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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 22/00
vom
12. März 2001
in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
-2-
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer und Terno, die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Dr. Schott, Dr. Frey und Dr. Wosgien
nach mündlicher Verhandlung am 12. März 2001
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des I. Senats des Anwaltsgerichtshofes in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 30. August 1999 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die im Beschwerdeverfahren entstandenen
Kosten zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr dort erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
100.000 DM festgesetzt.
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Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit dem Jahre 1975 als Rechtsanwalt zugelassen.
Er hatte ursprünglich in der P. in H. eine Kanzlei eingerichtet. Mit Verfügung
vom 12. März 1998 hat die Justizbehörde die Zulassung gemäß § 14 Abs. 2
Nr. 6 i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO widerrufen, weil der Rechtsanwalt keine
Kanzlei mehr unterhalte. Der Antragsteller hat beim Anwaltsgerichtshof die
Aufhebung des Widerrufs beantragt. Die Zuständigkeit in Zulassungssachen ist
in H. mit Wirkung vom 1. März 1999 von der Justizbehörde auf die Rechtsanwaltskammer übergegangen.
Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung am
30. August 1999 zurückgewiesen und durch Beschluß vom 29. Dezember 1999
die öffentliche Zustellung dieser Entscheidung angeordnet. Die öffentliche Zustellung wurde ausgeführt. Mit Schriftsätzen vom 13. März 2000 hat der Antragsteller gegen den Beschluß vom 30. August 1999 sofortige Beschwerde
eingelegt und außerdem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
II.
Die gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO statthafte Beschwerde ist zulässig.
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1. Die öffentliche Zustellung des Beschlusses vom 30. August 1999 ist
zu Unrecht angeordnet worden. Aus den Gerichtsakten geht hervor, daß die
Rechtsanwaltskammer H. den Anwaltsgerichtshof mit Schreiben vom 22. Juni
1999 darauf hingewiesen hat, ihr sei als neue Anschrift des Antragstellers die
Adresse K., F., mitgeteilt worden. Im Beschwerdeverfahren sind dem Antragsteller die gerichtlichen Verfügungen unter dieser Anschrift zugegangen; er hat
ihren Erhalt bestätigt. Es hätte daher der Versuch unternommen werden müssen, die erstinstanzliche Entscheidung am jetzigen Wohnort des Antragstellers
zuzustellen. Da dies versäumt wurde, ist die öffentliche Zustellung unter Verstoß gegen § 203 Abs. 1 ZPO angeordnet worden.
2. Ob ein solcher Verfahrensfehler zur Folge hat, daß es an einer
fristauslösenden Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung fehlt und die
Beschwerde schon deshalb rechtzeitig eingegangen ist, oder ob infolge der
gerichtlichen Zustellungsanordnung, dem Betroffenen lediglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (vgl. BGHZ 118, 45, 48;
BVerfG NJW 1988, 2361; Musielak/Wolst, ZPO 2. Aufl. § 203 Rdnr. 4), braucht
nicht entschieden zu werden. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist
jedenfalls deshalb zulässig, weil er auch rechtzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat und die das Gesuch rechtfertigenden, aus der gerichtlichen
Verantwortungssphäre herrührenden Gründe schon aus den Akten des erstinstanzlichen Verfahrens ohne weiteres ersichtlich sind. Ob der Antragsteller
dem Wiedereinsetzungsgesuch gleichzeitig eine formgerechte Beschwerdeschrift oder nur eine Ablichtung dieses Schriftsatzes beigefügt hat, kann ebenfalls dahingestellt bleiben. Aus den Umständen war hier zweifelsfrei ersichtlich,
daß er sich gegen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs vom 30. August 1999
wenden wollte. Deshalb kann ihm eine Wiedereinsetzung - falls eine solche
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notwendig sein sollte - nicht allein wegen eventuell formeller Mängel des
Rechtsmittelschriftsatzes versagt werden (vgl. BVerfG NJW 1993, 1635, 1636).
III.
