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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 347/17
vom
21. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR347.17.0
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Sander,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Schneider,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dölp,
Dr. Berger
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt F.
als Vertreterin des Neben- und Adhäsionsklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
-3-
für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2017 werden verworfen, die des Angeklagten mit der
Maßgabe, dass bezüglich des weitergehenden Adhäsionsantrags von einer Entscheidung abgesehen wird.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts
Braunschweig vom 22. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und darüber hinaus eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Rechtsmitteln rügen sowohl der Angeklagte als auch
der Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen haben keinen Erfolg.
Auf die Revision des Angeklagten war lediglich der Tenor hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung zu ergänzen.
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I.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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a) Am 20. Mai 2014 begegnete der Angeklagte an einem Treffpunkt der
Drogenszene in Braunschweig zufällig dem ihm bekannten Nebenkläger, der
sich dort neben anderen auch mit dem Zeugen B.
aufhielt. Zwischen unter
anderem dem Nebenkläger und dem Angeklagten war es etwa zwei Wochen
zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Angeklagte eine leichte Kopfverletzung erlitten hatte. Aus Verärgerung hierüber entschloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu
verpassen und schlug dem Nebenkläger unvermittelt mit der Faust ins Gesicht.
Hierdurch ging dieser zu Boden und fiel mit seinem Kopf auf eine gepflasterte
Fläche. Der etwa 90 kg schwere Angeklagte trat sodann dem keinen Widerstand leistenden Nebenkläger mit seinen mit festem Schuhwerk versehenen
Füßen mehrfach gegen den Kopf. Darüber hinaus sprang er mindestens fünfmal mit beiden Füßen auf den Kopf des Nebenklägers, um ihm eine Lehre zu
erteilen. Der Zeuge B.
versuchte einmal erfolglos, den Angeklagten von dem
Nebenkläger wegzudrücken. In dieser Phase des Tatgeschehens wurde der
Angeklagte durch ein kurzzeitiges Eingreifen seiner Ehefrau unterstützt, die in
Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit ihrer Handtasche nach dem
Nebenkläger schlug und ihm einmal gegen den Kopf trat.
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Schließlich sah der Angeklagte aus für die Strafkammer nicht sicher feststellbaren Gründen von weiteren Einwirkungen auf den Nebenkläger ab und
verließ mit seiner Ehefrau den Tatort. Möglicherweise tat er dies, weil er der
Auffassung war, der Nebenkläger habe nun „genug“ bekommen, weil er
– der Angeklagte – inzwischen Polizeisirenen wahrgenommen oder weil der
-5-
Zeuge B.
einen zweiten Versuch unternommen hatte, dem Nebenkläger zur
Hilfe zu kommen. Der Nebenkläger war zu diesem Zeitpunkt „erkennbar schwer
verletzt, röchelte aber noch vernehmbar“. Mehrere Bekannte des Nebenklägers
befanden sich am Tatort, so dass mit rascher Hilfe zu rechnen war, was dem
Angeklagten auch bewusst war.
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Der Nebenkläger erlitt multiple Gesichtsfrakturen und befand sich fast
zwei Wochen in stationärer Behandlung. Im Zeitpunkt der landgerichtlichen
Entscheidung bestanden immer noch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und ein nahezu vollständiger Verlust des Geschmackssinns.
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b) Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4
und 5 StGB verurteilt. Es hat in dubio pro reo angenommen, dieser sei davon
ausgegangen, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können.
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Zu der Frage, aus welchem Beweggrund der Angeklagte die weitere Tatausführung beendet habe, hat es keine sicheren Feststellungen treffen können.
Aufgrund des Zweifelssatzes sei daher zu Gunsten des Angeklagten davon
auszugehen, er sei der Auffassung gewesen, der Nebenkläger habe mit der
Zufügung erheblicher Verletzungen „genug“.
II.
