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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 197/16
vom
31. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Nachstellung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:310816B4STR197.16.0
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 31. August 2016 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Nachstellung in Tateinheit
mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung verurteilt wurde (Taten II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe) sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und soweit die
Strafkammer es unterlassen hat, für die im Fall II. 2. der
Urteilsgründe verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen
die Tagessatzhöhe festzusetzen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung in Tateinheit
mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und ihn im
Übrigen freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das
Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen
ist es unbegründet.
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1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Nachstellung und der tateinheitlich mit dieser abgeurteilten Straftatbestände im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen.
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Im Oktober 2014 trennte sich die Nebenklägerin vom Angeklagten und
beendete die im Mai diesen Jahres zu ihm begonnene Beziehung.
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In der Nacht vom 17. zum 18. April 2015 stieg der Angeklagte auf das
Dach des Hauses, in dem die Nebenklägerin wohnte, deckte dieses teilweise
ab und schnitt in die Dachfolie ein Loch, durch das er ein Dachfenster öffnete.
Anschließend stieg er in das Haus ein, begab sich in das Schlafzimmer der
Nebenklägerin, setzte sich auf sie und fragte, welche Männerkontakte sie habe.
Auf ihre Antwort, sie habe keine solchen Kontakte, schlug der Angeklagte mehrfach auf sie ein und forderte die „Freischaltung“ ihres Handys. Nachdem die
Nebenklägerin die PIN ihres Handys eingegeben und der Angeklagte dieses
„durchforstet“ hatte, schlug er erneut mehrfach auf sie ein. Schließlich drohte er,
sie umzubringen, falls sie die Polizei anrufe und er „in den Knast müsse“.
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Am 25. April 2015 sandte der Angeklagte an den Arbeitgeber der Nebenklägerin eine E-Mail, in der er bewusst wahrheitswidrig behauptete, die Nebenklägerin würde sich auf dessen Kosten „privat selbst bereichern“.
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Zwischen dem 18. April und dem 4. Mai 2015 sicherte die Nebenklägerin
aus Angst, der Angeklagte werde erneut in ihre Wohnung eindringen, unter anderem die Wohnungstür mit einer Eisenstange und die Fenster mit Schlüsseln
und einer Alarmanlage. Ferner beschaffte sie sich ein Pfefferspray und eine
Schreckschusspistole und installierte auf ihrem Handy einen Notfallalarm.
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Am 4. Mai 2015 verschaffte sich der Angeklagte erneut über das Dach
Zugang zur Wohnung der Nebenklägerin, wobei er wiederum Dachziegel abdeckte, ein Loch in die Dachfolie schnitt, hierdurch in das Haus einstieg und
schließlich die Wohnungstür der Nebenklägerin eintrat. Daraufhin gab die
Nebenklägerin drei Schüsse aus der Schreckschusspistole ab, woraufhin der
Angeklagte „zusammensackte“, ihr seine Liebe schwor und mitteilte, dass er
eigentlich vorgehabt habe, sie dazu zu bringen, dass sie sich die Pulsadern
aufschneide.
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Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten hielt sich die Nebenklägerin
„längere Zeit“ nicht zu Hause auf, zog zu Bekannten und betrat ihre Wohnung
„zunächst“ nur noch in Begleitung.
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Am 25. September 2015 heiratete sie den Angeklagten.
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2. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg, soweit es sich gegen die
Verurteilung wegen Nachstellung in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nöti-
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gung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung richtet. Dies hat die
Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur
Folge. Ferner hat es das Landgericht unterlassen, für die im Fall II. 2. der
Urteilsgründe verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen die Tagessatzhöhe
festzusetzen.
a) Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind – auch soweit
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auf Seite 4 der Revisionsbegründungsschrift eine Aufklärungsrüge erhoben ist –
unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. zu den Beweisantragsrügen die
Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 5. August
2016).
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Ferner ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), soweit es
sich gegen den Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zum Nachteil des Zeugen B.
) richtet. Hin-
sichtlich dieser Tat begegnet auch die Verhängung der Einzelstrafe von 90 Tagessätzen keinen Bedenken. Jedoch hat die Strafkammer es unterlassen, die
auch in Fällen des Aufgehens der Geldstrafe in einer Gesamtfreiheitsstrafe
notwendige Festsetzung der Tagessatzhöhe vorzunehmen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. Juni 2015 – 4 StR 552/15; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 40 Rn. 4
aE mwN). Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben.
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b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Nachstellung in Tateinheit
mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die vom
Landgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen
des von der Strafkammer angenommenen § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 5 StGB.
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aa) Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen
durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das
Opfer oder näher bestimmte Drohungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5
StGB. Dabei wohnen dem Begriff der Beharrlichkeit objektive Momente der Zeit
sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne; er ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Erforderlich ist
vielmehr, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder
aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht handelt, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Der Beharrlichkeit ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende
Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot
manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder
schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht. Dabei
ergibt sich die Beharrlichkeit aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen
Handlungen, bei der insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (zum Ganzen:
BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189,
194 f. mwN).
