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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 179/16
vom
6. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2016:061216U5STR179.16.0
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Dezember 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt L.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin La.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 5. November 2015 mit den
Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung seiner
Ehefrau unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hingegen hat es ihn vom Vorwurf,
213 Sexualdelikte zum Nachteil seiner Stieftochter begangen zu haben, aus
tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die gegen die Freispruchsfälle gerichtete und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
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I.
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1. Die zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, als
Stiefvater an der am 13. Mai 1996 geborenen Nebenklägerin C.
J.
be-
reits kurze Zeit nach deren Einzug in die Wohnung des Angeklagten im Februar 2004 folgende sexuelle Handlungen begangen zu haben:
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a) Am Faschingssonntag, dem 22. Februar 2004, habe der Angeklagte
die Nebenklägerin im elterlichen Bett im Schlafzimmer aufgefordert, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was diese auch tat. Die Mutter der Nebenklägerin
habe kurz zuvor das Schlafzimmer verlassen und nach ihrer Rückkehr die Fortsetzung der Tat verhindert (Fall 1).
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b) In einem Zeitraum von zwei Jahren, entweder vom 13. Mai 2005 bis
zum 12. Mai 2007 oder von 2004 bis 2006, sei der Angeklagte mehrfach in der
Woche – insgesamt in mindestens 209 Fällen – in das Zimmer der Nebenklägerin gegangen, habe ihr T-Shirt angehoben und sie an den Brüsten gestreichelt
(Fälle 2 bis 210).
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c) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2008 sei der
Angeklagte nachts nackt in das Zimmer der im Bett liegenden Nebenklägerin
gekommen. Er habe ihren Kopf gewaltsam in seine Richtung gedreht und versucht, ihr seinen Penis in den Mund zu stecken, was die Nebenklägerin durch
festes Aufeinanderpressen der Lippen verhindert habe. Danach habe der Angeklagte ihr unter das Nachthemd und ihre Unterhose gegriffen und einen Finger vaginal eingeführt. Schließlich habe er die Nebenklägerin auf die linke Seite
gedreht, ihr den Slip nach unten gezogen und versucht, seinen Penis anal ein-
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zuführen. Die Nebenklägerin habe dies durch Zusammendrücken ihrer Gesäßhälften jedoch verhindert (Fall 211).
d) Im Zeitraum 2007 bis 2008 habe der Angeklagte „öfters“ – mindestens
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zweimal – nachts die Nebenklägerin in ihrem Zimmer aufgesucht, ihr das
Nachthemd hochgeschoben, in ihre Unterhose gegriffen und einen Finger vaginal eingeführt (Fälle 212 bis 213).
2. Der Angeklagte hat die Taten – auch die abgeurteilte Vergewaltigung
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seiner Ehefrau – bestritten. Die geschilderte „Situation an Fasching 2004“ habe
es nicht gegeben. Er sei auch nachts nicht im Zimmer der Nebenklägerin gewesen.
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a) Das Landgericht hat zum Vorwurf betreffend den 22. Februar 2004
festgestellt, dass der Angeklagte mit seiner Ehefrau und der Nebenklägerin auf
einem Faschingsumzug und anschließend in einer Gaststätte war. In die Wohnung zurückgekehrt, ging die Nebenklägerin, da sie zu dieser Zeit bei ihren Eltern schlief, mit dem Angeklagten ins Ehebett, während ihre Mutter noch eine
Weile im Wohnzimmer verblieb. Als diese ins Schlafzimmer kam, stellte sie fest,
dass die Nebenklägerin unter der Decke neben dem entblößten Penis des Angeklagten lag und dass beide schliefen. Sie „scheuchte“ daraufhin ihre Tochter
aus dem Bett. Als sie den Angeklagten an dem Abend oder am nächsten Tag
zur Rede stellte, erwiderte er, dass er „von nichts wisse“.
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b) Zu den weiteren angeklagten Taten zum Nachteil der Nebenklägerin
(Fälle 2 bis 213) hat das Landgericht keine die Tathandlungen betreffenden
Feststellungen getroffen.
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3. Das – sachverständig beratene – Landgericht hat sich von den dem
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Angeklagten angelasteten sexuellen Übergriffen zum Nachteil seiner Stieftochter nicht zu überzeugen vermocht, weil alle von der Nebenklägerin „geschilderten Einzeltaten vor dem Hintergrund ihrer kognitiven Kompetenzen im zentralen
Kern nicht hinreichend detailliert und konstant“ seien, „um den Erlebnisbezug
positiv belegen zu können“ (UA S. 42 und S. 51). Ihre Angaben seien „nicht hinreichend qualitätsreich, um die Annahme einer Falschaussage, aus welcher
Quelle auch immer gespeist, mit hinreichender Sicherheit zurückweisen zu
können. Darüber hinaus ließen sich im Rahmen der Analyse der Entstehungsgeschichte bedeutsame Fehlerquellen für das Wirken aussageverfälschender
Prozesse identifizieren, die geeignet seien, die Zuverlässigkeit der Aussage der
Nebenklägerin bedeutsam einzuschränken“ (UA S. 37).
