You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 

381 lines
22 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 238/04
Verkündet am:
10. Juli 2006
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
AktG § 302; BGB §§ 364, 387; GmbHG §§ 30, 31, 32 a
a) Im Vertragskonzern ist eine Aufrechnung des herrschenden Unternehmens
gegen einen bereits entstandenen Anspruch der abhängigen Gesellschaft
auf Verlustausgleich gemäß § 302 AktG zulässig und wirksam, sofern die zur
Aufrechnung gestellte Forderung werthaltig ist. Die Beweislast für die Werthaltigkeit hat das herrschende Unternehmen.
b) Zulässig und wirksam ist auch eine Vereinbarung, nach der das herrschende
Unternehmen der abhängigen Gesellschaft Geld- oder Sachmittel unter Anrechnung auf einen bestehenden Anspruch auf Verlustausgleich gemäß
§ 302 AktG oder zur Vorfinanzierung des Verlustausgleichs für das laufende
Geschäftsjahr zur Verfügung stellt.
c) Die Grundsätze des Eigenkapitalersatzes (§§ 32 a, b GmbHG; §§ 30, 31
GmbHG analog) gelten auch im GmbH-Vertragskonzern. Gesellschafterleistungen, die unter den oben (Buchst. b) genannten Voraussetzungen erbracht
werden, sind aber nicht als eigenkapitalersetzende Darlehen oder vergleichbare Leistungen zu qualifizieren.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2006 - II ZR 238/04 - OLG Jena
LG Gera
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 10. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein, Caliebe und Dr. Reichart
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 21. September
2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer im Jahr 1992 gegründeten
GmbH, deren Alleingesellschafterin die Beklagte, eine GmbH & Co. KG, ist.
Zwischen den beiden Gesellschaften bestanden Geschäftsbeziehungen sowie
ein "Organschaftsvertrag" (Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag)
welcher im Februar 1996 "rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 1995" abgeschlossen und im März 1997 in das Handelsregister eingetragen worden war. Der
Jahresabschluss der Gemeinschuldnerin für das "Rumpfwirtschaftsjahr" 1997
wies einen Jahresfehlbetrag von 152.828,10 DM (= 78.139,77 €) sowie eine
Ausgleichsforderung gegenüber der Beklagten (§ 302 Abs. 1 AktG) in gleicher
-3-
Höhe mit dem Ergebnis eines Bilanzverlustes von 0,00 DM aus. Die Beklagte
beschloss im Juli 1998 die Einstellung des Geschäftsbetriebes sowie die "stille
Liquidation" der Gemeinschuldnerin und erklärte ihr gegenüber mit Schreiben
vom 10. August 1998 unter Hinweis auf deren schlechte Ertragslage die Kündigung des Organschaftsvertrages aus wichtigem Grund, rückwirkend zum
1. Januar 1998. Mit Schreiben unter dem Datum vom 31. Dezember 1998 erklärte die Beklagte die Aufrechnung mit eigenen Forderungen von insgesamt
845.512,99 DM
gegenüber
Forderungen
der
Gemeinschuldnerin
von
702.227,00 DM unter Einschluss der Verlustausgleichsforderung für 1997 in
Höhe von 152.828,10 DM. Am 2. Dezember 1999 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet.
Mit der Klage begehrt der Kläger von der Beklagten Zahlung des Ver-
2
lustausgleichs für 1997 in Höhe von 78.139,77 €. Er bestreitet die Wirksamkeit
der Kündigung des Unternehmensvertrages sowie die von der Beklagten behauptete Abgabe der Aufrechnungserklärung vor Insolvenzeröffnung und meint,
die Aufrechnung sei ohnehin wegen Umgehung des § 302 Abs. 3 AktG sowie
deshalb unwirksam, weil die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Forderungen eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt hätten. Die Klage hatte in
beiden Vorinstanzen Erfolg. Dagegen richtet sich die - von dem Senat auf die
Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zugelassene - Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
3
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
4
I. Das Berufungsgericht (GmbHR 2005, 1058; AG 2005, 405) meint, der
einer abhängigen GmbH im Vertragskonzern analog § 302 Abs. 1 AktG zuste-
-4-
hende Anspruch auf Verlustausgleich sei ein Geldzahlungsanspruch und könne
nur durch Barzahlung erfüllt werden. Der Verlustausgleich diene der Kapitalerhaltung der abhängigen GmbH bzw. dem Schutz ihrer Gläubiger vor einer Aushöhlung der bilanzmäßigen Substanz und sei nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGHZ 103, 1; 107, 7) wie ein Anspruch aus § 31 GmbHG
zu behandeln, gegen den ebenfalls nicht aufgerechnet werden könne (BGHZ
146, 105). Die Aufrechnung führe zu keinem vollwertigen Kapitalzufluss. Der
Kläger könne sonach den noch offenen Anspruch aus § 302 AktG geltend machen, ohne auf eine - hier gemäß § 146 Abs. 1 InsO verfristete - Insolvenzanfechtung der Aufrechnung angewiesen zu sein.
