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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 491/14
Verkündet am:
22. April 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
27. März 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 11. Oktober
2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
2.962,46 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.
2
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. August 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
-3-
abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde
d. VN nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht in drucktechnisch deu tlicher Form über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. belehrt. Mit
Schreiben vom 27. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich Anfechtung
nach § 119 Abs. 1 BGB und hilfsweise Kündigung. Auf die Kündigung
zahlte der Versicherer den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 22.
Juni 2010 erklärte d. VN nochmals den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
3
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 3.708,93 €).
4
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können. Außerdem sei der Versicherer
wegen unzureichender Aufklärung über die Abschlusskosten zum Sch adensersatz verpflichtet.
5
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs weiter.
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar u.a.
nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über das W iderspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam
geworden.
8
II. Die Revision ist begründet.
9
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü ndung nicht versagt werden.
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a) Nach den für das Revisionsverfahren nicht zu beanstandenden
Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN
nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der
ersten Prämie erlischt.
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Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
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Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
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werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
13
b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem zugleich
und später erneut erklärten Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt
ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37
m.w.N.).
14
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht swidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
15
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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16
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve rweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 13.04.2012 - 93 C 4377/11 (32) LG Wiesbaden, Entscheidung vom 11.10.2012 - 9 S 22/12 -