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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 458/15
vom
11. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:110216B2STR458.15.0
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Februar 2016 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 19. Mai 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere allgemeine
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften in zehn
Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit
mit Besitz kinderpornographischer Schriften in vier Fällen unter Einbeziehung
einer Freiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in
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Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften zu einer weiteren Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel
ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die mit der Revision
gerügte Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet hingegen durchgreifenden sachlich rechtlichen Bedenken.
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a) Das Landgericht hat von der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB
abgesehen. Zwar habe der Angeklagte den Hang, alkoholische Getränke im
Übermaß zu sich zu nehmen. Der Sachverständige habe hierzu ausgeführt, der
Angeklagte habe in den letzten drei Jahren täglich Alkohol in zunehmend höheren Mengen konsumiert. In der Vergangenheit sei es bei ihm unter Alkoholeinfluss auch zu Straftaten gekommen, wenngleich es sich hierbei nicht um Sexualstraftaten gehandelt habe. Zusammenfassend sei die Diagnose eines Alkoholabhängigkeitssyndroms zu stellen. Ob jedoch die „sonstigen Voraussetzungen“ des § 64 StGB vorlägen, „könne er - abweichend von seiner vorläufigen
Einschätzung im Gutachten vom 14. Januar 2015 - nicht mehr beurteilen“.
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Die Strafkammer ist sodann aufgrund eigener Erwägungen zur Annahme
gelangt, dass zwischen dem Hang und den abgeurteilten Straftaten kein symptomatischer Zusammenhang bestehe, und hat die Anordnung der Maßregel
nach § 64 StGB schon aus diesem Grund abgelehnt.
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b) Die Ablehnung der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand. Die Erwägungen des Landgerichts leiden an einem auf die
Sachrüge zu beachtenden durchgreifenden Darstellungsmangel.
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Mit der unterschiedlichen Beurteilung des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB in dem vorläufigen schriftlichen Gutachten einerseits und in dem in der Hauptverhandlung erstatteten mündlichen Gutachten andererseits hätte sich das Tatgericht näher befassen müssen. Zwar
bereitet ein schriftliches Gutachten die Begutachtung in der Hauptverhandlung
lediglich vor; maßgeblich ist daher nur das mündliche Gutachten des Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164,
167). Widersprechen sich beide Gutachten in einem entscheidenden Punkt,
muss diese Abweichung näher begründet werden (Senat, Beschluss vom
13. Mai 2005 – 2 StR 160/05, NStZ 2005, 683, 684). Das Gericht muss sich mit
diesem Widerspruch auseinandersetzen und in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen, warum es das eine Ergebnis für zutreffend, das andere für
unzutreffend erachtet (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 1989 - 4 StR
630/89, NStZ 1990, 244, 245; Beschluss vom 13. Juli 2004 - 4 StR 120/04,
NStZ 2005, 161). Daran fehlt es hier.
7
Das Landgericht hat schon nicht mitgeteilt, zu welcher Einschätzung der
Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten gekommen war. Offen bleibt
auch, warum er, abgesehen vom Vorliegen eines Hangs, sich bei mündlicher
Gutachtenerstattung in der Hauptverhandlung nicht mehr in der Lage gesehen
hat, das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB zu
beurteilen. Der Grund dafür erschließt sich auch nicht aus dem in diesem Zusammenhang erfolgten Hinweis des Gerichts, der Sachverständige habe ausgeführt, nach der in der Hauptverhandlung erfolgten Inaugenscheinnahme der
Filmaufnahmen der Taten stehe aus seiner Sicht nur fest, dass die Einsichts-
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und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten tatzeitbezogen vollständig erhalten
geblieben sei.
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Damit ist eine revisionsrichterliche Überprüfung dahin, ob das Landgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB zu
Recht abgelehnt hat, nicht möglich. Es kann weder beurteilt werden, ob und
welche Ausführungen des Sachverständigen den Erwägungen des Gerichts
entgegenstehen noch, ob das Landgericht im Ergebnis zu Recht das bessere
Fachwissen für sich in Anspruch nehmen durfte.
9
2. Die Frage der Maßregelanordnung bedarf daher neuer Verhandlung
und Entscheidung. Es dürfte sich empfehlen, mit der erforderlichen Begutachtung des Angeklagten (§ 246a StPO) einen anderen Sachverständigen zu betrauen.
-6-
10
Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da auszuschließen ist, dass
der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen
oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
Fischer
Appl
Zeng
Ott
Bartel