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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 248/07
vom
18. Oktober 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
-2-
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Oktober
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 14. Februar 2007 wird das Verfahren im
Fall 5. der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung
fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
2. Das vorgenannte Urteil wird
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der
gefährlichen Körperverletzung, der Körperverletzung in drei
Fällen und der Vergewaltigung schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten
des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Körperverletzung in drei Fällen und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es ihn frei-
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gesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das
Rechtsmittel bleibt in den Fällen II. 1. bis 3. sowie 6. und 7. der Urteilsgründe
ohne Erfolg. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Im Fall 5. führt das Rechtsmittel zur Einstellung des Verfahrens.
I.
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1. Die Verurteilung im Fall 5. hat keinen Bestand, weil es hinsichtlich der
abgeurteilten Tat an einer wirksamen Anklage fehlt. Nach der zugelassenen
Anklage soll der Angeklagte (auch) diese Tat, einen Geschlechtsverkehr, bei
dem er das Tatopfer vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert haben soll, in dem
Zeitraum zwischen August 2001 und September 2003 begangen haben; nach
den Urteilsgründen hat er die Tat dagegen möglicherweise schon im Februar
1998 begangen. Die Tatschilderung in der Anklage und im Urteil beschränkt
sich auf die Darstellung der den Tatbestand erfüllenden Umstände. Weitere
Besonderheiten, die das Geschehen derart prägten, dass schon daraus die Identität von angeklagter und abgeurteilter Tat belegt würde, werden nicht mitgeteilt. Unter diesen Umständen muss angesichts der unterschiedlichen Angaben zum Tatzeitpunkt davon ausgegangen werden, dass es sich um verschiedene Taten handelt. Dementsprechend war das Verfahren einzustellen.
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Dies steht der Erhebung einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderungen entsprechenden Anklage nicht entgegen (vgl. BGHR StPO § 200
Abs. 1 Satz 1 Tat 13 m. w. N.).
-5-
2. Die Einstellung im Fall 5. führt zur Änderung des Schuldspruchs, zum
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Wegfall der verhängten Einzelstrafe, zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe
mit den insoweit getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur Festsetzung einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat schließt aus,
dass das Landgericht ohne die Verurteilung im Fall 5. die anderen Einzelstrafen
geringer bemessen hätte.
II.
Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass, auf die Bedeutung
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hinzuweisen, die dem Zeitpunkt der Tatbegehung unter dem Gesichtspunkt der
Verjährung zukommen kann.
1. Hätte der Angeklagte, wovon das Landgericht im angefochtenen Urteil
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ausgeht, das Tatopfer bereits bei einem Geschlechtsverkehr im Februar 1998
mit dem HI-Virus infiziert, so stünde der Verfolgung dieser Tat als vollendete
gefährliche Körperverletzung das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen.
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a) Die maßgebliche Verjährungsfrist betrüge in diesem Fall fünf Jahre.
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Vor dem 1. April 1998 verjährten Taten der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB i. V. m. § 223 a StGB aF nach fünf Jahren.
Als Folge der Ersetzung von § 223 a durch § 224 und der damit verbundenen
Anhebung der gesetzlichen Höchststrafe für gefährliche Körperverletzung von
fünf Jahren auf zehn Jahre hat sich zwar die Verjährungsfrist von fünf Jahren
auf zehn Jahre verlängert; dies hat hier aber außer Betracht zu bleiben: Wenn
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die Änderung der Verjährungsfrist nur Ergebnis einer Änderung der materiellrechtlichen Strafdrohung ist, ergibt sich auch die maßgebliche Verjährungsfrist
aus § 2 StGB. Das danach anwendbare Strafgesetz (hier: § 223 a StGB aF)
bestimmt auch die maßgebende Verjährungsfrist (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. vor
§ 78 Rdn. 11 m. w. N.).
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b) Die danach geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren ist bei dem vom
Landgericht festgestellten Sachverhalt im Februar 1998 in Gang gesetzt worden
und war daher vor der ersten Unterbrechungshandlung, der Anordnung der Beschuldigtenvernehmung am 28. Juni 2004, bereits abgelaufen.
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Die Tat war, sollte der Angeklagte das Tatopfer - wie es das Landgericht
für möglich hält - bereits im Februar 1998 infiziert haben, schon mit dem Vollzug
des Geschlechtsverkehrs, bei dem das Virus übertragen wurde, im Sinne des
§ 78 a Satz 1 StGB beendet. Weiterer Handlungen des Angeklagten, durch die
der tatbestandsmäßige Erfolg vertieft oder - wie dies etwa beim Diebstahl der
Fall sein mag - gesichert werden konnte, bedarf es nicht. Mit der Infizierung der
Nebenklägerin, d. h. mit der Übertragung des Virus, ist auch der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten. Daran ändert nichts, dass der Verlauf der AidsErkrankung große individuelle Unterschiede aufweist und die beschwerdefreie
Zeit des Opfers bis zum offenen Ausbruch des klinisch-manifesten Immundefekts nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft bis zu zehn Jahre andauern
kann. Denn bereits durch die Ansteckung mit dem HI-Virus hat der Angeklagte
die Gesundheit des Tatopfers beschädigt.
