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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwZ (Brfg) 12/17
Verkündet am:
29. Januar 2018
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
ja
ja
BRAO §§ 46 f.; BetrVG § 78 Satz 2
a) Als Syndikusrechtsanwalt kann nicht zugelassen werden, wer zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung als Betriebsrat von seiner beruflichen
Tätigkeit vollständig befreit ist.
b) Das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG gebietet nicht die
Zulassung des freigestellten Betriebsratsmitglied als Syndikusrechtsanwalt.
BGH, Urteil vom 29. Januar 2018 - AnwZ(Brfg) 12/17 - AGH Hamm
ECLI:DE:BGH:2018:290118UANWZ.BRFG.12.17.0
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2018 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Professor Dr. Kayser, die Richter Dr. Bünger und Dr. Remmert
sowie die Rechtsanwälte Dr. Braeuer und Dr. Kau
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des 1. Senats des
Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. November 2016 (1 AGH 50/16) wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.
Tatbestand:
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Der Beigeladene ist seit dem 28. Oktober 1992 im Bezirk der Beklagten
zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Anstellungsvertrag vom 27. November/
2. Dezember 1991 wurde er zum 1. Januar 1992 als Sachbearbeiter in der
Rechtsabteilung der B.
G.
Krankenversicherung a.G., der heutigen
Krankenversicherung AG (Arbeitgeberin) eingestellt. Mit Bescheid der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 17. Februar 1997 wurde er mit
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Wirkung ab dem 1. Januar 1997 von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung befreit. Der Beigeladene wurde mit Wirkung vom 1. September 2011
als Spezialist in der Gruppe "Allgemeine Leistung / BRE / Regress / Rückforderung" seiner Arbeitgeberin eingesetzt. Seit dem 12. März 2014 ist er Vorsitzender des Betriebsrats des Hauptbetriebs der G.
K.
Krankenversicherung AG
und für die Dauer der Ausübung dieses Amtes von seiner Tätigkeit als Un-
ternehmensjurist vollumfänglich freigestellt.
2
Mit Schreiben vom 24. Februar 2016 beantragte der Beigeladene unter
Beifügung einer von ihm und seiner Arbeitgeberin unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibung bei der Beklagten die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Im
weiteren Verlauf des Zulassungsverfahrens legte er eine neue Tätigkeitsbeschreibung vom 3. Mai 2016 sowie eine - ebenfalls von ihm und seiner Arbeitgeberin unterzeichnete - ergänzende Erklärung vom 14./15. Juni 2016 vor. Die
Beklagte ließ mit Bescheid vom 22. Juni 2016 den Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46 Abs. 2 BRAO bei der G.
Krankenversicherung
AG zur Rechtsanwaltschaft zu.
3
Auf die hiergegen gerichtete Klage der Rentenversicherungsträgerin hat
der Anwaltsgerichtshof den Bescheid vom 22. Juni 2016 aufgehoben und die
Berufung zugelassen. Nach Auffassung des Anwaltsgerichtshofs lagen zum
Zeitpunkt des Bescheides die Voraussetzungen für die Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46a Abs. 1, § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO
nicht vor. Zwar entspreche die vom Beigeladenen - jedenfalls bis zum 12. März
2014 - ausgeübte Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 3 BRAO. Er übe
die anwaltliche Tätigkeit, für die er die Syndikuszulassung beantragt habe, jedoch tatsächlich nicht aus, da er seit dem 12. März 2014 für seine Tätigkeit als
Betriebsratsvorsitzender von seiner eigentlichen Tätigkeit freigestellt sei. Aus
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dem Wortlaut von § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
BRAO sowie der Gesetzesbegründung zu § 46 BRAO ergebe sich eine tätigkeitsbezogene Definition des Syndikusrechtsanwalts dahingehend, dass der
ganz eindeutige Schwerpunkt der ausgeübten Tätigkeit im anwaltlichen Bereich
liegen müsse und für eine Zulassung aufgrund einer abstrakten, ehemals ausgeübten oder in der Zukunft gegebenenfalls wieder auszuübenden Tätigkeit
kein Raum sei.
