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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 223/08
vom
14. August 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. August
2008, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Essen vom 20. Dezember 2007 wird verworfen.
2.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen suchte der damals 65 Jahre alte Angeklagte
am 8. Juni 2007 seine 68 Jahre alte Ehefrau Lidia, die sich im Oktober 2000
von ihm getrennt hatte, in deren Wohnung auf. Als der Angeklagte erkannte,
dass Lidia, die seinen Versuch, sie zu umarmen, zurückgewiesen hatte, den
Abend nicht, wie von ihm erhofft, gemeinsam mit ihm verbringen wollte, reagierte er gereizt. Als seine Ehefrau ihn bewegen wollte, die Wohnung zu verlassen,
geriet der auf Grund einer hirnorganischen Erkrankung sehr leicht reizbare Angeklagte in Wut und zerschlug ein Bierglas auf dem Küchentisch. Seine darüber
erboste Ehefrau schlug zweimal mit der Hand nach dem Angeklagten und
schimpfte lauthals auf ihn ein. Der Angeklagte ergriff im Verlauf der Auseinandersetzung eine Ahle (Gesamtlänge: etwa 25 cm), folgte seiner Ehefrau, die
sich in das Wohnzimmer zurückgezogen hatte, und stach neunmal wuchtig mit
der Ahle auf seine Ehefrau ein. "Jedenfalls die sechs Stiche in die Brust ver-
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setzte der Angeklagte seiner Frau in rascher Folge nacheinander in der Vorstellung, damit ihren Tod herbeizuführen". Die Ehefrau des Angeklagten verstarb
innerhalb kurzer Zeit auf Grund des durch diese Stiche verursachten massiven
Blutverlustes.
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Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf
Grund seiner hirnorganischen Erkrankung in Verbindung mit der affektiv aufgeladenen Tatsituation erheblich vermindert. Im Hinblick darauf hat das Landgericht einen minder schweren Fall im Sinne der zweiten Alternative des § 213
StGB bejaht und die Strafe dem danach zur Verfügung stehenden Strafrahmen
von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe entnommen.
4
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die von der Revision angegriffene
Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann auf Grund der Sachrüge nur prüfen, ob dem Tatrichter hierbei
Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m. N.). Das ist hier nicht der Fall. Insbesondere begegnet die
Überzeugungsbildung zur Täterschaft des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat aus den sicher festgestellten Beweisanzeichen
nahe liegende Schlüsse gezogen. Auch wenn einzelne Indizien für sich allein
nicht ausreichen würden und sich einzelne Umstände auch anders erklären ließen, so durfte sich die Strafkammer doch aufgrund einer Gesamtwürdigung der
festgestellten Umstände die Überzeugung bilden, dass dem Tatopfer die Stichverletzungen, die „innerhalb kurzer Zeit“ zum Tode führten, am 8 Juni 2007 zwischen 18:00 Uhr und 18:40 Uhr zugefügt wurden, und zwar vom Angeklagten,
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der sich in dieser Zeit in der Wohnung des Tatopfers aufhielt. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Revisionsbegründung eine eigene Beweiswürdigung
vornimmt, kann er damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
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3. Auch der Strafausspruch hat Bestand.
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a) Es kann dahinstehen, ob das Landgericht Äußerungen des Tatopfers
zugunsten des Angeklagten als schwere Beleidigung oder die zwei Schläge, die
dem Angeklagten von seiner Ehefrau versetzt wurden, als Misshandlungen im
Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB hätte werten müssen. Jedenfalls
ist der Angeklagte nach den Feststellungen nicht, wie nach § 213 StGB erforderlich, ohne eigene Schuld zum Zorn gereizt und zur Tat hingerissen worden.
Vielmehr hat er mit seiner von ihm seit Jahren getrennt lebenden Ehefrau einen
Streit angefangen und, als diese ihn zum Verlassen ihrer Wohnung bewegen
wollte, das Bierglas, ein Geschenk des gemeinsamen Sohnes, zerschlagen.
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Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht einen minder
schweren Fall nicht schon aufgrund der hier vorliegenden übrigen Milderungsgründe bejaht hat. Die Annahme des Landgerichts, dass der Strafrahmen des
§ 213 StGB nur unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes des § 21
StGB anzuwenden sei, obwohl der Angeklagte nicht vorbestraft ist, er die Tat in
einer schwierigen Lebenssituation spontan begangen hat und aufgrund seines
Alters und Charakters besonders haftempfindlich ist, lässt keinen Rechtsfehler
erkennen. Entgegen der Auffassung der Revision ist daher für eine nochmalige
Milderung des Strafrahmens des § 213 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
kein Raum.
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b) Allerdings beanstanden die Revision und der Generalbundesanwalt zu
Recht, dass das Landgericht als Straferschwerungsgrund herangezogen hat,
dass der Angeklagte „mit direktem Tötungsvorsatz und nicht nur bedingtem“
gehandelt hat. Der Tatbestand des Totschlags setzt vorsätzliche Tatbegehung
voraus, deren Regelfall die Tötung mit direktem Vorsatz ist. Daher verstößt es
gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, wenn der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat, als solcher strafschärfend verwertet wird (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1, 3, 4; Senatsbeschluss vom 30. Juli 1998 - 4 StR 346/98). Dieser Rechtsfehler nötigt jedoch unter den hier gegebenen Umständen nicht zur Aufhebung
des Strafausspruchs.
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Dabei kann dahinstehen, ob das Urteil auf diesem Strafzumessungsfehler beruht, weil die verhängte Rechtsfolge jedenfalls angemessen ist (§ 354
Abs. 1 a Satz 1 StPO).
11
Die bei verfassungskonformer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach dieser Vorschrift (vgl.
dazu BVerfG NStZ 2007, 598) liegen vor. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung.
Es gibt keine Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen und zu
Gunsten des Angeklagten berücksichtigen würde.
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Unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen und unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat die vom Landgericht verhäng-
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te Freiheitsstrafe von sechs Jahren für angemessen. Hierbei ist insbesondere
zu berücksichtigen, dass der Angeklagte die maßgeblichen Ursachen für den
Streit mit seiner Ehefrau, die sich bereits im Oktober 2000 von ihm getrennt hatte, gesetzt hat. Er hat sich über das Hausrecht seiner Ehefrau hinweggesetzt
und hat seine Ehefrau mit dem Zerschlagen des Bierglases, das ihr einer ihrer
Söhne geschenkt hatte, noch zusätzlich provoziert.
Maatz
Kuckein
Solin-Stojanović
Athing
Mutzbauer