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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 59/99
vom
19. Juni 2000
in dem Verfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BRAO § 43 c Abs. 2; FAO § 24 Abs. 10
Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer ist bei der Entscheidung über die Erlaubnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung an das Votum des Fachausschusses nicht gebunden.
BRAO § 43 c; FAO § 4 Abs. 3
Der Rechtsanwalt kann den Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse in
Ausnahmefällen auch durch Stellungnahmen von amtlichen Vertretern der Justiz
führen; diese müssen belegen, daß die Kenntnisse sich auf alle Fachbereiche erstrecken, für die der Anwalt den Nachweis zu führen hat.
BGH, Beschluß vom 19. Juni 2000 - AnwZ (B) 59/99 - Niedersächsischer
Anwaltsgerichtshof
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wegen Erlaubnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung
-3-
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer, Basdorf und Dr. Ganter, die
Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt und Dr. Müller sowie die Rechtsanwältin
Dr. Christian
am 19. Juni 2000
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs
in Celle vom 30. August 1999 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen
und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird
25.000 DM festgesetzt.
auf
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Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit dem Jahre 1976 als Rechtsanwalt zugelassen
und seit etwa 20 Jahren hauptsächlich als Strafverteidiger tätig. Am 15. Mai
1997 wurde er vom Vorstand der Antragsgegnerin zum ordentlichen Mitglied
des neu gegründeten Fachausschusses für Strafrecht bestellt. In der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses wurde der Antragsteller zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Am 22. Oktober 1997 hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin beantragt, ihm die Fachanwaltsbezeichnung für Strafrecht zu verleihen. Der Antragsteller hat an einem Fachlehrgang, wie er in § 4 Abs. 1 FAO vorgesehen
ist, nicht teilgenommen und statt dessen zum Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse zahlreiche Stellungnahmen von Richtern, Staatsanwälten
und anderen im Strafverfahren oder während der Vollstreckung amtlich beteiligten Personen vorgelegt.
Der Fachausschuß für Strafrecht gelangte in der Sitzung vom 13. Mai
1998 einstimmig zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller die Voraussetzungen
für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung erfüllt habe. Mit Bescheid vom
8. Februar 1999 hat der Vorstand der Antragsgegnerin den Antrag jedoch zurückgewiesen, weil der Rechtsanwalt den Nachweis besonderer theoretischer
Kenntnisse nicht geführt habe. Auf Antrag des Rechtsanwalts hat der Anwalts-
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gerichtshof diesen Bescheid aufgehoben und der Antragsgegnerin aufgegeben, dem Antragsteller die Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" zu gestatten. Dagegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Das gemäß § 223 Abs. 3 BRAO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache
keinen Erfolg.
Der Antragsteller besitzt aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Strafverteidiger die gemäß § 5 FAO erforderlichen praktischen Erfahrungen, was
auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen wird. Sie hat die Zurückweisung des Gesuchs allein damit begründet, der Antragsteller habe den
Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse nicht erbracht. Das hält der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Antragsteller hat vielmehr, wie der
Anwaltsgerichtshof zu Recht angenommen hat, die Voraussetzungen für die
Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung im Strafrecht erfüllt.
1. Die Antragsgegnerin mußte allerdings dem Antrag nicht schon deshalb stattgeben, weil der Fachausschuß in seiner Sitzung vom 13. Mai 1998 zu
dem Ergebnis gelangt war, der Antragsteller habe den von § 4 FAO geforderten Nachweis erbracht.
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Über den Antrag des Rechtsanwalts hat der Vorstand der Rechtsanwaltskammer zu befinden (§ 43 c Abs. 2 BRAO). Die gesetzliche Regelung
sieht vor, daß dieser Entscheidung die Prüfung der Nachweise durch einen
Ausschuß der Kammer vorausgeht. Damit hat der Gesetzgeber dem Fachausschuß die Aufgabe übertragen, die Entschließung der Kammer vorzubereiten,
nicht jedoch die Entscheidungskompetenz vom Vorstand auf den Fachausschuß verlagert. Dessen Prüfung bildet lediglich ein vorgeschaltetes Verfahren,
das mit einer Stellungnahme zum Gesuch des Antragstellers abzuschließen ist
(§ 24 Abs. 9 u. 10 FAO). Mit dem Ergebnis, zu dem der Fachausschuß gelangt
ist, und dessen Begründung muß sich der Vorstand im Zuge der von ihm zu
treffenden Entscheidung zwar in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eingehend auseinandersetzen. Eine Bindung an den Beschluß des Fachausschusses sehen jedoch weder das Gesetz noch die Fachanwaltsordnung vor, so daß
die Frage auf sich beruhen kann, ob die Satzungsversammlung ermächtigt gewesen wäre, im Wege der Satzung dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer
zu untersagen, von dem Ergebnis der Prüfung durch den Fachausschuß abzuweichen.