4
Auch die Systematik der Neuregelung der Bundesrechtsanwaltsordnung
führe zu diesem Ergebnis. Wenn der Syndikusrechtsanwalt nach § 46b Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 BRAO jede wesentliche Änderung der Tätigkeit innerhalb des Arbeitsverhältnisses unverzüglich anzuzeigen habe und die Rechtsanwaltskammer tätigkeitsbezogene Änderungen des Arbeitsverhältnisses zum Anlass nehmen müsse, über den Widerruf der Zulassung zu entscheiden, lasse sich auch
daraus schließen, dass es nicht auf eine abstrakte oder ehemalige Tätigkeit,
sondern ausschließlich auf die aktuell ausgeübte Tätigkeit ankomme.
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Aus der in § 6 Abs. 5 SGB VI bestimmten Erstreckung der Befreiung von
der Versicherungspflicht auf eine andere, im Voraus zeitlich begrenzte versicherungspflichtige Tätigkeit und dem gemäß § 78 Satz 2 BetrVG für Betriebsratsmitglieder geltenden Benachteiligungsverbot folge nichts anderes. Letzteres
stelle lediglich einen subjektiven Schutzanspruch des Betriebsratsmitglieds gegenüber seinem Arbeitgeber, nicht aber gegenüber Zulassungs- und Aufsichtsbehörden dar. Selbst wenn man dies anders im Sinne eines universellen
Schutzanspruchs mit Verfassungsrang gegenüber jedweder Benachteiligung
sehen wolle, sei eine verfassungskonforme Auslegung von § 46 BRAO nicht
möglich, da sie zu dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen
des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde.
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Entscheidungsgründe:
I.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die gegen den Zulassungsbescheid der Beklagten vom 22. Juni 2016
gerichtete Klage ist zulässig. Die Klägerin ist als Träger der Rentenversicherung
aufgrund der in § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO vorgesehenen Bindungswirkung der
Zulassungsentscheidung gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 2
VwGO klagebefugt (vgl. Fraktionsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
Rechts der Syndikusanwälte, BT-Drucks. 18/5201, S. 34). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegeben.
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a) Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger
offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann
(BVerwGE 121, 1, 3; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., Vorb § 40 Rn. 38). Es
fehlt daher für Klagen, deren Erfolg die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern kann (BVerwGE 78, 85, 91; Eyermann/Rennert, VwGO, 14. Aufl., Vor
§§ 40-53 Rn. 16). Im Zweifel ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen
(BVerwG aaO).
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b) Durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid der Beklagten vom
22. Juni 2016 wird die Rechtsstellung der Klägerin berührt. Diese ist gemäß
§ 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO bei ihrer Entscheidung über die Befreiung des Beigeladenen von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
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an die bestandskräftige Entscheidung der Beklagten gebunden. Mit der - mittels
der vorliegenden Klage erstrebten - Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni
2016 kann sie mithin ihre Rechtsstellung verbessern. Ob die Klägerin, wenn der
Beigeladene - wie nicht - bereits vor seiner Betriebsratstätigkeit als Syndikusrechtsanwalt zugelassen und von der Versicherungspflicht befreit worden wäre,
die Befreiung auf Antrag des Beigeladenen gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI für
die befristete Betriebsratstätigkeit hätte aufrechterhalten müssen, ist unerheblich. Maßgeblich ist, worauf die Berufungserwiderung zu Recht hinweist, nicht
ein hypothetischer, sondern allein der festgestellte Sachverhalt und damit die
fehlende Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt vor Aufnahme
der Betriebsratstätigkeit. Auf dieser Grundlage ist ein Rechtsschutzbedürfnis
der Klägerin gegeben.
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2. Die Klage ist auch begründet.