Der Antrag festzustellen, daß der angefochtene Beschluß Wirksamkeit
nicht erlangt habe, ist unbegründet.
Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ist dadurch wirksam geworden, daß sie dem Antragsteller bekannt gemacht worden ist (§ 40 Abs. 4 BRAO
i.V.m. § 16 Abs. 1 FGG). Die Bekanntmachung hat nach den Vorschriften der
Zivilprozeßordnung über die Zustellung zu erfolgen. Das ist hier dadurch geschehen, daß die Zustellung gemäß §§ 203 ff ZPO durch öffentliche Bekanntmachung vorgenommen worden ist. Die erstinstanzliche Entscheidung ist damit
jedenfalls rechtlich existent geworden (BGHZ 57, 108, 110; 64, 5, 8).
IV.
Auch im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg; denn die Zulassung
des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft ist zu Recht widerrufen worden.
1. Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO kann die Zulassung bei einem Gericht widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei aufgibt, ohne
daß er von der Pflicht des § 27 BRAO befreit worden ist. Geschieht dies, muß
zugleich die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werden (§ 14 Abs. 2
- 6 -
Nr. 6 BRAO); denn es soll niemand als Rechtsanwalt tätig sein dürfen, der
nicht zugleich die Zulassung bei einem Gericht besitzt.
2. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß der Antragsteller in H. keine Kanzlei mehr unterhält. Den von ihnen insoweit getroffenen Feststellungen schließt sich der Senat an.
Danach war im Zeitpunkt des Widerrufs an der Kanzleiadresse des Antragstellers nur ein Türschild mit der Bezeichnung "Verlag Paul V. " angebracht. Es fehlte jeglicher Hinweis auf eine Rechtsanwaltskanzlei in den dortigen Räumen. Anrufe unter der angegebenen Telefonnummer blieben erfolglos.
Sie wurden lediglich von einem Anrufbeantworter entgegengenommen, ohne
daß ein Rückruf erfolgte. Zahlreiche Zustellungsversuche scheiterten, weil in
den betreffenden Räumen an mehreren aufeinander folgenden Tagen niemand
anzutreffen war. Der Antragsteller hat im übrigen selbst keine Tatsachen vorgetragen, die diesen Feststellungen entgegenstehen. Danach fehlte es an allen wesentlichen Maßnahmen, die getroffen sein müssen, damit die Errichtung
einer Anwaltskanzlei nach außen erkennbar wird. Darüber hinaus war der Antragsteller selbst unter der angegebenen Adresse für das rechtsuchende Publikum sowie Gerichte und Behörden praktisch nicht erreichbar. Demzufolge hat
die Justizbehörde durch die Anordnung des Widerrufs von dem ihr in § 35
BRAO eingeräumten Ermessen in sachgerechter, den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgebots entsprechender Weise (vgl. dazu BVerfG NJW 1986,
1801) Gebrauch gemacht (vgl. BGH, Beschl. v. 27. Juni 1983 - AnwZ (B) 8/83,
BRAK-Mitt. 1983, 190; v. 3. Oktober 1983 - AnwZ (B) 17/83, BRAK-Mitt. 1984,
36; v. 13. September 1993 - AnwZ (B) 33/93).
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3. Es kann offenbleiben, ob die Einrichtung einer neuen Kanzlei nach
Erlaß des Widerrufsbescheids im Beschwerdeverfahren noch berücksichtigt
werden kann; denn der Antragsteller hat einen entsprechenden Sachverhalt
nicht behauptet. Aus seinem Vortrag geht hervor, daß er auch in F., seinem
gegenwärtigen Wohnort, keine Anwaltskanzlei eingerichtet hat.
4. Dem Antrag, das Beschwerdeverfahren bis zur Erledigung mehrerer
von dem Antragsteller erstatteter Strafanzeigen auszusetzen, konnte nicht
stattgegeben werden, weil deren Ergebnis für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist.
Deppert
Fischer
Schott
Terno
Frey
Otten
Wosgien