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bb) Dies zugrunde gelegt, belegen die von der Strafkammer getroffenen
Feststellungen die Annahme, der Angeklagte habe beharrlich im Sinne des
§ 238 Abs. 1 StGB gehandelt, nicht hinreichend.
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(1) Greift der Täter mit seinen Handlungen besonders intensiv in die
Rechte des Opfers ein, so mögen bereits wenige Vorfälle, unter Umständen
auch eine einzige Wiederholung, das erforderliche Maß an rechtsfeindlicher
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Gesinnung und Hartnäckigkeit zu belegen. Voraussetzung ist aber auch dann,
dass die einzelnen Handlungen des Täters einen ausreichenden räumlichen
und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind (vgl. BGH aaO).
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(2) Einen solchen fortbestehenden einheitlichen Willen des Angeklagten
hat die Strafkammer indes nicht festgestellt. Sie verweist zwar darauf, dass der
Angeklagte gehandelt habe, um die Nebenklägerin „zur Wiederaufnahme der
Beziehung zu bringen“ (UA S. 7). Allein diesem Bestreben lassen sich indes
die der Beharrlichkeit immanenten subjektiven Elemente der Uneinsichtigkeit
und Rechtsfeindlichkeit sowie eine besondere Hartnäckigkeit und gesteigerte
Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers nicht entnehmen. Mit
diesen Merkmalen der Beharrlichkeit befasst sich das Landgericht weder in den
Feststellungen noch in der Beweiswürdigung oder der – ohne Subsumtion vorgenommenen – rechtlichen Würdigung. Vielmehr teilt die Strafkammer am Ende
der Sachverhaltsdarstellung sogar ausdrücklich mit, dass sie weitere Feststellungen nicht treffen konnte (UA S. 9).
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(3) Der Senat kann den für das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit
erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen den Handlungen des Angeklagten und deren subjektiven Elemente angesichts der Besonderheiten des
Falles auch dem Gesamtzusammenhang nicht hinreichend sicher entnehmen.
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Um die Nebenklägerin „zur Wiederaufnahme der Beziehung zu bringen“
(UA S. 7) nahm der Angeklagte schon vom 7. bis zum 14. April 2015 mehrfach
per E-Mail oder Brief Kontakt zu ihr auf, versicherte ihr seine Liebe und erklärte,
an der Beziehung festhalten zu wollen (UA S. 9). Nach dem Geschehen vom
17./18. April 2015 übernachtete der Angeklagte – ersichtlich mit deren Zustim-
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mung – bei der Nebenklägerin und es kam zum Geschlechtsverkehr, bei dem
die Kammer „nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, ob der Geschlechtsverkehr in beiden Fällen tatsächlich ... gegen
ihren Willen durchgeführt worden ist“ (UA S. 15), so dass zugunsten des Angeklagten von dessen einvernehmlicher Vornahme auszugehen war. Auch gab die
Nebenklägerin selbst an, dass es noch nach der von ihr am 8. Dezember 2014
erwirkten Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz jedenfalls bis zum 26. Mai
2015 zu häufigeren einvernehmlichen Kontakten und auch einvernehmlichem
Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gekommen sei (UA S. 14). Schließlich könne – so die Strafkammer – auch hinsichtlich der E-Mails und des Briefs
von Anfang/Mitte April 2015 (also kurz vor der 1. Tat) „nicht nachgewiesen werden, dass der Angeklagte in Kenntnis dessen, dass er unbefugt Kontakt zu der
Nebenklägerin aufgenommen hat, tätig geworden ist. Denn aufgrund der zwischenzeitlichen einvernehmlichen Kontakte, die die Nebenklägerin eingeräumt
hat, konnte der Angeklagte nicht davon ausgehen, dass er ihr keine Nachrichten zukommen lassen darf, in denen er ihr – wie geschehen – seine Liebe versichert und erklärt, er wolle an der Beziehung festhalten“ (UA S. 25).
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Vor diesem Hintergrund lässt sich den Feststellungen nicht hinreichend
entnehmen, dass der Angeklagte mit einem fortbestehenden einheitlichen
– nicht durch Aussöhnungen unterbrochenem und anschließend neu gefasstem – Willen handelte und uneinsichtig an einem von Anfang an eingenommenen Standpunkt und gefassten Entschluss festhielt, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt waren.
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(4) Da es somit schon an tragfähigen Feststellungen zum Schuldspruch
wegen Nachstellung mangelt, bedarf keiner Ausführungen, ob die Strafkammer
rechtsfehlerfrei – ohne dies näher zu erörtern – ein insgesamt vorsätzliches
-9-
Handeln des Angeklagten angenommen und rechtsfehlerfrei auch die – zu
wesentlichen Punkten widersprüchlichen und nicht konstanten – Angaben der
Nebenklägerin dem Schuldspruch wegen Nachstellung zugrunde gelegt hat.
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c) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Nachstellung hat die Aufhebung auch der tateinheitlich abgeurteilten Straftatbestände sowie der von der
Strafkammer verhängten Gesamtstrafe zur Folge.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Mutzbauer
Franke
Quentin