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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 123/10
Verkündet am:
20. Januar 2011
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
RVG VV Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Für die Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens kann es genügen, wenn der
Verteidiger seinem Mandanten rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen, und
dies der Verwaltungsbehörde mitteilt. Dies gilt nicht, wenn unabhängig von der Einlassung des Betroffenen offenkundig ist, dass dieser die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben kann.
BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - IX ZR 123/10 - LG München I
AG München
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 13. Zivilkammer
des Landgerichts München I vom 22. Dezember 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin beauftragte einen Rechtsanwalt mit ihrer Verteidigung in
einem Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr. Der Rechtsanwalt riet ihr im Anhörungsverfahren, zu dem Vorwurf zu schweigen, und teilte der Verwaltungsbehörde mit,
die Klägerin werde sich nicht äußern. Das Bußgeldverfahren wurde anschließend eingestellt. Der Rechtsanwalt trat seine Gebührenforderung an eine Abrechnungsstelle ab. Diese stellte der Klägerin neben einer Grund- und einer
Verfahrensgebühr auch eine Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 160,65 € einschließlich Umsatzsteuer in Rechnung. Die Beklagte, bei
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der die Klägerin eine Rechtsschutzversicherung unterhält, verweigerte die Bezahlung der Erledigungsgebühr mit der Begründung, eine solche sei nicht angefallen.
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Die auf Freistellung von der Gebührenforderung der Abrechnungsstelle
gerichtete Klage ist beim Amtsgericht ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Rat des Anwalts an den Mandanten, keine Angaben zu machen, und die Mitteilung dieser Entscheidung an
die Verwaltungsbehörde sei grundsätzlich als Mitwirkungshandlung im Sinne
der Nr. 5115 VV RVG geeignet, weil dadurch die Einstellung des Verfahrens
gefördert werden könne. Der Anwalt beschränke sich in einem solchen Fall
nicht auf eine bloße Untätigkeit. Sachliche Informationen müsse er der Behörde
nicht erteilen. Da die Verwaltungsbehörde die Klägerin im Streitfall als Betroffene angehört habe, liege es nicht völlig fern, dass sie das Bußgeldverfahren weiterbetrieben hätte, wenn der Anwalt nicht tätig geworden wäre.
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II.
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Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
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1. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV RVG entsteht nach Abs. 1
Nr. 1 der zugehörigen Anmerkung, wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren
vor der Verwaltungsbehörde durch die anwaltliche Mitwirkung endgültig eingestellt wird. Nach Absatz 2 der Anmerkung entsteht sie nicht, wenn eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit Recht hat
das Berufungsgericht die für den Anfall der Erledigungsgebühr erforderliche
Mitwirkung des Anwalts an der Einstellung des Verfahrens in einem weiten Sinn
verstanden.
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a) Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG übernimmt, wie die für das Strafverfahren gleichlautende Bestimmung der Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO. Diese war geschaffen worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung
der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten. Sie galt gemäß § 105 Abs. 2 Satz 3 BRAGO auch für
das Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Neuregelung in Nr. 5115 und Nr. 4141
VV RVG hat diesen Ansatz aufgegriffen, indem dem Rechtsanwalt in den dort
genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt wird. Die Zusatzgebühr der Nr. 5115 VV RVG soll, wie die
Vorgängerregelung, den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und damit zu weniger Hauptverhandlungen führen (BGH, Urt. v.
18. September 2009 - IX ZR 174/07, NJW 2009, 368 Rn. 10 m.w.N.).
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b) Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG bedeutet, wie Absatz 2 der
Anmerkung zeigt, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert haben muss. Es genügt hierfür
jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist. Eine
besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit ist nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 18. September
2008 - IX ZR 174/07 aaO Rn. 11 f).
