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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 58/11
vom
23. Juni 2012
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
-2-
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Prof. Dr. König, die Richterin Dr. Fetzer
sowie die Rechtsanwälte Dr. Frey und Dr. Martini
am 23. Juni 2012 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 4. August 2011 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 €
festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22. Juli 2010 die Zulassung des Klägers mit der Begründung widerrufen, er unterhalte nicht die vorgeschriebene
Berufshaftpflichtversicherung (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Zugleich hat sie den
Sofortvollzug der Widerrufsverfügung angeordnet. Den gegen den Zulassungswiderruf und den Sofortvollzug gerichteten Widerspruch des Klägers hat die
Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2010 zurückgewiesen. Die hiergegen
vom Kläger erhobene Klage ist vor dem Anwaltsgerichtshof ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet er sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. In
diesem Verfahren vertritt sich der Kläger selbst. Die Beklagte zieht im Hinblick
-3-
auf den angeordneten Sofortvollzug die Postulationsfähigkeit des Klägers in
Zweifel.
II.
2
Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag
auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere hat der Kläger, der sich
selbst vertritt, bei Einlegung und Begründung des Antrags auf Zulassung der
Berufung nicht die zur Wirksamkeit dieser Prozesshandlungen erforderliche
Postulationsfähigkeit eingebüßt. Der Kläger konnte sich trotz des angeordneten
Sofortvollzugs der Widerrufsverfügung wirksam selbst vertreten.
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1. Nach § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 4 Satz 1,
2 VwGO müssen sich die Beteiligten in einem vor dem Bundesgerichtshof geführten Berufungsverfahren und in einem diesem vorgeschalteten Zulassungsverfahren (§ 124a Abs. 4 VwGO) durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.
Ein Beteiligter, der selbst Rechtsanwalt ist, kann sich dabei auch selbst vertreten (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 4 Satz 3, 8, Abs. 2
Satz 1 VwGO). Der Kläger ist noch als Rechtsanwalt zugelassen, weil die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst dann erlischt, wenn der Widerruf bestandskräftig geworden ist (§ 13 BRAO). Die Postulationsfähigkeit des Klägers,
also die Fähigkeit, im eigenen Namen rechtswirksam prozessual handeln zu
können (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Vor § 50 Rn. 16), ist - anders als die
Beklagte meint - auch nicht deswegen entfallen, weil die sofortige Vollziehung
der Widerrufsverfügung von der Beklagten angeordnet und vom Anwaltsgerichtshof bestätigt worden ist.
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2. Die Anordnung des Sofortvollzugs des Zulassungswiderrufs hat zwar
gemäß § 14 Abs. 4 BRAO zur Folge, dass die für die Verhängung eines vorläufigen Berufs- oder Vertretungsverbots (§ 150 BRAO) geltenden Bestimmungen
-4-
der § 155 Abs. 2, 4 und 5, § 156 Abs. 2 BRAO entsprechend anzuwenden sind.
Dies bedeutet, dass der Kläger nicht mehr befugt ist, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO). Auch eine Vertretung in eigenen Angelegenheiten ist ihm verwehrt, soweit es sich um ein Verfahren handelt, in dem
eine Vertretung durch Anwälte geboten ist (§ 155 Abs. 4 BRAO). Anders als der
Kläger meint, unterliegt auch die Einlegung und Begründung eines Antrags auf
Zulassung der Berufung dem Anwaltszwang (vgl. etwa Senatsbeschluss vom
6. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 25/11, juris Rn. 8, 9). Dass § 67 Abs. 4 Satz 4
bis 7, Abs. 2 Satz 1 VwGO in bestimmten Fällen eine Vertretung durch Personen erlaubt, die nicht als Anwälte zugelassen sind, ändert nichts daran, dass
außerhalb der dort genannten Fallgestaltungen stets eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten ist, also Anwaltszwang herrscht.
5
3. Die vom Kläger gleichwohl vorgenommenen Rechtshandlungen sind
jedoch als wirksam zu behandeln.
6
a) Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs. 4 BRAO. Darin hat der
Gesetzgeber bestimmt, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen
zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, es sei denn, es
ist eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt.
