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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 174/17
vom
13. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:130617B2STR174.17.0
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Angeklagten am 13. Juni 2017 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist;
jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten
der Angeklagten und zur Schuldunfähigkeit aufrecht erhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.
-3-
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung
es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die
Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus
der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte unter
einer organisch bedingten schizophrenieformen Psychose. In der Zeit von Dezember 2012 bis Mai 2015 wurde sie dadurch auffällig, dass sie Bettler beschimpfte und körperlich angriff. Dabei war sie nicht in der Lage, das Unrecht
der Tat einzusehen.
3
Am 9. Mai 2013 beschimpfte die Angeklagte den aus Rumänien stammenden Zeugen
A.
, dessen rechtes Bein amputiert ist und der
auf der Straße saß und bettelte. Sie forderte ihn auf wegzugehen und erklärte,
er habe als Ausländer hier nichts zu suchen. Sie warf das Körbchen des Geschädigten mit dem erbettelten Geld um und zog an seiner Jacke. Schließlich
trat sie ihn mindestens zweimal gegen den nackten Stumpf des amputierten
Beines (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
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Am 14. Mai 2013 griff sie den Zeugen A.
an (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
erneut in gleicher Weise
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5
Am 3. Juni 2013 beschimpfte sie den Zeugen
M.
, der eben-
falls als Bettler auf der Straße saß. Sie erklärte, dass er hier weg müsse. Dann
schubste sie den Geschädigten und trat gegen die vor ihm stehende Spendendose. Schließlich trat sie auch gegen seinen verkrüppelten Fuß (Fall II. 3. der
Urteilsgründe).
6
Am 13. Juni 2013 trat die Angeklagte den Zeugen
G.
gegen die Beine und nahm das von ihm erbettelte Geld weg. Dann betrat sie
laut schreiend die Verkaufsräume des Teeladens der Firma E.
, wo sie Ge
bäck aus den Regalen auf den Fußboden warf. Die Angestellte Z.
beglei-
tete sie vor das Ladenlokal. Davor trat die Angeklagte gegen einen Warenträger
und würgte die Zeugin Z.
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am Hals (Fall II. 4. der Urteilsgründe).
Am 26. Oktober 2013 traf die Angeklagte wieder auf den Zeugen
A.
. Sie beschimpfte ihn und trat ihn gegen die rechte Hand. Danach lag
der Geschädigte auf dem Rücken, das erbettelte Geld lag um ihn herum verstreut. Die Angeklagte beschimpfte den Geschädigten als „Pack“ und erklärte,
sie sei eine Verfechterin „deutscher Rechte“ (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
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2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, die Angeklagte sei zur Tatzeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung nicht in der
Lage gewesen, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Sie habe geglaubt,
sie erfülle einen göttlichen Auftrag, die von ihr als „Heuchler“ angesehenen rumänischen Bettler, die der „Mafia“ angehört hätten, anzugehen und dafür zu
sorgen, dass sie ihrer Bettelei nicht länger nachgingen und Deutschland verließen. Sie sei von Dezember 2012 bis Mai 2015 auffällig geworden, indem sie
Bettler beschimpft oder körperlich attackiert habe. Nach dem 12. Mai 2015 seien keine weiteren Übergriffe mehr „polizeibekannt“ geworden.
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9
Das Landgericht hat die Angeklagte deshalb wegen Schuldunfähigkeit
gemäß § 20 StGB freigesprochen und gemäß § 63 Satz 1 StGB ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, aber die Vollstreckung
der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Dazu hat es ausgeführt, die rechtswidrigen Taten seien der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Sie beruhten auf der
psychischen Erkrankung der Angeklagten. Es sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von der Angeklagten infolge ihrer Erkrankung
weitere gleichartige Taten zu erwarten seien. Allein die Tatsache, „dass sie
nach Mai 2015 bis heute keine weiteren Körperverletzungen begangen hat“,
beseitige diese Einschätzung nicht. Die Angeklagte habe dazu angegeben,
dass sie ihrem „Beruf derzeit nur deswegen nicht nachgehe, da der Richter am
Amtsgericht ihr gesagt habe, dass sie das nicht dürfe und, wenn sie einen Bettler sehe, diesem aus dem Weg gehen solle. Da man sich an das Gesetz halten
müsse, halte sie sich auch hieran.“ Weil die Angeklagte aber gleichwohl keinen
Abstand von ihren falschen Vorstellungen genommen habe, bestehe die Gefahr
erneuter Straftaten fort. Die Äußerung, dass sie wegen der richterlichen Ermahnung Bettlern aus dem Weg gehe, rechtfertige jedoch die Aussetzung der Vollziehung der Maßregel zur Bewährung.
II.
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1. Der Maßregelausspruch gemäß § 63 Satz 1 StGB ist rechtlich zu beanstanden. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die
Angeklagte bei der Begehung der rechtswidrigen Taten unfähig war, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Jedoch hat es die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Prognose nicht ausreichend begründet.
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a) Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen
besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf
daher nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades
besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft
erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage
einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens
und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss
vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 mwN). Einzustellen sind
die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person
des Beschuldigten und seine Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren (vgl.
BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76,
77). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden
Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl.
BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76
mwN).
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b) Diesen Anforderungen wird die Prognose des Landgerichts nicht gerecht.
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Die Anlasstaten wurden im Mai, Juni und Oktober 2013 von der Angeklagten begangen. Dass danach noch bis Mai 2015 vergleichbare Körperverletzungen begangen wurden, ist nicht festgestellt. Der durch eine Polizeibeamtin
als Zeuge mitgeteilte Umstand, dass die Angeklagte bis Mai 2015 „häufig polizeilich auffällig geworden“ sei, genügt nicht. Wenn ein Täter aber trotz fortbestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen
hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger sol-
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cher Taten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR
2015, 72, 73; Beschluss vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16).
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Es erscheint zudem widersprüchlich, wenn das Landgericht die bisherige
Beachtung der richterlichen Ermahnung durch die Angeklagte nicht als ausreichenden Grund gegen eine Maßregelanordnung gewertet hat, während es die
Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung
auf die Erwartung gestützt hat, die Angeklagte werde sich weiter an die richterliche Aufforderung halten, Bettlern aus dem Weg zu gehen.
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2. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten und zu der zur Tatzeit
sicher vorliegenden Schuldunfähigkeit der Angeklagten sind rechtsfehlerfrei
getroffen worden und können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision
unbegründet.
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3. Eine Aufhebung des Freispruchs mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2
StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 619/16 mwN) ist hier
nicht angezeigt, weil auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter zu einem
Schuld- und Strafausspruch gelangen kann.
Krehl
Eschelbach
Bartel
Zeng
Grube