II. Das angefochtene Urteil, das im Schrifttum überwiegend Kritik gefun-
5
den hat (vgl. Grunewald, NZG 2005, 781; Hentzen, AG 2006, 133; Liebscher,
ZIP 2006, 1221; Priester, BB 2005, 2483; Reuter, DB 2005, 2339; Sinewe,
EWiR 2005, 331; Suchanek/Herbst, FR 2005, 665; einschr. Verse, ZIP 2005,
1627; zust. dagegen Hirte in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 302 Rdn. 63;
Petersen, GmbHR 2005, 1031), hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
6
1. Noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass § 302
AktG im Vertragskonzern mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft (wie der
Gemeinschuldnerin des vorliegenden Falles) entsprechende Anwendung findet
(vgl. z.B. Senat, BGHZ 142, 382). Nach dieser Vorschrift ist der andere Vertragsteil der abhängigen Gesellschaft gegenüber verpflichtet, jeden während
der Vertragsdauer "sonst entstehenden Jahresfehlbetrag" auszugleichen, der
ohne Berücksichtigung der Ausgleichsforderung in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der abhängigen Gesellschaft auszuweisen wäre (vgl. Hüffer,
AktG 7. Aufl. § 302 Rdn. 11 m.w.Nachw.).
-5-
7
Der Ausgleichsanspruch ist nach allgemeiner Meinung auf eine Geldleistung gerichtet (vgl. Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG 3. Aufl. § 302
Rdn. 50; Altmeppen in MünchKommAktG 2. Aufl. § 302 Rdn. 67; Hüffer aaO
§ 302 Rdn. 15). Daraus folgt aber noch nicht, wie das Berufungsgericht meint,
die Unzulässigkeit einer Aufrechnung gegen die Ausgleichsforderung. Gemäß
§ 387 BGB können beiderseitige Geldforderungen gegeneinander aufgerechnet
werden. Auch eine Leistung an Erfüllungs statt ist bei Geldforderungen nicht
ausgeschlossen (§ 364 BGB; dazu Altmeppen in MünchKommAktG 2. Aufl.
§ 302 Rdn. 67).
8
2. Das Berufungsgericht kann sich für seine Ansicht auch nicht auf die
bisherige Rechtsprechung des Senates stützen. Danach dient zwar die Verlustübernahmepflicht "zumindest auch dazu, einen Ausgleich dafür zu schaffen,
dass die Kapitalsicherungsvorschriften im Vertragskonzern … außer Kraft gesetzt sind" (BGHZ 115, 187, 197 "Video"; BGHZ 107, 7, 18 "Tiefbau"), weil gemäß § 291 Abs. 3 AktG Leistungen der Gesellschaft aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen die §§ 57,
58 und 60 AktG gelten. Danach kommt auch § 66 Abs. 2 AktG, der i.V.m.
Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift eine Aufrechnung gegenüber Erstattungsansprüchen der Gesellschaft wegen verbotener Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1
AktG) ausschließt, nicht zum Zuge (vgl. Hüffer aaO § 66 Rdn. 8; Priester aaO
S. 2484). § 302 AktG enthält seinerseits keine Sonderregelung für eine in den
Jahresfehlbetrag eingeflossene Einlagenrückgewähr, was sich nur unter der
Prämisse rechtfertigen lässt, dass der abhängigen Gesellschaft und ihren Gläubigern mit dem - durch § 303 AktG flankierten - Anspruch auf Verlustausgleich
gemäß § 302 AktG ein wirtschaftlich gleichwertiger Schutz gewährt wird. Zudem
enthält das GmbH-Gesetz keine § 291 Abs. 3 AktG vergleichbare Ausnahmeregelung gegenüber den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30 f. GmbHG für den
-6-
Vertragskonzern, weshalb im Schrifttum zum Teil die Auffassung vertreten wird,
diese Vorschriften seien im GmbH-Vertragskonzern - neben § 302 AktG - anzuwenden
(so
Brandes,
Festschrift
Kellermann
[1991],
S. 25,
33;
Scholz/Emmerich, GmbHG 9. Aufl. Anh. Konzernrecht Rdn. 184 sowie die
Nachweise bei Hentzen, ZGR 2005, 480, 518). Soweit demgegenüber nach der
Rechtsprechung des Senats der Verlustausgleich gemäß § 302 AktG auch im
GmbH-Vertragskonzern "an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften" tritt
(BGHZ 103, 1, 10), bedeutet dies einerseits nicht die gänzliche Preisgabe des
von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch
nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f.
GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt (vgl. insoweit auch Hentzen, AG
2006, 133, 136), insbesondere eine Aufrechnung gegen diesen Anspruch stets
ebenso ausgeschlossen ist, wie die Aufrechnung gegen einen Anspruch aus
§ 31 GmbHG (dazu Senat, BGHZ 146, 105).
9
a) Der Anspruch aus § 302 AktG nimmt gegenüber demjenigen aus § 31
GmbHG und erst recht gegenüber dem Anspruch auf Einlageleistung gemäß
§ 19 GmbHG, dessen Aufrechnungsverbot gemäß Abs. 2 Satz 2 gegenüber
dem Anspruch aus § 31 GmbHG entsprechend gilt (BGHZ 146, 105), eine Sonderstellung ein. § 31 GmbHG setzt voraus, dass zur Deckung des Stammkapitals erforderliches Vermögen der Gesellschaft an einen Gesellschafter ausbezahlt worden ist. Demgegenüber kann ein gemäß § 302 AktG auszugleichender
Fehlbetrag andere Ursachen, wie z.B. eine schlechte Ertragslage, haben (vgl.
Grunewald; Priester jeweils aaO), mag auch im Vertragskonzern unwiderleglich
zu vermuten sein, dass Verluste der abhängigen Gesellschaft durch Weisungen
oder Eingriffe des herrschenden Unternehmens entstanden sind (Senat, BGHZ
116, 37, 41). Andererseits setzt der Verlustausgleich - im Gegensatz zu § 30
GmbHG - eine Unterbilanz nicht voraus, sondern erfasst jeden während der
-7-
Vertragsdauer erwirtschafteten Jahresfehlbetrag, auch wenn am Bilanzstichtag
das Stammkapital noch gedeckt ist (vgl. Verse, ZIP 2005, 1627, 1631). In diesem Fall ginge eine entsprechende Anwendung des Aufrechnungsverbots des
§ 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG auf den Anspruch aus § 302 AktG weit über den mit
dieser Vorschrift bezweckten Schutz hinaus. Ihrem Schutzzweck ist Genüge
getan, wenn die abhängige Gesellschaft über ausreichendes Vermögen verfügt,
um sämtliche Forderungen ihrer Gläubiger unter Einschluss der zur Aufrechnung gestellten Forderung zu erfüllen, diese Forderung also vollwertig ist (vgl.
Priester aaO; zum Begriff der Vollwertigkeit vgl. Senat, BGHZ 125, 141, 145 f.;
Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG 16. Aufl. § 19 Rdn. 23).
10
b) Darüber hinaus hat es der andere Vertragsteil bzw. die herrschende
Gesellschaft zwar in der Hand, durch einen Erlass eigener Forderungen oder
durch Befriedigung anderer Gläubiger der abhängigen Gesellschaft vor dem
Bilanzstichtag einen Jahresfehlbetrag gar nicht erst zur Entstehung kommen zu
lassen (vgl. Hentzen, AG 2006, 133, 139 f.; Priester aaO). Dann handelt es sich
nicht um einen gemäß § 302 Abs. 3 AktG unzulässigen Verzicht der abhängigen Gesellschaft auf einen Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG (vgl. Hentzen
aaO). Daraus lässt sich aber kein entscheidendes Argument für die generelle
Zulässigkeit der Aufrechnung gegen einen - wie im vorliegenden Fall - bereits
entstandenen Anspruch aus § 302 AktG unabhängig von der Vollwertigkeitsfrage gewinnen. Denn der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG entsteht und wird fällig
mit dem Bilanzstichtag (Senat, BGHZ 142, 382, 385 f.); ein späterer Wegfall
von Verbindlichkeiten der Gesellschaft durch Erlass oder Drittgläubigerbefriedigung seitens der herrschenden Gesellschaft kann das für den Verlustausgleich
maßgebliche Vorjahresergebnis nach dem bilanzrechtlichen Stichtagsprinzip
(vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB 32. Aufl. § 243 Rdn. 11, § 252 Rdn. 8) nicht
berühren.
