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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 61/13
vom
15. April 2014
in dem Rechtsstreit
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2014 durch den
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Strohn als Vorsitzenden, die Richterin
Caliebe sowie die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das
Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. Januar 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der
Streitwert
für
das
Beschwerdeverfahren
wird
auf
247.228,30 € festgesetzt.
Gründe:
1
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Er
nimmt die Beklagten als deren Gesellschafterinnen auf Zahlung von Stammeinlagen in Höhe von insgesamt 247.228,30 € in Anspruch. Das Landgericht hat
die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen; das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Die Beklagten begehren mit der Beschwerde
die Zulassung der Revision mit dem Ziel der Aufhebung des Berufungsurteils
und der Abweisung der Klage.
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2
II. Die Beschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör
verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).
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1. Im Ausgangspunkt zu Recht hält das Berufungsgericht die Beklagten
für darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Einlagen vollständig erbracht wurden. Das gilt im Grundsatz auch bei einem längeren Zeitabstand seit
der behaupteten Zahlung und einem späteren Erwerb der Geschäftsanteile
durch die nunmehrigen Gesellschafter (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2007
- II ZR 222/06, ZIP 2007, 1755 Rn. 2; Beschluss vom 17. September 2013 - II
ZR 142/12, ZIP 2014, 261 Rn. 3). Entgegen der Auffassung der Beschwerde
hat das Berufungsgericht auch berücksichtigt, dass es dem Tatrichter nicht
verwehrt ist, den dem Inferenten obliegenden Nachweis der Einlagenzahlung
aufgrund einer Gesamtbeurteilung unstreitiger oder erwiesener Indiztatsachen
als geführt anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2007 - II ZR 222/06,
ZIP 2007, 1755 Rn. 2).
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Das Berufungsgericht durfte jedoch nicht ohne eine Wiederholung der
vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme abweichend von der Entscheidung des Landgerichts diesen Beweis als nicht geführt ansehen. Das Berufungsgericht hat die festgestellten Indizien nicht als ausreichend erachtet und
weiter ausgeführt, der Nachweis über die Aufbringung der Stammeinlagen sei
auch nicht durch die Aussagen der Zeugen W.
G.
und W.
S.
geführt worden. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit beider Zeugen habe das
Landgericht wegen eines gewissen Eigeninteresses am Ausgang des Rechtsstreits aus nachvollziehbaren Gründen deutliche Zweifel geäußert. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht darin zu Recht eine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom
-4-
14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom
19. Februar 2013 - II ZR 119/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 23. Juli 2013
- II ZR 28/12, juris Rn. 3).
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Grundsätzlich steht es allerdings im Ermessen des Berufungsgerichts, ob
es Zeugen, die in der Vorinstanz bereits vernommen worden sind, nach § 398
Abs. 1 ZPO erneut vernimmt. Das Berufungsgericht ist jedoch zur nochmaligen
Vernehmung der Zeugen verpflichtet, wenn es die protokollierten Zeugenaussagen anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz. Eine erneute
Vernehmung kann in diesem Fall allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das
Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit
noch das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die
Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (vgl. BGH,
Beschluss vom 21. Juni 2011 - II ZR 103/10, WM 2011, 1533 Rn. 7; Beschluss
vom 19. Februar 2013 - II ZR 119/11, juris Rn. 6; Beschluss vom 23. Juli 2013
- II ZR 28/12, juris Rn. 4).
6
Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugen G.
sowie des Steuerberaters K.
und S.
ausgeführt, diese drei Zeugenaussagen
hätten bei der Kammer noch nicht den nötigen Grad der Gewissheit herbeiführen können, dass die Stammeinlagen gezahlt worden seien, da bei den Zeugen
G.
und S.
ein gewisses eigenes Interesse hinsichtlich dieser Tat-
sachen nicht zu verkennen sei und der Zeuge K.
insbesondere nicht habe
bekunden können, dass er Einzahlungsbelege für die Konten der Schuldnerin
bezüglich der Stammkapitalzahlungen gesehen habe. Letztlich seien die bei der
Kammer verbliebenen Zweifel bezüglich der Einzahlung des Stammkapitals
durch das Vorliegen weiterer - im landgerichtlichen Urteil näher bezeichneter Indizien beseitigt worden. Anders als das Berufungsgericht hat das Landgericht
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danach den Aussagen der Zeugen trotz der geäußerten Bedenken einen gewissen Beweiswert beigemessen, der zusammen mit den weiter gewürdigten
Umständen zur Überzeugungsbildung geführt hat. Das Berufungsgericht durfte
deshalb im Rahmen der auch von ihm durchgeführten Gesamtwürdigung aller
Umstände den Aussagen der Zeugen keinen geringeren Beweiswert beimessen, ohne die Zeugen selbst gehört zu haben.
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2. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung
gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen und sich einen eigenen
Eindruck verschafft hätte. Es kann gleichfalls nicht ausgeschlossen werden,
dass das Berufungsgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbeurteilung
den vorhandenen Indizien für eine Einzahlung ein anderes Gewicht beigemessen hätte, wenn es die Zeugen persönlich vernommen hätte.
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III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Soweit
das Berufungsgericht den zeitlichen Zusammenhang der Kapitalerhöhung um
110.000 DM mit der Rückzahlung eines Darlehens der damaligen Alleingesellschafterin der Schuldnerin in Höhe von 109.923,48 € berücksichtigt und Vermutungen hinsichtlich einer verdeckten Sacheinlage anstellt, wird es das Vorbringen der Parteien darauf untersuchen müssen, ob nicht gerade deshalb davon
ausgegangen werden muss, dass die Bareinlage - zunächst - geleistet worden
ist. Steht aber die Einzahlung fest, dann hat der Insolvenzverwalter nach der
Rechtsprechung des Senats für einen ausnahmsweise nicht zur Tilgung der
Einlageschuld führenden Umstand Vortrag zu halten. Insbesondere nach einem
langen Zeitraum wäre es einem Gesellschafter schwerlich möglich, alle denkbaren, der Erfüllungswirkung entgegenstehenden Umstände als nicht vorhanden
darzulegen. Mit dem Beweis ist der Insolvenzverwalter auch in diesen Fällen
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jedoch nicht belastet, wenn er seiner gesteigerten Vortragslast nachgekommen
ist (BGH, Beschluss vom 17. September 2013 - II ZR 142/12, ZIP 2014, 261
Rn. 3 f.).
Strohn
Caliebe
Born
Drescher
Sunder
Vorinstanzen:
LG Lübeck, Entscheidung vom 20.12.2011 - 8 O 39/10 OLG Schleswig, Entscheidung vom 16.01.2013 - 9 U 14/12 -