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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 52/09
Verkündet am:
5. Oktober 2010
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
nein
GABi Gas
EnWG § 75 Abs. 2
Ein Gasversorgungsunternehmen, das in dem vor der Bundesnetzagentur
geführten Verfahren zur Festlegung neuer Rahmenbedingungen für
Ausgleichsleistungen im Gassektor keinen Beiladungsantrag gestellt hat, ist im
gerichtlichen Verfahren nicht beschwerdebefugt.
BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 52/09 - OLG Düsseldorf
-2-
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2010 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn, Dr. Kirchhoff und
Dr. Grüneberg
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. September 2009 wird
zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
und
die
der
Bundesnetzagentur
entstandenen
notwendigen Auslagen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 15 Mio. € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin ist ein Gasversorgungsunternehmen. Sie belie-
1
fert
hauptsächlich
Großkunden
mit
Erdgas.
Als
Transportkundin
Gasnetzbetreibern ist sie teilweise Bilanzkreisverantwortliche.
von
-3-
2
Die Bundesnetzagentur hatte im Februar 2008 ein Verfahren zur Festlegung neuer Rahmenbedingungen für Ausgleichsleistungen im Gassektor
eingeleitet und dies in ihrem Amtsblatt sowie im Internet veröffentlicht. Im Verlauf dieses Verfahrens, in dem die Bundesnetzagentur ihre Vorstellungen zu
einem Grundmodell im Internet zur Stellungnahme veröffentlichte, äußerte sich
auch die Beschwerdeführerin. Am 28. Mai 2008 erließ die Bundesnetzagentur
die verfahrensgegenständlichen Festlegungen, die zum Beginn des Gaswirtschaftsjahres 2008/2009 am 1. Oktober 2008 in Kraft traten (GABi Gas). Der
Tenor der Verfügung hatte folgenden Inhalt:
1. Die Bilanzkreisnetzbetreiber sind mit Wirkung zum 1.10.2008 verpflichtet, in
abgeschlossene sowie in neu abzuschließende Bilanzkreisverträge die in
Anlage 1 ("Standardbilanzkreisvertrag Gas") festgelegten Regelungen aufzunehmen.
Hinweis: Die Sonderregelungen für die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz (Teil 11a GasNZV) bleiben hiervon unberührt.
2. Der Prozentsatz der Toleranzgrenze wird ab dem 1.10.2008 abweichend
von § 30 Abs. 1 GasNZV auf 0 % festgelegt.
3. Die Bilanzkreisnetzbetreiber sind verpflichtet, die folgenden Informationen
in einem für die elektronische Weiterverarbeitung durch Standardsoftware
nutzbaren Format im Internet zu veröffentlichen:
a) die täglich aktualisierten Ausgleichsenergiepreise einschließlich der als
Basis für die Preisbildung dienenden Referenzpreise für den jeweiligen
Gastag und zumindest für die letzten zwölf Monate;
b) im Falle der Erhebung von variablen Strukturierungsbeiträgen die für
die verschiedenen Stunden eines Gastages festgesetzten Höhen der
-4-
Strukturierungsbeiträge getrennt nach Über- und Unterspeisungen einschließlich einer Begründung der festgesetzten Höhen;
c) Informationen zu Umfang und Preis der eingesetzten Regelenergie, für
externe Regelenergie unterschieden nach Dienstleistungen zur untertägigen Strukturierung und der Beschaffung oder Veräußerung von
Gasmengen. Diese Informationen sind möglichst am Folgetag des Einsatzes der Regelenergie und mindestens für die letzten zwölf Monate
zu veröffentlichen. Außerdem ist zu veröffentlichen, welcher Anteil der
externen Regelenergie aufgrund lokaler oder räumlich begrenzter Ungleichgewichte eingesetzt wurde;
d) monatlich den Saldo des Kontos für die Regel- und Ausgleichsenergieumlage zum Schluss des Vormonats;
e) eine Liste derjenigen Ausspeisenetzbetreiber des jeweiligen Marktgebiets, die dem Bilanzkreisnetzbetreiber die für die Bilanzkreisabrechnung erforderlichen Daten nicht, nicht fristgerecht, unvollständig
oder in unzureichender Qualität zur Verfügung stellen.
