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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 429/10
vom
13. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag - am
13. Januar 2011 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Oldenburg vom 20. Juli 2010 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den
Fällen II. 54 bis 58 der Urteilsgründe jeweils wegen
Computerbetruges verurteilt worden ist; im Umfang der
Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die
notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt
abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 54 Fällen,
"davon in 32 Fällen nur als Versuch", und wegen Computerbetruges in 18 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er mit der allgemeinen Sachrüge begründet hat. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen
Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren
eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 54 bis 58 der Urteilsgründe
jeweils wegen Computerbetruges verurteilt worden ist. Die Teileinstellung hat in
der vorliegenden Sache nicht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge. Diese hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden Einzelstrafen (siebenmal ein Jahr, sechsmal zehn Monate, zweiundzwanzigmal acht Monate und zweiunddreißigmal fünf Monate Freiheitsstrafe)
kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht ohne die in den eingestellten Fällen festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen (einmal ein Jahr und viermal
zehn Monate) auf eine niedrigere als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von
drei Jahren und drei Monaten erkannt hätte.
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2. Der Bestand des Strafausspruchs wird im Ergebnis auch nicht dadurch gefährdet, dass das Landgericht in allen (32) Fällen des versuchten
Diebstahls ohne Weiteres vom Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB
ausgegangen ist. Die hierfür gegebene Begründung, der Umstand der Nichtvollendung spiele für die Strafrahmenwahl keine Rolle, weil nach allgemeiner
Meinung von der Regelwirkung auszugehen sei, wenn das Regelbeispiel wie
vorliegend verwirklicht, das Grunddelikt indes nur versucht ist, hält der rechtli-
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chen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hätte vielmehr in allen Versuchsfällen prüfen müssen, ob der geringere Unrechtsgehalt der versuchten
Tat die Regelwirkung entkräftet oder eine Strafrahmenmilderung gemäß § 23
Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB,
58. Aufl., § 46 Rn. 103 f.). Diese Prüfung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Der Senat sieht indes von der Aufhebung des Strafausspruchs ab, da die
verhängte Rechtsfolge (fünf Monate Freiheitsstrafe) unter Berücksichtigung der
für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen in allen Fällen angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, zu der beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 136, 1447/05, NStZ 2007, 598).
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3. Nicht bestehen bleiben kann das Urteil hingegen, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt
hat. Die sachverständig beratene Strafkammer hat diese Entscheidung damit
begründet, dass beim Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln, aber keine Sucht und damit nicht der nach § 64 StGB erforderliche Hang vorliege. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verkannt hat. Ein Hang
im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur - wovon das Landgericht möglicherweise
ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit zu bejahen. Vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte,
aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene
intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 4. April 1995
- 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Fischer, aaO, § 64 Rn. 9
mwN). Die Feststellungen des Urteils legen auch nahe, dass bei dem Ange-
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klagten ein Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum besteht. Ab dem Jahr
1997 konsumierte er Kokain und nahm gelegentlich Speed und Ecstasy zu
sich. Nach zwei Entwöhnungstherapien war er zwar bis 2008 von Kokain abstinent, begann indes 2009 wiederum Drogen zu konsumieren. Im Sommer
2009 - kurz vor Beginn der gegenständlichen Tatserie - steigerte er seinen Kokainkonsum auf ein bis zwei Gramm täglich. Alkohol trank er mäßig, zu Zeiten
des Kokainkonsums aber auch zuweilen stärker. Angesichts dieser Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht allein aufgrund
der rechtsfehlerhaften Gleichsetzung von Sucht und Hang im Sinne des § 64
StGB die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterlassen hat. Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen vor und während
der Tatserie Kokain und Alkohol konsumierte, kann weiterhin auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein bestehender Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen (vgl. Fischer, aaO, Rn. 12) - mit dazu beigetragen hat, dass
der Angeklagte die Taten beging. Dem Erfordernis einer hinreichend konkreten
Aussicht auf einen Behandlungserfolg steht jedenfalls nicht von vornherein
entgegen, dass der Angeklagte bereits zwei stationäre Entwöhnungsmaßnahmen durchführte, zumal diese zumindest einen mehrere Jahre anhaltenden
Erfolg erbrachten (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 334/08,
NStZ-RR 2009, 77, 78).
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Danach muss über die Frage der Maßregelanordnung nach § 64 StGB
neu verhandelt und entschieden werden.
Becker
Pfister
Hubert
von Lienen
Schäfer