II.
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht
stand.
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a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn
das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an der Täterschaft
nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts;
die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler
unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich
oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn
an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen
gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998
– 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16).
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b) Das angefochtene Urteil weist bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit
der Angaben der Nebenklägerin eine maßgebliche Lücke auf.
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Das Landgericht hat hinsichtlich des Vorwurfs betreffend den 22. Februar 2004 (Fall 1) rechtsfehlerhaft nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass
die Mutter der Nebenklägerin deren Angaben im Wesentlichen bestätigt hat. Es
hat vielmehr lediglich darauf verwiesen, dass die Zeugin eine sexuelle Handlung des Angeklagten an der Nebenklägerin nicht gesehen hat. Dabei lässt die
Strafkammer außer Betracht, dass die Zeugin bekundet hat, dass sie – als sie
ins Schlafzimmer gekommen sei – ihre Tochter nicht gesehen habe. Der Angeklagte habe im Bett gelegen und geschlafen, sie habe die Decke hochgehoben
und gesehen, dass die Unterhose des Angeklagten heruntergezogen gewesen
sei. Ihre Tochter habe mit dem Kopf neben seinem Penis gelegen (UA S. 31).
Der Umstand, dass die Mutter der Nebenklägerin ihre Tochter „lediglich neben
dem entblößten Penis hat liegen sehen, und nicht gesehen hat, dass sie den
Penis des Angeklagten auch im Mund hatte“ (UA S. 43) ist nicht geeignet, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin zu begründen. Das
Landgericht lässt insoweit unberücksichtigt, dass die Nebenklägerin, nachdem
sie von ihrer Mutter zum Verlassen des Schlafzimmers aufgefordert worden
war, durchaus der Meinung gewesen sein könnte, ihre Mutter habe diesen Teil
des Kerngeschehens noch mitbekommen. Im Übrigen stellt allein die Beobachtung der Mutter bei lebensnaher Betrachtung ein schwerwiegendes Indiz dafür
dar, dass es zuvor zu einem sexuellen Übergriff auf die Nebenklägerin gekommen ist.
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c) Soweit das Landgericht die Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen wegen teilweise unterschiedlicher Schilderungen des Vorwurfs im Er-
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mittlungsverfahren, bei der Exploration durch den Sachverständigen und in der
Hauptverhandlung als inkonstant und deshalb nicht hinreichend zuverlässig
angesehen hat (UA S. 42), lässt dies besorgen, dass das Landgericht verkannt
hat, dass nicht jede Inkonstanz einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit
insgesamt begründet. Vielmehr können Gedächtnisunsicherheiten eine hinreichende Erklärung für festgestellte Abweichungen darstellen (vgl. BGH, Urteil
vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Dies gilt umso mehr
angesichts des langen Zeitraums zwischen der Tat und den einzelnen Befragungen der zur Tatzeit 7-jährigen Nebenklägerin.
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Entgegen der Wertung des Landgerichts ist es auch nicht als „grobe“ Inkonstanz anzusehen, dass die Nebenklägerin einerseits bei ihrer polizeilichen
Vernehmung die Frage, ob der Angeklagte ihren Kopf unter die Decke gedrückt
habe, ausdrücklich verneint, andererseits gegenüber dem Sachverständigen
und in der Hauptverhandlung bekundet hat, dass der Angeklagte ihren Kopf zu
seinem Penis gedrückt habe. Gleiches gilt für ihre Aussage, dass sie den Penis
des Angeklagten in den Mund genommen und daran gelutscht habe (polizeiliche Vernehmung), sie den Penis lediglich in den Mund genommen habe (Exploration) bzw. daran habe lutschen sollen (Hauptverhandlung).
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2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde. Die Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage der
Nebenklägerin ist insgesamt von der fehlerhaften Bewertung betroffen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer, sofern sie sich im
Fall 1 von einer Straftat des Angeklagten überzeugt hätte, auch in den anderen
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Fällen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Sache bedarf daher, naheliegend unter Heranziehung eines neuen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung.
RiBGH Prof. Dr. König ist wegen
Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert.
Mutzbauer
Mutzbauer
Dölp
Berger
Bellay