Die Verpflichtungen nach lit. a) bis d) gelten ab dem 01.10.2008, die Verpflichtung nach lit. e) ab dem 01.04.2009.
4. Ein Widerruf bleibt vorbehalten.
3
In einer der Festlegung beigefügten Anlage 2 wird das Grundmodell der
Ausgleichs- und Bilanzierungsregelungen im Gassektor beschrieben, wobei die
Bundesnetzagentur einleitend feststellt, dass Vorgaben zur Beschaffung und
zum Einsatz von Regelenergie nicht ex ante durch die Beschlusskammer angeordnet werden können.
-5-
Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Festlegungen Beschwerde ein-
4
gelegt. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit der (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerde.
II.
5
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
6
1. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als nicht statthaft angesehen, soweit sie sich gegen das in Anlage 2 beschriebene Vertragsmodell
richtet; im Übrigen fehle der Beschwerdeführerin die Beschwerdebefugnis. Zur
Begründung hat es folgendes ausgeführt:
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Den in Anlage 2 festgelegten Bestimmungen, in denen die Beschwerdeführerin die Entscheidung für ein Modell der zentralen Beschaffung von
Ausgleichsenergie sehe, komme keine Regelungswirkung zu. Wie die Bundesnetzagentur darlege, hätten die in Anlage 2 aufgeführten Bestimmungen
lediglich Modellcharakter und könnten allenfalls für die ex post stattfindende
Missbrauchskontrolle Bedeutung erlangen. Diese Bestimmungen stellten deshalb bloße Empfehlungen dar, denen der von § 35 VwVfG vorausgesetzte
Regelungscharakter fehle. Auch eine Leistungsbeschwerde scheide aus. Das
mit diesen Empfehlungen der Bundesnetzagentur konforme Verhalten der übrigen Marktteilnehmer habe für die Beschwerdeführerin allenfalls reflexartige
Auswirkungen, die zu faktisch mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen führen
könnten.
Dies
reiche
nicht
aus.
Ebenso
wenig
könne
die
Beschwerdeführerin hieraus ein nach der Rechtsprechung erforderliches besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine vorbeugende Unterlassungsklage
herleiten. Der Beschwerdeführerin sei es nämlich zumutbar, die von ihr ange-
-6-
sprochenen Fragen im Wege einer Anfechtungsbeschwerde gegen eine Missbrauchsverfügung rechtlich klären zu lassen.
Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die übrigen Festlegungen der
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GABi Gas wende, fehle ihr die Beschwerdebefugnis. Sie habe im Verwaltungsverfahren keinen Beiladungsantrag gestellt. Deshalb sei sie nach § 75 Abs. 2
i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG nicht beschwerdebefugt. Die Festlegungen enthielten auch keinen unmittelbaren Eingriff in die individuellen Rechtspositionen
der Beschwerdeführerin. Dies gelte insbesondere für die Absenkung der Toleranzgrenze auf null Prozent (Ziff. 2 der Festlegungen). Damit sei zwar auch der
Basisbilanzausgleich nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GasNZV faktisch abgeschafft.
§ 26 Abs. 2 GasNZV stelle jedoch keine drittschützende Vorschrift dar. Vielmehr
seien
hierdurch
nur
die
wirtschaftlichen
Interessen
der
Beschwerdeführerin betroffen. Dies reiche nicht aus, um eine unmittelbare Beschwerdebefugnis nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 75 Abs. 2 EnWG analog zu
erlangen.
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2. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben im
Ergebnis ohne Erfolg.
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a) Die Beschwerdeführerin kann die Bestimmungen der Festlegungen
zur Beschaffung der Ausgleichsenergie nicht mit der Beschwerde angreifen.
