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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 413/09
vom
7. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Amt
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 17. Dezember 2009 in der Sitzung am 7. Januar 2010, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Vertreter des Nebenklägers B.
D.
,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin M.
D.
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers Ma.
D.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
,
,
-3-
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom
8. Dezember 2008, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Körperver-
1
letzung mit Todesfolge im Amt zum Nachteil des in Sierra-Leone geborenen
O.
J.
aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihren hiergegen ge-
richteten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger
die Verletzung sachlichen Rechts. Die Nebenkläger beanstanden ferner das
Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg; einer Erörterung
der Verfahrensrügen bedarf es deshalb nicht.
-4-
I.
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte
2
dem Angeklagten zur Last gelegt, es als für den Gewahrsamsbereich des Polizeireviers D.
verantwortlicher Dienstgruppenleiter unterlassen zu haben,
sofort nach dem Ertönen des Alarmsignals des in der Gewahrsamszelle Nr. 5
installierten Rauchmelders Rettungsmaßnahmen zugunsten des dort untergebrachten O.
J.
einzuleiten. Obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass beim
Ansprechen eines Rauchmelders stets vom Ausbruch eines Feuers auszugehen sei, habe er das Alarmsignal mehrfach abgestellt. Dabei habe er mögliche
Verletzungen des in der Zelle mit Hand- und Fußfesseln auf einer Liege fixierten
O.
J.
durch Rauch- und Feuereinwirkung billigend in Kauf genommen.
Zwei Minuten und 21 Sekunden nach Ausbruch des Feuers habe auch der
Rauchmelder der Lüfteranlage des Gewahrsamszellentraktes Alarm ausgelöst.
Der Angeklagte habe erst, nachdem er von seiner Kollegin H.
energisch
aufgefordert worden sei, nach dem Rechten zu sehen, die Schlüssel ergriffen
und sich auf den Weg zum Gewahrsamstrakt gemacht. Nach dem Öffnen der
Zellentür sei es dem Angeklagten und anderen hinzugekommenen Polizeibeamten nicht mehr gelungen, das Leben O.
J.
s zu retten, der spätestens
sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers an den Folgen eines Hitzeschocks
verstorben sei. Bei pflichtgemäßer, sofortiger Reaktion auf den ersten akustischen Alarm hätte der Angeklagte die Gewahrsamszelle Nr. 5 deutlich vor Ablauf von zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers erreichen können, das Feuer
mit Hilfe eines auf dem Weg zum Gewahrsamstrakt angebrachten Feuerlöschers löschen und das Leben O.
3
J.
s retten können.
2. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen
getroffen:
-5-
Am frühen Morgen des 7. Januar 2005 wurde O.
4
J.
, der in stark
angetrunkenem Zustand Frauen belästigt hatte, auf das Polizeirevier D.
gebracht. Im Arztraum des Gewahrsamstrakts wurden ihm Fußfesseln angelegt, nachdem er mit Füßen nach den Polizeibeamten getreten und mehrfach
versucht hatte, sich Verletzungen am Kopf zuzufügen. Ihm wurde von einem
herbeigerufenen Arzt um 9.15 Uhr eine Blutprobe entnommen, deren spätere
Untersuchung eine Blutkalkoholkonzentration von 2,98 ‰ ergab. Der Arzt erklärte O.
J.
für gewahrsamstauglich und empfahl dessen Fixierung, um
zu verhindern, dass er sich selbst schädigt. Gegen 9.30 Uhr wurde O.
J.
in der Gewahrsamszelle Nr. 5 auf einer gefliesten und beheizten Liegefläche,
auf der eine Matratze lag, an den hierfür vorgesehenen vier Halterungen fixiert.
Trotz der Fixierung blieb eine gewisse Beweglichkeit seiner Extremitäten, seines Kopfes und des Körpers erhalten. In der Folgezeit wurde die Gewahrsamszelle viermal kontrolliert. Die letzte Kontrolle führten um 11.45 Uhr die Zeugin
H.
5
und ein weiterer Polizeibeamter durch.
Danach gelang es O. J.
