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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 124/14
vom
5. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
– in der Verhandlung –,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
– bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Prof. Dr. rer. nat.
A.
als Sachverständiger
– in der Verhandlung –
– in der Verhandlung –
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
,
-3-
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Hagen vom 1. August 2013 aufgehoben
a) im Strafausspruch mit den Feststellungen,
b) soweit gegen den Beschwerdeführer der Verfall von
Wertersatz in Höhe von mehr als 616 € angeordnet
worden ist; die weiter gehende Verfallsanordnung entfällt.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass 50 Tütchen „Jamaican
Gold Extreme“ und zwei Tütchen „VIP“ eingezogen werden.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung zu Ziffer 1. a) wird die Sache
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Rechtsmittel, an das Amtsgericht – Strafrichter – Iserlohn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
-4-
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe
von 190 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Es hat ferner den Verfall von Wertersatz in Höhe von 1.452 € und die Einziehung von zwölf Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ und zwei Tütchen „VIP“ angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und
der Staatsanwaltschaft sind jeweils auf die Sachrüge gestützt. Während der
Angeklagte seinen Freispruch auch in den Verurteilungsfällen anstrebt, begehrt
die Staatsanwaltschaft diesbezüglich eine Verurteilung u.a. wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge. Insoweit wird das Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Die Revisionen erzielen jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen
Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.
I.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte betreibt in I.
ein Ladengeschäft, in dem er unter
anderem Zubehör für den Konsum von Cannabis vertreibt. Spätestens im Jahr
2010 beschloss der Angeklagte, der nicht über eine Erlaubnis zum Umgang mit
Betäubungsmitteln verfügt, gewinnbringend Kräutermischungen anzubieten, die
synthetische Cannabinoide enthielten. Wegen der cannabisähnlichen Wirkung
werden diese Kräutermischungen in Szenekreisen als Rauschmittel konsumiert,
hauptsächlich geraucht. Die Kräutermischungen enthalten getrocknetes Pflanzenmaterial, auf das synthetische Cannabinoide wie JWH-018, JWH-019 und
-5-
JWH-073 aufgesprüht werden. Die Wirkstoffe sind üblicherweise in den Kräutermischungen nicht gleichmäßig verteilt. Der Konsument kann weder erkennen, welches der in der Wirkungsweise unterschiedlich starken synthetischen
Cannabinoide aufgesprüht wurde, noch dessen Menge.
4
Dem Angeklagten war bekannt, dass die Kräutermischungen zum Konsum durch Rauchen verwendet wurden und dass diese eine bewusstseinsverändernde Wirkung hatten, sofern sie synthetische Cannabinoide enthielten. Mit
den jeweiligen Lieferungen wurden ihm von seinem Lieferanten Analysenbefunde übersandt, die auswiesen, dass weder synthetische noch pflanzliche
Cannabinoide in dem untersuchten Probematerial gefunden werden konnten.
Die von den Herstellern dem Labor übersandten Proben enthielten nämlich
– was der Angeklagte nicht wusste – im Gegensatz zu den tatsächlich vertriebenen Produkten keine synthetischen Cannabinoide.
5
Am 5. Oktober 2011 erwarb der Angeklagte bei einer belgischen Firma
30 Tütchen der Kräutermischung „VIP“ zu jeweils drei Gramm (Fall 1). Die
Tütchen enthielten das zum Tatzeitpunkt noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende JWH-210 und 10,2 % des dem Betäubungsmittelgesetz
unterfallenden JWH-019, mithin bezogen auf die Gesamtmenge 9,18 Gramm
JWH-019. Am 17. Oktober 2011 erwarb der Angeklagte bei demselben Lieferanten 50 Tütchen der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ zu jeweils drei Gramm (Fall 2). Auch diese Kräutermischung enthielt JWH-210 und
JWH-019. Bei einem Wirkstoffgehalt von 9,9 % JWH-019 betrug die reine Wirkstoffmenge der Gesamtlieferung 14,85 Gramm JWH-019. Der Angeklagte hielt
es zum Zeitpunkt der Bestellungen für möglich, dass die Kräutermischungen
„Jamaican Gold Extreme“ und „VIP“ Stoffe enthielten, die dem Betäubungsmittelgesetz unterfallen, nahm dies aber nicht billigend in Kauf. Von der Kräuter-
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mischung „VIP“ verkaufte der Angeklagte mit Gewinn 28 Tütchen für jeweils
22 €, so dass er 616 € einnahm. Zu Verkäufen der Kräutermischung „Jamaican
Gold Extreme“ kam es nicht. Bei einer Durchsuchung am 20. Oktober 2011
wurden aus den vorgenannten Lieferungen im Ladengeschäft des Angeklagten
zwei Tütchen „VIP“ und zwölf Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ sichergestellt.
