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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 397/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:101018B4STR397.18.0
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 25. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes und
wegen versuchten Totschlags, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten
verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen
Rechts rügt, hat in vollem Umfang Erfolg.
I.
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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1. Der mit den Nebenklägern, dem
der
S.
A.
und seiner Ehefrau,
, eng befreundete Angeklagte vermutete im Herbst 2017, er
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werde von A.
im Zusammenhang mit dem Transfer seiner (des Angeklag-
ten) Ersparnisse in Höhe von etwa 12.000 € von Libyen nach Deutschland hintergangen. Beim Angeklagten verfestigte sich die Vorstellung, A.
plane,
ihn um sein Geld zu bringen. Während er den freundschaftlichen Kontakt zu
den Nebenklägern äußerlich uneingeschränkt aufrecht erhielt und A.
ge-
genüber von seinem Verdacht nichts verlauten ließ, plante er insgeheim, diesem einen „Denkzettel zu verpassen“. Am Abend des 26. November 2017
schlug der Angeklagte am Ende eines freundschaftlich verlaufenen Treffens mit
den Nebenklägern in deren Wohnung dem Geschädigten A.
mindestens
dreimal unvermittelt mit einem von zu Hause mitgebrachten und bis dahin verborgen gehaltenen Hackmesser wuchtig auf den Kopf, bis dieser, bewusstlos
und aus seinen Kopfverletzungen stark blutend, zu Boden ging. Die hinzugekommene Geschädigte S.
schrie bei diesem Anblick um Hilfe, woraufhin
der Angeklagte über den weiterhin bewusstlos am Boden liegenden Geschädigten A.
stieg und der flüchtenden Nebenklägerin S.
mit dem Hackmes-
ser in der erhobenen Hand auf den Balkon nachsetzte. Von seiner Wut über
den vermeintlichen Verrat seines Freundes A.
und der Erschütterung über
seine vorangegangene Tat übermannt, schlug der Angeklagte nunmehr in
einem Zustand hochgradiger affektiver Erregung der Nebenklägerin ebenfalls
mit einer Kante des Hackmessers mindestens zweimal kraftvoll auf den Kopf
und verletzte sie ferner mit Messerhieben am rechten Arm. Dem in der Zwischenzeit wieder zu sich gekommenen und auf den Balkon gelaufenen Nebenkläger A.
gelang es, die Hand des Angeklagten mit dem Messer festzuhal-
ten und diesen von der Nebenklägerin S.
wegzuziehen. A.
nahm dem
Angeklagten sodann das Messer aus der Hand und führte ihn aus der Wohnung.
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2. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe zum Nachteil
beider Nebenkläger, jeweils bedingt vorsätzlich, den Tatbestand eines versuchten Tötungsdelikts (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) verwirklicht.
Bei der Tat zum Nachteil des A.
sei zudem das Mordmerkmal der Heim-
tücke erfüllt. Es sei von einem beendeten Versuch auszugehen, von dem der
Angeklagte auch nicht strafbefreiend zurückgetreten sei. Nachdem A.
schwer getroffen und bewusstlos zu Boden gesunken sei, sei dem Angeklagten
die Möglichkeit bewusst gewesen, dass der Geschädigte bereits tödliche Verletzungen erlitten hatte. Beim – unbeendeten – Versuch des Totschlags zum
Nachteil der Geschädigten S.
A.
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fehle es an der erforderlichen Freiwilligkeit;
habe ihn an der weiteren Tatausführung gehindert.
Die Strafkammer ist ferner davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (erst) im Zeitpunkt seines Angriffs auf die Geschädigte
S.
wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung in Gestalt eines Affekts
erheblich vermindert gewesen sei.
II.
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Die Verurteilung des Angeklagten hält in mehrfacher Hinsicht rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
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1. Die Annahme des Landgerichts, die Tat zum Nachteil des Nebenklägers A.
sei als beendeter Versuch eines Tötungsdelikts zu werten, von
dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen
zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
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a) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält
(sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt
1/93, BGHSt 39, 221, 227). Je nach den Umständen des Falles ist – in engen
zeitlichen Grenzen – eine Korrektur dieses Rücktrittshorizonts möglich. Der
Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst
irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt.
Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann ausdrücklicher
Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist,
die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Tatopfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 – 2 StR 428/01,
NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteile vom 6. März 2013 – 5 StR 526/12, NStZ 2013,
463; und vom 17. Juli 2014 – 4 StR 159/14, NStZ 2014, 569, 570). So liegt es
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, in dem das
Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss
vom 19. Dezember 2000 – 4 StR 525/00; Urteile vom 11. November 2004
– 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.; und vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14 aaO
mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu
erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs Erforderliche getan zu
haben (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 aaO).
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b) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze
hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Die Strafkammer hat deshalb
keine ausreichenden Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten
getroffen, als dieser bemerkte, dass der von ihm niedergeschlagene Nebenklä-
-6-
ger aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, sich aufrappelte, auf den Balkon lief,
um seiner Frau zu helfen, und es schließlich schaffte, den Angeklagten von dieser wegzuzerren. Da sich das angefochtene Urteil zu den Vorstellungen des
Angeklagten über seine Handlungsmöglichkeiten beim erneuten Auftauchen
des Nebenklägers nicht verhält, bleibt offen, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiterhin davon ausging, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben. Das
insoweit festgestellte Geschehen konnte geeignet sein, die Vorstellung des Angeklagten, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs Erforderliche getan zu
haben, zu erschüttern. Mit Blick darauf, dass es dem Nebenkläger nach den
Feststellungen letztlich gelang, sich gegen den Angeklagten zur Wehr zu setzen und ihm das Messer zu entwinden, wäre ferner zu erörtern gewesen, ob
dem Angeklagten nach seiner Vorstellung überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung eines Tötungsdelikts zum Nachteil des Nebenklägers
A.
zur Verfügung standen. Anderenfalls hätte auch ein fehlgeschlagener
Versuch in Erwägung gezogen werden müssen.
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2. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil der Nebenklägerin S.
kann nicht bestehen blei-
ben. Die Urteilsgründe genügen den Anforderungen nicht, die an die Darlegung
und Begründung des bedingten Tötungsvorsatzes zu stellen sind.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei
gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit,
das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein
gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf
nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen der Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich
möglich. Jedoch kann insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in
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affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung aus dem Wissen von einem
möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende –
voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Denkbar ist daher, dass einem Täter
trotz Kenntnis von der das Leben seines Opfers gefährdenden Behandlung
– etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung – gleichwohl nicht bewusst
ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und
nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. nur
BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6; Urteile vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06,
NStZ 2007, 150; vom 17. Dezember 2009 – 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, jeweils mwN).
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b) Gemessen daran hat das Landgericht den Messerangriff gegen Arme
und Kopf der Nebenklägerin S.
zwar rechtsfehlerfrei als objektiv gefährlich
gewertet. Es hätte unter den hier gegebenen Umständen aber nicht ohne weiteres auf das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes schließen dürfen. Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Zeitpunkt des Angriffs auf
die Nebenklägerin in einen hochgradig affektiven Zustand abgeglitten und deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert. Auch wenn danach
seine Einsicht in das Unrecht seines Tuns allgemein vorhanden war, bedurfte
es besonderer Erörterung, ob er in seinem Zustand den möglichen Tod der Nebenklägerin als Folge seines Handelns gebilligt hat.
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3. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils insgesamt und erfassen deshalb auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung
-8-
(vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353
Aufhebung 1).
III.
14
Der Senat bemerkt ergänzend, dass die Erwägung des Landgerichts, zu
Lasten des Angeklagten falle ins Gewicht, dass die Nebenklägerin S.
ihm
„keinen Anlass für die Tat gegeben habe“, hier jedenfalls mit Blick auf die von
der Strafkammer angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten infolge eines Affekts rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. dazu
Senat, Beschluss vom 31. August 2017 – 4 StR 317/17, NStZ 2018, 102, 103
mwN).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Quentin
Franke
Feilcke