-8-
11
c) Einer Aufrechnung gegen einen bereits entstandenen Anspruch aus
§ 302 Abs. 1 AktG, um den allein es im vorliegenden Fall geht, steht zwar das
o.g. Stichtagsprinzip nicht entgegen (vgl. anschaulich auch zur steuerrechtlichen Behandlung Suchanek/Herbst, FR 2005, 665, 668). Allein mit der bilanzrechtlichen Erwägung, dass die von der Muttergesellschaft zur Aufrechnung
gestellte Forderung bis dahin unabhängig von ihrer Werthaltigkeit in der Bilanz
der Tochtergesellschaft mit dem vollen Wert zu passivieren ist (§ 253 Abs. 1
Satz 2 HGB) und die Aufrechnung wegen ihrer Ergebnisneutralität keine Auswirkungen auf das bilanzielle Eigenkapital der Tochtergesellschaft hat (so
Hentzen, AG 2006, 133, 138), lässt sich die generelle Zulässigkeit einer Aufrechnung gegen den Anspruch aus § 302 AktG dagegen nicht begründen (vgl.
auch Reuter, DB 2005, 2339, 2342 f.). Bilanziell ergebnisneutral ist auch eine
Barzahlung auf den Anspruch aus § 302 AktG (vgl. Reuter aaO S. 2340), sachlich jedoch mit dem Unterschied, dass dort der Tochtergesellschaft im Austausch für ihren durch Erfüllung erloschenen Ausgleichsanspruch ein vollwertiger Gegenwert zufließt, was bei der Aufrechnung der Muttergesellschaft mit
einer nicht (voll) werthaltigen Forderung nicht der Fall ist (vgl. Reuter aaO;
Priester aaO S. 2485). Dies wird wegen der Ergebnisneutralität der Aufrechnung auch durch einen nachfolgenden Verlustausgleich zum Ende des Geschäftsjahres nicht kompensiert. Vielmehr verschafft sich hier die Muttergesellschaft zum Nachteil der Tochtergesellschaft und ihrer anderen Gläubiger volle
Befriedigung für eine nicht (voll) werthaltige Forderung gegen Wegfall der Ausgleichsforderung gemäß § 302 AktG, deren Gegenwert anderenfalls allen anderen Gläubigern der Tochtergesellschaft zu anteiliger Befriedigung zur Verfügung
stünde. Das kann im Interesse des Gläubigerschutzes sowie vor dem Hintergrund, dass § 302 AktG zumindest auch dazu dient, einen Ausgleich für die im
Vertragskonzern außer Kraft gesetzten Kapitalerhaltungsvorschriften zu schaffen (Senat, BGHZ 107, 7, 18; 115, 187, 197), nicht hingenommen werden. An-
-9-
dererseits ändert dies aber nichts daran, dass eine Aufrechnung gegen den
Anspruch aus § 302 AktG mit werthaltigen Forderungen der Muttergesellschaft
zulässig und wirksam ist (vgl. auch Hüffer, AktG 7. Aufl. § 302 Rdn. 15). Die
Beweislast für die Werthaltigkeit hat im Streitfall das herrschende Unternehmen,
weil es hier um die Frage der Erfüllung der Verlustausgleichspflicht geht.
12
3. Unter dem Gesichtspunkt des genannten Schutzzwecks des § 302
AktG bestehen des Weiteren keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass
die Muttergesellschaft ihrer - z. B. in einer Krise befindlichen - Tochtergesellschaft Geldmittel oder entsprechend werthaltige Sachleistungen unter vorher
vereinbarter Anrechnung auf eine bestehende (oder künftige) Verlustausgleichsverpflichtung zur Verfügung stellt (vgl. Liebscher aaO S. 1221, 1226 f.;
Reuter aaO; Priester aaO S. 2485). Entsprechendes hat der Senat (Urt. v.