Dies gilt auch in den Fällen, in denen sich der Rechtsanwalt bewusst über das
Berufs-/Tätigkeitsverbot hinwegsetzt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010
- II ZB 8/09, WM 2010, 777 Rn. 13 ff.). Die Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts wird also nicht dadurch beeinträchtigt, dass gegen ihn ein vorläufiges
Berufsverbot verhängt (§ 150 Abs. 1 BRAO) oder seine Zulassung sofort vollziehbar (vgl. § 14 Abs. 4 BRAO) widerrufen worden ist (Feuerich/Weyland,
BRAO, 8. Aufl., § 156 Rn. 7). Ein dem Anwaltszwang unterliegendes Rechtsmittel ist daher nicht deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil es von dem sich
selbst vertretenden Rechtsanwalt unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2, Abs. 4
-5-
BRAO eingelegt worden ist (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB
8/09, aaO Rn. 8, 13 ff.).
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b) Allerdings will der sächsische Anwaltsgerichtshof im Einklang mit
Stimmen im Schrifttum und in der Instanzrechtsprechung den Anwendungsbereich des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO dahin einschränken, dass diese Bestimmung nicht gelten soll, wenn durch das verbotswidrige Handeln des Rechtsanwalts schutzwürdige Interessen Dritter oder die Rechtssicherheit nicht oder nur
unerheblich tangiert werden (AGH Dresden, BRAK-Mitt. 2010, 173 f.; AGH
Dresden, Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), juris Rn. 13; OLG
Karlsruhe, AnwBl. 1996, 584; ähnlich Feuerich/Weyland, aaO, § 155 Rn. 17;
Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, § 155 BRAO
Rn. 11 f.). Eine solche Fallgestaltung liege vor, wenn sich der betroffene
Rechtsanwalt im Streit über die Wirksamkeit des Berufsverbots/des Zulassungswiderrufs selbst vertrete. Der Gesetzgeber wolle durch § 155 Abs. 5
Satz 1 BRAO aus Gründen der Rechtssicherheit verhindern, dass der Rechtsverkehr mit der Prüfung belastet werde, ob gegen den Rechtsanwalt ein Tätigkeitsverbot bestehe. Im Streit über die Wirksamkeit eines solchen Verbots sei
aber eine solche Prüfung gerade Gegenstand des Verfahrens, so dass es das
öffentliche Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht gebiete, Rechtshandlungen,
die ein verbotswidrig tätiger Rechtsanwalt in einem solchen Verfahren vornehme, bis zu einer gesonderten Zurückweisungsentscheidung nach § 156 Abs. 2
BRAO als wirksam zu behandeln (AGH Dresden, BRAK-Mitt. 2010, aaO; ähnlich AGH Dresden, Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), aaO;
Feuerich/Weyland, aaO; Johnigk, aaO Rn. 13).
8
c) Diese einschränkende Auslegung, die zur Konsequenz hätte, dass
Prozesshandlungen eines Rechtsanwalts gerade in den Fällen, in denen er die
gegen ihn ergriffenen berufsrechtlichen Maßnahmen gerichtlich angreift, nicht
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wirksam wären, wohl aber in allen anderen Fällen der ausgeschlossenen
Selbstvertretung, findet im Gesetz keine Stütze.
9
aa) Der Gesetzgeber hat in § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO angeordnet, dass
Rechtshandlungen, die von einem Rechtsanwalt entgegen einem Vertretungsoder Tätigkeitsverbot vorgenommen werden, auch in den Fällen der unerlaubten Eigenvertretung nach § 155 Abs. 4 BRAO als wirksam zu behandeln sind.
Die genannte Vorschrift, die gemäß § 14 Abs. 4 BRAO bei einem sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf sinngemäß anzuwenden ist, gilt nach ihrem
Wortlaut uneingeschränkt für alle Rechtshandlungen (vgl. BGH, Beschluss vom
22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 15). Sie findet damit auch dann Anwendung, wenn sich der Rechtsanwalt in einem anwaltsgerichtlichen Verfahren gegen ein verhängtes Berufsverbot wendet (Senatsbeschluss vom 10. Mai 1971
- AnwSt (R) 8/70, NJW 1971, 1373 unter B I 2 zur Wirksamkeit einer vom Anwalt selbst eingereichten Revisionsbegründung) oder wenn er gerichtlich gegen
einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf vorgeht.
