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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 13/12
Verkündet am:
6. Februar 2013
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Basis3
ZPO § 281 Abs. 1, § 313 Abs. 2, § 540 Abs. 1; GWB §§ 87, 91, 92 Abs. 1
a) Enthält ein Berufungsurteil unklare und lückenhafte Ausführungen dazu, welche Hilfsanträge eine Partei in der Berufungsinstanz gestellt hat, ist das Urteil
wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
b) Gegenstand einer gemäß § 281 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 87, 91, 92
Abs. 1 GWB in Frage kommenden Verweisung an das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht ist nicht die Prüfung von einzelnen rechtlichen
Anspruchsgrundlagen, sondern umfasst den gesamten von der kartellrechtlichen Fragestellung betroffenen Streitgegenstand.
BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 13/12 - OLG Köln
LG Köln
-2-
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des 6. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Dezember 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Beklagte ist Betreiberin der unter „O. “ firmierenden Bau- und Heimwerkermarktkette. Die Märkte werden teilweise von der Beklagten selbst, teilweise von Franchisenehmern betrieben.
2
In den von Franchisenehmern betriebenen Märkten werden neben den
von der Beklagten zentral bezogenen Produkten auch solche Produkte angeboten, die der Franchisenehmer selbst einkauft (sogenannte „i-Artikel“).
3
Die Klägerin ist Lieferantin der Beklagten und auch einzelner Franchisenehmer, denen sie unter anderem „i-Artikel“ liefert.
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Die Beklagte betreibt für die gesamte Kette das Warenwirtschaftssystem
„Basis3“, auf das nur Nutzer mit sogenannten Marktleiterrechten einen umfassenden Zugriff haben. Die Zugriffserlaubnis sieht bestimmte Regeln vor. So darf
betriebsfremden Personen der Zugriff nicht gestattet werden. Die Installation
von Hard- und Software und die Änderung von Systemeinstellungen darf nur
nach Freigabe durch ein von der Beklagten bestimmtes Unternehmen vorgenommen werden.
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Während die Daten der bei der Beklagten zentral eingekauften Artikel
elektronisch eingelesen und bestellt werden können, müssen die von den Franchisenehmern individuell bestellten „i-Artikel“ aufwendig manuell eingegeben
werden; zudem sind deren Bestellungen nur über einen Papierausdruck möglich. Um diesen Bestellvorgang zu vereinfachen, entwickelte der für die Beklagte freiberuflich tätige IT-Trainer S. im Auftrag eines Mitarbeiters einer Komplementärin mehrerer Franchisenehmer der Beklagten eine sogenannte „Umgehungslösung“. Dabei handelt es sich um ein in dem Programm Microsoft Excel
programmiertes Makro, in dem in einer Excel-Datei hinterlegte Dateien der
„i­Artikel“ automatisch in die entsprechende Eingabemaske des Systems Basis3
eingegeben werden konnten.
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Als die Klägerin, die sich in Rahmenverträgen gegenüber einer großen
Zahl von Franchisenehmern der Beklagten verpflichtet hatte, die Eingabe der
„i­Artikel“-Daten in Basis3 zu übernehmen, von der Programmierung der Umgehungslösung erfuhr, beauftragte sie mindestens vier Personen (Artikelanleger)
damit, die erforderlichen Daten mithilfe der Umgehungslösung in Basis3 einzuspielen. Bei den Artikelanlegern handelte es sich um zwei Mitarbeiter von O. Märkten und zwei unternehmensfremde Personen. Ihnen wurden in O. -Märkten Benutzerkonten mit Marktleiterrechten eingerichtet. Sie erhielten die Datei
mit der „Umgehungslösung“ und die „i-Artikel“-Daten auf einem USB-Stick.
S. entwickelte zudem im Auftrag der Klägerin eine Lösung zur Vereinfachung
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des Bestellvorgangs. Statt der Verwendung eines Papierausdrucks sollte danach die Ausgabe in einer einlesbaren PDF-Datei erfolgen. Dieses Vorhaben
wurde letztlich nicht umgesetzt.