Weitere 38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ aus dem Geschäft vom 17. Oktober 2011 wurden in der Privatwohnung des Angeklagten gefunden.
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2. Das Landgericht hat den Sachverhalt wie folgt bewertet:
7
Der Angeklagte habe bewusst fahrlässig gehandelt. Er habe es für möglich gehalten, dass die am 5. und 17. Oktober 2011 erworbenen Kräutermischungen „VIP“ und „Jamaican Gold Extreme“ dem Betäubungsmittelgesetz
unterfallende Stoffe enthielten und es pflichtwidrig unterlassen, eigene tragfähige Erkundungen über die vorgenannten Produkte einzuholen. Eine am 11. Oktober 2010 wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erfolgte Durchsuchung des Ladengeschäfts und der Privaträume des
Angeklagten, die Kenntnis von der Nutzung der Kräutermischungen als
Rauschmittel und der Hinweis in den Analysebefunden, dass diese sich jeweils
nur auf die eingesandten Proben bezögen, hätten das Vertrauen in die Redlichkeit der Hersteller erschüttert und ihm Anlass für eigene Nachforschungen gegeben.
8
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – den Grenzwert der nicht
geringen Menge von JWH-019 mit 2,62 Gramm (350 Konsumeinheiten zu je
7,5 Milligramm) angesetzt. Die Gefährlichkeit von JWH-019 sei höher als die
von Cannabis, aber geringer als jene von Amphetamin. Bei der Strafzumessung
hat das Landgericht maßgeblich berücksichtigt, dass die nicht geringe Menge in
-7-
beiden Fällen in erheblicher Weise überschritten sei und hat für das fahrlässige
Handeltreiben mit der Kräutermischung „VIP“ eine Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen und für das fahrlässige Handeltreiben mit „Jamaican Gold Extreme“
eine solche von 150 Tagessätzen verhängt. Bei der Anordnung des Wertersatzverfalls ist die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe versehentlich
davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht nur 28 Tütchen „VIP“ zu je
22 €, sondern auch 38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ zum Preis von je 22 €
verkauft habe.
II.
9
Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
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1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Wirkstoff JWH-019 wurde durch die 24. BtMÄndV vom 18. Dezember 2009 (BGBl. I 2009, 3944) mit Wirkung vom 22. Januar 2010 in die Liste der Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen und war deshalb
zum jeweiligen Tatzeitpunkt Betäubungsmittel.
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Das Landgericht hat zu Recht einen Sorgfaltspflichtverstoß des Angeklagten angenommen. Derjenige, der am Handel teilnimmt, muss sich darum
kümmern, ob seine Stoffe Betäubungsmittel sind (Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29
Rn. 2043). Die dem Angeklagten vom Lieferanten überlassenen Laborbefunde
bezogen sich ausweislich der Urteilsgründe für den Angeklagten erkennbar jeweils nur auf die vom Lieferanten eingereichte und untersuchte Einzelprobe.
Dass die zum Verkauf angebotenen Kräutermischungen „weder synthetische
noch pflanzliche Cannabinoide“ (UA 7) enthielten, war angesichts ihrer dem
-8-
Angeklagten bekannten und bezweckten Verwendung in der Konsumentenszene als Cannabis ersetzendes Rauschmittel fernliegend. Besondere Umstände, warum der Angeklagte auf ein redliches Verhalten seines Lieferanten bei
der Einsendung der Proben an das Labor vertrauen konnte, hat das Landgericht nicht festgestellt, insbesondere hat er in keinem Fall eine eigene Kontrolluntersuchung der erworbenen Stoffe veranlasst.
12
2. Hingegen hält der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
13
a) Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass
in den abgeurteilten Fällen der in den Kräutermischungen „VIP“ und „Jamaican
Gold Extreme“ enthaltene Wirkstoff JWH-019 jeweils die Grenze der nicht geringen Menge i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erreicht hat. Der Senat setzt jedoch – insoweit abweichend vom Landgericht – den Grenzwert der nicht geringen Menge für JWH-019 auf eine Wirkstoffmenge von 6 Gramm fest.
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Hierbei bezieht sich der Senat auf die in ständiger Rechtsprechung vom
Bundesgerichtshof angewandte Methode (vgl. nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, und vom 17. November 2011 – 3 StR
315/10, BGHSt 57, 60). Danach ist der Grenzwert der nicht geringen Menge
eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987
– 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so
errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das
Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere sei-
-9-
nes Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden
Potentials zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08,
BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden
Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 322,
und vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60, 64).