, den Kunstlederbezug der Matratze zu öffnen
und den als Füllung dienenden Schaumstoff, einen PUR-Weichschaum vom
Typ Polyetherschaum, mit einem Einwegfeuerzeug, das entweder bei der vorangegangenen Durchsuchung übersehen worden war oder von ihm auf dem
Weg in die Gewahrsamszelle an sich gebracht worden war, zu entzünden. Es
entstand eine brennende Schmelze. Die Temperatur im Nahbereich der Flammen betrug etwa 800 Grad Celsius. Gegen 12.00 Uhr sprang im Dienstgruppenleiterbereich das Warnsignal des in der Zelle Nr. 5 installierten Ionisationsrauchmelders an. Dieser Rauchmelder löst, wie später durchgeführte Versuche
ergeben haben, den Alarm spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ aus.
Der Angeklagte lief zu der nur wenige Schritte entfernten Bedienungsvorrichtung des Rauchmelders, wobei er mit den Gedanken an eine Fehlfunktion der
Anlage, die es in der Vergangenheit gegeben hatte, äußerte: "Nicht schon wie-
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der das Ding!". Er drückte die Resettaste und der Warnton verstummte. Anschließend meldete der Angeklagte den ausgelösten Alarm telefonisch seinem
Vorgesetzten, dem Zeugen K.
, und bat ihn, mit in den Gewahrsamstrakt zu
gehen. Als der Angeklagte den nur wenige Schritte entfernt bereitliegenden
Gewahrsamschlüsselbund ergriff, sprang der Warnton des Rauchmelders erneut an. Der Angeklagte schaltete den Alarm mit der dafür vorgesehenen Taste
endgültig aus und rannte mit dem Gedanken an eine Fehlfunktion der Anlage
oder auch an einen Feuchtigkeitsschaden in der Anlage in Richtung der Gewahrsamszellen. Nach wenigen Schritten kehrte er um und entnahm dem neben dem Eingang zum Dienstgruppenbereich hängenden Blechkasten den Fußfesselschlüssel. Anschließend rannte er erneut los und forderte auf dem Weg
zu den Gewahrsamszellen einen Kollegen auf, ihm in den Gewahrsamsbereich
zu folgen. Dieser beendete das von ihm geführte Telefongespräch und folgte
dem Angeklagten, der sogleich weitergelaufen war. Als der Angeklagte die Tür
der Gewahrsamszelle Nr. 5 erreichte, trat an deren seitlichen Spalten, bereits
Qualm aus. Nach dem Öffnen der Tür schlug dem Angeklagten und seinem
Kollegen beißender schwarzer Qualm entgegen. Der Angeklagte rief seinem
Kollegen zu, dass er Hilfe hole, und benachrichtigte weitere Kollegen. Der Versuch des zurückgebliebenen Kollegen, das Feuer mittels einer herbeigeholten
Decke zu ersticken, und die Rettungsversuche der hinzugekommenen Kollegen
scheiterten. O.
J.
war zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeit-
punkt innerhalb der ersten zwei Minuten nach Ausbruch des Brandes nach dem
Einatmen der etwa 800 Grad Celsius heißen Gase an einem Inhalationshitzeschock gestorben.
6
3. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Soweit ihm eine Körperverletzung mit Todesfolge im Amt zur Last
gelegt worden sei, sei nicht erwiesen, dass er mit - zumindest bedingtem - Körperverletzungsvorsatz gehandelt habe. Der Angeklagte habe nicht damit ge-
-7-
rechnet, dass O.
J.
körperlichen Schaden erleiden würde. Zudem habe
er dies weder gewollt noch billigend in Kauf genommen. Aus den getroffenen
Feststellungen ergebe sich vielmehr, dass sich der Angeklagte bemüht habe,
schnell in den Gewahrsamsbereich zu gelangen.
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung sei ebenfalls nicht gegeben.
7
Es habe nicht festgestellt werden können, dass der eingetretene Todeserfolg
objektiv vermeidbar gewesen wäre. Nach den zutreffenden Ausführungen der
gerichtsmedizinischen Sachverständigen spreche eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass O.
J.
bereits innerhalb von zwei Minuten nach Ausbruch
des Feuers verstorben sei. Der Angeklagte hätte die Zelle aber auch dann erst
nach mehr als zwei Minuten erreichen können, wenn er sogleich nach dem Ertönen des Signals des Rauchmelders zu der Gewahrsamszelle gelaufen wäre.
Der
Angeklagte
habe
im
Übrigen
nach
dem
Anspringen
des
Alarms nicht pflichtwidrig gehandelt.