10
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem mit dieser Bestimmung verfolgten Schutzzweck. Zwar trifft es zu, dass § 155 Abs. 5 Satz 1
BRAO im Interesse der Rechtssicherheit in die Bundesrechtsanwaltsordnung
aufgenommen wurde (BR-Drucks. Nr. 461/57, S. 108 - Erläuterung zu § 169
Abs. 5 BRAO-E). Die genannte Regelung will den Rechtsverkehr mit einem
Rechtsanwalt generell von der Prüfung freihalten, ob gegen ihn ein Berufs- oder
Vertretungsverbot besteht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09,
aaO Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch Beschluss vom 29. März 1990 - III ZB 39/89,
BGHZ 111, 104, 106; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 626, 627). Hieraus folgt
aber nicht, dass verbotswidrige Prozesshandlungen des betroffenen Rechtsanwalts dann wirkungslos bleiben, wenn sie in gerichtlichen Verfahren vorgenommen werden, in denen die Wirksamkeit des Berufs-/Tätigkeitsverbots oder
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des sofort vollziehbaren Zulassungswiderrufs Verfahrensgegenstand ist. Der
Gesetzgeber hat durch nichts zu erkennen gegeben, dass er die Wirksamkeit
der verbotswidrig vorgenommen Rechtshandlungen des betroffenen Anwalts
von einer konkreten Beeinträchtigung der Rechtssicherheit abhängig machen
wollte. Er hat im Gegenteil eine generalisierende Betrachtung angestellt (vgl.
auch BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 14 ff.; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl., § 155 Rn. 3) und auf Differenzierungen verzichtet.
11
cc) Auch der Umstand, dass die Regelung über den Fortbestand der
Postulationsfähigkeit in der Bundesrechtsanwaltsordnung selbst und nicht in
einzelnen Verfahrensordnungen (etwa ZPO oder StPO) geregelt worden ist,
belegt, dass der Gesetzgeber generell und unterschiedslos vermeiden wollte,
dass die Postulationsfähigkeit eines entgegen § 155 Abs. 2, 4 BRAO, § 14
Abs. 4 BRAO tätigen Rechtsanwalts in Zweifel gezogen wird und daher gerichtlich geklärt werden muss. Diese Zielsetzung greift auch dann ein, wenn ein betroffener Anwalt gerichtlich gegen ein Berufs-/Tätigkeitsverbot oder einen sofort
vollziehbaren Widerruf seiner Zulassung vorgeht. Zwar ist in diesen Fällen die
Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs oder des Verbots im Rahmen der Begründetheit des Rechtsschutzbegehrens zu prüfen. Durch § 155 Abs. 5 Satz 1
BRAO wird aber vermieden, dass diese Prüfung - unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Nichtigkeit des Widerrufsbescheids nach § 32 Abs. 1 BRAO,
§ 44 VwVfG - schon bei der Frage der Postulationsfähigkeit anzustellen ist.
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dd) Dementsprechend hat der Senat schon in seiner länger zurückliegenden, vom sächsischen Anwaltsgerichtshof nicht berücksichtigten Entscheidung aus dem Jahr 1971 ausgesprochen, dass die Wirksamkeit einer von einem Rechtsanwalt eingereichten Revisionsbegründung, mit der sich dieser gegen ein im ehrengerichtlichen Verfahren verhängtes Berufsverbot wendet, ge-
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mäß § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO von dem Berufsverbot unberührt bleibt (Senatsbeschluss vom 10. Mai 1971 - AnwSt (R) 8/70, aaO). Diese Grundsätze
lassen sich auf den hier zu beurteilenden Fall einer Anfechtungsklage gegen
einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf ohne weiteres übertragen. Folglich wird auch in diesen Fällen die Postulationsfähigkeit des betroffenen
Rechtsanwalts gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs. 4 BRAO nicht beeinträchtigt.
III.