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a) Die Voraussetzungen für eine Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt gemäß §§ 46 f. BRAO liegen nicht vor.
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aa) Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend erkannt, dass sich aus Wortlaut (§ 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 4, § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BRAO) und
Systematik des Gesetzes sowie der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.
18/5201) eindeutig ergibt, dass als Syndikusrechtsanwalt nur derjenige zugelassen werden kann, dessen zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte Tätigkeit den gesetzlichen Zulassungskriterien entspricht.
Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die umfassenden Ausführungen des angefochtenen Urteils (S. 10-12) Bezug genommen, denen sich
der Senat uneingeschränkt anschließt. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
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Auch aus dem Wortlaut von § 46b Abs. 2 Satz 2 BRAO ergibt sich die
Abhängigkeit der Zulassung von der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Betreffenden. Danach ist die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ganz oder teilweise zu widerrufen, wenn die "tatsächlich ausgeübte Tätigkeit" nicht mehr den
Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.
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Zahlreiche weitere Stellen der Gesetzesbegründung belegen - neben
den im Urteil des Anwaltsgerichtshofs zitierten -, dass eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nur aufgrund der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit erfolgen
kann. So wird dort vielfach die "tätigkeitsbezogene Zulassung als Syndikusrechtsanwalt" betont. Die Rechtsanwaltskammer prüfe und bescheinige, ob beziehungsweise dass die "tätigkeitsbezogenen Voraussetzungen vorliegen, die
eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ermöglichen" (BT-Drucks. 18/5201,
S. 20, 32). Die erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ende bei einer "Änderung der Tätigkeit" (aaO, S. 20). § 46 Abs. 3
BRAO benenne kumulativ Merkmale, die die anwaltliche Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts kennzeichneten und zwingend vorliegen müssten (aaO,
S. 28). Es sei erforderlich, dass das Anstellungsverhältnis durch diese Merkmale und Tätigkeiten "beherrscht" werde (aaO, S. 29). Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt knüpfe an die "ausgeübte Tätigkeit" an (aaO, S. 34). Folglich
sei die Zulassung zu widerrufen, wenn die von dem Syndikusrechtsanwalt im
Rahmen seines Anstellungsverhältnisses ausgeübte Tätigkeit nicht mehr den
Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspreche (aaO, S. 35). Wesentliche Änderungen der Tätigkeit erforderten eine Anpassung der Zulassung (aaO,
S. 36).
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bb) Eine ergänzende Auslegung der §§ 46 f. BRAO dahingehend, dass
nicht ausschließlich auf die zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte, sondern auch auf eine vor Aufnahme des Betriebsratsamts
ausgeübte Tätigkeit abgestellt werden könne, kommt, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, nicht in Betracht.
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Für die Auslegung von Gesetzen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich
aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie
hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der
Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern
sich gegenseitig ergänzen (vgl. nur BVerfGE 133, 168 Rn. 66 mwN; BVerfG,
NJW 2014, 3504 Rn. 15; Senat, Urteil vom 20. März 2017 - AnwZ (Brfg) 33/16,
WM 2017, 818 Rn. 19 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - II ZB 7/11,
NJW 2013, 2674 Rn. 27). Eine Auslegung, die zu dem Wortlaut des Gesetzes,
der Gesetzessystematik und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in
Widerspruch tritt, ist ausgeschlossen (vgl. zu den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung BVerfGE 110, 226, 267 mwN; Senat, Urteil vom 20. März
2017, aaO Rn. 44 mwN; zu den Voraussetzungen einer ergänzenden Auslegung der in § 134 Abs. 4 Nr. 1-11 SGB VI angeführten knappschaftlichen Katalogarbeiten bei einem freigestellten Betriebsratsmitglied vgl. LSG BerlinBrandenburg, Urteil vom 27. Januar 2016 - L 6 R 161/13, BeckRS 2016, 66730
Rn. 38).
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17
Nach diesen Grundsätzen ist eine ergänzende Auslegung der §§ 46 f.