11
aa) Unzutreffend ist indes die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass
die zentrale Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber nur (unverbindlich) in der Anlage 2 der Festlegungen ihren
Niederschlag gefunden habe. Die Beschwerdeführerin weist vielmehr zutreffend
darauf hin, dass sich aus einer Gesamtschau der in Anlage 1 genannten Vertragsbestimmungen, die nach Nummer 1 des Entscheidungstenors verbindlich
-7-
sind, im Ergebnis die Regelung einer zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber ergibt. So enthält § 9 Nr. 2
Standardbilanzkreisvertrag Gas (SBKV) die Vorgabe, dass die Differenz der
während der Bilanzierungsperiode ein- und ausgespeisten bilanzerheblichen
Gasmengen durch den Bilanzkreisnetzbetreiber als Ausgleichsenergie abgerechnet wird. Dieser führt auch das Umlagekonto, das die Kosten bzw. Erlöse
der Ausgleichsenergie sowie die Kosten der Beschaffung externer Regelenergie umfasst (§ 15 Nr. 2 SBKV). Hierin lässt sich mittelbar die Festlegung einer
zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber erblicken, zumal auch in den Gründen der Festlegung ein solches Ergebnis
nahe gelegt wird. So wird dort (S. 12, 13) jeweils von einem Einkauf der Regelenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber ausgegangen.
Demgegenüber enthält zwar Anlage 2 die ausdrückliche Aussage, dass
12
Vorgaben zur Beschaffung und zum Einsatz von Regelenergie nicht ex ante
durch die Beschlusskammer geregelt werden können. Dieser Umstand führt jedoch in einer Gesamtschau sämtlicher Regelungen nicht zu einem anderen
Ergebnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
ist es anerkannt, dass für die Auslegung von Willensäußerungen der Verwaltung
gemäß
der
im
öffentlichen
Recht
entsprechend
anwendbaren
Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern allein der erklärte
Wille maßgebend ist, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwGE 60, 223, 228 f.; 41, 305, 306). Unklarheiten gehen
hierbei zu Lasten der Verwaltung (BVerwG aaO). Jedenfalls deshalb muss den
Festlegungen insoweit eine Regelungswirkung zuerkannt werden, zumal sich
aus dem Zusammenhang der Vorschriften weitere Gesichtspunkte ergeben, die
das Regelungsmodell einer zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie voraussetzen. Die hiervon Betroffenen konnten die Festlegungen in dem Sinne
-8-
verstehen, dass hierdurch die zentrale Beschaffung von Ausgleichsenergie
durch den Bilanzkreisnetzbetreiber verbindlich geregelt werden sollte.
13
bb) Die Beschwerdeführerin ist aber nicht beschwerdebefugt.
14
(1) Beschwerdebefugt ist nach § 75 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 3
EnWG jeder Dritte, der an dem Verfahren beteiligt ist. In erweiternder Auslegung dieser Vorschriften ist ein Dritter auch dann befugt, gegen die in der
Hauptsache ergangene Entscheidung Beschwerde einzulegen, wenn in seiner
Person die subjektiven Voraussetzungen für eine Beiladung vorliegen, sein Beiladungsantrag allein aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt worden
ist und er geltend machen kann, durch die Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen zu sein. Hierfür reichen erhebliche wirtschaftliche Interessen aus
(BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - EnVR 1/08, WuW/E DE-R 2535
Rn. 14 ff. - citiworks; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. November 2006
- KVR 37/05, BGHZ 169, 370 Rn. 11, 18 ff. - pepcom, für das Kartellverwaltungsverfahren). Ist der Beschwerdeführer durch die Regulierungsbehörde nicht
beteiligt worden, hat er aber unverschuldet versäumt, den Beiladungsantrag
rechtzeitig zu stellen, ist er gleichfalls beschwerdebefugt (BGH, WuW/E DE-R
2535 Rn. 16 - citiworks).
15
Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Beschwerdeführerin nicht vor,
weil sie im Verfahren über den Erlass der streitgegenständlichen GABi Gas keine Beiladung beantragt hat. Dass sie sich im Verwaltungsverfahren
schriftsätzlich geäußert hat, genügt hierfür nicht.
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(2) Darüber hinaus ist auch derjenige beschwerdebefugt, der durch den
angegriffenen Verwaltungsakt unmittelbar in seinen Rechten berührt wird (BGH,
Beschluss vom 22. Februar 2005 - KVZ 20/04, WuW/E DE-R 1544, 1545
-9-
- Zeiss/Leica). Denn in diesem Falle entfaltet der Verwaltungsakt ihm gegenüber eine Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG. Ein in diesem
Sinne Drittbetroffener ist deshalb im gerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen (ebenso nachfolgend vgl. § 65 Abs. 2 VwGO). Erforderlich ist hierfür aber,
dass nicht nur eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen vorliegt. Der
Beschwerdeführer muss durch die gegenüber einem oder mehreren Dritten ergangene Verfügung in seinem geschützten Rechtskreis unmittelbar betroffen
sein (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, WuW/E DE-R 2728
Rn. 20 - Versicherergemeinschaft).