15
aa) Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von JWH-019 hat der Senat ein
Gutachten
Prof. Dr. rer. nat.
16
des
A.
eingeholt. Danach ergibt sich Folgendes:
(1) Die Wirkstoffe JWH-018 und CP 47,497-C8 waren als Hauptwirkstoffe
in den sog. „Spice“-Produkten der ersten Generation enthalten. Nach deren
Aufnahme in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz wurden sie in den Nachfolgeprodukten sehr schnell durch JWH-073 ersetzt. Im weiteren Verlauf wurde
eine Vielzahl teils geringfügig, teils stärker modifizierter Substanzen in entsprechenden Produkten gefunden. JWH-019 [chemische Bezeichnung: (Naphthalin1-yl)(1-hexyl-1H-indol-3-yl)methanon] wurde erstmals im Oktober 2010 in einer
Kräutermischung nachgewiesen. Es handelt sich wie bei JWH-018 um ein nach
dem amerikanischen Chemiker
H.
benanntes vollsynthetisches
Aminoalkylindol, das bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet
wurde. Die Erkenntnismöglichkeiten zur pharmakologischen Wirkung der synthetischen Cannabinoide beschränken sich auf einzelne wissenschaftliche
Selbstversuche und Fallberichte, in denen neben einer ausführlichen klinischen
Beschreibung auch eine umfassende toxikologische Analytik durchgeführt wurde, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Wirkstoffaufnahme und Symptomatik belegen. Zudem stehen Daten aus Rezeptorbindungsstudien sowie
Ergebnissen aus in vivo-Studien (vor allem am Mausmodell) zur Verfügung,
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wobei eine Übertragung der daraus gezogenen Schlüsse auf den Menschen
nur eingeschränkt möglich ist.
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(2) Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung
der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze
über das Endocannabinoidsystem vermittelt. Diese vergleichbare Wirkungsweise hat trotz unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung zur Sammelbezeichnung als synthetische „Cannabinoide“ geführt. Das Endocannabinoidsystem ist nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und
Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Der Wirkstoff bindet an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1, der in
hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und CB 2, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübermittlung in der
zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung („intrinsische Aktivität“) kann zwischen einem vollen Agonisten und einem nur partiellen
Agonisten unterschieden werden.
18
Anders als der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, der am CB1-Rezeptor nur
als partieller Agonist bindet, wirkt JWH-018 dort als voller Agonist. Dies führt
dazu, dass dieser Wirkstoff wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen kann. Es tritt – anders als bei Tetrahydrocannabinol –
keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen durch eine höhere Dosierung verstärkt. JWH-073
hat nicht so starke Wirkungen und ist deshalb ein Teilagonist. Für JWH-019
liegen keine gesicherten Daten vor, der Wirkstoff scheint sich tendenziell ähnlich wie JWH-073 zu verhalten.
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(3) Ein weiterer Unterschied zwischen synthetischen Cannabinoiden
einerseits und Tetrahydrocannabinol andererseits liegt in der Potenz, d.h. im
Maß der für die zum Erzielen einer Wirkung erforderlichen Dosis. JWH-018
weist gegenüber Tetrahydrocannabinol eine deutlich – etwa drei- bis vierfach –
höhere Potenz auf, d.h., dass das Maß der Wirkstärke etwa drei- bis viermal so
hoch anzusiedeln ist. Demgegenüber weist der Wirkstoff JWH-073, der sich von
JWH-018 chemisch-strukturell nur geringfügig unterscheidet, nach bisherigen
wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere aufgrund einer Studie an Rhesusaffen, eine eher dem Tetrahydrocannabinol vergleichbare Potenz auf. Mit
Blick auf die identische Rezeptoraffinität sowie angesichts des strukturell vergleichbaren Molekülaufbaus von JWH-073 und JWH-019 und des Umstands,
dass beide Teilagonisten sind, dürfte JWH-019 eine ähnliche oder gleiche Potenz wie JWH-073 haben.
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bb) Der 1. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR
302/13, zur Veröffentlichung in BGHSt 60, 134 vorgesehen – die nicht geringe
Menge für das synthetische Cannabinoid JWH-073 auf eine Wirkstoffmenge
von sechs Gramm festgesetzt. Dabei hat der 1. Strafsenat die Festsetzung des
Grenzwerts der nicht geringen Menge weder an einer äußerst gefährlichen Dosis noch an einer durchschnittlichen Konsumeinheit ausgerichtet, weil zu beiden
Mengeneinheiten derzeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse
vorliegen. Er hat die nicht geringe Menge vielmehr aus den in jenem Urteil näher dargelegten Gründen durch den Vergleich mit Tetrahydrocannabinol bestimmt (Urteil vom 14. Januar 2015 aaO Rn. 47 ff.).