BRAO in vorgenanntem Sinne ausgeschlossen. Sie widerspräche - wie gezeigt - dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der Gesetzessystematik und
dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, wonach Voraussetzung für die
Zulassung als Syndikusrechtsanwalt eine zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ist, die den Anforderungen des § 46
Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.
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Eine solche Tätigkeit übt der Beigeladene zurzeit nicht aus, sondern eine
andere Tätigkeit.
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b) Die somit derzeit nicht mögliche Zulassung des Beigeladenen als
Syndikusrechtsanwalt durch die Beklagte verstößt nicht gegen die für Mitglieder
des Betriebsrats geltende Schutzbestimmung des § 78 Satz 2 BetrVG. Danach
dürfen Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt werden;
dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
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aa) Zwar richtet sich das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG
nicht nur gegen den Arbeitgeber, sondern gegen jedermann. Es richtet sich
auch gegen außerbetriebliche Stellen (vgl. BAG, Urteil vom 10. Juni 1969
- 1 AZR 203/68, BeckRS 1959, 103354 zu § 53 Abs. 2 BetrVG a.F.; BAG, NZA
2015, 560 Rn. 32 zu § 78 Satz 1 BetrVG; Richardi/Thüsing, BetrVG, 15. Aufl.,
§ 78 Rn. 12; BeckOK ArbR/Werner, BetrVG, § 78 Rn. 5 [01.12.2017]; Kania in
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Aufl., § 78 BetrVG Rn. 6) und ist daher grundsätzlich auch von der Beklagten zu beachten.
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bb) Keine Benachteiligung im Sinne von § 78 Satz 2 BetrVG stellt es jedoch dar, wenn sich für das Betriebsratsmitglied Nachteile unmittelbar aus dem
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Gesetz ergeben und der Arbeitgeber beziehungsweise die außerbetriebliche
Stelle lediglich einer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt. Die Benachteiligung beruht dann nicht auf einer Handlung des Arbeitgebers beziehungsweise
der außerbetrieblichen Stelle, sondern auf der Anwendung des Gesetzes (vgl.
zur Anwendung des Steuerrechts durch den Arbeitgeber: BAG, AP BetrVG
1972 § 37 Nr. 37 (unter I 5 b); BAG, NZA 1986, 263; GK-BetrVG/Kreutz, 10.
Aufl., § 78 Rn. 60; Worzalla in Hess/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG,
9. Aufl., § 78 Rn. 21). So muss etwa ein freigestelltes Betriebsratsmitglied den
Abzug von Steuern und Sozialversicherungsanteilen hinnehmen, auch wenn es
vor seiner Freistellung für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit abgabenfreie
Zuschläge zum Lohn erhalten hat. Denn die unversteuerte Auszahlung setzt
nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes tatsächlich geleistete
Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit voraus (BFHE 112, 478, 479 f.; BAG,
AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 37 (unter I 5 a); BAG, NZA 1986, 263; Leihkauff
in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder,
65. Update 4/17, § 47 BBesG Rn. 24; Kreutz, aaO; Worzalla, aaO; zur tatsächlich ausgeübten Beschäftigung als Voraussetzung der Zuordnung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds zur Knappschaftsversicherung gemäß § 133 SGB
VI vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2016, aaO Rn. 37). Hieran ändert nichts, dass ein Betriebsratsmitglied nach den Bestimmungen des
Betriebsverfassungsgesetzes ganz allgemein nicht benachteiligt werden darf.
Angesichts der eingehenden Regelungen des Steuerrechts sind die dort abschließend aufgeführten Befreiungstatbestände im Hinblick auf das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot nicht im Wege der Gesetzesauslegung zu erweitern. Die weitgehend politische Entscheidung, ob Teile der Verdienstausfall-Entschädigung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern steuerfrei
sein sollen, bleibt vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten (BFH, aaO S. 480 f.).