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Nachdem die Beklagte von diesen Vorgängen erfahren hatte, warf sie der
Klägerin in zwei Schreiben vor, die Sicherungssysteme der Beklagten umgangen, in Basis3 unbefugt eingegriffen und damit die Integrität und Funktionalität
des Systems gefährdet zu haben. Das erste Schreiben vom 9. Juli 2010 war an
eine Vielzahl von O. -Märkten, das zweite vom 27. September 2010 an alle
aktiven Franchisepartner gerichtet.
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Diese Schreiben hat die Klägerin mit der auf Untersagung und Widerruf
gerichteten Klage als irreführend und herabsetzend angegriffen. Die Klage ist
rechtskräftig abgewiesen worden. Im vorliegenden Revisionsverfahren geht es
allein um die von der Beklagten erhobenen Widerklage, mit der sie in erster Instanz beantragt hat,
es zu unterlassen,
1. selbst oder durch Dritte Artikeldaten aus dem und/oder in das Warenwirtschaftssystem Basis3 der Beklagten mittels von der Beklagten nicht freigegebenen Hard- und/oder Software zu importieren oder sonst Zugriff auf das Warenwirtschaftssystem Basis3 der Beklagten zu nehmen oder durch beauftragte
Dritte nehmen zu lassen,
2. selbst oder durch Dritte eine Hard- und/oder Software oder sonstige Vorgehensweise, die eine elektronische Bestellung aus dem Warenwirtschaftssystem
Basis3 der Beklagten für nicht zentral über die Beklagte eingekauften Artikel
(sogenannter i-Artikel) ermöglicht, zu entwickeln, herzustellen und/oder zu verwenden.
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Das Landgericht hat die Klägerin auf die Widerklage antragsgemäß zur
Unterlassung verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht
das Urteil des Landgerichts in einem Teilurteil
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teilweise dahin abgeändert, dass auch die Widerklage nach dem Hauptantrag zu 1
und dem Antrag zu 2, einschließlich der insoweit geltend gemachten Hilfsanträge,
abgewiesen wird.
Das Berufungsgericht hat weiter „hinsichtlich des Hilfsantrags zum Wider-
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klageantrag zu 1“ seine Unzuständigkeit festgestellt und insoweit den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht Düsseldorf verwiesen.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
12
I. Das Berufungsgericht hat Unterlassungsansprüche der Beklagten gemäß § 4 Nr. 10 und 11 in Verbindung mit § 17 UWG und § 823 Abs. 1, § 1004
BGB verneint. Im Hinblick auf Ansprüche, die auf § 823 BGB in Verbindung mit
§ 1 GWB gestützt sind, hat es seine Zuständigkeit verneint und die Sache an
das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf verwiesen.
13
II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil lässt nicht
hinreichend klar erkennen, welche Berufungsanträge die Beklagte gestellt hat.
Es leidet deshalb an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache
führt.
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1. Gemäß § 313 Abs. 2 ZPO soll der Tatbestand des Urteils die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel
unter Hervorhebung der gestellten Anträge ihrem wesentlichen Inhalt nach
knapp darstellen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 525 ZPO auch für das Beru-
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fungsurteil, und zwar mit der Maßgabe, dass das Berufungsurteil nach § 540
Abs. 1 ZPO anstelle des Tatbestandes die Bezugnahme auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen
und Ergänzungen enthält.
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Die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Urteil kann sich allerdings naturgemäß nicht auf die im zweiten Rechtszug gestellten Anträge erstrecken. Die Aufnahme der Berufungsanträge in das Berufungsurteil ist daher unbedingt erforderlich. Soweit das Berufungsurteil auf die
wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge verzichtet, muss es wenigstens
erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt
hat. Dabei müssen die tatbestandlichen Darstellungen in den Gründen des Berufungsurteils ausreichen, um eine revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Das ist nicht der Fall, wenn tatbestandliche Darstellungen in einem Berufungsurteil fehlen oder derart widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind, dass
sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung des Berufungsgerichts
nicht mehr zweifelsfrei erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 13. August 2003
- XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97, 99, mwN). Entsprechendes gilt, wenn die Darstellung im Berufungsurteil die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge und
daher das Ziel der Berufung nicht hinreichend deutlich erkennen lässt (vgl.
BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99, 101; Urteil
vom 14. Januar 2005 - V ZR 99/04, NJW-RR 2005, 716, 717; Urteil vom
29. März 2007 - I ZR 152/04, GRUR 2007, 807 Rn. 5, 7 = WRP 2007, 955
- Fachanwälte; Urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 59/09, NJW 2011, 2054 Rn. 9;
Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 540 Rn. 8; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 540
Rn. 3; Saenger/Wöstmann, ZPO, 5. Aufl., § 540 Rn. 2). Dabei ist die Wiedergabe der Berufungsanträge auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sie im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht enthalten sind
(§§ 525, 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Zwar unterliegt nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO
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der Beurteilung des Revisionsgerichts auch dasjenige Parteivorbringen, das
aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist; dies betrifft jedoch nur Parteivorbringen tatsächlicher Art (BGH, NJW-RR 2005, 716, 717 mwN). Fehlt es an den
beschriebenen Mindestvoraussetzungen, ist das Urteil bereits wegen dieses
von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben und
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (BGHZ 154, 99, 101).
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2. Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Es enthält unklare und lückenhafte Ausführungen dazu, welche Hilfsanträge die Beklagte in
der Berufungsinstanz gestellt hat.
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Das Berufungsgericht hat unter Ziffer II der Urteilsgründe ausgeführt:
Die Berufung hat hinsichtlich der Klageabweisung keinen Erfolg und hinsichtlich
der Widerklage teilweise Erfolg; sie führt zur Abweisung der Widerklage nach dem
Hauptantrag zu 1 und dem Antrag zu 2 einschließlich der Hilfsanträge. Wegen des
ersten Hilfsantrags zum Widerklageantrag zu 1 (und der Entscheidung über diesen
Antrag abhängigen weiteren Hilfsanträge) war der Rechtsstreit an das zuständige
Oberlandesgericht Düsseldorf zu verweisen.
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Ebenfalls unter Ziffer II der Entscheidungsgründe wird ferner ein „gesondert formulierter Hilfsantrag zu 4“ erwähnt. Diese Formulierungen lassen darauf
schließen, dass die Beklagte sowohl im Hinblick auf den Widerklageantrag zu 1
als auch hinsichtlich des Widerklageantrags zu 2 jeweils mehrere Hilfsanträge
gestellt hat. Im Widerspruch dazu hat das Berufungsgericht unter Ziffer I der
Urteilsgründe ausgeführt, die Beklagte verteidige das angefochtene landgerichtliche Urteil
mit der Maßgabe, dass zum Klageantrag zu 1 im Hinblick auf die dort geltend gemachten kartellrechtlichen Ansprüche hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits
an das Oberlandesgericht Düsseldorf beantragt werde und im Antrag zu 2 die
Handlungsalternativen „Entwickeln“ und „Herstellen“ entfallen sollen.
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Weitere, über den Verweisungsantrag hinausgehende Hilfsanträge werden dort nicht erwähnt. Eine Auslegung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit
lässt ebenfalls nicht hinreichend klar erkennen, welche Hilfsanträge mit welchem Inhalt insoweit gestellt worden sind. Auch der erwähnte „gesondert formulierte Hilfsantrag zu 4“ wird weder inhaltlich wiedergegeben noch lässt sich sein
Inhalt der weiteren Subsumtion entnehmen. Damit ist dem Berufungsurteil Umfang und Ziel der Berufung nicht mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen.
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III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache ist zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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IV. In der neuen Berufungsverhandlung wird das Berufungsgericht erneut
zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang seine Zuständigkeit im Hinblick darauf zu verneinen ist, weil sich kartellrechtliche Fragen stellen
(§§ 87, 91, 92 Abs. 1 GWB). Dabei erstreckt sich eine insoweit gemäß § 281
Abs. 1 ZPO in Frage kommenden Verweisung an das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht nicht - wie das Berufungsgericht offenbar angenommen
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hat - auf die Prüfung einzelner Anspruchsgrundlagen, sondern betrifft den gesamten von der kartellrechtlichen Fragestellung betroffenen Streitgegenstand
(vgl. Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., § 87 GWB Rn. 19; Zöller/Greger aaO § 281 Rn. 8).
Bornkamm
Pokrant
Koch
Büscher
Löffler
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 19.05.2011 - 31 O 609/10 OLG Köln, Entscheidung vom 21.12.2011 - 6 U 125/11 -