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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 145/12
Verkündet am:
17. Januar 2013
Bott
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
Wöstmann, Seiters, Tombrink und Dr. Remmert
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 12. Zivilkammer
des Landgerichts Hannover vom 4. April 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung einer Handelsmaklerprovision.
2
Die Klägerin vermittelte dem Beklagten eine fondsgebundene Lebensund Rentenversicherung bei der A.
Lebensversicherung S.A. Da-
bei handelte es sich um eine sog. "Nettopolice", das heißt in den vom Beklagten
zu zahlenden monatlichen Prämien waren keine Provisionsanteile für die Vermittlung enthalten. Stattdessen wurde zwischen den Parteien eine gesonderte
Vermittlungsgebührenvereinbarung abgeschlossen. Danach sollte der Beklagte
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- bei einem angegebenen Barzahlungspreis von 3.591,06 € und einem effektiven Jahreszins von 3,35 % - insgesamt 3.889,80 € in 60 monatlichen Raten zu
je 64,83 € zahlen. Die am 2. Juni 2006 geschlossene Vereinbarung enthielt folgende Widerrufsbelehrung:
"Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die
Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der
Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: …
Widerrufsfolgen
Im Fall eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen
Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzungen (z.B. Zinsen) herauszugeben."
3
Der Beklagte hat behauptet, er habe die Vermittlungsgebührenvereinbarung durch Faxschreiben vom 12. Juni 2006 - versandt um 11.12 Uhr, der Klägerin zugegangen um 11.13 Uhr - widerrufen. Unstreitig hat der Beklagte, nachdem die Klägerin ihn auf Zahlung der Vergütung in Anspruch genommen hat,
mit Schreiben vom 17. August 2010 erneut den Widerruf erklärt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
der Klägerin.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
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Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist unter Berücksichtigung der
erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme in Verbindung mit der Bedeutung der "OK-Nachricht" des vom Beklagten benutzten Faxgeräts davon auszugehen, dass der Beklagte am 12. Juni 2006 seine auf Abschluss der Vermittlungsgebührenvereinbarung gerichtete Willenserklärung widerrufen hat und dieser Widerruf auch der Klägerin zugegangen ist. Deshalb habe das Amtsgericht
die Klage zu Recht abgewiesen.
II.
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Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass der Klägerin auch bei wirksamem Widerruf
ein Zahlungsanspruch zustehen kann.
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1.
Aus der Vermittlungsgebührenvereinbarung vom 2. Juni 2006 kann die
Klägerin keinen Vergütungsanspruch nach § 652 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 93
Abs. 1 HGB herleiten. Denn der Beklagte hat seine diesbezügliche Willenserklärung wirksam widerrufen.
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a) Auf das streitgegenständliche Schuldverhältnis sind gemäß Art. 229
§ 22 Abs. 2 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-Informationspflichten-Verordnung in der bis zum 11. Juni 2010 geltenden Fassung anzuwenden, da der Vertrag vor dem genannten Datum geschlossen worden ist und
es sich nicht um ein unbefristetes Schuldverhältnis im Sinne des Art. 229 § 22
Abs. 3 EGBGB handelt.
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b) Dem Beklagten stand das ausgeübte Widerrufsrecht gemäß § 355
Abs. 1 BGB a.F. zu. Da die Vermittlungsgebühr in Teilzahlungen zu erbringen
war, handelte es sich um ein Teilzahlungsgeschäft im Sinne von § 499 Abs. 2
BGB a.F. Gemäß § 501 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 495 Abs. 1 und § 355 Abs. 1
Satz 2 BGB a.F. konnte der Beklagte seine auf Abschluss der Vermittlungsgebührenvereinbarung gerichtete Willenserklärung innerhalb von zwei Wochen
widerrufen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte unter dem 12. Juni 2006 den Widerruf erklärt hat und sein Fax der Klägerin zugegangen ist. Deshalb ist auch die vom Landgericht als klärungsbedürftig
angesehene Frage nach der Bedeutung einer "OK-Nachricht" eines Faxgeräts
für den Nachweis des Zugangs nicht entscheidungserheblich. Denn der Beklagte hat unstreitig mit der Klägerin zugegangenem Schriftsatz vom 17. August
2010 erneut den Widerruf erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war die Widerrufsfrist
aber noch nicht abgelaufen. Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. beginnt die
Widerrufsfrist in dem Augenblick, in dem der Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht mit einem Hinweis auf den Fristbeginn
erhalten hat. Hieran mangelt es im vorliegenden Fall. Deshalb ist nach § 355
Abs. 3 Satz 1, Satz 3 BGB a.F. das Widerrufsrecht des Beklagten auch nicht
sechs Monate nach Vertragsschluss erloschen.
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aa) Die in der Vertragsurkunde enthaltene Widerrufsbelehrung genügte
nicht den Anforderungen nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. Denn sie enthielt
den Hinweis, dass die Frist für den Widerruf "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginnt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
eine solche Belehrung aber unzureichend, da sie den Verbraucher nicht eindeutig über den Beginn der Widerrufsfrist aufklärt. Sie ist nicht umfassend, sondern
irreführend. Die Verwendung des Wortes "frühestens" ermöglicht es dem Ver-
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braucher nicht, den Fristbeginn ohne weiteres zu erkennen. Er vermag der
Formulierung lediglich zu entnehmen, dass die Widerrufsfrist "jetzt oder später"
beginnen, der Beginn des Fristablaufs also gegebenenfalls noch von weiteren
Voraussetzungen abhängen soll. Der Verbraucher wird jedoch im Unklaren gelassen, welche etwaigen weiteren Umstände dies sind (vgl. nur Senatsurteile
vom 1. März 2012 - III ZR 83/11, NZG 2012, 427 Rn. 15 und vom 19. Juli 2012 III ZR 252/11, NJW 2012, 3428 Rn. 13, jeweils mwN).