13
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinne von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
14
1. Der Kläger misst der Frage, ob ein Anwalt, der sich nach einem sofort
vollziehbaren Widerruf seiner Anwaltszulassung im Klageverfahren vor dem
Anwaltsgerichtshof selbst vertritt (§ 112c Abs. 1 Satz 1, 2 BRAO, § 67 Abs. 4
Satz 1, 3, 8, Abs. 2 Satz 1 VwGO), wirksam Prozesshandlungen vornehmen
kann, rechtsgrundsätzliche Bedeutung bei (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat eine Frage dann, wenn es sich um eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handelt, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Senatsbeschluss vom 6. September
2011 - AnwZ (Brfg) 5/11, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 27. März 2003
- V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG,
NVwZ 2005, 709). Die im Streitfall aufgeworfene Frage der Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts, der sich gegen einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf wendet und sich im gerichtlichen Verfahren selbst vertritt, ist jedoch nicht mehr klärungsbedürftig. Der Senat hatte diese Frage bei der - vor-
-9-
rangig anzustellenden - Prüfung der Zulässigkeit des vom Kläger gestellten Zulassungsantrags zu klären (unter II). Die vom Senat für das Zulassungs- und
Berufungsverfahren aufgestellten Grundsätze gelten in gleicher Weise für das
erstinstanzliche Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof.
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2. Auch der vom Kläger weiter angeführte Zulassungsgrund des § 124
Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) ist nicht gegeben. Zwar hat der Anwaltsgerichtshof die Postulationsfähigkeit des Klägers anders als der sächsische Anwaltsgerichtshof (BRAK-Mitt. 2010, 173 f.; Beschluss vom 15. August 2011
- AGH 12/11 (I), juris Rn. 11 ff.) bejaht. Nicht jede Abweichung stellt aber eine
Divergenz im Sinne dieser Vorschrift dar. Erforderlich ist vielmehr, dass die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als
die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. September 2011 - AnwZ (Brfg)
5/11, aaO Rn. 12; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZB 291/02, aaO
S. 292 f. m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben.
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Der Anwaltsgerichtshof meint, in den Fällen der Anfechtung eines sofort
vollziehbaren Zulassungswiderrufs nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO sei - auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsfreiheit - vom Fortbestand der
Postulationsfähigkeit des betroffenen Rechtsanwalts auszugehen, weil der auf
eine fehlende Berufshaftpflichtversicherung gestützte Zulassungswiderruf auf
der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden beruhe, eine solche Gefährdung aber nicht erkennbar sei, wenn der Rechtsanwalt vor dem Anwaltsgerichtshof um die Rechtmäßigkeit seiner Zulassungsentziehung streite. Demgegenüber hat der sächsische Anwaltsgerichtshof den von ihm bejahten Verlust
der Postulationsfähigkeit mit einer einschränkenden Auslegung des § 155
Abs. 5 Satz 1 BRAO begründet, wobei er im Einklang mit der herrschenden
- 10 -
Meinung im Schrifttum angenommen hat, die genannte Bestimmung finde dann
keine Anwendung, wenn schutzwürdige Interessen Dritter oder die Rechtssicherheit nicht oder nur unerheblich tangiert würden (BRAK-Mitt. 2010, aaO; Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), aaO). Der Anwaltsgerichtshof hat
damit keinen von der Rechtsprechung des sächsischen Anwaltsgerichtshofs
abweichenden abstrakten Rechtssatz zu § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO aufgestellt,
sondern nur bei seiner Rechtsanwendung die Frage der Postulationsfähigkeit
anders beurteilt als der sächsische Anwaltsgerichtshof. Hinzu kommt, dass die
vom sächsischen Anwaltsgerichtshof angestellten Erwägungen ohnehin nicht
tragend waren, weil dieser den vor ihm verfolgten Begehren auch in der Sache
den Erfolg versagt hat.
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3. Weiter misst der Kläger der Sache deswegen rechtsgrundsätzliche
Bedeutung bei, weil sich im Streitfall die in einer Vielzahl von Fällen bedeutsame Frage stelle, ob das Bestehen des erforderlichen Haftpflichtversicherungsschutzes nur durch eine Anzeige der Versicherung nach § 51 Abs. 6 Satz 1
BRAO belegt werden könne oder ob auch andere Nachweise zulässig seien.
Die aufgeworfene Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich geworden,
denn der Kläger konnte weder eine Bestätigung der Versicherung über den
Fortbestand des Versicherungsschutzes noch ein anderes Beweismittel vorlegen, das die Mitteilungen der A.