9
c) Nach diesen Maßstäben kann die nach Nr. 5115 VV RVG erforderliche
Mitwirkung gegeben sein, wenn der Verteidiger seinem Mandanten im Bußgeldverfahren rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen, und er die entsprechende Entschließung seines Mandanten der Verwaltungsbehörde mitteilt (so
genanntes gezieltes Schweigen; AG Charlottenburg AGS 2007, 309, 310;
Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. Nr. 5115 VV RVG Rn. 6; N. Schneider in AnwKomm-RVG, 5. Aufl. Nr. 5115 VV RVG Rn. 32; Bischof/Uher, RVG,
3. Aufl. Nr. 5115-5116 VV RVG Rn. 30b; Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl. Nr. 51005200 VV RVG Rn. 18; Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl. Nr. 5115 VV RVG
Rn. 1; Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 5115 VV RVG Rn. 9; zu
§ 84 Abs. 2 BRAGO: AG Bremen AGS 2003, 29; a.A. AG Hannover JurBüro
2006, 79; AG Halle AGS 2007, 85; AG Meinerzhagen AGS 2007, 454; AG
Potsdam, Urt. v. 16. April 2009 - 36 C 31/09, n.v.; zu § 84 Abs. 2 BRAGO: AG
Dinslaken JurBüro 1996, 308; AG Achern JurBüro 2001, 304). Die Behörde
weiß nach einer solchen Mitteilung, dass sie einen Bußgeldbescheid nicht auf
die Einlassung des Betroffenen stützen kann, sondern sich darüber klar werden
muss, ob die übrigen Beweismittel für eine Ahndung ausreichen. Kommt sie zu
dem Ergebnis, dass die übrigen Beweismittel nicht ausreichen und stellt sie
deshalb das Verfahren ein, hat die Tätigkeit des Verteidigers diese Art der Verfahrenserledigung objektiv gefördert. Eine Förderung der Sachaufklärung setzt
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die Regelung in Nr. 5115 VV RVG nach ihrem Wortlaut nicht voraus. Auch der
Zweck der Regelung, dem Anwalt einen Ausgleich für die Hauptverhandlungsgebühr zu verschaffen, wenn er durch seine Tätigkeit dazu beiträgt, dass eine
Verhandlung entbehrlich wird, erfordert keine weiter gehende Förderung. Wirkt
der Verteidiger darauf hin, dass sein Mandant schon im Anhörungsverfahren
und nicht erst in der Hauptverhandlung erklärt, er werde sich nicht zur Sache
äußern, kann dies in ähnlicher Weise wie eine Einlassung zur Sache bewirken,
dass das Verfahren noch im Verwaltungsverfahren eingestellt und damit eine
Hauptverhandlung vermieden wird. Es wäre deshalb nicht gerechtfertigt, ihm
nur bei einer Einlassung zur Sache einen Ausgleich für die Terminsgebühr zuzubilligen.
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2. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit einem gezielten Schweigen seines Mandanten lässt jedoch keine Erledigungsgebühr entstehen, wenn die Verwaltungsbehörde das Verfahren unabhängig von einer diesbezüglichen Erklärung einstellt, weil aus anderen Gründen offenkundig ist, dass
der Mandant des Anwalts die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben kann. Dann ist eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete
Tätigkeit des Verteidigers nicht ersichtlich (Abs. 2 der Anmerkung zu
Nr. 5115 VV RVG). Dies hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet.
Es hat in den Gründen seiner Entscheidung den Vortrag der Beklagten angesprochen, das Bußgeldverfahren wäre auch ohne ein Tätigwerden des Anwalts
eingestellt worden. Die Beklagte hatte insoweit ausgeführt, die Klägerin habe
als weibliche Person nicht die Fahrerin des PKW sein können, weil das Beweisfoto zweifelsfrei einen männlichen Fahrer zeige. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellung getroffen, weil es gemeint hat, allein die Tatsache, dass
die Klägerin als Betroffene von der Verwaltungsbehörde angehört wurde, belege, dass die Behörde einen Tatverdacht als gegeben angesehen habe, weshalb
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es nicht als völlig fernliegend erscheine, dass das Verfahren auch hätte weiterbetrieben werden können. Dieses Vorgehen rügt die Revision mit Recht. Zeigte
das Originalfoto zweifelsfrei eine männliche Person, durfte ein Bußgeldbescheid
gegen die Klägerin nicht ergehen. Das Verfahren gegen die Klägerin war dann
ungeachtet der veranlassten Anhörung und ihres Ergebnisses mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen (§ 170 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG).
Der von ihrem Verteidiger angeratene und an die Behörde mitgeteilte Entschluss der Klägerin, sich nicht zur Sache zu äußern, konnte diese Entscheidung von vorneherein nicht beeinflussen.
III.
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Das Berufungsurteil war danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil die Sache nach dem festgestellten Sachverhältnis nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das
Berufungsgericht hat die erforderlichen Feststellungen zu der Behauptung
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der Beklagten nachzuholen, das Beweisfoto zeige zweifelsfrei eine männliche
Person als Fahrer.
Kayser
Raebel
Grupp
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 28.07.2009 - 242 C 13744/09 LG München I, Entscheidung vom 22.12.2009 - 13 S 16880/09 -