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Eine entsprechende Situation besteht hinsichtlich der Zulassung als
Syndikusrechtsanwalt gemäß §§ 46 f. BRAO. Sie setzt - wie ausgeführt - voraus, dass zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung die vom Betroffenen tatsächlich ausgeübte Tätigkeit den gesetzlichen Zulassungskriterien entspricht.
Eine Rechtsanwaltskammer, die einen angestellten, als Betriebsratsmitglied
von seiner betrieblichen Tätigkeit freigestellten Rechtsanwalt nicht als Syndikusrechtsanwalt zulässt, verstößt daher nicht gegen § 78 Satz 2 BetrVG, sondern wendet lediglich das Gesetz an. Etwaige Nachteile für den betroffenen
Rechtsanwalt ergeben sich in diesem Fall unmittelbar aus dem Gesetz und
nicht aus der Verweigerung der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt durch die
Rechtsanwaltskammer.
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c) Es ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch aus Gleichbehandlungsgründen nicht geboten, auf die von einem - die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt anstrebenden - Betriebsratsmitglied vor Beginn seines Amtes
ausgeübte Tätigkeit abzustellen.
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aa) Die von der Beklagten im Rahmen von "Kontrollüberlegungen" hierzu
angeführte Situation eines bereits vor seiner Wahl in den Betriebsrat als Syndikusrechtsanwalt zugelassenen Angestellten ist vorliegend nicht gegeben. Zu
entscheiden ist nicht, ob eine bereits zuvor erfolgte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bei Aufnahme des Betriebsratsamtes zu widerrufen wäre, sondern
ob im Falle der erst während der Betriebsratstätigkeit beantragten Zulassung
die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung
derjenigen eines Syndikusrechtsanwalts entsprechen muss.
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Im Übrigen verliert in dem von der Beklagten gebildeten hypothetischen
Fall das Betriebsratsmitglied für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit - entgegen
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der Auffassung der Beklagten - gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nicht seine
Befreiung von der Versicherungspflicht. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die
Befreiung von der Versicherungspflicht in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2
SGB VI auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger
für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb der einkommensbezogenen Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Diese Voraussetzungen können bei einem als
Betriebsrat tätigen Syndikusrechtsanwalt erfüllt sein. Die Amtszeit des Betriebsrats ist gemäß § 21 BetrVG im Voraus begrenzt. Die Versicherungspflicht besteht während der Betriebsratstätigkeit fort (BSG, Urteil vom 23. November
1977 - 9 RV 72/76, BeckRS 1977, 30407033 mwN). Gewährleistet der Versorgungsträger - wie im Fall des Beigeladenen (vgl. Schriftsatz des Beigeladenen
vom 9. Mai 2017, S. 2) - für die Zeit der Betriebsratstätigkeit den Erwerb der
einkommensbezogenen Versorgungsanwartschaften, erstreckt sich die Befreiung von der Versicherungspflicht auf die Tätigkeit als Betriebsrat.
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bb) Soweit die Beklagte meint, aus der von ihr im Hinblick auf § 231
Abs. 4b SGB VI angestellten verfassungsrechtlichen Betrachtung ergebe sich
ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung und Ungleichbehandlung
gemäß Art. 3 GG, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Beigeladene war
insbesondere nicht gehalten, seine Freistellung als Betriebsratsvorsitzender
aufzugeben und in seine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt zurückzukehren,
um sodann dafür zugelassen zu werden und von der rückwirkenden Befreiung
von der Versicherungspflicht im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI zu profitieren.
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Nach § 231 Abs. 4b SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter
Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar
2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Be-
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schäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird.
Sie wirkt nach der genannten Bestimmung auch vom Beginn davor liegender
Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung wirkt frühestens ab dem 1. April 2014. Sie wirkt jedoch auch für Zeiten vor
dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge
an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Der Antrag auf
rückwirkende Befreiung kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden.