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Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur kann in den Fällen der
notwendigen Beiladung - weil es insoweit an einer gesetzlichen Grundlage
fehlt - der von der Entscheidung Betroffene nicht auf einen vorherigen Beiladungsantrag im Verwaltungsverfahren verwiesen werden (vgl. BGH aaO Rn. 16
- Versicherergemeinschaft).
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(a) Eine rechtliche Betroffenheit lässt sich nicht schon daraus ableiten,
dass die Beschwerdeführerin aktueller und potenzieller Vertragspartner der Bilanzkreisnetzbetreiber ist. Die Festlegungen der Bundesnetzagentur greifen
nämlich nicht unmittelbar regelnd in die bestehende Privatrechtslage ein. Sie
bedürfen vielmehr einer Umsetzung durch den Adressaten, hier der Bilanzkreisnetzbetreiber, die verpflichtet sind, ihre Verträge entsprechend anzupassen
bzw. neue Verträge entsprechend den Vorgaben der Festlegungen abzuschließen. Auch wenn damit für den (potenziellen) Vertragspartner des Adressaten
absehbare Auswirkungen des Verwaltungsakts entstehen, begründet das in der
Person des Vertragspartners keine eigene unmittelbare Rechtsbetroffenheit
(BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, WuW/E DE-R 2728 Rn. 19
- Versicherergemeinschaft; vgl. auch BVerwG, MMR 2003, 241, 242). Die Beschwerdeführerin zeigt auch nicht auf, durch welche der Vertragsbestimmungen
- 10 -
des Standardbilanzkreisvertrags, die in Nr. 1 des Tenors der Festlegungen für
verbindlich erklärt wurden, sie in ihrem Rechtskreis berührt sein könnte.
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Der Transportkunde wird dadurch nicht rechtlos gestellt. Er hat gemäß
§ 20 Abs. 1 EnWG einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu den
Netzen, wobei die Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang angemessen,
diskriminierungsfrei und transparent sein müssen (§ 21 Abs. 1 EnWG). Diesen
Anspruch kann er zivilgerichtlich durchsetzen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni
2003, BGHZ 155, 141, 159 ff.). Da die Festlegungen ihm gegenüber keine Regelungswirkung entfalten und mithin auch nicht in Bestandskraft erwachsen
können, binden sie ihn im Zivilverfahren nur insoweit, als sie gesetzeskonform
seinen Zugangsanspruch konkretisieren. Der Transportkunde kann deshalb dort
im Verhältnis zum Netzbetreiber die ihn wirtschaftlich berührenden Festlegungen einer Überprüfung unterziehen lassen. Insoweit ist der Gaslieferant auch in
der Lage, die dann in Übereinstimmung mit den Regeln des Standardbilanzkreisvertrags erfolgte Abrechnung anzugreifen und unmittelbar eine höhere
Vergütung im Zivilverfahren gegen den Netzbetreiber durchzusetzen (vgl. BGH,
Urteil vom 11. Juni 2003, BGHZ 155, 141, 159 ff.).
20
(b) Eine unmittelbare Berührung ihres Rechtskreises ergibt sich für die
Beschwerdeführerin weder aus Art. 12 GG noch aus Art. 14 GG.
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Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Berufsfreiheit ist nur
dann gegeben, wenn der angegriffene Hoheitsakt berufsregelnde Tendenz aufweist (BVerfGE 98, 218, 258; 95, 267, 302). Dieser Bezug fehlt den
Festlegungen. Sie sind lediglich auf die Marktstrukturen bezogen, indem sie die
Art und Weise des Bezugs von Ausgleichs- und Regelenergie modifizieren.
Damit wirken sie sich zwar auf die berufliche Tätigkeit von Transportkunden der
Netzbetreiber und der Bilanzkreisverantwortlichen aus. Ihrer Zielrichtung nach
- 11 -
sind sie jedoch auf die Gestaltung der Lieferverhältnisse am Markt ausgerichtet.
