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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
10. März 2004
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
IV ZR 123/03
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
_____________________
ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 2333 ff.
Einer schon zu Lebzeiten des Erblassers gegen ihn erhobenen Klage des Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung, daß die in einer letztwilligen Verfügung des Erblassers unter Bezug auf bestimmte Vorfälle angeordnete Entziehung des Pflichtteils
unwirksam sei, fehlt das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung nicht (Weiterführung von BGHZ 109, 306, 309).
BGH, Urteil vom 10. März 2004 - IV ZR 123/03 - OLG München
LG Traunstein
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und
Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2004
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
16. April 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, Sohn des Beklagten, begehrt die Feststellung, daß
sein Vater nicht berechtigt sei, wegen der in dessen notariellen Testamenten im einzelnen, nach Ansicht des Klägers aber unzutreffend dargestellten Sachverhalte dem Kläger den Pflichtteil zu entziehen. Beide
Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger zu Lebzeiten des Beklagten ein rechtlich geschütztes Interesse an
der beantragten Feststellung fehle.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
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Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach Ansicht der Vorinstanzen kann die Frage, ob Grund zur
Entziehung des Pflichtteils besteht, zwar vom (zukünftigen) Erblasser,
grundsätzlich aber nicht auch vom Pflichtteilsberechtigten zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das Berufungsgericht
meint, der Pflichtteilsberechtigte habe vor dem Erbfall keine Möglichkeit,
über sein Pflichtteilsrecht irgend welche rechtlich erheblichen Verfügungen zu treffen. Er habe auch keinen Einfluß darauf, ob beim Erbfall
überhaupt eine Erbmasse vorhanden sei und ein Pflichtteilsanspruch
durchgesetzt werden könne. Die Ungeduld naher Angehöriger im Hinblick auf Feststellungen, die für sie erst nach dem Erbfall fühlbare rechtliche Folgen haben könnten, reiche nicht aus.
Der vorliegende Fall weise auch keine Besonderheiten auf, die ein
Feststellungsinteresse ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Daß die
Parteien zerstritten seien, sei in Fällen dieser Art nichts Besonderes.
Auch wenn der Kläger den Erblasser überlebe und möglicherweise wegen Grundstücksübertragungen des Beklagten Auskunfts- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine Schwester geltend machen müsse, genüge dies weder für sich genommen noch unter Berücksichtigung
von Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs. Denn für das Bestehen
eines Pflichtteilsentziehungsgrundes sei nicht der Kläger als Pflichtteils-
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berechtigter beweispflichtig, sondern gemäß § 2336 Abs. 3 BGB derjenige, der die Entziehung geltend mache.
2. Dem folgt der Senat nicht.
a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt ist
zunächst, daß das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge, des Ehegatten und
der Eltern eines Erblassers (als Quelle, aus der mit dem Erbfall ein
Pflichtteilsanspruch entstehen kann,) ein Rechtsverhältnis ist, das schon
zu Lebzeiten des Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und
gerichtlich festgestellt werden kann. Aus diesem Rechtsverhältnis erwächst unter den in §§ 2333 ff. BGB angeführten Voraussetzungen die
Befugnis des Erblassers, den Pflichtteil zu entziehen. Dieses in § 2337
Satz 1 BGB ausdrücklich als Recht zur Entziehung des Pflichtteils bezeichnete Recht ist ein gegenwärtiges und nicht etwa ein vom Tod des
Erblassers abhängiges zukünftiges Recht. Mit der Klage auf Feststellung
des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO) kann nicht
nur die Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses im ganzen,
sondern auch die Feststellung einzelner, aus dem umfassenden Rechtsverhältnis hervorgehender Berechtigungen verlangt werden wie des
Rechts, den Pflichtteil zu entziehen. Nichts anderes gilt für eine Klage
auf Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts,
wie sie hier vorliegt (vgl. BGHZ 28, 177, 178; BGH, Urteil vom 1. März
1974 - IV ZR 58/72 - NJW 1974, 1085 unter 1; BGHZ 109, 306, 308 f.;
BGH, Urteil vom 20. Januar 1993 - IV ZR 139/91 - NJW-RR 1993, 391
unter 4).
-5-
b) Für die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage ist nach
§ 256 Abs. 1 ZPO weiterhin ein rechtliches Interesse des Klägers an alsbaldiger Feststellung erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober
1989 - IVa ZR 208/87 - NJW-RR 1990, 130 f.). Für die positive Feststellungsklage eines Testators gegen einen Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung eines Rechts zur Entziehung des Pflichtteils hat der Senat ein
solches Feststellungsinteresse bejaht, weil die Klärung der Grenzen der
Testierfreiheit im allgemeinen keinen größeren Aufschub vertrage (Urteil
vom 1. März 1974 aaO, BGHZ 109, 306, 309). Für die Klage eines
Pflichtteilsberechtigten
auf
Feststellung
des
Nichtbestehens
eines
Pflichtteilsentziehungsrechts hat der Senat das Bestehen eines Interesses an alsbaldiger Feststellung dagegen grundsätzlich offengelassen,
weil dem Interesse ungeduldiger Angehöriger an der Feststellung einer
Rechtsstellung, die erst nach dem Erbfall für sie fühlbare rechtliche Folgen habe, nicht das gleiche Gewicht zukomme wie dem Interesse des
Erblassers an der Klärung der Grenzen seiner Testierfreiheit. Wenn aber
in demselben Verfahren das Bestehen eines von dem vorverstorbenen
Elternteil entzogenen Pflichtteilsrechts zu klären sei, rechtfertige der Gesichtspunkt der Prozeßökonomie auch die gegenüber dem am Verfahren
beteiligten überlebenden Elternteil und zukünftigen Erblasser beantragte
Feststellung, daß derselbe tatsächliche Vorgang kein Recht zur Pflichtteilsentziehung begründet habe (BGHZ 109, 306, 309 f.; kritisch dazu
Leipold, JZ 1990, 700).