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bb) Eine Berufung auf § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV und das Muster der
Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen Fassung
des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei
Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3102) ist der Klägerin verwehrt, weil gegenüber dem Beklagten ein Formular verwandt wurde, das
dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der damaligen
Fassung nicht in jeder Hinsicht entspricht (s. näher dazu die Ausführungen in
den Senatsurteilen vom 1. März 2012 aaO Rn. 17 f und vom 19. Juli 2012 aaO
Rn. 15 f, denen inhaltsgleiche Belehrungen zugrunde lagen).
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2.
Jedoch hat das Berufungsgericht übersehen, dass der Klägerin auch
nach wirksamem Widerruf der Vermittlungsgebührenvereinbarung ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zustehen kann.
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a) Anspruchsgrundlage ist insoweit § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m.
§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB, da die Rückgewähr der von der Klägerin erbrachten Leistung wegen ihrer Beschaffenheit ausgeschlossen ist. Die Vermittlung einer Lebens- und Rentenversicherung stellt eine Maklerleistung im Sinne
des § 652 BGB dar, die mit Abschluss des vermittelten Hauptvertrags vollständig erbracht ist und in Natur nicht zurückgegeben werden kann. Soweit § 312e
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Abs. 2 BGB - in Umsetzung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2002/65/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. EG
Nr. L 271 S. 16) - den Wertersatz für Dienstleistungen bei Fernabsatzverträgen
von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig macht, fehlt es an einer entsprechenden Regelung für den vorliegenden Fall. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung liegen nicht vor.
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b) Zwar schuldet der Beklagte als Wertersatz nicht entsprechend § 346
Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB das vertraglich vereinbarte Entgelt. § 346 Abs. 2
Satz 2 Halbsatz 1 BGB gilt - wie der Senat in seinem Urteil vom 19. Juli 2012
(aaO Rn. 19 ff) eingehend ausgeführt hat - nicht zu Lasten des nach § 501
Satz 1 BGB a.F. (i.V.m. § 495 Abs. 1 und § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) zum
Widerruf eines Teilzahlungsgeschäfts über Maklerleistungen berechtigten Verbrauchers. Insofern ist die Rechtslage nicht anders als beim Widerruf eines
Haustürgeschäfts durch einen Verbraucher nach § 312 BGB (vgl. dazu Senat,
Urteil vom 15. April 2010 - III ZR 218/09, BGHZ 185, 192 Rn. 23 ff). Die in § 357
Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene allgemeine Verweisung auf die "entsprechende"
Anwendung der "Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt" ist in diesem
Sinne einschränkend auszulegen. Maßgeblich für die Bemessung des Wertersatzes, den der Verbraucher nach dem (wirksamen) Widerruf eines Teilzahlungsgeschäfts für bis dahin erbrachte Maklerleistungen des Unternehmers gewähren muss, ist nicht das vertraglich vereinbarte Entgelt, sondern der objektive Wert der Maklerleistung, soweit dieser das vertragliche Entgelt nicht übersteigt.
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c) Bei Dienstleistungen allgemein ist insoweit im Ausgangspunkt auf die
übliche oder (mangels einer solchen) auf die angemessene Vergütung abzustellen, die für eine solche Leistung zu bezahlen ist (vgl. nur Senatsurteile vom
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15. April 2010 aaO Rn. 30 und vom 19. Juli 2012 aaO Rn. 25; siehe auch BGH,
Urteile vom 25. Juni 1962 - VII ZR 120/61, BGHZ 37, 258, 264; vom 24. November 1981 - X ZR 7/80, BGHZ 82, 299, 307 f und vom 5. Juli 2006 - VIII ZR
172/05, BGHZ 168, 220 Rn. 39 zum Begriff des Wertersatzes in § 818 Abs. 2
BGB), nicht dagegen auf den konkret-individuellen Wert des Erlangten für den
Schuldner.
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Hierbei steht dem geltend gemachten Anspruch nicht eine Kündigung
des Versicherungsvertrags entgegen. Diese hat für sich genommen keine Auswirkungen auf die Höhe des Wertersatzes. Zwar entfaltet die Maklerleistung
erst und nur im Erfolgsfall ihren vollen Wert. Kommt es aber zum Abschluss des
Hauptvertrags, wird dieser Wert bereits realisiert und hat damit der Makler seine
vergütungspflichtige Leistung in vollem Umfang erbracht. Die Kündigung des
Versicherungsvertrags hat daher im Fall des Widerrufs der Vermittlungsgebührenvereinbarung auf die Höhe des Wertersatzanspruchs grundsätzlich keinen
Einfluss (vgl. Senatsurteile vom 1. März 2012 aaO Rn. 19 und vom 19. Juli
2012 aaO Rn. 26).
17
3.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1,
Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird sich zunächst mit den Einwendungen
des Beklagten gegen das Erbringen einer vertrags- beziehungsweise pflichtge-
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mäßen Maklerleistung zu befassen und gegebenenfalls Feststellungen zur Höhe eines Wertersatzanspruchs zu treffen haben.
Schlick
Wöstmann
Tombrink
Seiters
Remmert
Vorinstanzen:
AG Neustadt am Rübenberge, Entscheidung vom 05.09.2011 - 50 C 833/10 LG Hannover, Entscheidung vom 04.04.2012 - 12 S 66/11 -