zweite Mandat des
Beklagten endete jedenfalls nicht vor Zugang seines Schreibens an den Kläger
vom 4. März 1993, mit dem er diesem das Urteil des Amtsgerichts vom 1. März
1993 mit der Bitte um Vereinbarung eines Rücksprachetermins übersandte. Die
Verjährung war deshalb bei Einreichung der jetzigen - alsbald zugestellten
(§ 270 Abs. 3 ZPO) - Klage am 1. März 1996 noch nicht eingetreten.
b) Soweit der dem Kläger zugefügte Schaden auf den im Abänderungsprozeß begangenen Pflichtverletzungen des Beklagten beruht, begann eine
neue (Primär-)Verjährung mit Erlaß des amtsgerichtlichen Urteils vom 1. März
1993 (vgl. BGH, Urt. v. 12. Februar 1998 - IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 788).
Auch diese - wiederum dreijährige - Frist war bei Einreichung der Regreßklage
noch nicht abgelaufen.
III.
Da keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind, hat der
Senat in der Sache selbst zu entscheiden. Das landgerichtliche Urteil ist unter
Aufhebung des Berufungsurteils und unter Klarstellung, daß sich der Urteilsausspruch auch auf den Feststellungsanspruch erstreckt, wiederherzustellen.
Für das Betragsverfahren weist der Senat darauf hin, daß sich die
Schadensersatzpflicht des Beklagten nur auf die Unterhaltszahlungen ab Änderung der Steuerklasse im September 1991 bezieht, soweit diese danach ungerechtfertigt waren. Für die Zeit davor hat der Kläger nach der oben erwähnten Feststellung des Berufungsgerichts die überhöhten Unterhaltsleistungen
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bewußt hingenommen. Ein Anlaß, ihm davon nach näherer Erforschung des
Sachverhalts abzuraten, bestand entgegen der Ansicht der Revision für den
Beklagten nicht.
Kreft
Stodolkowitz
Raebel
Ganter
Kayser