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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 67/06
vom
13. Juni 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 8. November 2005
a)
im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Mordes
entfällt,
b)
im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen
Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen
Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
-3-
I.
Der aus Vietnam stammende Angeklagte war davon überzeugt, er sei
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der leibliche Vater der im Februar 2003 geborenen Nina, deren Mutter Prapkak
K.
zum Zeitpunkt der Geburt mit einem anderen Mann verheiratet war. Dieser
erhob, nachdem er von der Beziehung seiner Frau zu dem Angeklagten Kenntnis erlangt hatte, eine Vaterschaftsanfechtungsklage beim Amtsgericht Essen.
Anfang April 2005 traf der Angeklagte, der Nina besuchen wollte, in der Wohnung Prapkak K.
werde Prapkak K.
's auf deren neuen Freund Rolf R.
, der ihm erklärte, er
heiraten. Der Angeklagte könne Nina nicht immer besu-
chen und solle aufhören, Prapkak K.
zu belästigen. "Um sich Genugtuung zu
verschaffen", entschloss sich der Angeklagte, Rolf R.
"eine Lektion" zu ertei-
len. Der Angeklagte, der vom Amtsgericht Essen in der Kindschaftssache auf
den 2. Mai 2005 als Zeuge geladen war, ging davon aus, er werde Rolf R.
an diesem Tage im Gebäude des Amts- und Landgerichts Essen antreffen. Da
er wusste, dass Besucher des Gerichts mit einem Metalldetektor darauf untersucht werden, ob sie metallische Gegenstände bei sich tragen, spitzte er zwei
Paar Essstäbchen aus Bambus mit einem Messer an.
Am Tattag steckte der Angeklagte ein Paar dieser Essstäbchen in seine
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rechte Hosentasche. Damit wollte er Rolf R.
in den Bauch stechen, wobei er
mit der Möglichkeit rechnete, dass ein solcher Stich tödlich sein könnte. Dies
nahm er billigend in Kauf. Das andere Paar Essstäbchen steckte er in die linke
Hosentasche. Diese Stäbchen wollte er "nur einsetzen, um sich zu wehren, falls
R.
ihn nach der Tat seinerseits angreifen würde". In dem Gerichtsgebäude
ging er auf Rolf R.
und Prapkak K.
zu, die vor dem Verhandlungssaal auf
einer Bank saßen. Nach einem kurzen Gespräch mit Prapkak K.
, die sich
danach entfernte, griff der Angeklagte in die rechte Hosentasche, legte sich die
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Essstäbchen so in der Hand zu recht, dass die Handinnenfläche als Widerlager
eine optimale Kraftübertragung gewährleistete, ging auf Rolf R.
suchte, ihm die Stäbchen in den Bauch zu stoßen. Rolf R.
zu und vernahm an, der
Angeklagte wolle ihm die Hand geben, und hob seine linke Hand. Eines der
Stäbchen glitt von einem Knochen der linken Hand ab, drang in das Unterhautfettgewebe ein, trat nach 2,5 cm wieder aus der Hand aus und blieb im Handrücken stecken. Das andere Stäbchen wurde durch die Handbewegung abgelenkt, rutschte vom Bauch des Tatopfers ab und fiel zu Boden.
Zu dem weiteren Tatgeschehen hat das Landgericht Folgendes festge-
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stellt:
"Die Wut des Angeklagten war noch nicht erloschen. Er versetzte dem immer noch vor ihm sitzenden R. mit dem Knie
einen Stoß gegen den Kopf und schlug mit den Fäusten auf
ihn ein, bis ihn nach wenigen Sekunden Andreas T.
wegzog, der - wie zahlreiche andere Personen - wegen eines
anderen Verfahrens auf dem Flur wartete und durch den Lärm
auf das Geschehen aufmerksam geworden war. Die Spannung fiel von dem Angeklagten ab. Er sah, dass das Stäbchen
in R. s Hand steckte; das reichte ihm als Lektion aus. Er wollte noch einmal auf R. zugehen, um ihm - so seine unwiderlegte Einlassung - sein Handeln zu erklären, wurde jedoch von
T.
zurückgehalten".
II.
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Soweit das Landgericht den Angeklagten der - mittels eines gefährlichen
Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2,
5 StGB) - begangenen gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen hat,
weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Der Beschwerdeführer erhebt insoweit
auch keine Einwendungen. Dagegen kann der Schuldspruch nicht bestehen
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bleiben, soweit das Landgericht den Angeklagten auch wegen tateinheitlich
verwirklichten versuchten Mordes verurteilt hat.
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1. Allerdings begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte
habe den Stich mit den Essstäbchen gegen den Bauch des Tatopfers mit bedingtem Tötungsvorsatz geführt, entgegen der Auffassung der Revision keinen
rechtlichen Bedenken. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des
Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.
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2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Mord
beanstandet die Revision jedoch zu Recht.