II.
8
Der Freispruch des Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung
nicht stand.
9
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen
Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht
in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der
Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die
zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt
worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03,
NStZ-RR 2004, 238 f.; Senat, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 StR 15/04, wistra
-8-
2004, 432, jew. m. w. N.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter
solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten
des
Angeklagten
zu
beeinflussen,
erkannt
und
in
seine
Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1996 - 3 StR
183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Diesen Grundsätzen wird die
Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.
10
1. Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass
ein (pflichtwidriges) Unterlassen des Angeklagten für den konkreten Todeseintritt nur dann ursächlich geworden wäre, wenn der Tod O.
J.
s, so wie er
konkret eingetreten ist, durch ein sofortiges und sachgerechtes Eingreifen des
Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2002 - 4 StR 51/02, NStZ-RR
2002, 303 m. N.). Das Landgericht hat dies aber nicht rechtsfehlerfrei verneint.
Vielmehr erweist sich die der Annahme, der Angeklagte habe auch bei sofortiger Reaktion die Gewahrsamszelle nicht rechtzeitig erreichen können, zugrunde liegende Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft:
11
a) Durchgreifenden Bedenken begegnet insbesondere die Annahme des
Landgerichts, dass der Angeklagte erstmals durch das Alarmsignal auf die Notlage O.
J.
s aufmerksam werden und mit Rettungsbemühungen beginnen
konnte. Nach den Feststellungen war die Wechselsprechanlage, durch die der
Dienstgruppenleiterbereich mit der Gewahrsamszelle verbunden war, bereits
vor der letzten Kontrolle der Zelle auf Empfang geschaltet worden. Zwar hatte
der Angeklagte, der sich durch „das laute Rufen“ O.
J.
s bei einem Tele-
fonat gestört fühlte, die Anlage leiser gestellt, aber nur für kurze Zeit. Dass der
Angeklagte, nach dessen Einlassung ein „Rumschreien“ zu hören war, gleichwohl nicht schon vor dem Alarmsignal aufgrund der ihm möglichen akustischen
Wahrnehmungen, insbesondere durch Schmerzensschreie, früher auf das Ge-
-9-
schehen in der Zelle hätte aufmerksam werden können und die sich anbahnende Gefahr hätte erkennen müssen, ist nach den bisherigen Urteilsausführungen
für den Senat aus folgenden Gründen nicht nachvollziehbar:
Nach den insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststel-
12
lungen hat O.
J.
den bei seiner Einlieferung unversehrten und, wie sich
dem Gesamtzusammenhang entnehmen lässt, schwer entflammbaren Kunstlederbezug geöffnet und die Matzratzenfüllung mit einem Einweggasfeuerzeug
angezündet. Dieses Feuerzeug kann von dem früheren Mitangeklagten M.
bei der Durchsuchung O.
von O.
J.
J.
s übersehen worden oder diesem Beamten
beim Transport in die Zelle entwendet worden sein. Das Land-
gericht hat sich aufgrund der Bekundungen des Zeugen F.
und durch In-
augenscheinnahme der Videoaufzeichnung, die bei der von diesem Zeugen
durchgeführten Rekonstruktion gefertigt wurde, davon überzeugt, dass O.
J.
mit der Hand, die mittels einer Handschelle an der Halterung an der
Wand fixiert war, das Feuerzeug aus seiner Hose oder Unterhose herausholen
und mit dieser Hand an den Rand der Matratze und die dort befindliche Naht
fassen konnte.
Dieser im Ermittlungsverfahren durchgeführten Rekonstruktion lag er-
13
sichtlich die Annahme zugrunde, dass die Naht der Matratze geöffnet werden
musste, um den Schaumstoff anzünden zu können. Hiervon ging zunächst auch
das Landgericht aus. Aufgrund der Bekundungen des Zeugen F.
zu einem
während des Laufs der Hauptverhandlung durchgeführten weiteren Versuch
und der Inaugenscheinnahme des hierbei aufgenommenen Films hat sich das
Landgericht aber davon überzeugt, dass der Kunststofflederbezug von O.
J.
aufgerissen wurde, nachdem dieser ihn mittels des Feuerzeugs erhitzt
hatte. Bei einer so geschaffenen Öffnung wäre der zu entzündende Schaumstoff, im Unterschied zu einer Zündung durch die geöffnete Naht hindurch, vor
- 10 -
der Zündung regelrecht freigelegt worden, so dass schnell ein Vollbrand entstehen konnte.