Gegen solche Veränderungen des Marktgeschehens schützt das Grundrecht
der Berufsfreiheit aber nicht, selbst wenn sie vom Staat ausgehen (BVerfGE 98,
218, 259; 37, 1, 17 f.).
Ebenso wenig ist das Grundrecht des Art. 14 GG berührt. Dieses enthält
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keine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen (BVerfG,
NJW 2002, 2621, 2625); vielmehr erfasst Art. 14 Abs. 1 GG nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft
liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten (BVerfGE 68, 193, 222). Nichts
anderes aber stellen die bisherigen Belieferungsmöglichkeiten im Blick auf die
den Netzen zuzuführende Ausgleichsenergie dar. Letztlich zeigt die Beschwerdeführerin insoweit nur tatsächliche Belieferungswege auf. Dies gilt auch für die
bislang erfolgte Einspeisung aus vorgehaltenen Gasspeichern; auch insoweit
handelte es sich nur um eine von der Beschwerdeführerin bislang genutzte
Marktchance. Rechtspositionen sind hiermit nicht verbunden. Verändert werden
lediglich die Bedingungen des Marktzugangs für den Absatz von Ausgleichsenergie, weil diese nunmehr zentral von den Bilanzkreisnetzbetreibern
nachgefragt werden. Diesen gegenüber kann die Beschwerdeführerin diese
Leistungen anbieten. Dass sie diese möglicherweise nicht mehr so auskömmlich vertreiben kann, berührt die grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 12,
14 GG nicht.
b) Hinsichtlich der weiteren Festlegungen der GABi Gas ist die Be-
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schwerdeführerin ebenfalls nicht beschwerdebefugt. Auch insoweit kommt, weil
sie keinen Beiladungsantrag gestellt hat, eine Beschwerdebefugnis nur dann in
Betracht, wenn die Festlegung sie nicht nur wirtschaftlich trifft, sondern sie in ihrem
eigenen
Rechtskreis
rechtsfehlerfrei verneint.
berührt.
Dies
hat
das
Beschwerdegericht
- 12 -
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aa) Dies gilt zum einen für die in Nummer 2 der Festlegung angeordnete
Absenkung der Toleranzgrenze des § 30 Abs. 1 GasNZV von bislang zehn auf
nunmehr null Prozent. Diese Änderung bedingt zugleich, dass der entgeltfreie
Basisbilanzausgleich für Transportkunden nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GasNZV
faktisch entfällt.
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(1) Die Verfügung enthält in ihrer Nummer 2 eine abstrakte Festlegung
der Änderung der Toleranzgrenze. Regelungen dieser Art dienen dazu, in dem
durch das Energiewirtschaftsgesetz und die Gasnetzzugangsverordnung vorgegebenen Rahmen durch generelle Handlungsanweisungen das Verhalten der
Marktteilnehmer in typischerweise im Rahmen ihrer geschäftlichen Betätigung
häufig wiederkehrenden einzelnen Situationen so zu steuern, dass sich die
Wettbewerbskräfte auf dem Gasmarkt bestmöglich entfalten können (vgl. BGH,
Beschluss vom 29. April 2008 - KVR 28/07, RdE 2008, 362 Rn. 13 - Edifact). Zu
solchen Festlegungen ist die Bundesnetzagentur ermächtigt (§ 42 Abs. 6
GasNZV). Der Gesetzgeber hat nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet, der Bundesnetzagentur auch die
allgemeine Festlegung von Netzzugangsbedingungen zu übertragen, die von
der Bundesnetzagentur dann in Form von Allgemeinverfügungen ausgeübt wird
(BGH aaO Rn. 12 - Edifact). Die Bundesnetzagentur kann damit Netzzugangsbedingungen in abstrakt-genereller Form festlegen. Dazu zählt auch eine
Absenkung der Toleranzgrenze durch eine auf § 42 Abs. 6 GasNZV gestützte
Allgemeinverfügung.