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Maßgeblich waren hierfür im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol, für das
der Grenzwert der nicht geringen Menge bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol
– entsprechend 500 Konsumeinheiten à 15 Milligramm – angenommen wird
- 12 -
(vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8), die höhere
bzw. vergleichbare Potenz des jeweiligen Wirkstoffs, die gesteigerte Gefährlichkeit aufgrund weiter gehender unerwünschter Nebenwirkungen und deren
wesentlich höhere Auftretenswahrscheinlichkeit (Urteil vom 14. Januar 2015
aaO Rn. 56 ff., 92 ff.).
22
cc) Der Senat hat sich bei der Bestimmung der nicht geringen Menge
des Wirkstoffs JWH-019 der Vorgehensweise des 1. Strafsenats angeschlossen
und den Grenzwert der nicht geringen Menge durch einen Vergleich mit
JWH-073 auf dieselbe Menge wie bei dieser Substanz festgelegt.
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b) Der Strafausspruch unterliegt danach der Aufhebung. Das Landgericht
hat ausdrücklich strafschärfend gewertet, dass im Fall der Kräutermischung
„VIP“ die nicht geringe Menge um das 3,5-fache und im Fall der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ um das 5,5-fache überschritten ist. Dies
trifft bei einem Grenzwert von 6 Gramm nicht zu.
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3. Auch die über den Betrag von 616 € hinausgehende Anordnung von
Wertersatzverfall hat keinen Bestand.
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Die Höhe des nach § 73a Satz 1 StGB für verfallen zu erklärenden Geldbetrages bestimmt sich nach dem Wert des nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aus
der Tat Erlangten, dessen Verfall aus den in § 73a Satz 1 StGB genannten
Gründen nicht mehr angeordnet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom
10. September 2002 – 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198, 199; MüKo-StGB/Joecks,
2. Aufl., § 73a Rn. 14 mwN). Die Wertbestimmung erfolgt nach dem Bruttoprinzip, sodass bei Rauschgiftgeschäften, wie sie hier in Rede stehen, der tatsächlich erzielte Verkaufserlös – ohne Abzug von Einkaufspreis, Transportkos-
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ten etc. – anzusetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 – 4 StR 135/99,
NStZ-RR 2000, 57, 58 mwN).
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Nach den Feststellungen hat der Angeklagte von der von ihm zu Handelszwecken angekauften Kräutermischung „VIP“ lediglich 28 Tütchen zu je
22 € veräußert, so dass ihm 616 € zugeflossen sind. Der vom Landgericht angeordnete Wertersatzverfall von 1.452 € beruhte, wie die Strafkammer in den
Urteilsgründen ausgeführt hat, auf der irrigen Annahme, der Angeklagte habe
auch 38 Tütchen der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ zu je 22 € verkauft. Der Senat ändert den Rechtsfolgenausspruch entsprechend ab.
III.
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Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt lediglich zur Abänderung
der Einziehungsentscheidung. Darauf, dass Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten wirken (§ 301 StPO), kommt es nach
dem Erfolg der Revision des Angeklagten nicht mehr an (BGH, Urteil vom
14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Im Übrigen ist
das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet.
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1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wegen fahrlässigen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich
und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist,
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dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des
erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann
vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung
nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (u.a. BGH, Urteile vom 27. Januar
2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, und vom 4. November 1988 – 1 StR
262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.). Vertraut der Täter darauf, die für möglich gehaltene
Folge werde nicht eintreten, so kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an,
ob er das ernsthaft konnte. Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine
Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.;
vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 mwN);
sowohl das Wissens- als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem
Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
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b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche
Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet und eine entsprechende Gesamtwürdigung vorgenommen.
Ihre Bewertung, bedingter Vorsatz sei insbesondere aufgrund der offenen Vertriebsstruktur nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf. Das Vorbringen der
Beschwerdeführerin erschöpft sich demgegenüber in einer eigenen Bewertung
der festgestellten Tatsachen.
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2. Die Anordnung der Einziehung hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht
stand. Das Landgericht hat bei der Anordnung der Einziehung ersichtlich – wie
bei der Anordnung des Wertersatzverfalls – übersehen, dass der Angeklagte
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38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ nicht verkauft, sondern in seiner Privatwohnung aufbewahrt hat. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer, wenn
sie sich dieses Umstandes bewusst gewesen wäre, nach ihrem Ermessen von
der Einziehung abgesehen hätte, denn eine Freigabe der Betäubungsmittel wäre rechtsfehlerhaft gewesen. Er hat deshalb die Einziehungsanordnung entsprechend geändert.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Mutzbauer
Cierniak
Quentin