10. Oktober 1983 - II ZR 233/82, GmbHR 1984, 18 = NJW 1984, 1036; dazu
Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl. §§ 32 a, b Rdn. 78) für den Fall zugelassen, dass nach unzulässiger Rückgewähr eines eigenkapitalersetzenden Darlehens weitere Gesellschafterleistungen in Anrechnung auf den Anspruch der
Gesellschaft aus § 31 GmbHG analog erbracht werden, sofern eine eindeutige
dahingehende Zweckbestimmung oder Vereinbarung getroffen worden ist. Im
Fall des § 302 AktG muss klargestellt sein, ob die Leistung auf einen bereits im
Vorjahr entstandenen oder auf einen künftigen Verlustausgleichsanspruch erbracht werden soll. Anderenfalls könnte die auf Verlustausgleich für ein bestimmtes Geschäftsjahr in Anspruch genommene Muttergesellschaft (wie die
Beklagte des vorliegenden Falles) die von ihr erbrachten Leistungen nachträglich nach Belieben der einen oder anderen Verbindlichkeit zuordnen.
13
Soweit die Muttergesellschaft - wie im vorliegenden Fall offenbar die Beklagte - die Befriedigung von Drittgläubigern der Tochtergesellschaft übernimmt
- 10 -
und dies auf einen bereits entstandenen Verlustausgleichsanspruch gemäß
§ 302 AktG angerechnet werden soll, müssen die Drittgläubigerforderungen
z.Zt. ihrer Begleichung entsprechend den oben (II 2 c) dargelegten Grundsätzen ebenfalls werthaltig sein. Im Übrigen bestehen aber keine Bedenken dagegen, dass die Muttergesellschaft schuldbefreiende oder sonstige Leistungen
zwecks Verhinderung von Tochterverlusten (vgl. oben II 2 b) oder zwecks Vorfinanzierung des Verlustausgleichs für das laufende Geschäftsjahr erbringt (vgl.
Liebscher aaO S. 1227).
III. Da sonach das Berufungsgericht zu Unrecht von der generellen Un-
14
zulässigkeit einer Aufrechnung gegen Ansprüche aus § 302 AktG ausgegangen
ist, kann sein Urteil mit dieser Begründung nicht bestehen bleiben.
1. Die Sache ist aber nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht
15
- von seinem Standpunkt aus konsequent - keine konkreten Feststellungen zur
Werthaltigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten im
Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung getroffen hat. Zudem muss den Parteien
im Hinblick auf § 139 Abs. 2 ZPO Gelegenheit gegeben werden, auch zu dem
bisher nicht beachteten Gesichtspunkt einer evtl. vereinbarten Anrechnung der
von der Beklagten erbrachten, ihren Forderungen korrespondierenden Leistungen auf den geltend gemachten Verlustausgleichsanspruch für das Jahr 1997
vorzutragen.
Zugunsten des Klägers entscheidungsreif ist die Sache nicht deshalb,
16
weil die Beklagte gemäß ihrer vorgelegten Gesamtabrechnung die Aufrechnung
mit einer - die Gegenforderungen der Gemeinschuldnerin übersteigenden Vielzahl von Forderungen erklärt hat, ohne die wechselseitige Reihenfolge ausdrücklich anzugeben (vgl. zu diesem prozessualen Bestimmtheitserfordernis
BGH,
Urt.
v.
7. November
2001
- VIII ZR 263/00,
NJW
2002,
2182;
- 11 -
Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. § 145 Rdn. 14). Vielmehr ist davon auszugehen,
dass die nach den vorinstanzlichen Feststellungen "von dem Kläger nicht ernsthaft bestrittenen" Forderungen der Beklagten in der angegebenen Reihenfolge
primär gegen die in die Abrechnung eingestellte Verlustausgleichsforderung der
Gemeinschuldnerin für 1997 verrechnet werden sollten (§ 396 Abs. 1 Satz 1
BGB).