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Solche abstrakten Festlegungen bedürfen aber der Umsetzung in das
konkrete Leistungsverhältnis, das zwischen dem Netzbetreiber und den durchleitenden Transportkunden besteht. Dies gilt auch für die Bestimmung der
Toleranzgrenze nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GasNZV. Die Toleranzgrenze enthält
kein absolutes Ge- oder Verbot, sie bildet lediglich eine Bezugsgröße für den
- 13 -
Basisbilanzausgleich. Innerhalb der Toleranzgrenze haben die in der Verordnung näher bezeichneten Netzbetreiber einen Ausgleich ohne gesondertes
Entgelt anzubieten (§ 26 Abs. 2 GasNZV). Wie sich die Toleranzgrenze für die
durchleitenden Gasversorger auswirkt, ergibt sich aber letztlich aus der einzelnen Abrechnung zwischen Netzbetreiber und Transportkunden. Erst wenn die
konkrete Abrechnung erfolgt, lässt sich feststellen, ob der Transportkunde im
Einzelfall durch die Änderung der Toleranzgrenze belastet ist. Im Übrigen stehen die vom Netzbetreiber zu tragenden Kosten für die Ausgleichsenergie in
einem unmittelbaren Zusammenhang zu den für die Berechnung der Netznutzungsentgelte maßgeblichen Netzkosten im Sinne des § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4
Abs. 3 GasNEV. Ein höherer Bezug von durch den Netzbetreiber zu bezahlender
Ausgleichsenergie
wirkt
sich
dann
nämlich
auf
die
Höhe
der
Netznutzungsentgelte aus. Auch unter diesem Gesichtspunkt bewirkt die Festlegung der Toleranzgrenze auf Null noch keine unmittelbare Beeinträchtigung
rechtlich geschützter Interessen der Beschwerdeführerin.
27
Die von der Bundesnetzagentur nach § 42 Abs. 6 GasNZV vorgenommene Absenkung der Toleranzgrenze auf null Prozent berührt mithin den
Transportkunden nicht unmittelbar. Sie wird in dem Vertragsverhältnis zwischen
Netzbetreiber und Transportkunden erst erheblich, soweit Abweichungen von
Einspeise- und Ausspeisemengen konkret ermittelt werden. Damit fehlt der
Festlegung gegenüber der Beschwerdeführerin die Regelungswirkung (vgl.
BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 37/08, WuW/E DE-R 2728 Rn. 19
- Versicherergemeinschaft). Das Privatrechtsverhältnis wird hierdurch nicht unmittelbar gestaltet, weil die Festlegung der Toleranzgrenze lediglich eine
Vorgabe für die Abrechnung innerhalb der Leistungsbeziehung betrifft. Diese
Vorgabe ist dann von dem Netzbetreiber, der den Basisbilanzausgleich unter
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Beachtung der Toleranzgrenze zu vollziehen hat, erst in der konkreten Einzelabrechnung umzusetzen.
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(2) Hinzu kommt, dass die Festlegung der Toleranzgrenze - worauf das
Beschwerdegericht zutreffend hinweist - gegenüber den einzelnen Transportkunden auch keine unmittelbar drittschützende Wirkung hat.
29
Maßgeblich ist für die Frage der drittschützenden Wirkung (vgl. hierzu
auch BVerwGE 117, 93 Rn. 16), welchen Schutzinteressen die Toleranzgrenze
dienen soll. Dies beantwortet sich im Wesentlichen danach, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung vorgenommen werden darf. Das entscheidende
Kriterium hierfür ist gemäß § 42 Abs. 6 GasNZV die Marktsituation. Diese ist im
Licht der energiewirtschaftsrechtlichen Zielsetzungen (§ 1 EnWG) zu bewerten.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Bundesnetzagentur eine Entscheidung über die Toleranzgrenze zu treffen. Damit wird aber deutlich, dass
Schutzgut auch dieser Regelung die Sicherstellung einer leistungsfähigen, kostengünstigen und transparenten Energieversorgung für den Letztverbraucher
ist. Um ein transparentes Abrechnungssystem zu sichern und versteckte Netzkosten zu vermeiden, die dann umgelegt werden müssen, soll die Nominierung
der in Anspruch genommenen Ein- und Ausspeisekapazitäten (§ 27 GasNZV)
möglichst realitätsnah erfolgen. Ein- und Ausspeisungen sind durch die Transportkunden nach § 26 Abs. 1 GasNZV zeitgleich aufeinander anzupassen;
Abweichungen zwischen eingespeisten und zum Verbrauch entnommenen
Gasmengen sollen so möglichst gering gehalten werden (vgl. BR-Drucks.
