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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 231/03
vom
5. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
-2-
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Verden vom 10. Dezember 2002 wird verworfen; jedoch wird der
Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß der Angeklagte wegen
schweren Raubes und versuchten Diebstahls verurteilt ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen
schweren Raubes und wegen versuchten besonders schweren Falls des Diebstahls" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Gesamtstrafe wurde gebildet aus der Einsatzstrafe für den schweren Raub von sechs
Jahren, einer Einzelstrafe für den versuchten Diebstahl von zehn Monaten sowie aus zwei einbezogenen Einzelstrafen von zwei Jahren sechs Monaten und
zwei Jahren aus einer früheren Entscheidung. Die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben. Der Senat hat lediglich den Schuldspruch neu gefaßt,
weil die Bezeichnung einer Tat als gemeinschaftlich begangen sowie das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere Fälle nicht in die
Urteilsformel aufzunehmen ist (Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 25
m. w. N.).
-3-
1. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, das Landgericht habe gegen
den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil es den Angeklagten und
seinen Verteidiger über den Inhalt einer verfahrensbeendenden Absprache im
Unklaren gelassen habe. Ihr liegt folgender von der Revision vorgetragener
und insoweit durch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer bestätigter Sachverhalt zugrunde:
Vor der Hauptverhandlung hatte es mehrere Telefonate zwischen dem
Verteidiger und dem Vorsitzenden darüber gegeben, ob das Verfahren "einvernehmlich" beendet werden könnte. Dabei wurde eine Einigung dahingehend
erzielt, daß der Angeklagte wegen der beiden angeklagten Taten (schwerer
Raub und versuchter Diebstahl) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von höchstens
vier Jahren und neun Monaten verurteilt werden würde, sofern er umfassend
geständig sei. In diesen Gesprächen, in denen sich die Beteiligten der Notwendigkeit, weitere Strafen einzubeziehen, noch nicht bewußt waren, wurde
auch erörtert, ob der Angeklagte die beiden Mitangeklagten belasten werde.
Dieser Aussageinhalt war erneut Gegenstand eines Telefonats kurz vor dem
Hauptverhandlungstermin sowie eines Gesprächs unmittelbar vor Beginn der
Hauptverhandlung, bei dem der Vorsitzende den Verteidiger fragte, ob "alles
beim Alten bleibe". In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sodann, ohne
daß zuvor die Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden
zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden waren, (teil)geständige Angaben gemacht. Nach Abschluß des ersten Hauptverhandlungstages hat der
Vorsitzende dem Verteidiger mit den Worten, "auch im Strafrecht" gebe es "den
Wegfall der Geschäftsgrundlage", mitgeteilt, er fühle sich nicht mehr an die
vorherige Absprache gebunden.
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Der Revisionsvortrag, es sei von Seiten der Strafkammer nachgefragt
worden, ob auch eine Belastung der Mitangeklagten erfolgen würde, worauf die
Verteidigung mit dem Hinweis reagiert habe, der Angeklagte könne aus eigenem Wissen dazu wenig sagen, wird durch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden nicht bestätigt. Dieser hat erklärt: Es sei der Verteidiger gewesen,
der auf die Mitteilung, die Kammer nehme bei geständiger Einlassung des Angeklagten eine Strafobergrenze von fünf bis fünfeinhalb Jahren in Aussicht,
nachgefragt habe, ob eine weitere Strafmilderung in Betracht käme, wenn sein
Mandant auch die Mitangeklagten belaste. Daraufhin habe die Kammer für den
Fall einer Belastung auch der Mitangeklagten im Umfang des Anklagevorwurfs
eine Strafobergrenze von vier Jahren und neun Monaten in Aussicht gestellt. In
der Folgezeit hätten die Informationen des Verteidigers, ob eine solche Drittbelastung erfolgen werde, mehrfach gewechselt, das Gespräch mit dem Verteidiger unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung habe er, der Vorsitzende,
so verstanden, daß ein volles Geständnis und eine Drittbelastung im Sinne der
Anklage erfolgen werden. Wegen der gleichwohl bestehenden Unsicherheit
über den Inhalt der Aussage habe er aber eine abgesprochene Verständigung
in der Hauptverhandlung nicht protokolliert.
Der Revisionsvortrag, der Angeklagte habe gleich zu Beginn der Hauptverhandlung umfassend gestanden, wird durch die dienstliche Erklärung des
Vorsitzenden ebenfalls nicht bestätigt. Darin heißt es: Der Angeklagte habe am
ersten Hauptverhandlungstag weder die ihm vorgeworfene Tat umfassend eingeräumt noch die Mitangeklagten belastet. Unter dem Eindruck dieser Einlassung habe der Verteidiger gegenüber ihm, dem Vorsitzenden, Verständnis dafür geäußert, daß die Kammer an die Strafrahmenobergrenze nicht mehr ge-
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bunden sei. Erst nach der Vernehmung der Geschädigten habe der Angeklagte
an späteren Hauptverhandlungstagen ein volles Geständnis abgelegt.