2. Die Beurteilung, ob die vom Bewerber vorgelegten Unterlagen die
geforderten besonderen theoretischen Kenntnisse nachweisen, ist einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGH, Beschl. v. 21. Juni
1999 - AnwZ (B) 91/98, NJW 1999, 2677 m.w.N., z.V.b. in BGHZ 142, 97). Im
Streitfall gelangt der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller den gebotenen Nachweis geführt hat.
a) Der Rechtsanwalt besitzt besondere theoretische Kenntnisse, wenn
diese auf dem betreffenden Fachgebiet erheblich das Maß dessen überstei-
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gen, was üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb solcher Kenntnisse
wird in der Regel durch die erfolgreiche Teilnahme an einem entsprechenden
anwaltsspezifischen Lehrgang nachgewiesen (§ 4 Abs. 1 FAO).
Die Satzung läßt es jedoch zu, daß diese Kenntnisse auch auf andere
Weise belegt werden können (§ 4 Abs. 3 FAO). Insoweit zeigt die Satzung keine konkreten Alternativen auf. Es bleibt grundsätzlich dem einzelnen Rechtsanwalt überlassen, auf welche Weise er den erforderlichen Nachweis führt. In
jedem Falle notwendig ist die Vorlage von Zeugnissen, Bescheinigungen oder
anderen schriftlichen Unterlagen (§ 6 Abs. 1 FAO). Wie die Antragsgegnerin in
dem angefochtenen Bescheid selbst zutreffend ausführt, kommen insbesondere Nachweise über den Besuch anderer Lehrveranstaltungen, eigene Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Veröffentlichungen auf dem in Rede stehenden
Rechtsgebiet, eigene Arbeitsnachweise sowie eine mehrjährige Tätigkeit als
Richter, Staatsanwalt oder als Prüfer im Staatsexamen in Betracht. Dabei müssen die Unterlagen erkennen lassen, daß der Rechtsanwalt auf dem von ihm
gewählten Weg sich das Wissen hat aneignen können, das in dem jeweiligen
Fachlehrgang vermittelt wird (§ 4 Abs. 3 FAO). In den §§ 8 bis 13 FAO sind die
Bereiche bezeichnet, auf die sich die anwaltlichen Fachlehrgänge erstrecken
müssen, wobei § 13 FAO das Fachgebiet Strafrecht betrifft.
b) Im Hinblick darauf, daß die Fachanwaltsordnung dem einzelnen
Rechtsanwalt in der Art und Weise, wie er seine Kenntnisse belegt, einen großen Spielraum läßt, kann es nicht von vorneherein unzulässig sein, den Nachweis so zu führen, wie es der Antragsteller unternommen hat. Juristen, die in
Wahrnehmung ihrer amtlichen Tätigkeit dem Rechtsanwalt bei der Ausübung
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seiner beruflichen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg häufiger begegnet sind, vermögen in der Regel dessen Rechtskenntnisse sachgerecht
einzuschätzen. Erfahrungsgemäß sind sie auch allenfalls dann bereit, entsprechend positive und aussagekräftige Stellungnahmen zu den Fachkenntnissen
des Rechtsanwalts abzugeben, wenn seine Leistungen nach ihrer Überzeugung deutlich über dem Durchschnitt liegen; denn dieser Personenkreis ist
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem anfragenden Rechtsanwalt gegenüber verpflichtet, sich zu dessen Rechtskenntnissen zu äußern. Der
gleichwohl nicht völlig auszuschließenden Gefahr eines eventuellen Mißbrauchs dieser Möglichkeit kann zudem dadurch in geeigneter Weise begegnet
werden, daß an einen solchen Nachweis strenge Anforderungen gestellt werden, die allein ein Rechtsanwalt zu erfüllen vermag, der unter den Juristen, mit
denen er bei seiner beruflichen Arbeit regelmäßig zusammentrifft, ersichtlich
allgemein als ein Spezialist auf dem besagten Fachgebiet anerkannt ist. Das
werden in aller Regel nur Rechtsanwälte erreichen, die schon beträchtliche
Zeit schwerpunktmäßig auf dem Gebiet gearbeitet haben, für das sie die
Fachanwaltsbezeichnung erstreben. Hat der Rechtsanwalt aber ein solches
fachliches Ansehen erlangt, so daß er nach Ansicht derjenigen, die seine Arbeit kennen, das erforderliche besondere theoretische Fachwissen unzweifelhaft besitzt, ist es nicht gerechtfertigt, die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung von der Teilnahme an einem Lehrgang abhängig zu machen, dessen
Unterrichtsstoff der Rechtsanwalt offenbar schon beherrscht. Bedarf er der
Wissensvermittlung nicht mehr, die während eines solchen Lehrganges üblicherweise erfolgt, würde der Besuch einer solchen Veranstaltung im wesentlichen nur eine zeitraubende Förmelei darstellen und wäre dem Rechtsanwalt
deshalb nicht zumutbar.