256/05 S. 47 f.). Auch dies dient dem strukturpolitischen Ziel transparenter
Netzentgelte (§ 21 Abs. 1 EnWG) und erleichtert es, entsprechend den Vorgaben des § 20 Abs. 1b EnWG in möglichst hohem Umfang miteinander
verbundene Netze ausweisen und entsprechende Verträge anbieten zu können.
Mithin kommt im Hinblick auf ihren vom Normgeber verfolgten Zweck der Fest-
- 15 -
legung der Toleranzgrenze allein eine energiewirtschaftlich steuernde, aber
keine unmittelbar drittschützende Wirkung zu.
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bb) Eine rechtliche Betroffenheit kann die Beschwerdeführerin auch aus
den übrigen Regelungen der angegriffenen Festlegungen nicht ableiten. Sie
meint, dass jedenfalls § 10 Nr. 2 Satz 3 SBKV gegen § 10 Abs. 1 EichO verstoße. Ihr könne nicht zugemutet werden, in Befolgung dieser Regelung des
Standardbilanzkreisvertrages Gas mit einem Bußgeldverfahren (§ 74 Nr. 18
EichO) überzogen zu werden.
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Es trifft zwar zu, dass die Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit eine rechtliche Betroffenheit begründen kann (BVerfGK 1, 107). Die
vertraglichen Regelungen setzen die Beschwerdeführerin indes keiner solchen
Gefahr aus. Die Vorschriften der §§ 26 ff. GasNVZ und die auf ihrer Grundlage
ergangenen Festlegungen der Bundesnetzagentur im Blick auf den Bilanzausgleich stellen gegenüber den eichrechtlichen Regelungen insoweit die
spezielleren Regelungen dar. Zudem hat die Bundesnetzagentur überzeugend
dargelegt, dass die Bilanzierung in diesem Sinne nur die Feststellung von Zwischenwerten betrifft. Die Umwertung auf thermische Energie im Sinne von § 10
Abs. 2 Nr. 3 EichO erfolgt dann im Verhältnis zum Kunden unter Zugrundelegung eines Abbrennwertes.
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c) Die vorstehenden Grundsätze bezüglich der Beschwerdebefugnis solcher Dritter, die durch die Entscheidung der Regulierungsbehörde potenziell
betroffen sein können, bedürfen im Blick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. April 2008 (C-55/06 - Arcor) keiner Korrektur. Der
Gerichtshof hat - bezüglich einer Anpassungsanordnung im Bereich der Telekommunikationsleistungen - ausgeführt, dass bei Regulierungsentscheidungen,
die Preise betreffen, auch der Vertragspartner des Adressaten der Regulie-
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rungsentscheidung in seinen Rechten berührt wird und ihm deshalb Rechtsschutz zu gewähren ist. Es bedürfe nicht einmal einer Vertragsbeziehung, damit
die Rechte eines Begünstigten von einer solchen Entscheidung potenziell betroffen sind (EuGH aaO Rn. 177). Ungeachtet dessen, ob für bloße vertragliche
Abrechnungsregelungen - wie hier gegeben - dieselben Grundsätze gelten, erfüllt das deutsche Recht dieses Erfordernis. Die Beschwerdeführerin hätte
nämlich nur einen Beiladungsantrag stellen müssen, dann wäre sie im Falle einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit beschwerdebefugt, auch wenn
sie von der Regulierungsbehörde nicht beigeladen worden wäre. Mit einer solchen auch hier bestehenden Beschwerdemöglichkeit hat Deutschland das
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sich aus der Gasbinnenmarktrichtlinie ergebende Rechtsschutzgebot (Art. 25
Abs. 6 der Richtlinie EG 2003/55/EG, die mittlerweile durch die inhaltsgleiche
Regelung des Art. 41 Abs. 12 der Richtlinie 2009/73/EG abgelöst wurde) in ausreichendem Maße umgesetzt.
Tolksdorf
Raum
Kirchhoff
Strohn
Grüneberg
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.09.2009 - VI-3 Kart 25/08 (V) -