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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 58/01
vom
8. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2001 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird, soweit er verurteilt worden ist, das Urteil des Landgerichts Münster
– Strafkammer bei dem Amtsgericht Bocholt - vom
28. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen
- wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner
Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen holte der – damals 71-jährige - Angeklagte
im Februar 1997 Martina B.
und Angelika Be.
mit seinem Wohnmobil von
dem Wohnheim für geistig Behinderte, in dem beide lebten, ab und fuhr mit
ihnen zu einem einsam an einem See gelegenen Parkplatz. Nachdem Angelika
Be.
auf Verlangen des Angeklagten das Wohnmobil verlassen hatte, forderte
er Martina B.
“in energischem Ton” auf, Hose und Schlüpfer auszuziehen.
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Sie wollte dies zwar nicht, “traute sich jedoch aus Angst vor Schlägen des Angeklagten” nicht, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem war sie “ohnehin aufgrund ihrer geistigen Behinderung, insbesondere angesichts der für sie
aussichtslosen Situation auf dem abgelegenen Parkplatz und in dem Wohnmobil unfähig zu einem Widerstand gegenüber dem Angeklagten”. Sie kam daher
dem Verlangen des Angeklagten nach. Anschließend führte der Angeklagte mit
Martina B.
, die mehrfach laut um Hilfe rief, den Oral- und den Geschlechts-
verkehr durch. Unmittelbar danach schickte der Angeklagte die weinende Martina B.
aus dem Wohnmobil und forderte nunmehr Angelika Be.
auf, in das
Wohnmobil zu kommen. Obwohl diese zuvor die Hilfeschreie Martinas gehört
hatte und deswegen sehr verängstigt war, folgte sie der Aufforderung, “da sie
aufgrund der auch bei ihr bestehenden geistigen Behinderung und angesichts
der konkreten Situation auf dem abgelegenen und einsamen Parkplatz und der
dominanten Art des Angeklagten sich psychisch nicht zu einem Widerstand in
der Lage sah”. Im Innenraum des Wohnmobils verlangte der Angeklagte von
Angelika Be. , daß sie sich Hose und Schlüpfer ausziehe und drohte – als sie
dem nicht sofort Folge leistete – “ihr ansonsten eine zu `knallen´”. Daraufhin
folgte sie der Aufforderung des Angeklagten, der im weiteren an ihr sexuelle
Handlungen vornahm.
2. Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen Vergewaltigung bzw. sexueller Nötigung gemäß §§ 177, 178 StGB (a.F.):
In Bezug auf das Tatgeschehen zum Nachteil von Martina B.
ist be-
reits eine - hier allein als Nötigungsmittel in Betracht kommende - Drohung des
Angeklagten nicht belegt. Soweit es in den Urteilsgründen heißt, daß die Geschädigte “aus Angst vor Schlägen” keinen Widerstand leistete, könnten zwar
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auch vorausgegangene Mißhandlungen oder Drohungen eine fortwirkende
Rolle spielen und aus einer Gesamtschau heraus die Annahme einer Drohung
im Sinne des § 177 StGB bzw. des § 178 StGB (a.F.) rechtfertigen (vgl. BGH
NStZ 1999, 505). Hierfür geben die bisherigen Feststellungen jedoch keinen
hinreichenden Anhalt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß etwa der Angeklagte die Geschädigte bereits bei einer der früheren gemeinsamen Fahrten
bedroht oder körperlich mißhandelt hat.
Auch die zu dem weiteren Tatgeschehen zum Nachteil von Angelika
Be.
getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme einer Drohung im
Sinne der §§ 177, 178 StGB (a.F.). Der Tatbestand der genannten Vorschriften
setzt eine (qualifizierte) Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben des
Opfers voraus. Hierfür genügt deshalb nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung, vielmehr erfordert das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib
oder Leben eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die
körperliche Unversehrtheit (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8 m.w.N.).
Die bloße Androhung von Schlägen - hier: dem Opfer “eine zu knallen” – reicht
daher nicht. Daß der Angeklagte der Geschädigten mit dieser Androhung besonders intensive Mißhandlungen in Aussicht gestellt haben könnte, kann dem
Urteil nicht entnommen werden.
3. Die bisherigen Feststellungen ermöglichen dem Senat auch nicht die
Überprüfung, ob der Angeklagte sich – statt wegen der ausgeurteilten Straftaten - wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger (§ 179 Abs. 1 Nr. 1
StGB a.F.) strafbar gemacht hat.
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Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., der gegenüber der
seit dem 1. April 1998 geltenden Neufassung das mildere Gesetz darstellt (§ 2
Abs. 3 StGB), setzt voraus, daß das Opfer aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit - unter Umständen
auch im Zusammenwirken mit einer besonderen Tatsituation - keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann
(BGHSt 36, 145, 147). Ob dies hier der Fall war, vermag der Senat indes mangels hinreichender Darlegungen in den Urteilsgründen nicht zu beurteilen (zur
Darlegungspflicht vgl. BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 5).
Das Urteil teilt nämlich zur geistig-seelischen Verfassung der beiden Geschädigten im wesentlichen nur mit, daß Martina B.
mit einem Intelligenzquoti-
enten zwischen 50 und 70 “mittelgradig geistig behindert” (UA 3) und Angelika
Be.
bei einem solchen zwischen 70 und 75 “leicht geistig behindert” (UA 5)
war. Zudem bleibt nach den Urteilsfeststellungen letztlich unklar, ob die Geschädigten aufgrund ihres geistig-seelischen Zustandes zu einer Abwehr nicht
in der Lage waren, oder ob sie aus Angst vor Drohungen des Angeklagten (ihnen mögliche) Abwehrmaßnahmen unterlassen haben (zur Abgrenzung vgl.
BGH NStZ 1981, 139, 140 sowie Laufhütte in LK 11. Aufl. § 179 Rdnr. 10).
Die Sache bedarf daher weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Sollte die
neu verhandelnde Strafkammer weder zur Annahme einer Strafbarkeit nach
den §§ 177, 178 StGB noch nach § 179 StGB (jeweils a.F.) gelangen, so wird
sie eine solche wegen Nötigung (§ 240 StGB) und - bei rechtzeitiger Stellung
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eines Strafantrags - wegen (tätlicher) Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht zu
ziehen haben (vgl. BGH NStZ 1981, 139, 140; NJW 1983, 636, 637).
Meyer-Goßner


Kuckein
Athing
Ernemann