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c) Dem Antragsteller ist es gelungen, den an strenge Anforderungen
geknüpften Nachweis nach § 4 Abs. 3 FAO zu erbringen.
Der Rechtsanwalt hat insgesamt 26 Schreiben von Richtern und Staatsanwälten aus dem Raum B. und der näheren Umgebung vorgelegt, die ihm
einhellig weit überdurchschnittliche Leistungen als Strafverteidiger bestätigen
und ganz überwiegend auch seinen fachlichen Wissensstand besonders hervorheben. Darunter befinden sich Stellungnahmen der Leitenden Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft B. sowie des Präsidenten des Oberlandesgerichts B. Letzterer hat über die Präsidenten des Landgerichts und des Amtsgerichts B. Stellungnahmen verschiedener Strafrichter einholen lassen und faßt
deren Äußerungen wie folgt zusammen: Der Rechtsanwalt beherrsche Methodik und Recht der Strafverteidigung; er verfüge über gute Fachkenntnisse des
Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts einschließlich des Betäubungsmittel- und Steuerrechts, die er durch offensichtlich kontinuierliches
Studium von Literatur und Rechtsprechung auf dem neuesten Stand halte. Er
berücksichtige auch soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hintergründe
mit gutem Judiz und praktischem Geschick, bereite sich gründlich auf Hauptverhandlungen vor und sichere seine Argumente wissenschaftlich ab, soweit
dies erforderlich sei.
Die Bereitschaft von Organen der Justiz, das Bemühen des Antragstellers um die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung zu unterstützen, belegt
eindrucksvoll die fachliche Wertschätzung, die sich der Rechtsanwalt als Strafrechtler im Laufe einer bereits seit etwa 20 Jahren bestehenden Spezialisierung auf diesem Gebiet in seinem beruflichen Umfeld erworben hat. Die Berufung des Antragstellers in den neu gegründeten Fachausschuß für Strafrecht
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sowie seine Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden dieses Gremiums zeigen, daß er unter Kollegen ein entsprechendes Ansehen genießt und man ihm
insbesondere in schwer zu beurteilenden Grenzfällen die sachgerechte Gestaltung und Beurteilung eines Fachgesprächs (§ 7 Abs. 2 FAO) zutraut.
d) Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin lassen die erteilten Bescheinigungen hinreichend erkennen, daß sich die besonderen theoretischen
Kenntnisse des Antragstellers auf alle in § 13 FAO genannten Bereiche erstrecken. Der Präsident des Oberlandesgerichts hebt nämlich auch gute
Kenntnisse des Rechtsanwalts im Steuerrecht hervor. Damit sind besondere
theoretische Kenntnisse im Strafrecht umfassend belegt. Es besteht folglich
auch keine Veranlassung, ein Fachgespräch anzuordnen; denn die theoretischen Kenntnisse lassen sich bereits aufgrund der schriftlichen Unterlagen
hinreichend beurteilen (§ 7 Abs. 1 FAO).
Deppert
Fischer
Salditt
Basdorf
Müller
Ganter
Christian