Insoweit ist das Urteil jedoch lückenhaft. Es enthält weder eine hinrei-
14
chende Darstellung dieses Versuchs, noch verweist es auf Lichtbilder. Ihm lässt
sich schon nicht entnehmen, ob die Situation nachgestellt worden ist, in der sich
O.
J.
bei der Brandlegung befand. So bleibt offen, ob der Bewegungspiel-
raum seiner an der Wand fixierten Hand ausreichte, um den Matratzenbezug
"anzuschmoren" und in dem zum Anzünden des Schaumstoffs erforderlichen
Umfang zu öffnen. Insbesondere fehlen Angaben dazu, ob es möglich war, den
Matratzenbezug ohne erhebliche schmerzhafte Verletzungen an der Hand mit
dem Einwegfeuerzeug zu erhitzen. Hiermit hätte sich das Landgericht schon
deshalb auseinandersetzen müssen, weil es nahe liegt, dass ein Mensch, der in
einer Zelle einen Brand legt, um die Lösung seiner Fesseln zu erreichen, sich
frühzeitig durch Rufen bemerkbar macht und Schmerzenslaute von sich gibt,
wenn er beim Legen eines Brandes Verbrennungen erleidet. Hat aber O.
J.
bereits vor dem Anzünden des freigelegten Schaumstoffs durch Rufe
und/oder Schmerzenslaute auf seine Situation aufmerksam gemacht, stellt sich
die Frage nach einer Rettungsmöglichkeit neu. Denn dann hätte der Angeklagte
bereits vor dem Alarmsignal des Rauchmelders erkennen können und müssen,
dass ein sofortiges Eingreifen zur Abwendung einer möglichen Gefahr für Leib
und Leben O.
15
J.
s geboten war.
b) Aber auch wenn man mit dem Landgericht davon ausgeht, dass über
die Wechselsprechanlage weder Schmerzenslaute noch sonstige Hinweise auf
eine Gefahrensituation zu vernehmen waren, bleiben Unklarheiten hinsichtlich
der nach dem Ansprechen des Ionisationsmelders für eine Rettung verbleibenden Zeit.
- 11 -
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Das Landgericht ist, was für sich genommen nicht zu beanstanden ist,
den Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit schon innerhalb von zwei
Minuten „nach Ausbruch des Brandes“ infolge eines Inhalationshitzeschocks
eingetreten ist. Die rechtsmedizinischen Sachverständigen stellten dabei ersichtlich auf einen „Vollbrand“ von Teilen der Schaumstofffüllung der Matratze
ab, bei dem Temperaturen von 800 Grad Celsius herrschen, so dass schon
zwei Atemzüge zu einem tödlichen Inhalationshitzeschock führen können. Das
Landgericht ist ferner auf der Grundlage der von dem Brandsachverständigen
durch drei im Mai 2006 durchgeführte Versuche ermittelten Ansprechzeiten des
in der Zelle installierten Ionisationsrauchmelders davon ausgegangen, dass
dieser spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ ausgelöst worden ist. Danach könnte der Tod nach dem Zweifelsgrundsatz bereits vor der Auslösung
des Alarmsignals eingetreten sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Brandsachverständige, der von „Zündung“ gesprochen hat, bei der Messung der Ansprechzeiten auf dieselbe Situation abgestellt hat, wie die rechtsmedizinischen
Sachverständigen. Ob dies der Fall war, lässt sich aber den auch insoweit lückenhaften Urteilsausführungen nicht entnehmen, weil die Bedingungen nicht
mitgeteilt werden, unter denen diese Versuche, insbesondere aber der Versuch
im Januar 2005, bei dem die Ansprechzeit des Rauchmelders in der Lüftungsanlage ermittelt wurde, durchgefürt wurden.
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Danach bleibt offen, ob mit der Messung der Ansprechzeiten der
Rauchmelder begonnen wurde, als eine Gasflamme an den bereits freiliegenden Schaumstoff gehalten wurde, oder erst, als dies zu einem Vollbrand des
Schaumstoffs geführt hatte. Nach den Urteilsausführungen basierte „auch“ der
am 23. Juni 2008 ausgeführte Versuch, bei dem im Bereich der Flammen eine
Temperatur von 800 Grad Celsius herrschte, „nur“ auf einer Zündung an der
geöffneten Naht. Erforderlich wäre gewesen, bei der Ermittlung der Ansprech-
- 12 -
zeiten der Rauchmelder die Situation, in der O.