Versicherungs-AG vom 13. April 2010,
vom 24. Juni 2010, vom 15. Juli 2010 und vom 17. Mai 2011, wonach der Versicherungsschutz am 18. April 2010 erloschen ist, hätte widerlegen können. Die
vom Kläger angeführte Prämienzahlung reichte schon deswegen nicht als Beleg für das Fortbestehen der Versicherung aus, weil der Kläger - wie im Schreiben der Versicherungsgesellschaft vom 15. Juli 2010 ausgeführt - nicht die
nach Umstellung des Versicherungsvertrages geschuldete Prämie, sondern nur
eine Folgenbeitragsrechnung aus dem alten Versicherungsverhältnis beglichen
hatte.
- 11 -
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4. Die Problematik des Fortbestehens des Versicherungsschutzes erfüllt
auch nicht die Anforderungen an den vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit
(§ 112e Satz 2 BRAO; § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine Rechtssache weist
dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende
Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abhebt (Senatsbeschlüsse vom 23. März 2011
- AnwZ (Brfg) 9/10, juris Rn. 6; vom 6. September 2011- AnwZ (Brfg) 5/11, aaO
Rn. 7; jeweils m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen gegeben sind, hat der
Kläger nicht dargelegt. Er begnügt sich mit dem - unzutreffenden - Hinweis, allein der Umstand, dass ein streitiges Rechtsverhältnis zu einem Dritten (Versicherungsunternehmen) zu beurteilen sei, verleihe der Sache eine über das
normale Maß hinausgehende Komplexität.
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5. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger trägt - allerdings ohne Beleg - vor, er habe zwischenzeitlich dafür Sorge
getragen, dass der Beklagten demnächst eine Bestätigung nach § 51 Abs. 6
Satz 1 BRAO über das Bestehen des gesetzlich geforderten Versicherungsschutzes zugehe. Diesen neu hervorgetretenen Umstand müsse der Senat berücksichtigen. Dies trifft nicht zu. Das seit dem 1. September 2009 geltende
neue Verfahrensrecht lässt keinen Raum für die Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Widerrufsgrundes; Entwicklungen, die nach Abschluss
des behördlichen Verfahrens eintreten, sind einem Wiederzulassungsverfahren
vorbehalten (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, NJW
2011, 3234 Rn. 9 ff.; zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Dies gilt
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- anders als der Kläger meint - auch für den Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2
Nr. 9 BRAO. Entscheidend ist, dass der Widerruf einer Berufserlaubnis eine auf
den Abschluss des Verwaltungsverfahrens bezogene rechtsgestaltende Wirkung entfaltet und der Abschluss dieses Verfahrens zugleich eine Zäsur bewirkt
(Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, aaO Rn. 15 f.). Diese
Rechtswirkungen gelten unabhängig davon, auf welchen Widerrufsgrund der
Zulassungswiderruf gestützt ist. Art. 12 Abs. 1 GG zwingt nicht dazu, den nachträglichen Wegfall des Widerrufsgrunds bereits im Anfechtungsverfahren zu
berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, aaO
Rn. 17 f.). Davon abgesehen hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass zwischenzeitlich wieder Versicherungsschutz besteht, so dass auch nach alter
Rechtslage der Zulassungswiderruf zu bestätigen gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juni 2001 - AnwZ (B) 49/00, NJW 2001, 3131 unter II 2).
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6. Da die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Zulassungswiderrufs abzustellen ist, durch die grundlegende
Entscheidung des Senats vom 29. Juni 2011 umfassend geklärt ist, kommt dieser Frage entgegen der Auffassung des Klägers keine rechtsgrundsätzliche
Bedeutung zu (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Im Übrigen ist
diese Frage nicht entscheidungserheblich, weil der Kläger einen entsprechenden Nachweis nicht vorgelegt hat.
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7. Dem Anwaltsgerichtshof sind auch keine Verfahrensfehler unterlaufen
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
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a) Der Anwaltsgerichtshof war nicht gehalten, die A.
Versicherungs-
AG nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 65 Abs. 2 VwGO beizuladen, da die
Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nicht vorlagen. Ebenso wenig
musste der Anwaltsgerichtshof dem Kläger aufgeben, binnen einer von ihm ge-
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setzten Frist das Bestehen des Versicherungsschutzes anderweitig gerichtlich
klären zu lassen, und das hiesige Verfahren bis zum Abschluss eines solchen
Verfahrens analog § 94 VwGO aussetzen.