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a) Das Landgericht meint, der Mordversuch sei, als der Zeuge T.
eingegriffen habe, entweder fehlgeschlagen gewesen oder der Rücktritt des
Angeklagten sei auf Grund der damit geschaffenen Zwangslage nicht mehr
freiwillig erfolgt. Die Einlassung des Angeklagten, er habe, weil er erkannt habe,
dass Rolf R.
verletzt gewesen sei, davon abgesehen, mit den Stäbchen aus
der linken Hosentasche ein weiteres Mal zuzustechen, obwohl er die Hände frei
gehabt und Rolf R.
immer noch vor ihm gesessen habe, sei widerlegt. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Angeklagte die Stäbchen in seiner linken Hosentasche nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg einsetzen können,
weil das Herausziehen und Zurechtlegen der Stäbchen mehrere Sekunden gedauert hätte, der Zeuge T.
durch die Kampfgeräusche auf das Geschehen
aufmerksam geworden sei und den Angeklagten daher - allein oder mit weiteren Personen - daran gehindert hätte, die Stäbchen einzusetzen. Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
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Das Landgericht hat zwar nicht verkannt, dass auch derjenige vom unbeendeten Tötungsversuch strafbefreiend zurücktreten kann, der von ihm möglichen weiteren Tötungshandlungen allein deshalb absieht, weil er sein außertatbestandliches Ziel bereits erreicht hat oder erreicht zu haben glaubt (BGHSt
39, 221, 231/232), so dass hier ein strafbefreiender Rücktritt nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Angeklagte sein Ziel, dem Tatopfer, eine
Stichverletzung zuzufügen, um ihm eine „Lektion“ zu erteilen, bereits erreicht
hatte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts reicht es aber für Annahme
eines fehlgeschlagen Versuchs auch nicht aus, dass es dem Angeklagten objektiv nicht möglich war, den Tötungsversuch unter Verwendung des anderen
Stäbchenpaares fortzusetzen. Für die Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch
vorliegt, der nach der Rechtsprechung einen Rücktritt ausschließt (vgl. BGHSt
34, 53, 58; 39, 221, 228), sind vielmehr die Vorstellungen des Täters zum Zeitpunkt des Scheiterns seines Versuchs, das Opfer durch Verwendung des zunächst eingesetzten Tatmittels zu töten, maßgeblich (sog. Rücktrittshorizont,
vgl. BGHSt 39, 221, 227/228). Gelangt der Täter nach anfänglichem Misslingen
des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme, er könne ohne zeitliche
Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die
Tat noch vollenden, liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor (vgl. BGHSt aaO S.
331), sondern ein unbeendeter Versuch, von dem er, wenn er sich freiwillig dazu entschließt, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen, durch bloßes Aufgeben des Tötungsvorsatzes zurücktreten kann (vgl. BGHSt 34, 53, 58; BGH,
Beschluss vom 11. Februar 2003 – 4 StR 25/03).
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Zu der danach unter Beachtung des Zweifelssatzes zu beantwortenden
Frage, ob der Angeklagte, was nach den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen eher fern liegt, den Tötungsversuch entgegen seiner Einlassung als
endgültig gescheitert angesehen hatte, als er dem Opfer unmittelbar nach dem
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Stich mit den Stäbchen mit dem Knie einen Stoß gegen den Kopf versetzte und
auf das Opfer einschlug, hat das Landgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Zudem ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte wäre gegebenenfalls von dem Zeugen T.
oder anderen Personen daran gehindert wor-
den, den Tötungsversuch mit dem anderen Stäbchenpaar fortzusetzen, mit den
zum weiteren Geschehensablauf getroffenen Feststellungen nicht zu vereinbaren. Der Zeuge T.
ist erst durch die – von den weiteren Köperverlet-
zungshandlungen verursachten - „Kampfgeräusche“ auf das Geschehen aufmerksam geworden und hätte demgemäß auch dann, wenn der Angeklagte das
Tatopfer nicht geschlagen sondern den Tötungsversuch sogleich mit den anderen Stäbchen fortgesetzt hätte, erst nach der Fortsetzung des Tötungsversuchs
eingreifen können. Die Verurteilung wegen tateinheitlich versuchten Mordes
kann deshalb keinen Bestand haben.
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b) Nach der bestehenden Beweislage erscheint es ausgeschlossen, dass
sich aufgrund neuer Hauptverhandlung weiter gehende Feststellungen treffen
lassen, die mit der erforderlichen Sicherheit die Ablehnung eines freiwilligen
Rücktritts vom versuchten Mord tragen könnten. Der Senat kann deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entscheiden und den Schuldspruch
dahin ändern, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Mordes
entfällt.
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3. Die Schuldspruchänderung hat wegen des geänderten Schuldumfanges die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge.
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4. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des
Landgerichts zurück, weil das Verfahren nicht mehr einen in § 74 Abs. 2 GVG
bezeichneten Straftatbestand betrifft (vgl. BGH NJW 1994, 3304, 3305 m.w.N.).
Tepperwien
Maatz
Solin-Stojanović
Athing
Ernemann