8
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Sie führt lediglich zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Bei einem Grund- oder Teilur-
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teil nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Tenor auszusprechen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (vgl.
BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17; Beschluss vom 4. November 2014 – 1 StR 432/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406 Rn.
13a mwN).
III.
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Auch die Revision des Nebenklägers hat keinen Erfolg.
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1. Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
11
a) Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht
vom unbeendeten Versuch ausgegangen ist.
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aa) Es hat zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden
Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch
zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993
– GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982
– 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87,
BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40,
304, 306). Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns
macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende
gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere
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Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (BGH,
Urteile vom 2. November 1994, 2 StR 449/94, aaO und vom 3. Juni 2008
– 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264; Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13,
NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13,
NStZ-RR 2014, 202 f.).
13
bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat
das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem
festgestellten Lebenssachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des
für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (BGH, Beschluss vom
22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt.
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Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz
handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im
Rahmen der Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten
(BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand
hat die Strafkammer in wahrnehmbaren Lebenszeichen des Nebenklägers
(Atemgeräuschen) gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn andere Schlüsse möglich gewesen wären oder gar näher gelegen hätten (BGH,
Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, und vom 24. März 2015
– 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179).
15
Soweit das Landgericht darüber hinaus schon bei der Abgrenzung des
beendeten vom unbeendeten Versuch auf den Grundsatz in dubio pro reo zu-
-8-
rückgreift, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken
(vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704;
Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Denn dieser verbietet es in Fällen, in denen Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt
nicht festgestellt werden können, auf deren Fehlen – und damit auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines beendeten Versuchs – zu schließen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom
27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; SSWStGB/Kudlich/Schuhr, 3. Aufl., § 24 Rn. 38). Für die zum beendeten Versuch
führende Annahme der gedanklichen Indifferenz des Täters bedarf es deren
eigenständiger
Feststellung
(BGH,
Beschluss
vom
27.
Januar
2014
– 4 StR 565/13, aaO), zu der das Landgericht jedoch – rechtfehlerfrei – gerade
nicht gelangt ist.
16
b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Freiwilligkeit des Rücktritts halten revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
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Auch bei der Feststellung der Freiwilligkeit wirken sich Zweifel an dieser
inneren Tatsache zu Gunsten des Täters aus (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266 und vom 20. August 2004
– 2 StR 281/04, NStZ-RR 2004, 361; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, aaO, § 24
Rn. 67). Das Landgericht hat vorliegend drei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mögliche Abläufe bzw. Motivationsfaktoren für das Ablassen des Angeklagten vom Nebenkläger in Betracht gezogen, wobei keine der erwogenen
Konstellationen zur Überzeugung der Strafkammer letztlich festgestellt werden
konnte. Auf dieser Beweisgrundlage hat die Strafkammer bei der Bewertung der
Freiwilligkeit des Rücktritts rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssat-
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zes die für den Angeklagten günstigste der drei Varianten („Opfer hatte genug“)
zugrunde gelegt, die zur Annahme eines freiwilligen Rücktritts führt.
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c) Das Landgericht hat zudem zu Recht die Prüfung des Rücktritts vom
Totschlagsversuch am Maßstab des § 24 Abs. 1 StGB ausgerichtet. Eine Beteiligung der Ehefrau am versuchten Tötungsdelikt, die zur Anwendung von § 24
Abs. 2 StGB hätte führen können, wird durch die Feststellungen nicht belegt.
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2. Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren durch ein Grundurteil gemäß
§ 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ausreichend dargelegt, dass der Rechtsstreit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 380; Hilger in
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 9; Velten in SK-StPO, 4. Aufl.,
§ 406 Rn. 8). Eine Hinweispflicht besteht bei Entscheidung durch Grundurteil
nach § 406 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406
Rn. 14; Stöckel in KMR-StPO, § 406 Rn. 28; Meyer/Dürre, JZ 2006, 18, 24).
Mutzbauer
Sander
Dölp
Schneider
Berger