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b) Der Anwaltsgerichtshof war auch nicht verpflichtet, dem Kläger ein
Erwiderungsrecht auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 26. Juli 2011 einzuräumen. Mit diesem Schriftsatz hat die Beklagte nochmals vorgetragen, dass
der Versicherungsschutz des Klägers am 18. April 2010 geendet habe. Dabei
hat sie die Mitteilungen der Versicherungsgesellschaft über die Beendigung des
Versicherungsverhältnisses als Anlagen beigefügt. Der Kläger macht geltend,
erstmals mit diesem Schriftsatz vom Inhalt der Mitteilungen der A.
Versicherungs-AG vom 17. Mai 2011 und vom 15. Juli 2010 Kenntnis erhalten
zu haben. Dies trifft jedoch hinsichtlich des Schreibens vom 15. Juli 2010, in
dem der maßgebliche Vorgang ausführlich geschildert worden ist, nicht zu. Der
Inhalt dieses Schreibens wird bereits in dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. November 2010 (dort S. 2) wiedergegeben, der dem Kläger unstreitig zugegangen ist. Das weitere Schreiben der Versicherungsgesellschaft
vom 17. Mai 2011 enthält keine über die im Widerspruchsbescheid referierten
Mitteilungen hinausgehenden Erklärungen. Dementsprechend hat die Beklagte
in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die dem Schriftsatz
vom 26. Juli 2011 beigefügten Unterlagen dem Kläger bekannt seien. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG) ist nach alledem nicht zu erkennen.
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c) Es stellt auch - anders als der Kläger meint - kein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen dar, dass der Anwaltsgerichtshof den hilfsweise gestellten Antrag
des Klägers auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft mit der Begründung
als unzulässig abgewiesen hat, der Kläger habe diese Klage erhoben, ohne
zuvor das notwendige Vorverfahren nach § 68 VwGO zu betreiben. Davon ab-
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gesehen, dass insoweit allenfalls der Zulassungsgrund nach § 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und nicht der Zulassungsgrund nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2
Nr. 5 VwGO (Verfahrensfehler) in Betracht kommt, ist die Entscheidung des
Anwaltsgerichtshofs in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
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Der Kläger hat den Schriftsatz vom 3. August 2011, in dem er die Stellung des Hilfsantrags angekündigt hat, der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2011 übergeben und zugleich den Hilfsantrag verlesen. Die Beklagte hat hierauf zwar Antrag auf Klagabweisung gestellt. Sie hat
sich damit jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht rügelos zur
Sache eingelassen, so dass ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht ausnahmsweise entbehrlich geworden ist (vgl. zu diesem Ausnahmetatbestand
VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 1992, 184 f.). Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte das Fehlen eines Vorverfahrens unbeanstandet gelassen hat. Das Verhandlungsprotokoll enthält eine entsprechende Erklärung der
Beklagten nicht. Dort ist nur aufgeführt, der Anwaltsgerichtshof habe Bedenken
gegen die Zulässigkeit des Hilfsantrags erhoben und die Notwendigkeit eines
Vorverfahrens mit den Parteien erörtert. Allein der Stellung eines Klagabweisungsantrags kann vorliegend schon deswegen kein Verzicht auf die Durchführung eines Vorverfahrens entnommen werden, weil der Beklagtenvertreter den
Klageerweiterungsschriftsatz vom 3. August 2011 erst in der mündlichen Verhandlung erhalten und damit keine Möglichkeit gehabt hat, den erstmals gestellten Hilfsantrag mit dem zuständigen Entscheidungsgremium zu erörtern. Unklar
ist darüber hinaus, ob der Kläger bei der Beklagten überhaupt einen Antrag auf
Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft gestellt hat, möglicherweise also nicht
nur ein Widerspruchsverfahren (§ 68 VwGO) unterblieben ist, sondern schon
kein behördliches Verfahren eingeleitet worden ist.
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IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Kayser
König
Frey
Fetzer
Martini
Vorinstanz:
AGH Stuttgart, Entscheidung vom 04.08.2011 - AGH 20/10 (I) -