Die Revision rügt, der Grundsatz des fairen Verfahrens sei dadurch
verletzt, daß das Landgericht nicht klargestellt habe, welche inhaltlichen Anforderungen es an das Geständnis gestellt hatte. Auf diese Weise habe sich der
Angeklagte in Erwartung einer Strafe von vier Jahren und neun Monaten für die
angeklagten Taten mit seinem Geständnis zu Beginn der Hauptverhandlung
jeder weiteren Verteidigungsmöglichkeit begeben.
2. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist
nicht verletzt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte auch hinsichtlich seines eigenen Tatbeitrags ein Geständnis erst abgelegt hat, nachdem eine Beweisaufnahme durchgeführt worden war, also die auch aus seiner
Sicht vereinbarte Leistung nicht erbracht hat.
a) Der Angeklagte kann sich - wie der Senat bereits in einer anderen
Sache (BGH NStZ 2001, 555) entschieden hat - im Hinblick auf die verhängte
Strafe (Einzelstrafen von sechs Jahren und von zehn Monaten für die angeklagten Taten) schon deshalb nicht auf die mit dem Strafkammervorsitzenden
geführten Gespräche berufen, weil die Mindestbedingungen, die der Bundesgerichtshof für Verständigungen im Strafverfahren aufgestellt hat (BGHSt 43,
195), nicht gewahrt sind. Danach muß eine Verständigung unter Mitwirkung
aller Verfahrensbeteiligten in öffentlicher Hauptverhandlung stattfinden. Das
Ergebnis der Absprache ist - da es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handelt - im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt
43, 195, 206; 45, 227). Da dies nicht geschehen ist, kann der Angeklagte aus
Erklärungen des Vorsitzenden nichts für sich herleiten (vgl. auch BVerfG StV
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2000, 3; BGH NStZ 2000, 495 mit Anm. Weider StV 2000, 540; Kuckein/Pfister
in FS 50 Jahre BGH, S. 641, 659). Ein Vertrauenstatbestand ergibt sich nur
aus einer in öffentlicher Hauptverhandlung protokollierten Zusage einer Strafobergrenze (vgl. BGH StV 2003, 268).
b) Auch dadurch, daß der Strafkammervorsitzende das (Teil)Geständnis
des Angeklagten entgegennahm, ohne zuvor die Gespräche zwischen ihm und
dem Verteidiger offenzulegen, ist das Gebot fairer Verfahrensführung nicht
verletzt worden. Zwar wäre der Strafkammervorsitzende verpflichtet gewesen,
die Gespräche zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen: Wie sich
aus seiner Erklärung gegenüber dem Verteidiger nach dem ersten Verhandlungstag ergibt, wonach er sich aufgrund des Einlassungsverhaltens des Angeklagten nicht mehr an die Verständigung gebunden fühle, ging der Vorsitzende zu Beginn der Verhandlung davon aus, sich mit dem Verteidiger verständigt zu haben. Allein die Unsicherheit des Vorsitzenden "hinsichtlich der zu
erwartenden Aussage" (wie es in seiner dienstlichen Äußerung wörtlich heißt)
bzw. seine Unsicherheit über den genauen Inhalt der getroffenen Abrede in
Bezug auf den Umfang des Geständnisses und das Ausmaß der Belastung der
Mitangeklagten konnte die Verpflichtung, die Gespräche zum Gegenstand einer Erörterung in der öffentlichen Hauptverhandlung zu machen, entgegen seiner Einschätzung nicht beseitigen; diese Zweifel drängten im Gegenteil zu einer klärenden Erörterung. Indes durfte sich - wie in der Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. BVerfG StV 2000, 3) - der Angeklagte insoweit nicht allein auf
das Verhalten des Vorsitzenden verlassen, sondern hätte durch seinen Verteidiger - ggf. durch Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO - eine Offenlegung herbeiführen müssen. Dies hätte dann zu einer Aufdeckung des zwischen dem Strafkammervorsitzenden und dem Verteidiger möglicherweise be-
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stehenden Dissenses und im Anschluß daran entweder zu einer unter
Einschluß aller Verfahrensbeteiligten erfolgten und nach den Mindestbedingungen der Entscheidung BGHSt 43, 195 in der Hauptverhandlung protokollierten Verständigung geführt oder dem Angeklagten erlaubt, über sein Verteidigungsverhalten neu zu entscheiden.
Tolksdorf
Miebach
Pfister
Winkler
Becker