28
Ob § 231 Abs. 4b SGB VI aus Gründen der Gleichstellung dahin auszulegen ist, dass auch solchen Personen eine rückwirkende Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht zu erteilen ist, die ihre - befreiungsfähige - Syndikustätigkeit beendet haben, bevor sie als Syndikusrechtsanwalt nach neuem
Recht zugelassen werden konnten (so Korneev, DStR 2016, 2760, 2761;
Schafhausen, FD-SozVR 2016, 380485; a.A. Kreikebohm/Segebrecht, SGB VI,
5. Aufl., § 231 Rn. 16), kann vorliegend dahinstehen. Selbst wenn dies zu verneinen sein sollte, hat der Beigeladene unter Zugrundelegung seines Sachvortrags keine rentenversicherungsrechtlichen Nachteile zu befürchten. Soweit
nach der am 3. April 2014 ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der vor dem 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern beschäftigte Rechtsanwälte nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien waren (z.B. BSG, NJW 2014, 2743 Rn. 28 ff.), haben Inhaber
einer begünstigenden Befreiungsentscheidung - bezogen auf die jeweilige Beschäftigung, für die die Befreiung ausgesprochen wurde - ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Bestand dieser Entscheidung (BSG aaO Rn. 58).
Der Beigeladene ist Inhaber einer solchen Befreiungsentscheidung (Bescheid
- 14 -
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 17. Februar 1997). Diese
hat aus Gründen des Vertrauensschutzes Bestand, wenn sich - wie der Beigeladene vorträgt - seine bis zum Antritt des Betriebsratsamtes am 12. März 2014
(bei derselben Arbeitgeberin) ausgeübte Tätigkeit nicht wesentlich geändert hat
(zu den von den Trägern der Rentenversicherung neben den Übergangsregelungen in § 231 Abs. 4 bis 4d SGB VI aus Gründen des Vertrauensschutzes
angewandten Härtefallregelungen vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 6 SGB VI Rn. 7b [September 2017]). Die Befreiung würde
sich unter den vorgenannten Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB
VI auch auf die am 12. März 2014 begonnene Betriebsratstätigkeit erstrecken.
Letzteres würde ebenso gelten, wenn sich die Tätigkeit des Beigeladenen in der
Zeit vor Beginn des Betriebsratsamtes geändert hätte, aber gleichwohl befreiungsfähig geblieben und der Beigeladene daher auf seinen Antrag von der Klägerin erneut von der Versicherungspflicht befreit worden wäre. Eine (neue)
Nichtzulassung als Syndikusanwalt berührt nicht die für die aktuelle Beschäftigung - und sei es aus Gründen des Bestandsschutzes - gültige frühere Befreiung von der Rentenversicherungspflicht (BT-Drucks. 18/5201 S. 46). Eine solche gültige frühere Befreiung läge - unter Zugrundelegung der Angaben des
Beigeladenen - mit dem Befreiungsbescheid vom 17. Februar 1997 in Verbindung mit § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI für die aktuelle Betriebsratstätigkeit des Beigeladenen vor.
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Es trifft daher zwar zu, dass das anwaltliche Berufsrecht in der Zeit einer
vorübergehenden berufsfremden Tätigkeit keine Erstzulassung als Syndikusrechtsanwalt vorsieht, während im Unterschied hierzu das Sozialrecht eine
durchgehende Befreiung von der Versicherungspflicht ermöglicht. Eine verfassungswidrige "Lücke" zwischen den beiden Rechtsgebieten sieht der Senat hierin indes nicht. Im Gegenteil werden in der vorliegenden Konstellation etwaige
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berufsrechtliche Nachteile (keine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt) durch
das Sozialrecht und seine Regelungen zur Kontinuität der Befreiung von der
Versicherungspflicht aufgefangen.
II.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO.
Kayser
Bünger
Braeuer
Remmert
Kau
Vorinstanz:
AGH Hamm, Entscheidung vom 25.11.2016 - 1 AGH 50/16 -