c) Das Fortbestehen eines Pflichtteilsrechts trotz einer Entziehung
des Erblassers ist für den Pflichtteilsberechtigten jedoch nicht nur für die
Zeit nach dem Erbfall von Bedeutung: Der Pflichtteilsberechtigte kann
schon vor dem Erbfall einen Vertrag mit anderen gesetzlichen Erben
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über seinen Pflichtteil abschließen (§ 311b Abs. 5 BGB). Er kann ferner
durch Vertrag mit dem Erblasser, der meist zu Gegenleistungen bereit
ist, auf sein Pflichtteilsrecht verzichten (§ 2346 Abs. 2 BGB). Dies gilt,
obwohl vor Eintritt des Erbfalles nicht ausgeschlossen werden kann, daß
etwa wegen Überschuldung des Nachlasses kein Pflichtteilsanspruch
entsteht. Auch wenn die Feststellungsklage im Einzelfall nicht der Vorbereitung einer derartigen Verfügung über das Pflichtteilsrecht dient, besteht ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung, daß
dieses Recht nicht durch letztwillige Verfügung des Erblassers wirksam
entzogen sei. Erst nach einer solchen Feststellung hat der Pflichtteilsberechtigte wieder konkrete Chancen, seine schon vor dem Erbfall bestehenden Verfügungsmöglichkeiten zu nutzen. Für das Interesse des
Pflichtteilsberechtigten kann hier nichts anderes gelten als sonst bei einer gegenwärtigen Gefahr oder Ungewißheit für die Rechtsposition eines
Klägers, etwa durch deren Verletzung oder auch nur deren ernstliches
Bestreiten (BGH, Urteil vom 7. Februar 1986 - V ZR 201/84 - NJW 1986,
2507 unter II 1; Urteil vom 10. Oktober 1991 - IX ZR 38/91 - NJW 1992,
436 unter 1; Urteil vom 22. März 1995 - XII ZR 20/94 - NJW 1995, 2032
unter 3 a). Darauf weist die Revision mit Recht hin. Im vorliegenden Fall
hat der Beklagte das Entziehungsrecht bereits in seinen notariellen Testamenten ausgeübt. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage kann das
Feststellungsinteresse des Pflichtteilsberechtigten nicht zweifelhaft sein.
d) Demgegenüber überzeugt das Argument nicht, der Erblasser
müsse zu seinen Lebzeiten vor einer Auseinandersetzung über seinen
Nachlaß
geschützt
werden
(so
etwa
AnwK-BGB/Herzog,
§ 2333
Rdn. 27). Das mag wünschenswert und dem Pflichtteilsberechtigten etwa
dann zu empfehlen sein, wenn zu hoffen ist, daß der Erblasser die Vor-
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fälle, die er zum Anlaß einer Pflichtteilsentziehung genommen hat, nach
Ablauf einer gewissen Zeit gelassener beurteilen wird. Andererseits
greift der Erblasser durch die Pflichtteilsentziehung in eine schon zu seinen Lebzeiten bestehende Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten
ein. Dessen Abwehr muß der Erblasser hinnehmen. Er ist zur Verteidigung seines Standpunkts aufgrund seiner Sachkenntnis oft besser in der
Lage als der Erbe nach Eintritt des Erbfalles.
Daß der Pflichtteilsberechtigte nicht die Beweislast für das Vorliegen von Entziehungsgründen trägt (§ 2336 Abs. 3 BGB), ändert grundsätzlich nichts an der Gefahr, daß ihm günstige Gegenbeweismittel durch
Zeitablauf verloren gehen oder entwertet werden können. Soweit die
persönliche Glaubwürdigkeit von Zeugen eine Rolle spielt oder eine Parteivernehmung in Betracht kommt, können später verwertbare Feststellungen selbst in einem Beweissicherungsverfahren nicht getroffen werden. Hier hat sich der Kläger für seine Gegendarstellung der Vorgänge,
die der Pflichtteilsentziehung zugrunde liegen, unter anderem auf das
Zeugnis seiner Lebensgefährtin und seiner Schwester sowie auf eine
Vernehmung des Beklagten als Partei bezogen. Die infolge des Zeitablaufs bis zum Erbfall möglicherweise drohenden Beweisschwierigkeiten
rechtfertigen ebenfalls das Interesse an alsbaldiger Feststellung (BGH,
Urteil vom 9. März 1961 - VII ZR 145/60 - NJW 1961, 1165 unter II 1 b
cc).
e) Danach ist das rechtliche Interesse auch des Pflichtteilsberechtigten an einer alsbaldigen negativen Feststellung noch zu Lebzeiten des
Erblassers, daß ein Recht zur Pflichtteilsentziehung nicht bestehe, in aller Regel zu bejahen (so auch OLG Saarbrücken NJW 1986, 1182; Lan-
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ge/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 37 III 1 b S. 871 f.; MünchKomm/
Leipold, BGB 3. Aufl. § 1922 Rdn. 80; MünchKomm/Frank, aaO § 2333
Rdn. 2a;
Palandt/Edenhofer,
BGB
63. Aufl.
§ 2336
Rdn. 1;
Zöller/
Greger, ZPO 24. Aufl. § 256 Rdn. 11; Schneider, ZEV 1996, 56, 57; a.A.
Staudinger/Olshausen, BGB [1998] vor § 2333 Rdn. 19; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. vor § 2333 Rdn. 4). Auch dem Kläger des vorliegenden Verfahrens kommt ein berechtigtes Interesse an der begehrten
Feststellung zu.
Terno
Dr. Schlichting
Wendt
Seiffert
Felsch