J.
den Brand gelegt hat,
unter Berücksichtigung auch der Möglichkeit, dass er den Matratzenbezug zunächst "angeschmort" hat, insgesamt nachzustellen. Dass dies geschehen wäre, teilt das Urteil nicht mit. Auch fehlen Ausführungen dazu, ob der Ionisationsrauchmelder schon durch beim Anschmoren des Kunststofflederbezuges freigesetzte Rußpartikel ausgelöst worden sein kann.
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c) Nicht nachvollziehbar ist die Beweiswürdigung auch, soweit das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte sich sogleich nach dem endgültigen Abschalten des Alarmsignals, das zehn Sekunden nach dem Drücken der
Resettaste erneut ertönt war, auf den Weg zur Gewahrsamszelle gemacht hat.
Es widerspricht schon der Lebenserfahrung, dass der Angeklagte die von ihm
und der Zeugin H.
beschriebenen vielfältigen Aktivitäten, einschließlich
des Telefonats mit seinem Dienstvorgesetzten, innerhalb dieser kurzen Zeitspanne bewältigt haben kann. Vor diesem Hintergrund wird sich der neue Tatrichter bei der Zeugin H.
, die den Angeklagten in ihrer ersten polizeilichen
Vernehmung deutlich stärker belastet hatte, mit der Aussageentwicklung befassen müssen. Dabei wird nicht nur ein möglicher Gruppendruck im Kollegenkreis, sondern auch ein im Verlauf der Ermittlungen entstandenes Interesse,
sich selbst zu entlasten, in den Blick zu nehmen sein. Die Frage der Kausalität
zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem Tod O.
J.
s wird da-
her erneut zu überprüfen sei.
19
2. Bedenken begegnen auch die Ausführungen zum pflichtgemäßen
Verhalten.
20
Löst der in einer Gewahrsamszelle installierte Brandmelder Alarm aus,
weist das auf eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben einer in einer verschlossenen und verriegelten Zelle (vgl. Nr. 29. 1 Polizeigewahrsams-
- 13 -
ordnung - RdErl. des MI vom 28. Februar 2006 – 21.11-12340/110, MBl. LSA
2006, 137) verwahrten Person hin. In einem solchen Fall sind unverzüglich, das
heißt ohne schuldhaftes Zögern, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen
Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier - zur Verhinderung einer drohenden Selbstschädigung die Fesselung (vgl. § 64 Nr. 3 SOG
LSA) angeordnet und eine berauschte Person an Händen und Füßen angekettet in Rückenlage fixiert worden ist. Hieran ändert auch die Möglichkeit eines
Fehlalarms nichts. Nur wenn die im Fall eines Brandes erforderlichen Maßnahmen unverzüglich ergriffen werden, ist sichergestellt, dass sofort mit der Rettung der verwahrten Person begonnen werden kann.
Dem Angeklagten waren die Umstände bekannt, unter denen es zur In-
21
gewahrsamnahme O.
J.
s gekommen war. Insbesondere wusste er auch,
auf welche Weise dieser in der Gewahrsamszelle fixiert worden war. Der Angeklagte hätte erkennen können und müssen, dass O.
J.
im Falle eines
Brandes in besonderem Maße gefährdet war. Unbeschadet der Frage, ob O.
J.
wegen seines Zustands nicht ohnehin nach Nr. 12. 7 Polizeigewahr-
samsordnung nur unter ständiger Aufsicht zweier Beamter hätte untergebracht
werden dürfen, hätte er deshalb unter Mitnahme des Gewahrsamsschlüsselbundes und der Fußfesselschlüssel sofort zur Gewahrsamszelle eilen müssen.
- 14 -
Alles weitere, insbesondere die telefonische Benachrichtigung des Dienststellenleiters und - was sinnvoll gewesen wäre - weiterer der sich in der Dienststelle
aufhaltenden Kollegen, sowie das Abschalten des Alarmsignals, hätte seine
Kollegin übernehmen können.
Tepperwien
Maatz
Ernemann
Athing
Mutzbauer