17
2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat zusätzlich darauf hin, dass die Klage möglicherweise auch wegen eigenkapitalersetzenden Charakters der Forderungen der Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung begründet sein kann, wenn sich nicht feststellen lassen sollte,
dass die den Forderungen korrespondierenden Leistungen der Beklagten unter
vorher vereinbarten Anrechnung auf den hier geltend gemachten Verlustausgleichsanspruch für 1997 erbracht worden sind (vgl. oben II 3).
18
a) Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes sind
nicht im Aktiengesetz, sondern im Wesentlichen in §§ 32 a, b GmbHG geregelt
und werden - jedenfalls im GmbH-Vertragskonzern - durch § 291 Abs. 3 AktG
nicht ausgeschlossen (vgl. Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Hdb. des Kapitalersatzrechts, Rdn. 12.31 m.w.Nachw.). § 32 a GmbHG enthält keine Sonderregelung für den Vertragskonzern, sondern beschränkt - abgesehen von dem
Kleinbeteiligtenprivileg gemäß Abs. 3 Satz 2 - unterschiedslos die Geltendmachung von Forderungen aus eigenkapitalersetzenden Leistungen eines Gesellschafters im Insolvenzverfahren der Gesellschaft und schließt damit auch eine
Aufrechnung mit solchen Forderungen des Gesellschafters gegenüber Ansprüchen der GmbH im Insolvenzverfahren aus (Sen.Urt. v. 19. Dezember 1994
- II ZR 10/94, ZIP 1995, 280; Roth/Altmeppen, GmbHG 5. Aufl. § 32 a Rdn. 103
m.w.Nachw.). Sollte dementsprechend die Beklagte, wie der Kläger bisher un-
- 12 -
widerlegt mutmaßt, ihre Aufrechnungserklärung entgegen dem dortigen, von
der Beweiskraft des § 416 ZPO nicht erfassten Datum tatsächlich erst nach Insolvenzeröffnung abgegeben und ihre offenen Forderungen gegenüber der
Gemeinschuldnerin bis dahin stehen gelassen haben, so wäre die Aufrechnung
schon aus dem genannten Grunde unwirksam.
19
b) Aber auch wenn die Aufrechnung schon Ende 1998 erklärt und der
Gemeinschuldnerin zugegangen sein sollte, gälte nach den - neben §§ 32 a, b
GmbHG anwendbaren - Rechtsprechungsregeln (BGHZ 90, 370) im Ergebnis
für den Fall nichts anderes, dass die Gemeinschuldnerin zur Zeit der Erbringung der Leistungen der Beklagten oder im Zeitraum eines Stehenlassens daraus resultierender Forderungen überschuldet oder jedenfalls nicht mehr kreditwürdig war. Letzteres würde durch ihre etwaigen Ansprüche auf Verlustausgleich gemäß § 302 Abs. 1 AktG nicht zwangsläufig ausgeschlossen (vgl. Senat, BGHZ 105, 168, 182 ff.), selbst wenn der möglicherweise nicht wirksam
gekündigte Unternehmensvertrag im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung noch
bestanden haben sollte. Da eigenkapitalersetzende Leistungen in der fortdauernden Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert werden können (§ 30
GmbHG analog), kann mit entsprechenden Forderungen auch nicht aufgerechnet werden (vgl. schon Sen.Urt. v. 10. Oktober 1983 - II ZR 233/82 aaO).
20
Im vorliegenden Fall spricht schon im Hinblick auf die im Juli 1998 beschlossene "stille Liquidation" einiges dafür, dass die Gemeinschuldnerin spätestens im zweiten Halbjahr 1998 überschuldet und ihre Fortführungsprognose
negativ war. Die vorgelegte Bilanz für das Geschäftsjahr 1997 weist trotz des
dort ausgewiesenen Ausgleichsanspruchs gemäß § 302 AktG einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag von mehr als 450.000,00 DM aus, der
möglicherweise aus der Zeit vor Abschluss des Unternehmensvertrages her-
- 13 -
rührt und deshalb durch den Verlustausgleich gemäß § 302 Abs. 1 AktG nicht
gedeckt ist. Das Berufungsgericht wird dazu ggf. die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Goette
Kraemer
Caliebe
Gehrlein
Reichart
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 02.12.2003 - 1 HKO 14/03 OLG Jena, Entscheidung vom 21.09.2004 - 8 U 1187/03 -