-7-
11
Als Gesundheitsbeschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines
vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen, gleichgültig, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt; mit einer Schmerzempfindung braucht sie nicht verbunden zu sein. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass auch die
Ansteckung eines anderen mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit - auch
und insbesondere mit einer Geschlechtskrankheit - eine Verschlechterung der
Gesundheit darstellt. In Anbetracht dessen, dass ein HIV-Infizierter mit dem
Eintritt des Virus in den Organismus seinerseits infektiös wird und dies für die
gesamte Dauer seines weiteren Lebens bleibt, muss dies in gleicher Weise und
erst recht für die Ansteckung mit der - bislang nicht heilbaren und bei Ausbruch
regelmäßig tödlich verlaufenden - Immunschwächekrankheit Aids gelten. Dabei
tritt - wie auch bei anderen gefährlichen Infektionen - die Schädigung der Gesundheit und damit die Körperverletzung bereits mit der bloßen Infizierung als
solcher ein, da diese - objektiv - den körperlichen Normalzustand des Opfers
tiefgreifend verändert (BGHSt 36, 1, 6 f. m. zahlr. w. N.).
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Verändert aber bereits die Ansteckung - objektiv - den körperlichen Zustand des Opfers tiefgreifend, ist, auch solange die Krankheit noch nicht offen
ausgebrochen ist, für zu diesem Krankheitsbild gehörende Verschlechterungen
des Gesundheitszustandes keine andere rechtliche Bewertung in dem Sinne
möglich, dass erst der jeweils mit einer gravierenden Veränderung verbundene
Krankheitszustand eine vollständige Verwirklichung des tatbestandsmäßigen
Erfolges nach § 223 a StGB bewirkt (vgl. zu dieser Frage Schmitz, Unrecht und
Zeit, 2001 S. 227 f.; LG Frankfurt NStZ 1990, 592, 593; Mitsch in MünchKomm
§ 78 Rdn. 2 bis 4; § 78 a Rdn. 9).
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2. Dem angefochtenen Urteil ist zu den bisherigen körperlichen Auswirkungen der Ansteckung auf die Nebenklägerin Näheres nicht zu entnehmen.
Sollte ein neuer Tatrichter feststellen, dass bei ihr inzwischen der Immundefekt
offen ausgebrochen ist und bereits schwere Folgen im Sinne von § 226 Abs. 1
Nr. 3 StGB (Verfallen in Siechtum, Lähmung oder Behinderung) eingetreten
sind, so käme eine Bestrafung des Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung nach § 226 StGB in Betracht. Dies gilt ohne weiteres, soweit die Voraussetzungen der Qualifikation nach § 226 Abs. 2 StGB festzustellen wären. Denn
für die wissentliche Verursachung dieser Körperverletzungsfolgen galt bereits
im Februar 1998 eine zehnjährige Verjährungsfrist. § 225 Abs. 2 StGB i. d. F.
vom 28. Oktober 1994 drohte eine Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren an.
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Dies gilt aber auch, wenn sich die Tat nur als schwere Körperverletzung
nach § 226 Abs. 1 StGB darstellen würde. Zwar war die schwere Körperverletzung (Verfallen in Siechtum, Geisteskrankheit oder Lähmung als Folge der Körperverletzung) im Februar 1998 nur mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünf
Jahren bedroht (§ 224 Abs. 1 StGB i. d. F. vom 28. Oktober 1994). Gleichwohl
wäre die Tat auch mit nur fahrlässig herbeigeführtem Erfolg noch nicht verjährt,
da nach § 78 a Satz 2 StGB die Verjährung, wenn ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später eintritt, mit diesem späteren Zeitpunkt beginnt. So läge
es hier. Die schwere Körperverletzung ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Solche
Taten sind erst mit dem Eintritt der schweren Folge beendet (Jähnke in LK
11. Aufl. § 78 a Rdn. 13; Rudolphi/Wolter in SK-StGB § 78 a Rdn. 4; Fischer,
StGB 55. Aufl. § 78 a Rdn. 7).
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3. Sollte im Falle einer erneuten Verhandlung festgestellt werden, dass
der Angeklagte nach dem 1. April 1998 (Inkrafttreten des § 224 StGB i. d. F.
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des 6. StrRG) bis zum Februar 2002 (Vergewaltigung, Fall II. 2. der Urteilsgründe) in weiteren Fällen ungeschützten Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin hatte, könnte er dadurch jeweils den Tatbestand der versuchten gefährlichen
Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt haben. Auch diese Taten wären nicht verjährt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB).
Tolksdorf
Miebach
Becker
Pfister
Schäfer